Skip to content

GABRIELA NEUHAUS

35 Zeilen zum Lauf der Welt

35 Zeilen zum Lauf der Welt

Déjà-vu…

Trans­pa­rente bewe­gen sich im Wind, Infor­ma­ti­ons- und Essens­stände, Zelte – ein jun­ger Rap­per, der die Anwe­sen­den in sei­nen Bann zieht. Unbe­schwerte Früh­lings­stim­mung im Pro­test­camp vor dem BKW-Haupt­sitz in Bern, wo sich Müt­ter und Väter, Kin­der, Stu­den­tIn­nen und auch AKW-Geg­ne­rIn­nen gesetz­te­ren Alters zum Pick­nick ver­sam­melt haben. Wäh­rend sich die mei­sten Anwe­sen­den den lau­ni­gen Sprü­chen des Per­for­mers hin­ge­ben, erzählt an einem der lan­gen Holz­ti­sche eine Frau aus längst ver­gan­ge­nen Zei­ten. Ihre jun­gen Tisch­nach­barn wol­len genau wis­sen, wie es damals war, in den 1970er Jah­ren, bei der Beset­zung von Kaiserangst.

«Die Stim­mung war ähn­lich – auch wir hat­ten sol­che Infor­ma­ti­ons­wände wie ihr hier. Was man heute weiss, wusste man schon damals – unglaub­lich, dass wir jetzt wie­der am glei­chen Punkt ste­hen wie vor über dreis­sig Jah­ren», zieht sie Bilanz. Nach der beweg­ten Zeit in den 1970er und 80er Jah­ren haben sie und ihr Mann, trotz geblie­be­ner Über­zeu­gung, den akti­ven Kampf gegen die AKWs auf­ge­ge­ben: «Das Ohn­machts­ge­fühl damals war enorm; zwar konn­ten wir mit der Gelände-Beset­zung schliess­lich das AKW in Kai­ser­augst ver­hin­dern – jene in Gös­gen und Leib­stadt aber nicht.» Nach der gros­sen Ent­täu­schung lan­de­ten die Bad­ges mit dem berühm­ten «ATOMKRAFT? NEIN DANKE» in einer Schub­lade. Erst jetzt, wo die lachende Sonne auf gel­bem Grund wie­der auf­er­stan­den ist, haben sie sich ihrer erin­nert – und tra­gen sie nun wieder.

«Erst mit der Kata­stro­phe von Fuku­shima», sagt ein jun­ger Mann, «ist mir bewusst gewor­den, dass nicht nur der radio­ak­tive Abfall ein Pro­blem ist. Wenn im hoch tech­no­lo­gi­sier­ten Japan so eine Kata­stro­phe mög­lich war, könnte sie auch hier ein­tre­ten.» Für ihn ist des­halb klar: AKWs gehö­ren abge­schal­tet. Und er will wis­sen, ob und was für alter­na­tive Ener­gien in den 1970er Jah­ren zur Dis­kus­sion stan­den. «Was­ser natür­lich, aber auch Wind- und Son­nen­en­er­gie waren bereits ein Thema», erin­nert sich der ein­stige Akti­vist. Und seine Frau ergänzt: «Damals steckte die ganze Ent­wick­lung noch in den Kin­der­schu­hen. Heute nut­zen wir die Ener­gie viel effi­zi­en­ter – aller­dings wer­den die gan­zen Ein­spa­run­gen immer wie­der durch neue Strom­fres­ser zunichte gemacht.»

Alle sind sich einig: Der Strom­ver­brauch muss ein­ge­dämmt wer­den. Wie genau, dar­über gehen die Mei­nun­gen aus­ein­an­der. Die jun­gen Leute zäh­len auf, wo sie über­all Spar­po­ten­zial aus­ge­macht haben – und wie sie sel­ber dazu bei­tra­gen. «Das indi­vi­du­elle Enga­ge­ment allein genügt nicht», dämpft die alte Kämp­fe­rin den Enthu­si­as­mus: «Die Poli­tik muss in die Pflicht genom­men wer­den – lei­der ist es bis heute nicht gelun­gen, den Ein­fluss der Atom­lob­by­isten auf unsere Par­la­men­ta­rie­rIn­nen einzuschränken.»

Zum Glück sind im Herbst Wah­len, sagen die Jun­gen. Wich­tig sei, dafür zu sor­gen, dass das Thema im Gespräch bleibe und nicht durch eine die­ser unse­li­gen Aus­län­der­de­bat­ten in den Hin­ter­grund gedrängt werde. Die Frau nickt zustim­mend. Auch sie und ihr Mann wer­den an der gros­sen Demon­stra­tion vom 22. Mai dabei sein. «Also tref­fen wir uns hof­fent­lich bald wie­der», sagt der junge Mann beim Abschied. «Wir blei­ben dran – ich bin, trotz allem, opti­mi­sti­scher als sie.» Das sei gut so, lacht sie. Der Opti­mis­mus der Jun­gen sei wich­tig und gebe neue Kraft:«Was man braucht, ist ein lan­ger Atem – und die Gewiss­heit, dass wir viele sind.»

