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GABRIELA NEUHAUS

35 Zeilen zum Lauf der Welt

35 Zeilen zum Lauf der Welt

Kehrtwende oder Kampagne

Initi­ant Oswald Sigg: Grund­ein­kom­men ist so nicht umsetzbar</em>» titeln Tages-Anzei­ger und Der Bund heute in gros­sen Let­tern auf der Frontseite.

«Kann das sein?», fragt sich die erstaunte Lese­rin. Kann es sein, dass der pro­mi­nen­te­ste Mit­in­iti­ant der Initia­tive für das bedin­gungs­lose Grund­ein­kom­men (BGE) sechs Wochen vor der Abstim­mung abspringt?

Dies, nach­dem er sich wäh­rend Mona­ten expo­niert hat, trotz rauem Gegen­wind auch aus der SP, sei­ner eige­nen Par­tei. Noch am 16. April liess sich Sigg im Bie­ler Tag­blatt auf den Hin­weis, das BGE werde als link­suto­pisch bezeich­net, mit den Wor­ten zitie­ren: «Das stört mich gar nicht. Vie­les, was in der Schwei­zer Poli­tik zu einem gros­sen Wurf gewor­den ist, wurde zuerst als Uto­pie abge­tan. Das gilt für das Pro­porz­wahl­prin­zip, das Frau­en­stimm­recht oder die AHV. Letz­tere ist sym­bo­lisch für das BGE: Es brauchte 60 Jahre, bis das Gesetz in Kraft getre­ten ist.»

Und jetzt soll der erfah­rene und gewiefte Polit­fuchs sei­nen Mit­in­iti­an­tIn­nen plötz­lich mit einem Rück­zie­her in den Rücken fal­len? Dies näm­lich sug­ge­riert die Schlag­zeile der Tages-Anzei­ger Online-Ver­sion: «Über­ra­schung im Lager der Grundeinkommen-Initianten.»

Als Auf­hän­ger dient Siggs Aus­sage, er glaube nicht, «dass man das bedin­gungs­lose Grund­ein­kom­men in der Schweiz iso­liert umset­zen kann», dies würde «höchst­wahr­schein­lich zu einer noch grös­se­ren Zuwan­de­rung führen.»

Wie die Aus­sage zustande gekom­men ist und in wel­chem Kon­text sie steht: die Lese­rin sucht ver­geb­lich nach einem Quel­len­hin­weis. Kol­por­tiert wird ein­zig ein wenig über­zeu­gen­der Umset­zungs­vor­schlag: Man könnte – bei Annahme der Initia­tive – das BGE quasi «unter Labor­be­din­gun­gen» vor­erst in einem ein­zel­nen Kan­ton umset­zen, statt – wie es der Initia­tiv­text ver­langt – in der gan­zen Schweiz. Um so die Gefahr einer ver­mehr­ten Zuwan­de­rung zu entschärfen.

Auf sol­che Spie­le­reien reagiert Mit­in­iti­ant Daniel Häni unauf­ge­regt sach­lich: «Es geht jetzt um den Grund­satz», sagt er. Detail­fra­gen der Umset­zung, die vom Gesetz­ge­ber defi­niert wer­den müs­sen, wür­den zum heu­ti­gen Zeit­punkt von die­ser Grund­satz­frage ablen­ken. Gerade Oswald Sigg, so Häni, habe im Initia­tiv­ko­mi­tee stets dar­auf gedrängt, dass der Initia­tiv­text auf die Grund­satz­frage fokus­siert. Und dafür sei er ihm dankbar.

Fakt ist, dass der Tages-Anzei­ger-Arti­kel kri­ti­sche Äus­se­run­gen von Sigg, was die Her­aus­for­de­rung bei der Umset­zung anbe­langt, für einen bil­li­gen Kam­pa­gnen­jour­na­lis­mus miss­braucht. Wer sich die Mühe nimmt, den Arti­kel zu Ende zu lesen, merkt schnell, dass es hier nicht um die angeb­li­che Kehrt­wende von Oswald Sigg geht. Für Iwan Städ­ler, sei­nes Zei­chens «Repor­ter Recher­ché» ist die Vor­stel­lung, die Schweiz könnte zu einem «Test­la­bor» für ein bedin­gungs­lo­ses Grund­ein­kom­men wer­den, offen­bar ein Gräuel. So artet sein Arti­kel schliess­lich zu einem Pam­phlet gegen die Initia­tive aus.

