Beschämend

Zuge­ge­ben: Der all­jähr­lich am 1. August zele­brierte Patrio­tis­mus mit pathe­ti­schen Reden, Brat­wurst­duft und Rake­ten-Geknalle bis tief in die Nacht war noch nie mein Ding. Das heisst aber noch lange nicht, dass die­ses Fest nicht auch seine guten Sei­ten haben kann. Es gibt auch am 1. August immer wie­der Red­ne­rin­nen und Red­ner, die ihrem Publi­kum Geschei­tes, Auf­mun­tern­des und sogar Zukunfts­wei­sen­des mit auf den Weg geben.

Bun­des­prä­si­den­tin Simo­netta Som­ma­ruga gehörte die­ses Jahr defi­ni­tiv nicht zu die­ser Kate­go­rie der 1. August-Red­ne­rIn­nen. Im Gegen­teil: Was sie in ihrer TV-Anspra­che und anschlies­send auf dem Rütli insze­nierte, ist beschä­mend und peinlich.

So wur­den auf Wunsch der Bun­des­prä­si­den­tin 54 «Hel­din­nen und Hel­den des All­tags» aufs Rütli ein­ge­la­den. Aus­ge­wählt von der Gemein­nüt­zi­gen Gesell­schaft der Schweiz, wur­den aus jedem Kan­ton der Schweiz sowie von der Aus­land­schwei­zer-Gemein­schaft je ein Mann und eine Frau aufs Rütli geschickt und dort als Hel­din­nen und Hel­den geehrt. Stell­ver­tre­tend, so die Mode­ra­to­rin des Anlas­ses, «für alle Schwei­ze­rin­nen und Schwei­zer, die in irgend­ei­ner Form dazu bei­getra­gen haben, diese schwie­rige Zeit zu bewältigen.»

Gegen Dank und Aner­ken­nung für all jene, die in Hei­men, Spi­tä­lern, Läden oder ande­ren unent­behr­li­chen Dienst­lei­stungs­bran­chen Son­der­lei­stun­gen erbracht haben, ist nichts ein­zu­wen­den. Im Gegen­teil. Doch die von der Bun­des­prä­si­den­tin ange­zet­telte Hel­den­ver­eh­rung ist unbe­hol­fen und verkehrt.

Die Heroi­sie­rung von gesell­schaft­li­chem Enga­ge­ment steht in kras­sem Wider­spruch zu den aktu­el­len Her­aus­for­de­run­gen. Gerade in Bezug auf die Corona-Krise, wo gegen­sei­tige Rück­sicht­nahme und Soli­da­ri­tät das Gebot der Stunde sind, wer­den mit dem Küren von Hel­dIn­nen fal­sche Signale gesen­det. Der Kul­tur­so­zio­loge Ulrich Bröck­ling bringt es in sei­nem Essay «Nach­ruf auf die Corona-Hel­den» auf den Punkt: «Hel­den­ge­schich­ten sol­len anspor­nen, es den Vor­bil­dern gleich zu tun; die respekt­volle Ver­nei­gung vor ihren Gross­ta­ten ent­la­stet aber auch davon, selbst die Kom­fort­zone zu ver­las­sen. Und selbst­ver­ständ­lich ist es bil­li­ger, Heroen des All­tags zu küren als für ihre ange­mes­sene Bezah­lung zu sorgen.»

Die Wahl der auf der Rüt­li­wiese geehr­ten Corona-Hel­dIn­nen trieb zudem teils absurde Blü­ten: So war der Kan­ton Bern etwa durch einen Leh­rer und eine sei­ner Schü­le­rIn­nen ver­tre­ten – weil sie «mit Freude und Enga­ge­ment» Fern­un­ter­richt betrie­ben hät­ten. Wahr­lich hel­den­haft. Ein Teil der Hel­dIn­nen wurde wegen Son­deref­forts im Rah­men ihrer beruf­li­chen Tätig­keit aus­ge­zeich­net, andere enga­gier­ten sich im Rah­men von Frei­wil­li­gen­ar­beit. So wur­den etwa die Initi­an­tin einer Ver­teil­platt­form aus­ge­zeich­net, ver­schie­dene Ange­stellte von Lebens­mit­tel­ge­schäf­ten sowie Spi­tal- und Pfle­ge­hei­men, ein Schrei­ner der Ple­xi­glas­schei­ben mon­tierte oder ein Aus­land­schwei­zer, der in Frank­reich lebt und «unter stren­gem Aus­geh­ver­bot» gelit­ten habe. Fehlt eigent­lich nur noch die Hel­din, die sich hero­isch der Mas­ken­trag­pflicht im ÖV unterwirft.

