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GABRIELA NEUHAUS

35 Zeilen zum Lauf der Welt

35 Zeilen zum Lauf der Welt

Cassis’ Absage und die Medien

Als erstes ver­brei­tete die NZZ die Mel­dung: Am Diens­tag, 19. Novem­ber sagte Bun­des­rat Cas­sis ein von der Stu­den­ten­schaft orga­ni­sier­tes Podium an der Uni Fri­bourg kurz­fri­stig ab. Zusam­men mit sei­nem slo­wa­ki­schen Amts­kol­le­gen Juraj Blanár, der auf Staats­be­such weilte, hätte er über das Thema «Eine pola­ri­sierte Welt: Her­aus­for­de­run­gen und Chan­cen für Rechts­staat­lich­keit und Demo­kra­tie» debat­tie­ren sollen.

Dar­aus wurde nichts. Angeb­lich, so die Ver­laut­ba­rung des Eid­ge­nös­si­schen Depar­te­ments für aus­wär­tige Ange­le­gen­hei­ten EDA, weil das Kol­lek­tiv CEP Fri­bourg (Coör­di­na­tion étu­di­ante pour la Pal­e­stine) zu einer Kund­ge­bung auf­ge­ru­fen hatte, um anläss­lich des Cas­sis-Besuchs gegen des­sen ein­sei­tig isra­el­freund­li­che Poli­tik zu demonstrieren.

Dadurch seien die Vor­aus­set­zun­gen für einen rei­bungs­lo­sen Ablauf nicht gege­ben, zitierte die NZZ das EDA. «Man erachte es als nicht ange­bracht, einen aus­län­di­schen Gast einem sol­chen uner­freu­li­chen Anlass aus­zu­set­zen und dar­über hin­aus all­fäl­lige Sicher­heits­ri­si­ken einzugehen.»

Die Mel­dung ging wie ein Lauf­feuer durch die Medien: Zuerst nahm der Blick den Faden auf und ver­kün­dete sei­ner­seits, dass das Kol­lek­tiv CEP auf Insta­gram dazu auf­ge­ru­fen habe, die Ver­an­stal­tung in der Aula zu stö­ren, um «ihren Unmut über die angeb­lich zu isra­el­freund­li­che Poli­tik des Bun­des­rats auszudrücken.»

All diese Mel­dun­gen hat­ten einen gemein­sa­men Tenor: Pro-palä­sti­nen­si­sche Demonstrant:innen sind heut­zu­tage ein der­ar­ti­ges Sicher­heits­ri­siko, dass Uni­ver­an­stal­tun­gen abge­sagt wer­den müs­sen! Im Gegen­satz zum stu­den­ti­schen Orga­ni­sa­ti­ons­ko­mi­tee der Podi­ums­ver­an­stal­tung, täten sich, so die NZZ, «andere Stu­den­ten­kreise offen­kun­dig schwer mit Rechts­staat­lich­keit und Demo­kra­tie und der freien Rede.»

Fakt ist: Die Orga­ni­sa­tion, wel­che zur Kund­ge­bung auf­rief, hat auf Insta­gram gerade mal 1353 Fol­lower. Aus ihrem Post geht klar her­vor, dass man VOR der Aula demon­strie­ren wollte – von Stö­rung der Ver­an­stal­tung im Innern der Uni kein Wort. Sie woll­ten also nichts ande­res, als von ihrem Demon­stra­ti­ons­recht Gebrauch zu machen…

Kommt hinzu, dass keine 200 Men­schen auf den Insta-Post reagiert hat­ten. Auch wenn der Auf­ruf noch in wei­te­ren Krei­sen der Region geteilt wurde, konnte man davon aus­ge­hen, dass der Auf­marsch nicht beson­ders gross gewe­sen wäre. – Wurde die Ver­an­stal­tung wirk­lich wegen die­sem Auf­ruf abgesagt?

Falls dies tat­säch­lich der Fall sein sollte, wäre dies die abso­lute Bank­rott­erklä­rung unse­rer Demo­kra­tie. Wo bleibt die viel­ge­rühmte Mei­nungs- und Demon­stra­ti­ons­frei­heit im Vor­zei­ge­land Schweiz?

