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Service Public – immer weniger, immer teurer

Als Nut­ze­rin des öffent­li­chen Ver­kehrs habe ich mein Gepäck­ma­nage­ment im Griff: Bevor ich eine Reise antrete, stu­diere ich die Wet­ter­pro­gno­sen, wäge ab, ob der warme Pulli unbe­dingt mit muss, und wel­ches Buch mich heute beglei­ten darf.

Ganz anders meine auto­fah­ren­den Kol­le­gin­nen: Für sie spie­len weder Gewicht noch Volu­men eine Rolle. Gerne füh­ren sie in ihrem Fahr­zeug den hal­ben Haus­halt mit — sicher­heits­hal­ber. Zum Bei­spiel Ersatz­klei­der vom Win­ter­man­tel bis zum Bikini, kuli­na­ri­sche Not­vor­räte, Gross­mutters Kopf­kis­sen.… Ihre Devise: Man weiss nie, ob es am Ziel­ort Aro­mat gibt.

Bahn­fah­rende hin­ge­gen haben eine aus­ge­klü­gelte Stra­te­gie ent­wickelt, immer nur das Nötig­ste mit­zu­füh­ren. Dazu gehört auch, dass man ab und an einen Teil sei­nes Gepäcks zwi­schen­la­gert, um nicht den wert­vol­len Lap­top, die schwere Ein­kaufs­ta­sche ins Schwimm­bad oder ins Museum mitzuschleppen.

Die stäh­ler­nen Schliess­fä­cher gehö­ren seit Jahr­zehn­ten zu unse­ren Bahn­hö­fen. Sie sind ein unver­zicht­ba­rer Mosa­ik­stein eines kun­den­freund­li­chen ÖV-Ange­bots: Gepäck ein­stel­len, Münz ein­wer­fen, Schlüs­sel dre­hen – fertig.

Als ich kürz­lich am Bahn­hof Biel wie­der ein­mal ein Schliess­fach mie­ten wollte, war jedoch alles anders: Statt Bar­geld und Schlüs­sel sind neu­er­dings Handy und Kre­dit­kar­ten­num­mer gefragt. Kein Pro­blem, denke ich und schiesse mit mei­nem Fair­phone den QR-Code ab.

Bevor ich mein Gepäck ein­stel­len kann, muss ich Mail­adresse und Han­dy­num­mer ein­ge­ben. Will ich das? Ja, beschliesse ich, immer noch bes­ser als schlep­pen… Als näch­stes der Preis: Neu­er­dings kostet das 248x420x750 Mil­li­me­ter kleine Schliess­fach sechs Fran­ken – wäh­rend Jah­ren habe ich für eine 24stündige Miete der glei­chen Grös­sen­ka­te­go­rie einen Fünf­li­ber bezahlt.

Auch gut – alles ist teu­rer gewor­den, denke ich und tippe meine Kre­dit­kar­ten­num­mer ein. Bevor ich auf ok drücke, noch ein letz­ter Blick auf die Geschäfts­be­din­gun­gen: Die Miet­dauer, steht da, sei auf 6 Stun­den begrenzt. Jede wei­tere Stunde kostet wei­tere drei Franken…

Ich rechne: Es ist kurz nach Neun – meine Wei­ter­fahrt ab Biel habe ich für 18 Uhr geplant. Das heisst, zur Grund­ge­bühr von 6 Fran­ken kämen noch ein­mal 9 Fran­ken hinzu – ins­ge­samt würde mich das Ganze 15 Fran­ken kosten! Drei­mal so viel wie noch vor ein paar Wochen…

Sofort bre­che ich die Trans­ak­tion ab und schul­tere mei­nen Ruck­sack. Statt in ein Schliess­fach inve­stiere ich die für die Grund­ge­bühr ver­an­schlag­ten sechs Fran­ken in Kaf­fee mit Gip­feli und spare den Rest.

Spä­ter zeigt meine Inter­net­re­cher­che: Aktu­ell rüsten die SBB schweiz­weit einen Bahn­hof nach dem andern um. Bis Ende 2025 sol­len sämt­li­che Anla­gen mit Schlüs­sel und Bar­geld­ein­wurf ver­schwin­den. Künf­tig kön­nen Schliess­fä­cher nur noch digi­tal bedient werden.

