Eine «Friedenskonferenz», an der nur eine der beiden sich bekriegenden Parteien vertreten ist – absurder geht es nimmer. Mehr noch: Ein «Friedensgipfel», dessen Agenda von einer der beiden Kriegsparteien aufgesetzt und vom Veranstalter weitgehend akzeptiert wird – ein Akt der Dummheit ohnegleichen. Jeder vernünftig denkende Mensch käme zu diesem Schluss – nur: Wenn es um den Krieg in der Ukraine geht, hat die Vernunft einen schweren Stand. Auch in der Schweiz.
Was die Schweizer Diplomatie – angezettelt durch Bundespräsidentin Viola Amherd und Aussenminister Ignazio Cassis – am vergangenen Wochenende auf dem Bürgenstock veranstaltet hat, ist auf mehreren Ebenen ein Ärgernis.
Da können sich die Schweizer Medien von WOZ bis NZZ noch so ums Schönreden und ‑schreiben bemühen: Die teure Politshow, welche die «neutrale Schweiz» im Namen und zugunsten des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj inszeniert hat, ist alles andere als ein Schritt in Richtung Frieden – zu befürchten ist vielmehr das Gegenteil.
Das Bürgenstock-Happening war nichts anderes als eine weitere Folge im Sequel «Selenskyj – von der TV-Serie auf die Weltbühne». Ohne seinen Widersacher Putin, den die Schweiz – dem Wunsch des ukrainischen Kriegsrecht-Präsidenten entsprechend – erst gar nicht an die Konferenz eingeladen hatte.
«Die Schweiz hat dem Ukrainer während zweier Tage vor traumhafter Kulisse auf dem Bürgenstock die ganz grosse Bühne bereitet,» schreibt Fabian Hock, Ressortleiter Ausland bei CH Media – und meint dies durchaus positiv. Auf der Website von SRF findet man die Bildlegende: «Der wichtigste Teilnehmer kommt bereits am Freitag: Wolodymyr Selenskyj flog mit einem Super Puma der Schweizer Armee in die Zentralschweiz.»
Wozu eigentlich? Welchem Zweck diente der immense Aufwand? Laut Angaben des Bundes kostet die Bürgenstock-Show uns Steuerzahler:innen rund 15 Millionen Franken – hinzu kommen die Kosten für den Armeeeinsatz (rund 4000 Soldat:innen) und die Organisationsarbeit des EDA…
Es sind noch keine zwei Jahre, seit der Konferenz zum «Wiederaufbau in der Ukraine» – dem ersten Prestigeprojekt in Sachen Ukraine, das Bundesrat Ignazio Cassis in seinem Heimatkanton ausrichten liess. Ein Tessiner Prestigeprojekt, das viel kostete und ausser Tourismuswerbung für die Destination Lugano wenig brachte.
Damals wurden der ukrainische Premierminister und der ukrainische Parlamentspräsident mit dem Bundesratsjet eingeflogen. Selenskyj liess sich per Video zuschalten – zu diesem Zeitpunkt hatte er das Reisen zu und mit den Mächtigen noch nicht für sich entdeckt und hielt die Stellung in Kiew.
Und auch sonst blieb die Politikprominenz dem Treffen weitgehend fern, einzig Ursula von der Leyen begab sich damals nach dem G7-Gipfel in Garmisch-Partenkirchen und dem Nato-Gipfel in Madrid noch ins Tessin.
Das sollte sich nicht wiederholen, weshalb das EDA alles daransetzte, möglichst viel Prominenz in die Innerschweiz zu locken. Es bleibt jedoch schleierhaft, weshalb diese Blitzübung überhaupt nötig war:
Nur Tage vor dem Bürgenstock-Event war Selenskyj nämlich schon auf allen Kanälen zu sehen. Zuerst in Berlin, wo er sich anlässlich der von Deutschland einberufenen «Wiederaufbaukonferenz» mit Bundeskanzler Scholz traf und eine Ansprache vor dem Bundestag hielt.
Dann am G7-Gipfel in Apulien, ausgerichtet von der neofaschistischen Regierungschefin Meloni, mit der Ukraine als einem wichtigen Traktandum. Der Einladung gefolgt waren dort, nebst den Regierungschefs der G7-Mitglieder Grossbritannien, USA, Japan, Deutschland, Frankreich und Kanada weitere Regierungschefs unter anderem aus der Türkei und Brasilien sowie Papst Franziskus und natürlich Wolodymyr Selenskyj, der gedrückt und abgeküsst wurde, was das Zeug hielt.
Die USA und ihre Verbündeten nutzten den G7-Gifpel für die Verkündigung weiterer massiver Unterstützungen zugunsten der Ukraine. Unter anderem stellte Biden einen 50-Milliardenkredit für die Ukraine in Aussicht, geäufnet aus Erträgen aus den eingefrorenen russischen Vermögenswerten.
Nach juristischen Kriterien, die weltweit in der Geschäftswelt gelten, ein erpresserischer Diebstahl. Auch wenn dieser von der amerikanischen Finanzministerin als rechtlich unbedenklich verharmlost wird.
Wie dem auch sei: Nach dem Treffen in Apulien dislozierte der Pulk also auf den Bürgenstock, wo man sich damit brüstete, dass Delegationen aus 92 Länder zugesagt hatten, darunter 57 Staatschefs. Mit was für Versprechungen man etwa den Präsidenten des Inselstaats Palau auf den Bürgenstock gelockt hat, bleibt das Geheimnis der EDA-Diplomat:innen. Ihn dürften andere Sorgen als die «Verteidigung der westlichen Werte in der Ukraine» wesentlich mehr umtreiben: Seinem Land droht der Untergang als Folge der Klimaerhitzung…
Viel Zeit für Besprechungen blieb den rund 1000 Konferenzteilnehmenden ohnehin nicht. Und als Meloni am Sonntag eintraf, waren US-Vizepräsidentin Kamala Harris und Kanzler Scholz bereits auf dem Heimweg. Zu sehen gab es vor allem Drohnenbilder vom Lake Lucerne und immer lächelndes Posieren mit Handshake.
Die Bilder vom Bürgenstock interessierten – wenn überhaupt – die westliche Welt. In Indien, China und Brasilien nahm man davon kaum Notiz, weil deren Präsidenten sich fern hielten und Wichtigeres zu tun hatten.
Freude herrschte trotzdem bei Tourismus Schweiz und beim katarischen Staatsfonds, der laut eigenen Angaben über eine halbe Milliarde in den Ausbau und die Erneuerung des Luxusresorts investiert hat. Jetzt möchte er es allerdings wieder loswerden, zum bestmöglichen Preis. Der Werbespot dürfte den Kataris mehr als gelegen gekommen sein.
Derweil geht das Töten in der Ukraine weiter – niemand spricht von Waffenstillstand, geschweige denn von Frieden. Die im Vorfeld laut angekündigte Nachfolgekonferenz steht in den Sternen.
Bundeskanzler Olaf Scholz murmelte auf dem Bürgenstock, in Zukunft müsste auch Russland mit einbezogen werden. Wie das gegen den Willen von Wolodymyr Selenskyj und seines Umfelds gelingen soll, bleibt schleierhaft.
Die Diplomaten-Schweiz kann davon ein Liedlein singen.