Ein Sonntagsspaziergang durchs Quartier ist mitunter aufschlussreicher, als das obligate Sonntags-Zeitungslesen, das wir mangels fesselnder Inhalte wieder einmal in Rekordzeit hinter uns gebracht haben. — Draussen immerhin ein paar Sonnenstrahlen. Und viel Veränderung: Die drei älteren Einfamilienhäuser an der Hauptstrasse sind ausgeweidet – sie dürften die kommende Woche nicht überstehen. Auch am Waldrand ist Kahlschlag angesagt: Ein paar Bäume sind schon um, eine Reihe weiterer mit roten Kreuzen markiert.
Munter die Ferkel auf dem Bauernhof. Zum Glück können sie die Informationstafeln vor dem Gehege nicht lesen — sonst verginge ihnen mit Bestimmtheit ihr fröhliches Quietschen: Im Detail wird hier nämlich erklärt, wie kurz so ein Schweineleben ist und welch höherer Bestimmung die einzelnen Körperteilen dieser herzigen Viecher anschliessend zugeführt werden.
Weiter geht’s, an einer vor Monaten abgebrochenen und nun verdichtet neu aufgebauten Genossenschaftssiedlung vorbei. Spannend, wie sich die real gebauten Blöcke von den luftigen Bildern auf der Bautafel unterscheiden. Das Gesicht Zürichs verändert sich hier im Norden besonders rasant. — Am Strassenrand steht ein Bagger, daneben sechs Paletten mit Steinen: Grau, unscheinbar und schwer. Ein Schild verweist auf deren Bestimmungszweck: Eine neue Busschleife. Nichts besonderes, ein alltägliches Infrastrukturprojekt im wachsenden Quartier.
Die Herkunft der Steine hingegen ist exotisch: Sie kommen aus China. Der Blick auf die Etikette verrät weiter, dass sie von der Firma Interstein importiert worden sind und das Label Win-Win tragen. Das muss etwas Gutes sein, denken wir. Nomen est omen.
Trotzdem: Wie ist es möglich, dass die Stadt Zürich, die sich der Nachhaltigkeit verschrieben hat und die 2000-Wattgesellschaft anstrebt, in ihren Strassen Steine aus China verbaut?
Eine kurze Internetrecherche gibt Auskunft: „Bis Oktober 2010 verwendete das Tiefbauamt hauptsächlich Steine aus schweizerischen oder europäischen Steinbrüchen”, steht in einer Medienmitteilung der Stadt. “Natursteine aus Asien wurden kaum verbaut, weil für diese kein international anerkanntes Zertifikat existierte, das die sozial verträgliche Herkunft der Steine garantierte.“
Dies änderte sich mit der Einführung einer Deklarationspflicht für Natursteine. Seither dürfen auch Steine aus Übersee verbaut werden, wenn der Lieferant mit einem Zertifikat belegen kann, dass die Steine sozial verträglich abgebaut worden sind. Von der Ökobilanz steht nichts.
Sozialstandards sind wichtig – für alle Produkte, die wir importieren. Doch rechtfertigt Fair-Trade auch den ökologisch absurden Import von Natursteinen aus Übersee? Auf solche Einwände pflegen Importeure zu antworten, dass der LKW-Transport von Gütern aus Südeuropa mehr CO2-Emissionen verursache, als eine Seefahrt von Asien nach Rotterdam und Basel.
Auch wenn diese Rechnung stimmen mag – sie geht nicht auf. Denn: Wie mancher asiatische Steinbruch liegt gleich neben einem Überseehafen, so dass dort keine LKW-Kilometer anfallen? Und warum berechnet man den Transport in Europa ab Portugal und berücksichtigt nicht einen Steinbruch im Tessin? — Es kann ja nicht sein, dass ein Soziallabel als Rechtfertigung dafür dient, dass eine der reichsten Städte der Welt aus Kostengründen Steine aus China importiert!