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Palazzo Protzi und Chilbikunst

Lei­der kam der grosse Auf­schrei zu spät. Viel zu lange wur­den Fak­ten und Fra­gen zur unschö­nen Kom­pli­zen­schaft der Zür­cher Kunst­ge­sell­schaft mit dem Waf­fen­händ­ler Bührle und des­sen Erben unter den Tep­pich gekehrt.

Ange­fan­gen hat es mit dem Plan, geschmie­det von den Erben Bühr­les und der Kunst­ge­sell­schaft, wonach die kost­spie­lige und gesi­cherte Auf­be­wah­rung der Kunst­samm­lung von Emil Bührle der öffent­li­chen Hand über­tra­gen wer­den sollte. Die Pro­mo­to­ren des Zür­cher Kunst­hau­ses, das inter­na­tio­nal gese­hen in die dritte Klasse abzu­sacken drohte, nah­men das «Geschenk» erfreut ent­ge­gen, um damit das Pro­jekt eines Erwei­te­rungs­baus zu pro­pa­gie­ren. Mit tat­kräf­ti­ger Unter­stüt­zung der rot-grü­nen Stadtregierung.

So hatte das Refe­ren­dum gegen den 88-Mil­lio­nen­kre­dit, den die All­ge­mein­heit an den Erwei­te­rungs­bau des Kunst­hau­ses zu lei­sten hatte, keine Chance. Im Novem­ber 2012 wurde der Kre­dit mit knapp 54 Pro­zent Ja-Stim­men ange­nom­men, womit dem Bau­vor­ha­ben nichts mehr im Wege stand.

Ver­blen­det und in zür­che­ri­schem Grös­sen­wahn rühr­ten Stadt­mar­ke­ting und Poli­tik unent­wegt die Wer­be­trom­mel. Mit der – auf 20 Jahre befri­ste­ten – Aus­leihe der Bil­der­samm­lung des Waf­fen­händ­lers im neuen Muse­ums­bau, so das Nar­ra­tiv der Stadt­obe­ren, werde sich die Stadt Zürich künf­tig in der ersten Kate­go­rie der Kunst­me­tro­po­len bewe­gen: ein Kunst­ma­gnet son­der­glei­chen für Tou­ri­sten und Tou­ri­stin­nen aus aller Welt.

Guido Magna­guagno, ehe­ma­li­ger Vize­di­rek­tor des Kunst­hau­ses Zürich und pro­fun­der Ken­ner der Mate­rie, ver­merkte dazu bereits 2012: «Das Kunst­haus Zürich mag mit der Dau­er­leih­gabe der Bührle-«Impressionisten» zwar nach Paris dann die zweit­grösste Samm­lung die­ser belieb­ten Kunst­rich­tung beher­ber­gen, aber bei wei­tem nicht die zweitbeste.»

Um in einem näch­sten Satz gleich klar­zu­stel­len: «Museen soll­ten ohne­hin keine Vehi­kel für die Tou­ris­mus­för­de­rung oder das Stadt­mar­ke­ting sein: Museen sind Orte der Pflege des kul­tu­rel­len Erbes und sei­ner zeit­ge­mäs­sen Vermittlung.»

Als Magna­guagno die­sen Arti­kel vor fast 10 Jah­ren geschrie­ben hat, bestand noch die Hoff­nung, dass die Samm­lung der Bührle-Stif­tung vor dem Ein­zug ins öffent­li­che Museum zumin­dest einer unab­hän­gi­gen Pro­ve­ni­enz­for­schung unter­zo­gen würde. Das haben die Stadt Zürich, die Kunst­ge­sell­schaft und die Nach­kom­men Bühr­les jedoch erfolg­reich zu ver­hin­dern gewusst.

Fest steht: Ich werde in näch­ster Zeit kei­nen Fuss in die­ses Museum set­zen, das scham­los die Gräuel des Holo­caust ver­schweigt und sich mit den Federn des berühm­te­sten und reich­sten Schwei­zer Waf­fen­händ­lers schmückt.

Doch man muss den von Star­ar­chi­tekt David Chip­per­field errich­te­ten Tem­pel mit dem pseu­do­gol­de­nen Ein­gangs­tor gar nicht betre­ten. Mit sei­ner schie­ren Grösse domi­niert er prot­zig und klot­zig den Heim­platz und des­sen gewach­se­nen Bau­sub­stanz. Die abwei­sende Schiess­schar­ten­fas­sade hat eine zusätz­li­che unbe­dachte oder in Kauf genom­mene Aus­wir­kung: Sie ver­sperrt wie ein mas­si­ger Ele­fant den Blick vom Heim­platz auf das histo­ri­sche Ensem­ble im Hochschulquartier.