Tourismus-Krise?

Die neu­ste Mel­dung von der Schwei­zer Tou­ris­mus­front: Das Lon­do­ner Nobel-Kauf­haus Har­rods ist mit Schwei­zer Flag­gen geschmückt, vor sei­nen Toren steht ein Wer­be­cha­let… Der Ort ist gut gewählt, denn wer bei Har­rods ein­kauft, ist in der Regel so gut betucht, dass er sich nicht durch einen schlech­ten Wech­sel­kurs von einem Trip in die Schweiz abhal­ten lässt. Der starke Schwei­zer Fran­ken, so war in den letz­ten Wochen immer wie­der zu ver­neh­men, schade dem Tou­ris­mus­ge­schäft enorm.

Wirk­lich zu bele­gen aller­dings, war die her­bei­ge­schrie­bene Krise nicht. Die Zahl der Logier­nächte stieg im letz­ten Jahr gar um 619’000 auf 36,2 Mil­lio­nen. In der Region Zürich zum Bei­spiel, wo 8,1 Pro­zent mehr Über­nach­tun­gen regi­striert wur­den als im Vor­jahr, sprach man sogar von einem Boom. Also muss­ten Pro­gno­sen her: So klagte Schweiz Tou­ris­mus, dass man für die lau­fende Win­ter­sai­son mit einem Rück­gang von 5 Pro­zent rech­nen müsse – und legte als Beweis fix die Dezem­ber­zah­len vor. – Bei kon­kre­ter Nach­frage in ver­schie­de­nen Desti­na­tio­nen aller­dings, klang es dann ganz anders:

Chri­sten Bau­mann zum Bei­spiel, CEO der Zer­mat­ter Berg­bah­nen, wollte mitte Februar, trotz hart­näcki­gem Nach­fra­gen der Jour­na­li­stin von Radio DRS, par­tout nichts von einem Ein­bruch wis­sen: Zer­matt sei aus­ge­bucht – wie immer zu die­ser Jah­res­zeit. Ähn­lich tönte es auch aus Wen­gen und wei­te­ren Win­ter­sport­de­sti­na­tio­nen. Trotz­dem, die Kla­gen der Tou­ris­mus-Lob­by­isten waren nicht ohne Grund. Und sie haben ihr Ziel erreicht: Am 23. Februar bewil­ligte das Par­la­ment zusätz­li­che 12 Mil­lio­nen Fran­ken für die Unter­stüt­zung der Tou­ris­mus­wer­bung im Aus­land. Steu­er­gel­der für die För­de­rung einer präch­tig flo­rie­ren­den Indu­strie, die vie­ler­orts gar an Über­hit­zung krankt.

Vor allem in den gros­sen, inter­na­tio­nal bewor­be­nen Tou­ris­mus­de­sti­na­tio­nen unse­res Lan­des ist zu befürch­ten, dass der eigene Erfolg weit­aus grös­se­ren Scha­den anrich­tet, als der hohe Fran­ken­kurs. Zer­matt zum Bei­spiel: Das ein­stige Berg­dorf hat sich zum Nobel­re­sort gemau­sert. Nach wie vor wird kräf­tig inve­stiert, Jahr für Jahr ste­hen mehr Luxus­woh­nun­gen und Hotel­bet­ten zur Ver­fü­gung. Das führt unwei­ger­lich zu einer Kan­ni­ba­li­sie­rung, die Aus­la­stung der ein­zel­nen Ange­bote geht zurück – trotz wei­ter­hin stei­gen­der Besucherzahlen.

An schö­nen Som­mer­ta­gen ist auf der Dorf­strasse kaum mehr ein Durch­kom­men. Tages-Tou­ri­stIn­nen aus aller Welt absol­vie­ren das obli­gate Mat­ter­horn-Vie­w­ing auf ihrer Euro­pa­tour im Eil­schritt – inklu­sive Sou­ve­nir­shop­ping. Den klei­nen Hun­ger stillt man bei Mac­Do­nalds, wer bes­ser bei Kasse ist (und etwas Zeit hat), lei­stet sich ein Fon­due… Ganz anders im Win­ter: Da kon­zen­triert sich Zer­matt auf jene Gäste, die rich­tig gut bei Kasse sind. Und scheut dafür keine Inve­sti­tio­nen: Hotels und pri­vate Feri­en­un­ter­künfte wer­den immer luxu­riö­ser und der Ski­zir­kus mit jähr­lich neuen Bah­nen, Beschnei­ungs­an­la­gen und Pisten hat längst indu­stri­elle Dimen­sio­nen erreicht. In den Stras­sen des «auto­freien» Resorts herrscht ein Ver­kehrs­chaos – und auch der Luft­ver­kehr ist beträcht­lich: Dank Helis­ki­ing erobern die wohl­be­tuch­ten Gäste auch jene Gip­fel der Zer­mat­ter Berg­welt, die noch durch keine Bahn erschlos­sen sind…