Pro­gres­si­ver den­kende Zeit­ge­nos­sIn­nen sehen das anders. So zum Bei­spiel Yanis Varou­fa­kis, am 18. April im TA: «Die Robo­ti­sie­rung ist längst im Gange, Robo­ter kau­fen aber keine Pro­dukte. Des­halb braucht es ein Grund­ein­kom­men, um die­sen Wan­del auf­zu­fan­gen und eine Gesell­schaft mit zuneh­men­der Ver­mö­gens­un­gleich­heit zu stabilisieren.»

Ange­sichts der aktu­el­len gesell­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen müs­sen über kurz oder lang neue Lösun­gen für Arbeit und Ein­kom­men gefun­den wer­den. Die Initia­tive, über die wir am 5. Juni abstim­men wer­den, bie­tet dafür eine reelle Chance. Gerade weil sie den Weg frei macht, für die Suche nach krea­ti­ven, neuen Wegen. Dazu noch ein­mal Varou­fa­kis: «Genau weil es der Schweiz so gut geht, eig­net sie sich ideal für Expe­ri­mente mit dem Grund­ein­kom­men. Aber ver­ges­sen Sie nicht: Trotz des Reich­tums nimmt die Lebens­qua­li­tät schon heute ab. Was nützt Ihnen ein gut bezahl­ter Job, wenn Sie Angst haben, ihn zu ver­lie­ren? Diese stän­dige Furcht lähmt und macht krank. Die Schweiz sollte das Grund­ein­kom­men als eine Inve­sti­tion in die Zukunft betrach­ten.» – Ich bin mir ziem­lich sicher, dass auch Oswald Sigg das immer noch so sieht.
<div>Nachtrag 1</div>
<div>Kampagnenjournalismus, noch bil­li­ger: Bereits um 10.51 zieht die NZZ nach. Inland­re­dak­tor Marc Tri­bel­horn schreibt den Arti­kel aus dem Tages-Anzei­ger ab. 1:1 – ganz ohne eigene, wei­ter füh­rende Recherchen.</div>
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<div>Nachtrag 2</div>
<div>Auch der Blick schreibt ab, Le Matin springt auf die Kam­pa­gne auf, die Tici­no­news… Am Mit­tag greift Radio SRF die Geschichte auf. Immer­hin: Hier wird nicht bloss der Tagi-Arti­kel zitiert. Oswald Sigg kommt sel­ber noch ein­mal zu Wort – und plötz­lich haben die im Tages-Anzei­ger zitier­ten Aus­sa­gen eine etwas andere Stossrichtung…</div>
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Plattform für Petry

Die von Chri­stoph Blo­cher gegrün­dete Auns – Aktion für eine unab­hän­gige und neu­trale Schweiz – ist eine Orga­ni­sa­tion wie viele andere auch. Sie poli­ti­siert rechts­aus­sen, gefällt sich darin, zu pro­vo­zie­ren und ver­steht es, damit viel Staub aufzuwirbeln.

Ihr aktu­el­ler Coup: Die angeb­lich um die Erhal­tung des tra­di­tio­nel­len Schwei­zer­tums so besorgte Bewe­gung, fliegt zu ihrer Jah­res­ver­samm­lung – nicht zum ersten Mal – eine Red­ne­rin aus dem Aus­land ein. Nach­dem sich 2014 bereits der bri­ti­sche Rechts­po­pu­list Nigel Farage bei der Auns fei­ern liess und damit schweiz­weit für Schlag­zei­len sorgte, tritt die­ses Wochen­ende die deut­sche Rechts­aus­sen-Poli­ti­ke­rin Frauke Petry als Promi-Gast auf.

Die Rech­nung der Auns-Ver­an­stal­ter ist wie­der auf­ge­gan­gen: Schon im Vor­feld konn­ten sie erste Schlag­zei­len ver­bu­chen, weil die ursprüng­lich in Bern geplante Ver­an­stal­tung wegen Pro­te­sten aus dem links­au­to­no­men Lager ins Ber­ner Ober­land ver­legt wurde. Sin­ni­ger­weise in den Mistery Park, der sich laut Wiki­pe­dia «der Prä­sen­ta­tion uner­klär­li­cher und doch real fass­ba­rer Welt­rät­sel widmet».

Noch bevor die Sonn­tags­presse auf­sprin­gen und aus­gie­big über den sams­täg­li­chen Auf­tritt der Afd-Che­fin berich­ten kann, hat sich bereits Radio SRF als flinke Tritt­brett­fah­re­rin und will­fäh­rige Mul­ti­pli­ka­to­rin pro­fi­liert: Als Gast im Frei­tags­ta­ges­ge­spräch erhält Frauke Petry die ein­ma­lige Gele­gen­heit, sich dem Schwei­zer Publi­kum als nette, elo­quente und besorgte Poli­ti­ke­rin zu prä­sen­tie­ren, die mit Rechts und Ras­sis­mus nichts, aber auch gar nichts am Hut habe.