Erin­ne­run­gen an die alten Turn­hal­len, die hier einst stan­den und dem Neu­bau wei­chen muss­ten, wer­den wach. Über sie hatte Jürg Sul­zer, eme­ri­tier­ter Pro­fes­sor für Stadt­um­bau und Stadt­for­schung im Vor­feld der Abstim­mung von 2012 geschrie­ben: «Beide Gie­bel­fas­sa­den der Turn­hal­len tra­gen im Ensem­ble mit dem alten Kunst­haus zu einer äus­serst star­ken städ­te­bau­li­chen Iden­ti­tät des Heim­plat­zes bei (…). Das respekt­volle Ein­bin­den des Alten in etwas Neues könnte den beson­de­ren Charme am Heim­platz ausmachen.»

Der Charme ist dahin. Defi­ni­tiv und unwie­der­bring­lich. Daran ändert auch die merk­wür­dige Säule nichts, die an einen Rum­mel­platz erin­nert und so ver­lo­ren dasteht, als hätte sie ein Schau­stel­ler hier ver­ges­sen. «Tastende Lich­ter» heisst das von Pipi­lotti Rist im Auf­trag des Kunst­hau­ses erstellte Objekt, eine far­ben­kleck­sige Stange, die in der Nacht bunte Spots auf die umlie­gen­den Fas­sa­den wirft.

Ach, «Welt­stadt» Zürich.

Denk mal Berlin – und fahr nach Paris

In den letz­ten 14 Jah­ren hat sich Ber­lin mäch­tig ver­än­dert. Als die Archi­tek­tin Regula Lüscher im März 2007 ihre Stelle als Senats­bau­di­rek­to­rin antrat, waren die Flug­hä­fen Tem­pel­hof und Tegel noch in Betrieb. Im Zen­trum der Stadt, wo man Mitte Juli 2021 das Hum­boldt Forum, eine frag­wür­dige Vin­ta­ge­ko­pie des ein­sti­gen Ber­li­ner Schlos­ses, ein­ge­weiht hat, wur­den gerade die letz­ten Gerippe des Palasts der Repu­blik abgetragen.

Und hin­ter dem Haupt­bahn­hof, wo heute ein Pan­orama von archi­tek­to­ni­schem Einer­lei aus Glas und Beton den Hori­zont beschränkt (die Inve­sto­ren-getrie­bene «Europa-City»), lag eine wun­der­bare weite Bra­che. Als wir dort mit der frisch gewähl­ten Senats­bau­di­rek­to­rin die ersten Sequen­zen unse­res Films über Stadt­pla­nung in Ber­lin dreh­ten, konnte der Blick noch in die Weite schwei­fen und Regula Lüscher schwärmte von der Mög­lich­keit, angren­zend an den Bahn­hof der deut­schen Haupt­stadt einen neuen Stadt­teil zu ent­wickeln – öko­lo­gisch, zukunfts­wei­send, visionär.

«Wenn ich eine Aus­sage machen sollte, wohin sich Ber­lin ent­wickeln soll, als Gan­zes, als Gesam­tes, dann würde ich mal sagen, Ber­lin könnte sich in eine Stadt wei­ter­ent­wickeln, deren Label Frei­räume, Grün­räume, Spiel­räume sind», sagte sie uns damals ins Mikrofon.

Lei­der ging die Ent­wick­lung wäh­rend ihrer 14jährigen Amts­zeit dann genau in die ent­ge­gen­ge­setzte Rich­tung: Bra­che um Bra­che wurde an Inve­sto­ren ver­klickert und zuge­baut. Ältere Bau­ten muss­ten ren­ta­ble­ren Lie­gen­schaf­ten wei­chen, für wel­che die Bau­par­zel­len bis zum letz­ten gesetz­lich erlaub­ten Qua­drat­zen­ti­me­ter aus­ge­nutzt wur­den. Grün­räume in Hin­ter­hö­fen und Quar­tie­ren opferte man allzu bereit­wil­lig der «Ver­dich­tung» – Boden­preise und Mie­ten schos­sen in die Höhe, was die Bau­wut nur noch wei­ter befeuerte.

Eine fatale Ent­wick­lung, in Zei­ten des Kli­ma­wan­dels. In Ber­lin, so scheint es, ist die Dring­lich­keit einer öko­lo­gi­schen Wende noch nicht ins Bewusst­sein von Poli­ti­ke­rIn­nen und Pla­ne­rIn­nen vor­ge­drun­gen. Wie anders ist zu erklä­ren, dass das für das Stadt­klima so wich­tige Tem­pel­ho­fer Feld nur dank einer Bür­ger­initia­tive bis­her vor einer teil­wei­sen Über­bau­ung ver­schont geblie­ben ist?