Sicher­heits­be­den­ken vor­zu­schie­ben, ange­sichts einer mehr als berech­tig­ten Stu­die­ren­den­de­mon­stra­tion ist plump und bil­lig. Wäh­rend man Wochen­ende für Wochen­ende für Poli­zei­ein­sätze Mil­lio­nen zum Fen­ster raus­wirft, um ran­da­lie­rende Fuss­ball­fans in Schach zu halten…

Aber viel­leicht war ja alles ganz anders? War der Auf­ruf des CEP mög­li­cher­weise bloss ein Vor­wand? Den Cas­sis dank­bar auf­ge­nom­men hat, um das Podium abzu­sa­gen? Nicht, weil er die Demo fürch­tete, son­dern berech­tigte, kri­ti­sche Fra­gen anläss­lich der Veranstaltung.

Viel­leicht sogar von Sei­ten sei­nes Besu­chers Juraj Blanár? Die­ser hat sich näm­lich in den letz­ten Wochen deut­lich poin­tier­ter gegen die israe­li­sche Kriegs­füh­rung in Gaza und im Liba­non geäus­sert als unser Aus­sen­mi­ni­ster und dies­be­züg­lich von einer «Ero­sion des inter­na­tio­na­len Rechts» gesprochen.

Wie eine Mehr­heit der euro­päi­schen Län­der, plä­diert auch die Slo­wa­kei für eine wei­tere Zusam­men­ar­beit mit der UNRWA und deren finan­zi­elle Unter­stüt­zung. Gegen­über slo­wa­ki­schen Medien wies Blanár kürz­lich dar­auf hin, dass nur die UNRWA in der Lage sei, in Gaza huma­ni­täre Hilfe zu leisten.

Auch in Bezug auf die Ukraine dürfte der slo­wa­ki­sche Aus­sen­mi­ni­ster mit sei­nem Amts­kol­le­gen Cas­sis nicht auf glei­cher Linie sein: Die Slo­wa­kei beschränkt ihre Unter­stüt­zung expli­zit auf huma­ni­täre Hilfe und lehnt jeg­li­che Waf­fen­lie­fe­run­gen an die Ukraine ab.

Der Ver­dacht liegt nahe, dass der Demo­auf­ruf des CEP für Bun­des­rat Cas­sis und seine Entou­rage ein mehr als will­kom­me­ner Anlass war, das Podium abzu­sa­gen. Nicht, weil man sich vor Demon­strie­ren­den fürch­tete, son­dern vor unlieb­sa­men Fra­gen und einer Dis­kus­sion, bei wel­cher der Gast mög­li­cher­weise mehr Applaus geern­tet hätte als Gast­ge­ber Cassis.

Angstmacherei – wider besseres Fachwissen

Die Abstim­mung über den 5‑Milliardenkredit für sechs Auto­bahn­aus­bau­pro­jekte ist zu einer Pro­pa­gan­da­schlacht ver­kom­men, bei dem die Aus­bau­be­für­wor­ter Gra­ben­kämpfe und Äng­ste schü­ren, was das Zeug hält.

An vor­der­ster Front Bun­des­rat Albert Rösti, der ein­stige Auto­lob­by­ist, der sein Amt als Bun­des­rat als logi­schen Kar­rie­re­schritt im Dien­ste sei­ner frü­he­ren Auf­trag­ge­ber ver­steht. Statt sach­lich und unauf­ge­regt über die Vor­lage zu infor­mie­ren, legt er sich für den 5‑Milliardenkredit ins Zeug und scheut auch vor Falsch­mel­dun­gen und Ver­zer­run­gen nicht zurück.

Sekun­diert wird er dabei in gros­sem Stil von den Leit­me­dien hier­zu­lande: Kein Blatt, kein Sen­der, der ihm nicht eine Platt­form für seine Pro­pa­ganda gebo­ten hat. Unwi­der­spro­chen wie­der­holt er immer wie­der, der Auto­bahn­bau sei in den 1960er Jah­ren ste­hen geblie­ben. Fakt ist jedoch, dass das Strecken­netz seit 1995 um 30 Pro­zent ver­län­gert wor­den ist.

Wei­ter behaup­tet er, mit den zur Debatte ste­hen­den Pro­jek­ten würde es eine kurz­fri­stig wirk­same Lösung für das viel­be­klagte «Stau­pro­blem» auf Schwei­zer Auto­bah­nen geben. Er weiss aber ganz genau, dass da kurz­fri­stig gar nichts gelöst wird, weil es rund 20 Jahre dau­ern würde, bis die Tun­nel und Spur­er­wei­te­run­gen fer­tig­ge­stellt wären. Kurz­fri­stig gäbe es mit dem Auf­fah­ren der ersten Bau­ma­schi­nen den berüch­tig­ten Bau­stel­len­stau, also noch mehr Stau als bisher.

