Soeben habe ich dem Referendumskomitee gegen das Frontex-Gesetz einen Unterstützungsbeitrag überwiesen. Weil ich der Überzeugung bin, dass wir in Europa die unmenschliche Praxis der Frontex-Einsatzkräfte gegen Flüchtende nicht einfach hinnehmen, geschweige denn noch zusätzlich mit Schweizer Steuergeldern unterstützen sollen.
Im Gegenteil: Es braucht dringend neue Efforts der Solidarität und Menschlichkeit. Was am Rand der sogenannten Festung Europa seit Jahren abgeht, ist unwürdig und unhaltbar. Dazu gehören, nebst den Einsätzen der Grenzschutzagentur Frontex, namentlich auch Übergriffe der nationalen Grenzwacht-Einheiten in Europa. Inklusive der Schweiz.
Allerdings muss hier klargestellt werden: Die Grenzpolizist:innen machen eigentlich nur die Drecksarbeit. Verantwortlich für den Tod von Tausenden von Menschen, die Schutz und Sicherheit in Europa suchten, sind an erster Stelle die Politiker:innen an den Schalthebeln der Macht. Unterstützt durch ihre willigen Helfer:innen in der Verwaltung und Rechtfertigungsprediger in den Medien.
Die praktische Anwendung der Abschreckungspolitik gegenüber Flüchtenden findet in der Regel ausserhalb des medialen Scheinwerferlichts statt. Hie und da gibt es aber erschreckende Einblicke in den grenzpolitischen Alltag, den alle sehen können, die sehen wollen.
Eindrücklich zeigt dies etwa der Dokumentarfilm «The Game – Spiel zwischen Leben und Tod». Die Filmemacherin Manuela Federl aus Bayern wollte ursprünglich eigentlich bloss einen Hilfsgütertransport ihres Vereins mit der Kamera begleiten, um den Leuten daheim zu zeigen, was deren Spenden bewirken.
Was die Regisseurin und ihr Partner in Bosnien jedoch antrafen, war so erschütternd und schockierend, dass sie beschlossen, vor Ort eine umfassende Dokumentation zu drehen. Entstanden ist ein Film, der zum Pflichtstoff für alle Menschen in unserem Land und in ganz Europa erklärt werden müsste. Insbesondere aber für jene, die Tag für Tag in ihren komfortablen geheizten Büros über Schicksale von Menschen auf der Flucht entscheiden.
Der Film dokumentiert unter anderem die brutalen «Pushbacks» durch die Grenzbehörden, bei denen die Menschen – darunter viele Familien aus Afghanistan, Eltern, Grosseltern, Kleinkinder – immer und immer wieder von Kroatien über die Aussengrenze nach Bosnien zurückverfrachtet werden. Manchen werden die Schuhe abgenommen, man schickt sie in Socken und barfuss zurück, wieder und wieder. Viele werden misshandelt, geschlagen. Auf bosnischer Seite zündet man ihre Zelte an, zerstört ihre wenigen Habseligkeiten und versucht immer aufs Neue, sie zu vertreiben.
Doch wohin? Menschen im Niemandsland. Gestrandet, versuchen sie in Ruinen und im Wald zu überleben. Sie leiden unter Kälte, Nässe und Hunger – mitten in Europa. Und versuchen dabei, die Hoffnung nicht zu verlieren, eines Tages doch wieder ein menschenwürdiges Leben zu leben. Träume zu verwirklichen – oder einfach nur, dem Hunger und der Kälte zu entkommen.
Wie zynisch und menschenverachtend mutet vor diesem Hintergrund die jüngste Kolumne von alt Nationalrat Rudolf Strahm an. Er behauptet, Frontex sei unverzichtbar: «Wer Frontex ablehnt, überlässt die Migration den Schleppern und Banden. Armutsmigration ist eine globale Tragik. Sie erfordert Empathie, aber auch klare Kontrollen.»
Mit anderen Worten: Frontex soll uns doch bitte vor der globalen Tragik beschützen… Damit nicht genug: Der ehemalige SP-Politiker ist sich nicht zu schade, in seinem Rundumschlag auch den notorischen Scharfmacher und Weltwoche-Journalisten Kurt Pelda zu bemühen, um die Flüchtlingshelfer:innen als Kollaborateure der Schlepper:innen zu diffamieren. Wenn die Welt nur so einfach wäre…
Doch Strahm geht noch einen Schritt weiter und stellt sich damit endgültig in die äusserste rechte Ecke der Menschenverachter: Er verteufelt die Migration, deren Folge Parallelgesellschaften seien, «in grossstädtischen Quartieren und Banlieues, in Ausländerquartieren, in denen selbst die Polizei machtlos ist» und sieht unsere Gesellschaft durch die «Einwanderung aus Macho-Kulturen» in Gefahr.
Strahm schürt mit seinen Worten Hass und Ausgrenzung. Als ob uns das Elend und die Not von Menschen, die nicht das Glück hatten, in der selbstgerechten Schweiz auf die Welt gekommen zu sein, nichts anginge.
Das wollen und dürfen wir nicht zulassen!
© Bilder: Stills aus dem Film «The Game – Spiel zwischen Leben und Tod» – 2021