Kürzlich benötigte ich mal wieder Socken. Selbstverständlich nicht irgendwelche Wegwerfsocken, schliesslich ist frau ja sensibilisiert. Ein sicherer Wert für unbedenkliche Einkäufe: Naturaline bei Coop. Die Socken im Gestell sind – Paar für Paar – fein säuberlich an Kunststoffhaken aufgehängt. Deren Recycling kann ich als aufgeklärte Konsumentin gleich selber im Coop übernehmen, durch das Einwurfloch «Plastikflaschen», nachdem ich die Sammelstelle im zweiten Untergeschoss gesucht und gefunden habe. Soweit, so gut.
Bio & Fair steht auf der reziklierbaren Etikette. Mehr noch: Das Produkt wurde zu 100% fair produziert, die Baumwolle stammt zu 100% aus Bioanbau und vor allem: Die Socken sind 100 % CO2-neutral. Da wird einem leicht gemacht, was der Slogan auf der Etikette auch noch suggeriert: «Gut aussehen und sich gut fühlen.» 100% reines Konsument:innengewissen, also.
Das ist wunderbar: Klimaschutz beim Sockenkauf! Aber wie funktioniert das überhaupt? Schliesslich fallen ja entlang der gesamten Lieferkette – von der Baumwollproduktion auf dem Feld über die Herstellung der Socken (die notabene nebst Baumwolle auch Polyamid und Elasthan enthalten) bis zum Verkauf in der Filiale CO2-Emissionen an. Also wirklich 100% CO2-neutral?
Das Zauberwort heisst «Kompensation»… Auf der Coop-Website erfahre ich, dass die CO2-Neutralität meiner Socken erkauft wurde: «Für unvermeidbare CO2-Emissionen haben wir eine Kompensationslösung gesucht und in unserer eigenen textilen Lieferkette gefunden. Durch den Bau von Biogasanlagen und effizienten Öfen in Indien und Tansania reduzieren wir den Verbrauch von Feuerholz und kompensieren entstandene CO2-Emissionen direkt bei den Bio-Baumwollbauern.»
Keine Frage: Solche Projekte sind wichtig und begrüssenswert. Trotzdem: Das Label «CO2-neutral» suggeriert etwas anderes. Als Käuferin wird mir vorgegaukelt, dass ich nicht nur Socken, sondern was immer mein Herz begehrt weiterhin grenzenlos kaufen und konsumieren kann – solange es «kompensiert» CO2-neutral ist.
Kein Wunder, hat der Begriff mittlerweile Hochkonjunktur. Aktuell werben etwa die St. Moritzer Bergbahnen mit dem schweizweit ersten «CO2-neutralen» Schneesportangebot – was bei näherer Betrachtung nicht viel mehr als ein billiger Werbegag ist. Dass ausgerechnet eine Luxusdestination wie St. Moritz mit dem CO2-Label wirbt und gleichzeitig ein Geschäftsmodell betreibt, das sich weitgehend um Energie- und Ressourcensparmassnahmen foutiert, ist allerdings nicht weiter erstaunlich: The Trend is your friend!
Vom Kuscheltier bis zum Flug auf die Malediven kann man heute – dank Kompensation – alles zum vermeintlichen CO2-Nulltarif zu haben. Ein cleveres Geschäftsmodell, denn wir Konsumierenden lassen uns gerne einlullen: Wenn Du mein Produkt kaufst, tust Du was fürs Klima. Also kauf ruhig, am besten drei Stück, eines ist gratis!
Wer wirklich etwas für die Reduktion des CO2-Fussabdrucks tun will, kommt um die ernüchternde Erkenntnis nicht herum: CO2-neutral ist nur, was nicht produziert, konsumiert und schliesslich weggeworfen wird. Mit dem blossen Label «CO2-neutral» hingegen gelangt kein Gramm Kohlendioxid weniger in die Atmosphäre. Im besten Fall bleibt sich der Ausstoss gleich, «dank» Kompensation.
Bei der «Kosten-Nutzen-Berechnung» für Kompensationsleistungen stellen sich jedoch zusätzliche Fragen. Wie kann es zum Beispiel sein, dass ich mich bei MyClimate etwa für einen Retourflug Zürich-Heraklion mit gerade mal 20 Franken «neutralkaufen» kann. Dies, obschon ich dabei das Verpuffen von 0,7 Tonnen CO2 in die Atmosphäre verantworte.
Fakt ist: Soll der Klimawandel noch gestoppt werden, dürften pro Person und Jahr weltweit höchstens 0,6 Tonnen CO2 ausgestossen werden. In der Schweiz verursacht eine Person im Durchschnitt über 8 Tonnen CO2 (ohne Flüge) – davon kann man sich bei MyClimate mit 228 Franken im Jahr freikaufen. – Irgendwie geht diese Rechnung nicht auf.
Und ich frage mich, ob es für mein Gewissen und vor allem fürs Klima nicht besser ist, wenn ich mir beim nächsten Mal klimafolgenausserachtlassende Socken kaufe, qualitativ hochstehende, die ich bei Bedarf auch stopfen kann…