Schliess­lich ver­ga­lop­piert sich Rösti mit den Aus­sa­gen, es brau­che den Aus­bau, damit unsere Stras­sen­in­fra­struk­tur nicht ver­gam­melt, um den Ver­kehr aus den Dör­fern zu ent­fer­nen und für mehr Sicher­heit auf den Stras­sen… Alles Slo­gans, die von Verkehrsexpert:innen viel­fach wider­legt wurden.

Und doch tobt der Abstim­mungs­kampf prak­tisch aus­schliess­lich auf der von Rösti + Co vor­ge­spur­ten emo­tio­na­len Fahr­spur. Weil Jour­na­li­stin­nen und Jour­na­li­sten sich von Rösti in sei­ner Bun­des­rats­li­mou­sine chauf­fie­ren las­sen und seine Sprü­che wei­ter­ver­brei­ten, statt ihn mit Fak­ten zu konfrontieren.

Die aktu­elle Abstim­mungs­kam­pa­gne ist ein Lehr­stück, wie Lob­by­isten mit Macht und Geld die Demo­kra­tie für ihre Zwecke instru­men­ta­li­sie­ren. Die Mit­glie­der des Komi­tees «Ja zur Siche­rung der Natio­nal­stras­sen» haben sich ihre Des­in­for­ma­ti­ons-Stra­te­gie denn auch eine Stange Geld kosten las­sen. Ein aktu­el­les Bei­spiel dafür ist einer der immer häu­fi­ger vor­kom­men­den Publi­re­por­ta­ge­ar­ti­kel, die auf den ersten Blick vom redak­tio­nel­len Teil auf «Nau» kaum zu unter­schei­den sind. Titel: «Weni­ger Ver­kehr in den Dör­fern – das hilft allen» — rein­ste Pro-Auto­bahn­aus­bau Propaganda.

Doch nicht nur das pri­vate Ja-Komi­tee rund um den Gewer­be­ver­band + Co hat Geld in die Hand genom­men. Eine ganze Bri­gade von Kom­mu­ni­ka­ti­ons-Agen­tu­ren pro­fi­tiert regel­mäs­sig von lukra­ti­ven Staats­auf­trä­gen. So hat das Bun­des­amt für Stras­sen (Astra) bei der Ber­ner Agen­tur Infra­kom AG für eine Vier­tel­mil­lion Fran­ken ein gan­zes Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ar­se­nal bestellt, um bei der Auto­bahn­ab­stim­mung die Geg­ner­schaft zu schlagen.

Im Klar­text: Wir Bür­ge­rin­nen und Bür­ger finan­zie­ren mit unse­ren Steu­er­fran­ken Agen­tu­ren mit, die ver­spre­chen, Rösti und dem Astra das gewünschte Abstim­mungs­re­sul­tat her­bei­zu­zau­bern. Es geht dabei in kein­ster Weise darum, Fak­ten zu ver­mit­teln und Pro und Con­tras auf­zu­li­sten. Offen­bar trauen die Bun­des­häus­ler dies­be­züg­lich ihrem roten Abstim­mungs­büch­lein zu wenig.

Was Infra­kom + Co prak­ti­zie­ren, ist eine lupen­reine Des­in­for­ma­ti­ons-kam­pa­gne. Dies geht soweit, dass sogar fach­lich fun­dierte Stu­dien und wis­sen­schaft­li­che Erkennt­nisse, die nicht im Ein­klang mit den Inter­es­sen des Astra ste­hen, als Ideo­lo­gie abge­tan und unter den Tisch gekehrt wer­den. Daten, die unbe­quem sind, wer­den im Gift­schrank zurück­ge­hal­ten, bis nach der Abstimmung.

Das Strick­mu­ster ist immer das Glei­che: Man hängt der Gegen­seite die Ideo­lo­gie-Eti­kette an. Wer sich gegen Auto­bahn­aus­bau stellt, ist ent­we­der ein Träu­mer, ewig-gest­rig oder Autohasser:in. Auf alle Fälle: links-grün versifft.