Mode­ra­to­rin Susanne Brun­ner hat ihr jour­na­li­sti­sches Werk­zeug zuhause gelas­sen und fasst ihre Gesprächs­part­ne­rin nicht nur mit Samt­hand­schu­hen an – viel­mehr ermög­licht sie Petry mit einer Reihe von wohl­wol­len­den Steil­päs­sen, ein Tor nach dem andern zu erzie­len. Keine wirk­lich kri­ti­schen Fra­gen, schon gar kein Nach­ha­ken – Brun­ner lässt Petry 20 lange Minu­ten kom­men­tie­ren, rela­ti­vie­ren, zurechtrücken.

Unwi­der­spro­chen darf die AfD-Che­fin etwa behaup­ten, ihre Par­tei sei gegen Gewalt. Nach­dem sie sel­ber vor weni­gen Wochen mit ihrer For­de­rung, Poli­zi­sten müss­ten not­falls an der Grenze gegen Flücht­linge «auch von der Schuss­waffe Gebrauch machen», euro­pa­weit für Empö­rung gesorgt hatte.

Bei Petrys For­de­rung nach einer «öffent­li­chen Dis­kus­sion über die Frage, ob Deutsch­land so viele Mus­lime wollte» müss­ten eigent­lich alle Alarm­glocken schril­len. Die Aus­sage, getarnt als Ruf nach mehr Demo­kra­tie, erin­nert an Zei­ten, als Deutsch­land Mass­nah­men ergriff, weil man nicht so viele Juden wollte… Doch Stich­wort­lie­fe­ran­tin Brun­ner zeigt empa­thi­sches Ver­ständ­nis und geht wei­ter, zur näch­sten Frage.

Ein öffent­lich-recht­li­cher Sen­der, der die Jah­res­ver­samm­lung einer poli­ti­schen Rand­gruppe mit­tels eines naiv-unkri­ti­schen «Tages­ge­sprächs» mit einer füh­ren­den Rechts­aus­sen­fi­gur aus Deutsch­land pro­mo­tet, ver­spielt seine Glaub­wür­dig­keit und ver­dient die Höchst­strafe: Schluss mit der Gebüh­ren­fi­nan­zie­rung – so wie es sich die Auns und Frauke Petry wünschen.

1001 Nacht

Zwei Regie­rungs­räte aus dem Kan­ton Nid­wal­den pla­nen ein Reisli nach Katar. Für den Besuch bei den Bau­her­ren des Bür­gen­stock-Resorts wur­den im Kan­tons­bud­get 30’000 Fran­ken reser­viert. Der Grund: Man will sich für die Inve­sti­tio­nen von über einer hal­ben Mil­li­arde Fran­ken erkennt­lich zei­gen, die aus dem Wüsten­staat auf den Bür­gen­stock flies­sen und dort für ein Wie­der­auf­le­ben der Luxus­ho­tel­le­rie sor­gen sol­len. Für die Regie­rungs­ver­ant­wort­li­chen aus der Inner­schweiz ein wahr gewor­de­nes Mär­chen aus 1001 Nacht…

Von Sei­ten der Scheichs liegt aller­dings keine Ein­la­dung an die Adresse der Nid­wald­ner Regie­rung vor. Man kann sich leicht vor­stel­len, dass sich die Erdöl-Dschinns lie­ber anders ver­gnü­gen, als mit zwei boden­stän­di­gen Poli­ti­kern aus dem Zwerg­kan­ton Tee zu trin­ken. Trotz­dem: Diese Reise sei «im Sinne der Bezie­hungs­pflege wich­tig», liess die Nid­wald­ner Regie­rungs­spre­che­rin gegen­über der WOZ verlauten.

Damit nicht genug: Um den Katarern Freude zu berei­ten, müs­sen die Nid­wald­ner Steu­er­zah­le­rIn­nen nun auch noch den Neu­bau der Bür­gen­stock­bahn mit einem Dar­le­hen von 2,2 Mil­lio­nen Fran­ken unter­stüt­zen. In der Ver­gan­gen­heit lagen die Aus­ga­ben für diese Ver­bin­dung vom Vier­wald­stät­ter­see auf den Berg stets beim Betrei­ber des Hotel­dorfs auf dem Bür­gen­stock. Noch vor einem Jahr hatte die Nid­wald­ner Kan­tons­re­gie­rung denn auch klar beschie­den: Die öffent­li­che Erschlies­sung des Resorts sei mit dem Aus­bau der Strasse und dem Bus­be­trieb gewähr­lei­stet, die Bahn sei Sache der Bürgenstockbetreiber.

