Der Palmsonntag gilt als hoher christlicher Feiertag. Er erinnert an den Einzug von Jesus in Jerusalem, wo ihm seine Anhänger:innen mit Palmzweigen zujubelten. Nur wenige Tage später folgten Verrat, Festnahme und Hinrichtung. Der Palmsonntag sei deshalb ein Tag «zwischen Jubel und Trauer», ist etwa auf der Website des Vereins swiss.cath. nachzulesen.ch.
Am diesjährigen Palm-Wochenende gab es jedoch wenig Anlass für Jubel – dafür umso mehr Trauer. Trauer, Wut und Befremden – insbesondere beim Blick auf drei Kriegsschauplätze, wo Angriffe durch Bomben, Raketen und Bodentruppen Hunderte von Zivilisten töteten und Tausende verletzten und in die Flucht trieben.
Der russische Raketenangriff auf die ostukrainische Stadt Sumy, wo 35 Menschen getötet und über Hundert verletzt wurden, sorgte in den hiesigen Medien für dicke Schlagzeilen. Fast durchgängig wurde das Attribut «Kriegsverbrechen» verwendet, da die russischen Raketen gezielt auf Zivilist:innen abgefeuert worden seien.
Die Tatsache, dass in Sumy zum Zeitpunkt des Beschusses eine militärische Ordensverleihung stattgefunden hat, wurde von den Medien mehrheitlich unter den Tisch gewischt. Dies, obschon ein solch brisantes Detail eigentlich zur Berichterstattung gehört hätte – auch wenn es nichts daran ändert, dass der tödliche Angriff eine von unzähligen Kriegshandlungen darstellt. Und im Krieg kommt die Zivilbevölkerung auf allen Seiten als «Kollateralschaden» unter Feuer. Unvermeidlich, so will es die Kriegslogik.
Weit weniger prominent und ohne Nennung von Opferzahlen, wurde über einen ähnlichen Angriff der israelischen Streitkräfte auf das Al-Ahli-Spital in Gaza-Stadt berichtet, sowie über weitere am selben Tag von der IFD begangene Massaker. Die Schweizer Medien begnügten sich damit, die immergleichen Verlautbarungen der israelischen Armee weiterzuverbreiten, wonach sich im Spital eine Hamas-Kommandozentrale befunden habe…
An diesem Tag starben in Gaza, laut einer Meldung der westlichen Nachrichtenagentur AP, veröffentlicht bei POLITICO, mindestens 41 Menschen durch israelische Raketen und Bomben. Der in die USA geflüchtete palästinensische Poet Mosab Abu Toha, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, dank seines Netzwerks von zurückgebliebenen Verwandten und Bekannten aus erster Hand über das Leiden in Gaza zu berichten, hat auf Facebook eine Liste veröffentlicht, auf der er die Namen von 44 Menschen aufführt, die am Palmsonntag durch die IDF getötet wurden.
Dies ist ein berührendes und überprüfbares Gegendokument zur kaltschnäuzigen Verlautbarung durch die IDF, man habe am Palmsonntag in Gaza «mehr als 90 Ziele angegriffen.» Während die in Gaza getöteten Menschen in unseren Medien weder erwähnt noch die Zahl der Opfer genannt wurde, stellen Berichte wie jener von Politico sowie die Namensnennung der Ermordeten durch Mosab Abu Toha klar, dass auch in Gaza Menschen gezielt getötet wurden. Ein Kriegsverbrechen wie in Sumy.
Damit nicht genug. Weitere, horrende Kriegsverbrechen werden aus dem Sudan vermeldet: Dort töteten die RSF-Milizen bei einem Angriff auf das Flüchtlingslager Zamzam allein am Palm-Wochenende über 450 Menschen. Laut dem UN-Büro für humanitäre Hilfe (OCHA) greifen die Milizen das Flüchtlingslager, wo eine halbe Million durch den Bürgerkrieg intern vertriebene Menschen Zuflucht suchten, seit Wochen immer wieder an. Tausende von Familien wurden so erneut in die Flucht geschlagen. Soldaten der Regierung gibt es dort nicht, wohl aber eine bedauernswerte Zivilbevölkerung.
Ein Drama, das den Schweizer Medien wenig Erwähnung wert ist und hinter den grossen Sumy-Schlagzeilen zurückstehen muss. Immerhin: In der Hauptausgabe der Tagesschau vom 14. April war ein rund zweiminütiger Bericht der aktuellen Situation in Norddarfur gewidmet. Mit einem unmissverständlichen Statement vom Einsatzleiter von «Ärzte ohne Grenzen», Jean-Nicolas Armstrong Dangelser: «Allein wir von Ärzte ohne Grenzen haben seit Beginn des Konflikts mehr als 80 gewalttätige Angriffe auf unser Personal, unsere Gesundheitseinrichtungen, unsere Hilfsgüter und unsere Ambulanzen registriert.»
Kriegsverbrechen, ausserhalb der Ukraine, die hierzulande ob der grossen Zahl abgehakt und abgelegt werden.
Man fragt sich schon: Ist das Leben einer Sudanesin, eines Palästinensers eigentlich weniger wert als Menschenleben in der Ukraine? Die Antwort lautet: Nein und nochmals Nein. Menschenrechte gelten für alle. Ohne Ausnahme.
Warum prangen Medien und Politiker:innen in der Schweiz wie auch in Deutschland und in weiteren westlichen Ländern einzig russische Kriegsverbrechen als solche an? Warum schweigt man zu Gaza, zum Sudan – und zu den Kriegen im Kongo, in Jemen, in Syrien???