So unter­stellt etwa FDP-Natio­nal­rat Thierry Burk­hart im Blick-Inter­view vom 13. Novem­ber 2024 der Grü­nen-Prä­si­den­tin Lisa Maz­zone, wenn es nach ihr gegan­gen wäre, hätte man schon vor 60 Jah­ren keine Auto­bah­nen gebaut. Und wie­der­holt die Mär von der wun­der­sa­men Staubeseitigung.

Eine Mär, die bestens funk­tio­niert, weil die Medien, von den Kom­mu­ni­ka­ti­ons­agen­tu­ren gefüt­tert, nicht ein­ord­nen und ana­ly­sie­ren, wie es ihre Auf­gabe wäre, son­dern Ver­laut­ba­run­gen eins zu eins verbreiten.

Eine fatale Ent­wick­lung. Die so weit geht, dass die Schaff­hau­ser Nach­rich­ten eine von der Stadt­re­gie­rung in Auf­trag gege­bene Ver­kehrs-Stu­die infrage stel­len, weil einige Expert:innen, die den Aus­bau des Fäsenstaub­tun­nels kri­tisch bewer­te­ten, einen Appell für die Ableh­nung der eid­ge­nös­si­schen Auto­bahn­vor­lage unter­schrie­ben haben.

Die Methode der Eti­ket­tie­rung funk­tio­niert offen­bar auch um nörd­lich­sten Zip­fel der Schweiz: «Gut­ach­ter outen sich als Auto­bahn­geg­ner» titeln die Schaff­hau­ser Nach­rich­ten markt­schreie­risch und brü­sten sich damit, fal­sche, ideo­lo­gie­ge­trie­bene Expert:innen auf­ge­deckt zu haben.

In Tat und Wahr­heit decken sie jedoch zu. Indem sie Argu­mente, die nicht erwünscht sind, ein­fach falsch eti­ket­tie­ren. Kol­por­tiert wird schliess­lich nur noch, was drauf­steht, nicht mehr, was drin ist. So wie es die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­agen­tu­ren empfehlen.

Wer, wenn nicht die Fach­per­so­nen, die sich tag­täg­lich mit Mobi­li­täts­fra­gen befas­sen, kann fun­dierte Aus­sa­gen dar­über machen, wie sich der geplante Aus­bau – in Schaff­hau­sen und anderswo – auf das gesamte System und seine Umge­bung aus­wirkt? Fak­ten­ba­siert, nicht ideologie-getrieben…

End­lich scheint aber doch Sand ins bis­lang gut geschmierte Auto­bahn-Pro­pa­ganda-Getriebe gekom­men zu sein: Die neu­sten Umfra­ge­werte zei­gen, dass die Argu­mente gegen die zur Debatte ste­hen­den sechs Aus­bau­pro­jekte vom Stimm­volk doch gehört werden.

So blöd, wie es Rösti und Co. gerne hät­ten, ist der Sou­ve­rän eben doch nicht. Diese Erfah­rung haben wir in der Ver­gan­gen­heit schon mehr­fach gemacht.

Kein anderes Land…

©No Other Land

Sonn­tag, 10. Novem­ber 2024: Noch vor Tages­an­bruch hat die israe­li­sche Armee bei einem Angriff min­de­stens 25 Palästinenser:innen getö­tet, dar­un­ter 13 Kin­der – wei­tere 30 Per­so­nen wur­den ver­letzt… Am Vor­tag waren es min­de­stens 40 Tote, als Israel erneut eine Schule bom­bar­dierte, die als Flücht­lings­la­ger diente…

Israel setzt nicht nur sei­nen Geno­zid-Krieg unge­rührt und unge­hin­dert fort. In den letz­ten Wochen sind auch im Liba­non Tau­sende Men­schen ver­trie­ben und ver­letzt wor­den – unschul­dige Men­schen wur­den bestia­lisch umge­bracht und vom Mili­tär-Kom­mando zynisch als Kol­la­te­ral­scha­den abge­bucht. Die israe­li­sche Armee hat ganze Dör­fer und Quar­tiere im Nach­bar­land zerstört.

