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GABRIELA NEUHAUS

35 Zeilen zum Lauf der Welt

35 Zeilen zum Lauf der Welt

Lukratives Kirgistan

Seit unse­rer ersten Kir­gi­stan-Reise anno 1998 hat mich die­ses schöne Land mit sei­ner beweg­ten Geschichte nicht mehr los­ge­las­sen. Ent­spre­chend die Vor­freude auf einen kir­gi­si­schen Kino­abend: Svet-Ake, der «Licht-Dieb» – der aktu­elle Film aus dem kri­sen­ge­schüt­tel­ten Kir­gi­stan, über einen Elek­tri­ker in einem abge­le­ge­nen Dorf. Der Regis­seur Aktan Abdi­ka­li­kow spielt gleich sel­ber die Haupt­rolle – Vor­ankün­di­gung und Kri­ti­ken tönen viel versprechend.

Wir freuen uns auf einen Abend, der uns ins heu­tige Kir­gi­stan ent­führt. Den Haupt­dar­stel­ler schliesse ich von der ersten Ein­stel­lung weg ins Herz. Wie er die Strom­zäh­ler ver­kehrt herum mon­tiert, damit sie rück­wärts lau­fen, ver­führt bereits zum ersten Schmun­zeln. Wie er sich daheim eine eigene Strom­ver­sor­gung bastelt, sein Traum vom gros­sen Wind­park, die Bezie­hung zu sei­ner Frau, die ihn nicht ganz ernst nimmt und doch heiss liebt – Wohlfühlkino.

Leicht­füs­sig kommt der Film daher, mit ein wenig Sozi­al­kri­tik und vie­len Kli­schees sowie einem Schuss Folk­lore. Eine wohl­be­kannte Mischung, wie wir sie aus der Küche der euro­päi­schen Ko-Pro­duk­tio­nen bestens ken­nen: Seit zahl­rei­che Insti­tu­tio­nen gross­zü­gig För­der­mit­tel zur Unter­stüt­zung der Film­in­du­strie in armen Län­dern wie Kir­gi­stan zur Ver­fü­gung stel­len, ren­tiert sich für hie­sige Pro­du­zen­ten die Zusam­men­ar­beit mit Fil­me­ma­chern aus dem Süden und dem Osten. Der Abspann bestä­tigt den Ver­dacht: Pro­du­ziert wurde Svet-Ake nament­lich von fran­zö­si­schen und deut­schen Pro­duk­ti­ons­fir­men, die in ihren Län­dern zusätz­li­che För­der­mit­tel locker gemacht und auch ARTE/​ZDF mit an Bord geholt haben.

Logisch, dass das Dreh­buch unter sol­chen Vor­aus­set­zun­gen für ein euro­päi­sches Publi­kum zurecht­ge­schnei­dert wer­den musste. Inklu­sive tra­di­tio­nel­lem kir­gi­si­schem Schaf-Polo und Bauch­tän­ze­rin in der Jurte – eine ideale Pro­jek­ti­ons­flä­che für hie­sige Sozi­al­ro­man­tik. Wer zahlt, befiehlt. Das gilt auch in der Film­in­du­strie. Wie die Geschichte aus­se­hen würde, hätte der Regis­seur freie Hand gehabt, wis­sen wir nicht. Aber irgend­wie werde ich das Gefühl nicht los, dass es Aktan Abdi­ka­li­kow mit den deut­schen und fran­zö­si­schen Ko-Pro­du­zen­ten so ergan­gen ist, wie sei­nem Elek­tri­ker im Film mit dem Traum vom Wind­park und den chi­ne­si­schen Investoren…

Zumin­dest kann man davon aus­ge­hen, dass der Auf­trag für die Film­mu­sik, die so «echt» kir­gi­sisch flö­tet, dass dem euro­päi­schen Publi­kum das Herz schmilzt, ohne Ko-Pro­duk­ti­ons-Auf­la­gen nicht an den Deut­schen Andre Mat­thias gegan­gen wäre. In einem Land wie Kir­gi­stan, das einst eine blü­hende Film­in­du­strie hatte, wäre mit Sicher­heit ein fähi­ger Kom­po­nist zu fin­den gewe­sen, wie auch ein ein­hei­mi­scher Cutter.