Ob die gekür­ten Hel­din­nen und Hel­den im Besitz eines Schwei­zer Pas­ses sein muss­ten, ist unklar. Jeden­falls scheint es unter den Aus­län­de­rIn­nen – gemes­sen am Bevöl­ke­rungs­an­teil – erschreckend wenige Hel­den und Hel­din­nen zu geben, die es auf die Ein­la­dungs­li­ste der Bun­des­prä­si­den­tin geschafft haben. Wir kön­nen – man­gels Trans­pa­renz – nur ver­mu­ten, dass es eine ein­zige Per­son (aus dem Kan­ton VD) geschafft haben dürfte…

Fest steht aber: Gerade in Pfle­ge­be­ru­fen und im Ver­kauf ist der Anteil an soge­nann­ten Aus­län­de­rin­nen und Aus­län­dern beson­ders gross. Sie gehö­ren zur Schweiz, dür­fen sich abrackern, auf glei­che Rechte in allen Berei­chen müs­sen sie aber bekannt­lich verzichten.

Trotz­dem war Som­ma­ru­gas Anspra­che eine reine Lob­hu­de­lei auf die Schweiz, auf die sie stolz sei: «Die Schweiz ver­häbt, wenn es dar­auf ankommt, sind wir mehr als 26 Kan­tone und 8,5 Mil­lio­nen Ein­woh­ner – die Schweiz, das sind wir.» Diese selt­same Logik pre­digt ein WIR, das von Fall zu Fall mehr oder weni­ger eng defi­niert wird – wenn man bedenkt, wie­viele Men­schen in die­sem Land in gewis­sen Berei­chen NICHTWIR sind. Zum Bei­spiel alle Sans Schwei­zer­pass, Rand­stän­dige, Heim­be­woh­ne­rIn­nen, Alleinerziehende…

Die Bun­des­prä­si­den­tin schwärmte wei­ter von einer Schweiz, die zusam­men­halte, Soli­da­ri­tät prak­ti­ziere… Ver­ges­sen schei­nen die Ham­ster­käufe, kein Wort vom mas­si­ven Druck der Wirt­schafts- und Sport­lobby, die mas­si­ven Druck aus­übte, um das urei­gene Busi­ness schnellst­mög­lich wie­der hochzufahren.

Schliess­lich behaup­tete Simo­netta Som­ma­ruga in ihrer TV-Anspra­che zum ersten August sogar, unser Land funk­tio­niere so gut, dass es wäh­rend der Corona-Krise nie­mals zu Lie­fer­eng­päs­sen gekom­men sei. Eine mehr als gewagte Aus­sage zu einem Zeit­punkt, da immer mehr Details über die Mas­ken-Schum­me­lei hier­zu­lande bekannt werden.

Fakt ist: Die Schweiz kam (bis­lang) in der Coro­na­krise glimpf­lich davon. Nicht, weil die Schwei­ze­rin­nen und Schwei­zer soli­da­ri­schere, bes­sere Men­schen – ja Hel­den und Hel­din­nen – sind. Son­dern weil die Schweiz ein sehr rei­ches Land mit einer star­ken Infra­struk­tur ist.

Dies wäre eigent­lich eine gute Basis, sich Gedan­ken dar­über zu machen, wie wir diese kom­for­ta­ble Situa­tion dafür nut­zen kön­nen, unser Land und unser Leben nach­hal­tig und men­schen­freund­lich zu ent­wickeln. Mutig und vor­aus­schau­end. Da gäbe es aus der Corona-Krise die eine oder andere Lehre zu zie­hen. Selbst­kri­tisch, aber kon­struk­tiv. Auf diese Rede war­ten wir noch.

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