Bereits im letz­ten Som­mer haben Passagier:innen dage­gen pro­te­stiert, dass an immer mehr Bahn­hö­fen die Gepäck­auf­be­wah­rung nur noch mit Smart­phone und der Preis­gabe per­sön­li­cher Daten mög­lich ist. Die SBB argu­men­tie­ren, die War­tung und Bewirt­schaf­tung der Schliess­fä­cher mit Münz­au­to­ma­ten sei tech­nisch auf­wän­dig und per­so­nal­in­ten­siv. Das will oder kann man sich heute offen­bar nicht mehr leisten…

Was die SBB nicht kom­mu­ni­ziert haben: Das neue System erlaubt ihnen maxi­male Fle­xi­bi­li­tät und Ein­nah­men. So vari­ie­ren sie laut eige­nen Anga­ben auf der Web­site ihre Preise je nach Sai­son. In Biel kostet das kleine Fach wäh­rend der ersten sechs Stun­den in der Hoch­sai­son sechs, in der Neben­sai­son fünf Fran­ken. Für jede wei­tere Stunde kom­men drei, resp. zwei Fran­ken hinzu. Die Frage, wann für Bahn­rei­sende in Biel Haupt‑, wann Neben­sai­son ist, bleibt offen.

Zusätz­lich zu den sai­so­na­len Unter­schie­den behält sich die SBB etwa in Bern oder Luzern auch «Preis­än­de­run­gen bei regio­na­len Events und wäh­rend der Feri­en­zeit» vor. Das heisst: Bei gros­ser Nach­frage kosten die Schliess­fä­cher sogar noch mehr!

Das alles passt ins Bild der Gewinn-Opti­mie­rung, wel­che die SBB seit Jah­ren mit ihren Lie­gen­schaf­ten betrei­ben: Waren Bahn­höfe einst öffent­li­che Räume, deren Infra­struk­tur dem Publi­kum kosten­los zur Ver­fü­gung stand – von Bän­ken über geheizte War­te­räume bis zu den Toi­let­ten – sind sie heute in erster Linie Rentabilitäts-Zentren.

Kosten­lose Benüt­zung eines WCs ist – sofern über­haupt vor­han­den – auf den mei­sten Bahn­hö­fen längst Geschichte. Der Auf­schrei, als die ersten Bahn­hof­toi­let­ten abge­schafft und die ver­blei­ben­den zum Pro­fit­cen­ter wur­den, ist längst ver­stummt. Mitt­ler­weile zahlt, wer muss – Rei­sende haben keine andere Wahl.

Auch War­te­säle, die die­sen Namen ver­die­nen, gibt es kaum mehr, sogar die Bahn­hof­buf­fets sind ver­schwun­den. Auf den klei­nen Bahn­hö­fen beschränkt sich das Ange­bot vie­ler­orts auf einen Sel­ecta-Auto­ma­ten. Wo mehr Publi­kums­ver­kehr statt­fin­det, wer­den die kost­ba­ren Bahn­hof­qua­drat­me­ter zu gesal­ze­nen Prei­sen an Gross­ver­tei­ler ver­mie­tet, Sonn­tags­öff­nungs­zei­ten inklusive.

Und nun sind also die Schliess­fä­cher dran. Was dabei ver­ges­sen geht: Zu einem erfolg­rei­chen öffent­li­chen Ver­kehr gehö­ren nicht nur ein dich­ter Fahr­plan und Pünkt­lich­keit. Ebenso wich­tig sind die Rah­men­be­din­gun­gen, die das Rei­sen mit Zug und Bus attrak­tiv machen. Fehlt nur noch, dass in Zukunft auch die Toi­let­ten in den Zügen nur noch per QR-Code auf­zu­ma­chen inklu­sive Kre­dit­kar­ten­ein­satz zu benüt­zen sind.

Nach­trag:

Ein Augen­schein am Don­ners­tag, 12. Dezem­ber – spä­te­rer Nach­mit­tag zeigt: Von den ins­ge­samt 114 Schliess­fä­chern am Bahn­hof Biel (72 vom Typ Small – Grund­ge­bühr CHF 6.– und 42 Typ Large, Grund­ge­bühr CHF 10.–) sind gerade mal ZWEI belegt! Es scheint so, dass das neue System nicht nur mir zu kom­pli­ziert und zu teuer ist…

Eine Ent­wick­lung, die Anlass gibt zur Sorge: Es ist davon aus­zu­ge­hen, dass die die SBB nicht lange zögern wer­den, das Schliess­fach-Ange­bot man­gels Nach­frage abzu­schaf­fen und die frei wer­den­den Qua­drat­me­ter Bahn­hofs­flä­che teuer zu vermieten…

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