Was man in Ber­lin wäh­rend der Amts­zeit von Senats­bau­di­rek­to­rin Lüscher nicht geschafft hat, ist in einer ande­ren euro­päi­schen Haupt­stadt voll im Gang: In Paris hat man die Zei­chen der Zeit erkannt und arbei­tet daran, die Stadt für eine men­schen- und kli­ma­freund­li­che Zukunft fit zu machen.

Nach­dem unter der Feder­füh­rung der inno­va­ti­ven Bür­ger­mei­ste­rin Anne Hidalgo bereits weite Strecken der ein­sti­gen Stadt­au­to­bahn ent­lang dem Seine-Ufer in Fuss­gän­ger- und Grün­zo­nen ver­wan­delt wur­den, soll die berühm­te­ste Strasse von Paris – die Champs-Ely­sées – die heute von Lärm und Autos domi­niert wird, bis 2030 in einen «aus­ser­ge­wöhn­li­chen Gar­ten» ver­wan­delt werden.

Dies hat nicht in erster Linie ästhe­ti­sche Gründe, son­dern ent­spricht vor allem einer drin­gen­den Not­wen­dig­keit, wie Phil­ippe Chi­am­ba­retta, der mit der Umge­stal­tung der Champs-Ely­sées beauf­tragte Archi­tekt, betont. Grund dafür ist die Erd­er­wär­mung, die er als «slow cata­stro­phy» bezeich­net, und die uns zum Han­deln zwingt.

«Die Frage, wie die Welt im 21. Jahr­hun­dert zu bebauen, zu bewoh­nen und zu den­ken ist, drängt mehr denn je und macht ein neues Ver­ständ­nis von Archi­tek­tur erfor­der­lich», schreibt er in der jüng­sten Aus­gabe der Zeit­schrift «Lettre International». 

Man komme nicht umhin, so Chi­am­ba­retta wei­ter, sich «von drei Jahr­hun­derte gel­ten­den Gewiss­hei­ten der west­li­chen Moderne frei­zu­ma­chen.» Gefor­dert seien hier­bei ins­be­son­dere auch Archi­tek­tIn­nen und Pla­ne­rIn­nen, als zen­trale Akteu­rIn­nen des urba­nen Zusam­men­hangs. Bei ihnen müsse der Sinn für ein fort­schritt­li­ches und poli­ti­sches Enga­ge­ment geweckt wer­den «um der zyni­schen – und teil­weise mut­wil­li­gen – Instru­men­ta­li­sie­rung der Stadt durch den welt­wei­ten Kapi­ta­lis­mus und die Öko­no­mie des Spek­ta­kels Ein­halt zu gebieten.»

Eine über­le­bens­wich­tige Bot­schaft aus Paris, von glo­ba­ler Bedeu­tung. Lei­der ist sie bis­her weder in der Poli­tik noch bei den Pla­nen­den rich­tig ange­kom­men – weder in Ber­lin noch in ande­ren Städ­ten, wo wei­ter­hin auf kurz­fri­sti­ges Ren­di­te­den­ken und in Beton zemen­tier­tes Wachs­tum gesetzt wird. Wie gefähr­lich und falsch das ist, zei­gen die aktu­el­len Unwet­ter­er­eig­nisse und ‑schä­den…

Der Anfang vom Ende

In der Nacht vom 12. auf den 13. Juli fegte ein hef­ti­ger Sturm über die Stadt Zürich, dem Hun­derte von Bäu­men zum Opfer fie­len. Ein trau­ri­ges Bild der Zer­stö­rung – etwa am Wald­rand des Käfer­bergs, wo rei­hen­weise statt­li­che Bäume der Wucht des Win­des nicht stand­hal­ten konn­ten und ein­fach umge­ris­sen wur­den. Wur­zel­stöcke rag­ten in die Luft, mäch­tige Baum­stämme und dicke Äste lagen quer über die Stras­sen – auch im Wald war kein Durch­kom­men mehr.

Die Gärt­ne­rin­nen und Gärt­ner von Grün­Stadt Zürich hat­ten in die­sen Tagen alle Hände voll zu tun, um ent­wur­zelte Bäume zu ber­gen, geknickte Baum­stämme und abge­ris­sene Äste zu zer­sä­gen, Wege zu sichern und den Scha­den an Men­schen, Gebäu­den und Fahr­zeu­gen mög­lichst in Gren­zen zu halten.

Wie durch ein Wun­der blie­ben die Gär­ten und Häu­ser in unsere Nach­bar­schaft in der Sturm­nacht weit­ge­hend ver­schont. Auch die stolze Tanne am Cha­let­weg 3, in deren Wip­fel die Amsel so gerne ihr Mor­gen­lied sang, trotzte den Kräf­ten der Natur. Sie war denn auch früh­mor­gens wie­der zur Stelle und zwit­scherte aus der wun­der­ba­ren Gar­ten­oase rund um das histo­ri­sche Cha­let wie eh – und je und liess die Schrecken der Nacht ver­ges­sen. Auch das Haus, des­sen Bewoh­ne­rIn­nen bereits vor Mona­ten die Kün­di­gung erhal­ten hat­ten und aus­zie­hen muss­ten, stand am Mor­gen danach unbe­scha­det im Schat­ten von Ahorn, Weide und Tanne.