Journalistengaudi in Afghanistan

Wäh­rend die Bedro­hung durch einen Super-GAU die Welt erschüt­tert, in Libyen ein Bür­ger­krieg tobt, aus Syrien immer hef­ti­gere Pro­te­ste gemel­det wer­den und es auch innen­po­li­tisch eini­ges zu berich­ten gibt, bril­liert die letzte NZZaS mit einer Exklu­siv­ge­schichte über ein Ski­ren­nen in Afghanistan.

Die Repor­tage, mit einem gros­sen Bild und aus­führ­li­cher Legende auf der Front­seite pro­mi­nent auf­ge­macht, berich­tet von der Eigen­in­itia­tive zweier Redak­to­ren und einer blon­den Foto­gra­fin, die den «rauen Afgha­nen» in ihren schö­nen Ber­gen das Ski­fah­ren bei­brin­gen wollen.

Die Aktion steht unter dem Motto «Sport statt Ter­ror und Krieg» und wird, wie im Ski-Medi­en­zir­kus üblich, von diver­sen Schwei­zer Fir­men gespon­sert. Die im Arti­kel natür­lich aus­führ­lich in Wort und Bild zum Zug kom­men. In genüss­li­cher Selbst­in­sze­nie­rung beschreibt Chri­stoph Zür­cher, wie es zu die­sem «durch­aus idea­li­sti­schen Vor­ha­ben» gekom­men ist, und wie er diese Schnaps­idee schliess­lich mit sei­nen Kum­pels durch­ge­zo­gen hat.

Ein Chri­stoph-Zür­cher-Arti­kel, nach bewähr­ter Manier: Wo immer er hin­reist, sei es in den Dschun­gel von Papua Neu­gui­nea, in die Berge Nepals oder nach China, zu den Mos­uos ins «Reich der Frauen» – NZZaS-Mann Zür­cher ver­steht seine Rei­sen stets als Selbst­ver­such und berich­tet kon­se­quen­ter­weise vor allem dar­über, wie es ihm dabei ergan­gen ist. Und wie er die, aus der Sicht des aben­teu­er­lu­sti­gen Schwei­zers, ach so merk­wür­di­gen Sit­ten und Gebräu­che in fer­nen Län­den erlebt.

Das liest sich süf­fig, ist sein Mar­ken­zei­chen und scheint zu gefal­len. Des­halb darf der Lei­ter des Res­sorts Gesellschaft/​Stil regel­mäs­sig auf Geschäfts­ko­sten in die Ferne jet­ten, um von dort über sein Befin­den zu berich­ten. Damit wer­den nicht nur Res­sour­cen und Platz für inter­es­sante Lek­türe ver­schwen­det; lei­der gefällt sich der Autor als Kol­por­teur plum­per Vor­ur­teile und ober­fläch­li­cher Kli­schees, wie auch sein jüng­stes Ela­bo­rat aus Afgha­ni­stan beweist. Diese Geschichte sprengt aller­dings alles Bis­he­rige: Dies­mal wird mit gros­sem Pomp der Stoff für die geplante Geschichte gleich sel­ber insze­niert. Und weil solch ein Vor­ha­ben auf­wän­dig ist, unter­stüt­zen nebst den bereits erwähn­ten Spon­so­ren auch Foto­gra­fin Susanne Meu­res und Daniel Hug, Lei­ter des Wirt­schafts­res­sorts bei der NZZaS und sei­nes Zei­chens pas­sio­nier­ter Ski­tou­ren­gän­ger, ihren Kol­le­gen im fer­nen Damian.

Auf weni­ger Zuspruch stösst das Unter­fan­gen ganz offen­sicht­lich bei der dor­ti­gen Bevöl­ke­rung. Was die ange­rei­sten Schwei­zer nicht daran hin­dert, ihr Unter­fan­gen mit allen Mit­teln durch­zu­set­zen. Und ihnen Anlass gibt, sich auf drei Zei­tungs­sei­ten über die in ihren Augen igno­ran­ten Berg­ler lustig zu machen. Bei der Lek­türe der Texte von Chri­stoph Zür­cher und Daniel Hug, der seine Afgha­ni­st­an­reise zusätz­lich mit einer Kurz­re­por­tage über Tee­ge­nuss auf 4700 Metern über Meer recht­fer­tigt, wird aller­dings schnell ein­mal klar, wer wirk­lich die Igno­ran­ten die­ser Geschichte sind.

Wir benutzen Cookies um die Nutzerfreundlichkeit der Webseite zu verbessen. Durch Deinen Besuch stimmst Du dem zu.