Der Staat Israel mor­det, ver­wü­stet, zer­bombt, wie es ihm gefällt – und die Welt schaut wei­ter­hin zu. Tref­fen­der wäre zu sagen, sie schaut weg. Wie sie es seit Jah­ren tut, in Bezug auf Isra­els men­schen­ver­ach­tende, töd­li­che Poli­tik, die nichts ande­res zum Ziel hat, als die nicht-jüdi­sche Bevöl­ke­rung aus dem Land «from the river to the sea» («vom Fluss bis zum Meer») zu vertreiben.

«Seit 1947 sind wir Augenzeug:innen einer kon­ti­nu­ier­li­chen eth­ni­schen Säu­be­rung», schreibt die palä­sti­nen­si­sche Autorin und Men­schen­rechts­ak­ti­vi­stin Fahia Abdul Hadi. Dazu gehöre auch die Zer­stö­rung der palä­sti­nen­si­schen Kul­tur – von Doku­men­ten über Bücher bis zu Kul­tur­denk­mä­lern, Schu­len, Universitäten…

Fahia hält dem mit ihren beschei­de­nen Mit­teln ent­ge­gen. In Ramal­lah hat sie das Insti­tut Al Rowat for Stu­dies & Rese­arch gegrün­det – al Rowat heisst «die Geschich­ten­er­zäh­ler» auf arabisch.

Ange­sichts der jahr­zehn­te­lan­gen Zer­stö­rung und den anhal­ten­den Ver­trei­bun­gen, sei es nicht nur drin­gend not­wen­dig, die ver­blie­be­nen schrift­li­chen Quel­len sorg­fäl­tig zu schüt­zen, so Fahia – viel­mehr müss­ten auch neue Quel­len erschlos­sen wer­den. Zeug­nisse, nicht aus dem Blick­win­kel der Kriegs­her­ren son­dern der Gepei­nig­ten. Aktu­ell fokus­siert sie sich in ihrer Arbeit auf Palästinenser:innen, die aus Gaza ver­trie­ben wur­den und heute in Ägyp­ten leben.

Ziel des Insti­tuts ist es, die palä­sti­nen­si­sche Geschichte und Kul­tur mit­hilfe von Oral-History-Inter­views zu sichern. «Es ist an der Zeit», schreibt Fahia in einem Arti­kel, den sie anläss­lich des dies­jäh­ri­gen inter­na­tio­na­len «Tags der Archive» publi­ziert hat, «dass wir unsere Ver­gan­gen­heit und unsere Gegen­wart sel­ber doku­men­tie­ren und sie unse­rem kol­lek­ti­ven natio­na­len Gedächt­nis erhalten.»

«Sprich, oh Vogel» heisst der poe­ti­sche Titel einer Wan­der­aus­stel­lung, die mit ein­drück­li­chen Bil­dern und Wor­ten von palä­sti­nen­si­schen Fami­lien erzählt, die durch die israe­li­sche Unfrie­dens- und Besat­zungs­po­li­tik aus ihren Dör­fern, von ihrem Land ver­trie­ben wor­den sind.

©Al Rowat for Stu­dies & Research

Der Doku­men­tar­film «No Other Land», der aktu­ell in unse­ren Kinos läuft, geht noch einen Schritt wei­ter: Er doku­men­tiert die ver­bre­che­ri­sche Zer­mür­bungs- und Ver­trei­bungs­po­li­tik Isra­els der letz­ten 30 Jahre gegen die ein­hei­mi­sche palä­sti­nen­si­sche Bevöl­ke­rung in den besetz­ten Gebieten.

Mit Sze­nen, die blan­kes Ent­set­zen über Will­kür und Arro­ganz der israe­li­schen Trup­pen her­vor­ru­fen und nach­denk­lich stim­men­den Gesprä­chen zwi­schen den israelisch/​palästinensischen Haupt­per­so­nen. Die Autor:innen Basil Adra, Rachel Szor, Hamdan Bala und Yval Abra­ham fokus­sie­ren in ihrem Film auf die Ver­trei­bung und Zer­stö­rung der palä­sti­nen­si­schen Dör­fer in Masa­fer Yatta süd­lich von Hebron.

Der Film zeigt Basil Adra, seine Eltern und Geschwi­ster, die in Masa­fer Yatta leben und sich seit er sich erin­nern kann, gegen die Ver­trei­bungs­po­li­tik gewehrt haben. Wie schon seine Eltern vor 20 Jah­ren, tut er dies mit der Kamera in der Hand.