Die Revolution und wir

Nach­dem ich aus­gie­big über die Abstim­mungs­er­geb­nisse vom letz­ten Wochen­ende geklagt hatte, fragte mich der Freund, ob ich mich denn nicht wenig­stens über die Revo­lu­tio­nen in Tune­sien und Ägyp­ten freuen würde… Wäh­rend Tagen mit­ge­fie­bert, per Inter­net und TV die aktu­el­len Ent­wick­lun­gen wenn immer mög­lich live mit­ver­folgt. Gesurft und gezappt statt gear­bei­tet… Bestür­zung, als Muba­rak den Rück­tritt noch und noch hinauszögerte. 

Erleich­te­rung und Genug­tu­ung dann, als er schliess­lich doch gehen musste. Ja, und Freude dar­über, wie sich die Men­schen sel­ber orga­ni­siert und gemein­sam mit fried­li­cher Kraft der Gewalt erfolg­reich die Stirn gebo­ten haben. So etwas möchte ich auch ein­mal erle­ben! Und an die Uto­pie glau­ben, dass Men­schen ihr Schick­sal in die eige­nen Hände neh­men und selbst­be­stimmt nicht nur einen echt demo­kra­ti­schen Staat auf­bauen, son­dern auch soziale und wirt­schaft­li­che Ver­hält­nisse schaf­fen kön­nen, die jedem und jeder eine Zukunfts­per­spek­tive erlau­ben. Nie­mand wird so naiv sein, sich tat­säch­lich sol­cher Träu­me­rei hinzugeben.

Die real exi­stie­ren­den Macht­ver­hält­nisse sind noch kaum ins Wan­ken gera­ten, geschweige denn die Ver­tei­lung der Res­sour­cen. Und wenn dies nicht geschieht, wird die Freude über Muba­raks und Ben Alis Abdan­kung bald neuer Ver­zweif­lung und Fru­stra­tion wei­chen. Tau­sende glau­ben schon jetzt nicht daran, dass sich das Blatt zum Guten wen­den wird und sie in ihrer Hei­mat künf­tig eine Chance haben wer­den. Sie nutz­ten die Gunst der Stunde und wag­ten die gefähr­li­che Flucht übers Meer nach Europa.

Noch waren die letz­ten Revo­lu­tio­näre nicht vom Tah­rir Platz abge­zo­gen, als die Bil­der aus Kairo in den Medien von den ersten Berich­ten über Boots­flücht­lin­gen vor Lam­pe­dusa abge­löst wur­den. Sofort brach der Jubel über die Befrei­ung der unter­drück­ten Völ­ker ab. Das Inter­esse am wei­te­ren Fort­gang der Ereig­nisse in Tune­sien und Ägyp­ten und daran, wie es den Men­schen dort wirk­lich ergeht, wich der Angst vor jenen, die da kom­men woll­ten. Bereits vor zwei Wochen titelte der Blick „Jetzt droht uns ein Flücht­lings­strom aus Ägyp­ten!“ – na und?

Wol­len wir nicht auch unse­ren Bei­trag lei­sten, an eine bes­sere Welt? Zuge­ge­ben, unser Herz ist eher mit jenen, die blei­ben. Die sich in der Revo­lu­tion enga­gie­ren und dazu bei­tra­gen, dass sich schliess­lich – so hof­fen wir alle – Rechts­staat­lich­keit und Demo­kra­tie durch­set­zen. Aber ist es an uns zu ver­ur­tei­len, wenn jemand diese Kraft nicht auf­bringt? Sein Glück anderswo ver­su­chen will? Europa igelt sich ein und festigt seine Gren­zen. In unmiss­ver­ständ­li­chen Voten machen Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­ker klar, dass das rei­che Europa nicht bereit ist, zu tei­len. Revo­lu­tion ja – aber nur solange bei uns alles so bleibt wie es war. – Eine Rech­nung die auf die Dauer nicht auf­ge­hen kann.…