Aller­dings war die Freude dar­über, dass die statt­li­chen Bäume im Nach­bar­gar­ten den Sturm über­stan­den hat­ten, von kur­zer Dauer. Wäh­rend rundum in Gär­ten und im Wald Arbei­te­rin­nen und Arbei­ter ver­such­ten, zu ret­ten, was noch zu ret­ten war, fuh­ren am Cha­let­weg 3 die Holz­fäl­ler auf. In Voll­mon­tur, mit Ket­ten­säge, Kran und Transportcontainer.

Als wir uns am Mor­gen auf den Weg zum Märit mach­ten, stand die alt­ehr­wür­dige, weit­herum sicht­bare Tanne noch. Als wir eine Stunde spä­ter zurück­kehr­ten, klaffte eine grosse Lücke in der Sil­hou­ette unse­res Quartiers.

Ohren­be­täu­bend das jau­lende Krei­schen der Motor­säge, wel­che dem wäh­rend Jah­ren gewach­se­nen Stamm die Äste abtrennte und den eben noch statt­li­chen Baum in trans­por­tier­bare Holz­stücke zer­legte. Emo­ti­ons­los besei­tigte ein Arbei­ter mit dicken Lärm­schutz-Pol­stern auf den Ohren auch die üppige Hecke, die das Cha­let und seine Bewoh­ne­rIn­nen in der Ver­gan­gen­heit vor neu­gie­ri­gen Blicken geschützt hatte. Der höl­zerne Gar­ten­zaun ist umge­kippt – das passt zum trost­lo­sen Bild, das die Grün­be­sei­ti­ger bei ihrer Weg­fahrt hin­ter­las­sen haben.

Jetzt erst zeigt sich, dass sie nicht die ersten waren, die mit der defi­ni­ti­ven Zer­stö­rung des letz­ten Cha­lets am Cha­let­weg begon­nen haben: Die grü­nen Fen­ster­lä­den sind ver­schwun­den, und auch die Fen­ster­schei­ben sind abmon­tiert. Ob die frü­he­ren Besit­zer, die die Lie­gen­schaft dem ren­di­te­hung­ri­gen Inve­stor ver­kauft hat­ten, hier noch ein­mal Hand ange­legt haben? – Im Ver­kaufs­ver­trag hat­ten sie sich näm­lich aus­be­dun­gen, dass sie – bevor das Cha­let, Bau­jahr 1926, dem Erd­bo­den gleich­ge­macht wird – noch her­aus­ho­len dür­fen, was ihnen nüt­zen könnte…

Die Besit­ze­rin des Grund­stücks, eine Collofundo AG, will end­lich vor­wärts machen. Trotz wei­ter stei­gen­der Bau­ko­sten und der Tat­sa­che, dass auf­grund der aktu­el­len kli­ma­ti­schen und öko­no­mi­schen Ent­wick­lun­gen das Pro­jekt für einen Wohn­turm mit 14 Kleinst­woh­nun­gen frag­wür­dig erscheint, liess sie sich nicht von ihrem unse­li­gen Vor­ha­ben abbringen.

Dies bestä­tigte Mit­in­ha­ber und Geschäfts­füh­rer Andreas Friedli in einer Mail vom 8. Juli auf unsere Anfrage, ob er als Inve­stor mög­li­cher­weise auf die Umset­zung des Pro­jekts ver­zich­ten und das Grund­stück ver­kau­fen würde…

Die Ant­wort war kurz und bün­dig und lau­tete: «Danke für Ihre Anfrage. Das Bau­vor­ha­ben wird wie geplant aus­ge­führt. Bau­be­ginn im Sep­tem­ber 2021.»

Der Anfang vom Ende ist voll­bracht: Die Augen des Cha­lets wur­den her­aus­ge­ris­sen, der üppige Gar­ten ram­po­niert – die stolze Tanne ist nicht mehr. Die Amsel muss sich einen neuen Aus­sichts­wip­fel suchen. Aller­dings wird das immer schwie­ri­ger: Die gros­sen Bäume sind rar gewor­den, in unse­rem Quar­tier. Das Dach mit dem Abluft­rohr von 14 Küchen dürfte kaum als valabler Ersatz in Frage kommen…

Sep­tem­ber 2021: 
DAS ENDE VOM ENDE

APRIL 2023:
OMG!!😱😱

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