Dies ist aller­dings nicht der erste Ent­scheid, den die gut dotierte Lobby-Maschi­ne­rie der Kata­rer gedreht hat – und es wird auch nicht der letzte gewe­sen sein. Das Power­play der Inve­sto­ren vom Golf, geschickt insze­niert von deren loka­lem Statt­hal­ter Bruno H. Schöp­fer, hat es nicht nur geschafft, die Kri­ti­ke­rIn­nen in der Region zum Schwei­gen zu brin­gen; auch die Medien sind froh, um jede kosten­neu­trale Publi-Repor­tage mit dem Titel «1001– Geschichte vom neuen Bürgenstock».

So gesche­hen auch wie­der letzte Woche, als die Jour­na­li­stIn­nen zur all­jähr­lich wie­der­keh­ren­den Pres­se­kon­fe­renz auf den Bür­gen­stock gela­den wur­den. Pünkt­lich, zehn Tage vor dem Event, wurde das Inter­esse mit einer ver­klau­su­lier­ten Ankün­di­gung von Swatch-Chef Nik Hayek über ein künf­ti­ges Enga­ge­ment auf dem Bür­gen­stock, zusätz­lich befeu­ert. Die geplante Wir­kung ist ein­ge­tre­ten: Prak­tisch kein Medium, das nicht dar­über berich­tet hätte…

Das Schwei­zer Fern­se­hen liess es sich nicht neh­men, den Bür­gen­stock gleich mit zwei PR-Berich­ten zu fei­ern: 10vor10 ent­führte sein Publi­kum schon am Vor­abend der Pres­se­kon­fe­renz auf den Berg hoch über dem Vier­wald­stät­ter­see, wo Katar-Statt­hal­ter Bruno H. Schöp­fer auf einem Rund­gang über die Bau­stel­len seine voll­mun­di­gen Ver­spre­chun­gen unhin­ter­fragt zum Besten geben durfte.

Hätte der Repor­ter, statt bloss die umfang­rei­chen Wer­be­un­ter­la­gen zum neuen Resort zu stu­die­ren, ein klein wenig recher­chiert, wäre ihm nicht ent­gan­gen, dass das «Nost­al­gie­ho­tel» alles andere als im Sinne der Denk­mal­pflege erneu­ert wird. Und dass die PR-Visua­li­sie­run­gen des Well­ness­ho­tels nicht mehr aktu­ell sind; die ursprüng­lich vom «Star­ar­chi­tek­ten» Matteo Thun ent­wor­fene Fas­sade musste längst einer bil­li­ge­ren Vari­ante wei­chen. Und die 800 neuen Arbeits­plätze, auf die am Schluss des Bei­trags hin­ge­wie­sen wird, wer­den gröss­ten­teils mit Per­so­nal aus dem Aus­land besetzt. Weil sich die Luxus­ho­tel­le­rie nur Löhne lei­sten will, für die sich in der Schweiz kein Per­so­nal fin­den lässt. Aber das ist – wie so oft bei 10vor10 – zu kompliziert.

Schweiz aktu­ell dop­pelte am näch­sten Tag nach. Erneut mit gla­mou­rö­sen und ver­füh­re­ri­schen Archiv­bil­dern, die man zum Teil schon am Vor­abend gese­hen hatte. Dies­mal lag der Fokus auf dem Ange­bot von «Medi­cal Well­ness» im künf­ti­gen Wald­ho­tel, das zur Aus­la­stung der 160 Zim­mer auch Schwei­zer Pati­en­ten anlocken soll, wie Pro­mo­ter Schöp­fer betonte. Die Frage, ob es sich dabei auch um all­ge­mein ver­si­cherte Per­so­nen oder doch eher um Gut­be­tuchte mit Pri­vat­ver­si­che­rung han­deln wird, wurde gar nicht erst gestellt.

Es gäbe viel Span­nen­des und Beden­kens­wer­tes zu berich­ten, über das Bür­gen­stock-Pro­jekt, seine Bau­herr­schaft oder auch aktu­ell über den Trend der von aus­län­di­schen Geld­ge­bern ver­ein­nahm­ten Luxus­ho­tel­le­rie in der Schweiz.

Umso erschrecken­der die gleich­ge­schal­tete PR-Bericht­erstat­tung durch von Hoch­glanz­bro­schü­ren geblen­dete «Jour­na­li­stIn­nen» und Medienunternehmen.

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