Nachruf

Eben rat­ter­test und knat­ter­test du noch fröh­lich in den Mon­tag­mor­gen hin­ein. Und nun plötz­lich Toten­stille. Das übli­che Zure­den, Ein- und Aus­schal­ten, rüt­teln und schüt­teln, noch ein­mal zure­den. – Nichts und noch­mals nichts. Die Stim­mung ist schon am Kip­pen, als plötz­lich auf dem Bild­schirm die­ser eine, end­gül­tige Satz auf­leuch­tet: „Die Lebens­zeit eini­ger Ele­mente die­ses Druckers ist abgelaufen.“ 

Bestür­zung, Trauer – und nicht zu ver­hin­dern, auch ein klit­ze­klei­nes Gefühl von Ärger. Das anschwillt… Soeben noch kern­ge­sund, und jetzt mau­se­tot. Dia­gnose: Tot durch ein­pro­gram­mierte Ablauf­frist. Schliess­lich müs­sen die Her­stel­ler immer wie­der neue Drucker erfin­den und ver­kau­fen kön­nen. Das ist wich­tig für die Wirt­schaft. Darum warst du heute, nach sechs lum­pi­gen Jah­ren, über­fäl­lig. Noch zwei, drei Über­li­stungs­ver­su­che. Doch die Elek­tro­nik lässt sich nicht über­töl­peln, abge­lau­fen ist nun mal abge­lau­fen. Basta. 

Und weil für dich ein Wei­ter­drucken ohne diese abge­lau­fe­nen Ele­mente offen­bar nicht in Frage kommt, bist du für uns kli­nisch tot. Tut mir leid, dass wir nicht ein­mal mehr den Ver­such unter­nom­men haben, dir Ersatz­teile zu besor­gen. Wer weiss, viel­leicht hät­ten wir nach drei Tagen Suche im hal­ben Land in irgend­ei­nem Lager gar noch das eine oder andere Ele­ment gefun­den, mit dem dein Leben um wei­tere sechs Jahre hätte ver­län­gert wer­den können. 

Wir schätz­ten die Chance als gering ein. Weil du längst ein aus­ge­lau­fe­nes Modell bist, von dem die Ver­käu­fe­rIn­nen wahr­schein­lich nicht ein­mal mehr wis­sen, dass es dich ein­mal gab. Lebens­ver­län­gernde Mass­nah­men sind für sol­che wie dich nicht vor­ge­se­hen. Repa­ra­tur, das war frü­her. – Dein Ein­stands­preis, damals vor sechs Jah­ren, war so gün­stig, dass wir uns eigent­lich glück­lich schät­zen soll­ten, dass du über­haupt so lange durch­ge­hal­ten hast. Natür­lich hat­test du es gut bei uns. Nebst Rech­nun­gen waren es vor allem Spe­zi­al­auf­ga­ben, die wir dir anver­traut haben. 

Bei jeder DVD, die du für uns bedruckt hast, erhiel­test du spe­zi­elle Strei­chel­ein­hei­ten. Da warst du stur – ohne diese Zusatz­auf­merk­sam­keit ging nichts. Und gefräs­sig warst du. Kaum hat­test du dir die ver­langte Magenta-Patrone ein­ver­leibt, schriest du nach Cyan, Gelb und Schwarz. Ich muss zuge­ben, unser Ver­hält­nis war nicht immer das beste. Nur aus Rück­sicht auf die Nach­barn bist du nie aus dem Fen­ster geflogen.

Doch jetzt, wo du uns so uner­war­tet und sinn­los ver­las­sen muss­test, erin­nere ich mich vol­ler Weh­mut an unsere gemein­same Zeit. Wäh­rend du in der Garage auf deine end­gül­tige Ent­sor­gung war­test. Im Büro ist bereits dein Nach­fol­ger ein­ge­zo­gen. Neuer, raf­fi­nier­ter und schö­ner als du je gewe­sen bist. Sogar die DVDs druckt er ohne Spe­zi­al­be­hand­lung – und Tin­ten­pa­tro­nen mag er auch. Nur lei­der ver­schmäht er jene, die du hin­ter­las­sen hast…

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