Schon Anfang der 1980er Jahre hatte Israel dekla­riert, dass es die Ara­ber aus ihren histo­ri­schen Dör­fern in der Region Masa­fer Yatta ver­trei­ben wolle – und zu die­sem Zweck das Land zum Schiess­übungs­platz für die israe­li­sche Armee erklärt.

Seit­her haben die Men­schen in Masa­fer Yatta uner­müd­lich und zäh um ihre Rechte gerun­gen. Gegen einen über­mäch­ti­gen Geg­ner, der keine Mit­tel scheut, um sein letzt­li­ches Ziel zu errei­chen – die end­gül­tige Ver­trei­bung der Men­schen von ihrem Land, aus ihren Häu­sern. Seit 2022 zusätz­lich «legi­ti­miert» durch ein Urteil des israe­li­schen Gerichtshofs.

Das hat die Situa­tion jetzt noch ver­schlim­mert. Zur wei­te­ren Eska­la­tion tra­gen die Sied­ler bei, deren Sied­lun­gen seit Jahr­zehn­ten in palä­sti­nen­si­sches Gebiet wuchern, wobei sie mit Gewalt gegen die palä­sti­nen­si­schen Dorfbewohner:innen vor­ge­hen – unter dem Schutz­schirm des israe­li­schen Militärs.

Immer wie­der wer­den die Filmemacher:innen geru­fen, weil israe­li­sche Soldat:innen in einem der Dör­fer ein­mar­schiert sind, wo sie die Men­schen aus ihren Häu­sern trei­ben. Das Pro­ze­dere ist immer das Glei­che: Die Frauen und Kin­der wer­den aus den Häu­sern gezerrt, danach kom­men Bull­do­zer zum Zug, die unter den Augen der Bewohner:innen deren Daheim platt walzen.

«Wenn wir das alles doku­men­tie­ren und der Welt zei­gen, was hier geschieht, wird es irgend­ein­mal auf­hö­ren», sagt Adra im Film. Des­halb fil­men sie mit ihren Kame­ras und Han­dys den unglei­chen Kampf zwi­schen israe­li­schen Soldat:innen und Dorfbewohner:innen, die ihr Land nicht auf­ge­ben wollen.

Das ist mutig und gefähr­lich. Nicht sel­ten kommt es zu pre­kä­ren Situa­tio­nen, wenn die schwer bewaff­ne­ten Soldat:innen erbar­mungs­los durch­grei­fen und auch vor töd­li­chen Schüs­sen nicht zurückschrecken.

Erschüt­ternd die Szene, in der die Mut­ter zuse­hen muss, wie ihr Sohn von israe­li­schen Soldat:innen nie­der­ge­schos­sen wird, weil er sich dage­gen wehrt, dass diese der Fami­lie ihren Strom-Gene­ra­tor weg­neh­men und kaputt schla­gen. Wir sehen, wie der junge Mann als voll­stän­dig gelähm­ter Krüp­pel vor­erst über­lebt, wie die Mut­ter für sein Leben und seine Würde kämpft – chan­cen­los. Schliess­lich stirbt er an den Fol­gen der Schussverletzung.

Die fil­mi­sche Doku­men­ta­tion israe­li­scher Unta­ten nimmt kein Ende. Wir trauen unse­ren Augen nicht, wie die israe­li­sche Sol­da­teska eine palä­sti­nen­si­sche Bewäs­se­rungs­an­lage bös­ar­tig und per­vers demo­liert: Sie frä­sen Was­ser­lei­tun­gen ent­zwei und fül­len einen Brun­nen mit Kubik­me­tern von Beton.

Trotz­dem kämp­fen die Men­schen wei­ter – ste­hen immer wie­der auf, rich­ten sich in Höh­len ein, ver­su­chen bei Nacht und Nebel, ihre Häu­ser neu auf­zu­bauen. «Wir haben kein ande­res Land – wir kön­nen nir­gendwo hin», sagt eine Frau auf die Frage eines Repor­ters, warum sie sich dies antue.

«No other Land» wurde zurecht an der Ber­li­nale mit dem Doku­men­tar­film­preis aus­ge­zeich­net und hat auch in Ber­lin und Nyon den Publi­kums­preis erhal­ten. Es darf aber nicht dabei­blei­ben, dass uns der Film bewegt, Betrof­fen­heit aus­löst und das war’s dann schon.

«No other Land» ist ein Appell an uns alle, nicht län­ger weg­zu­schauen. Vor allem aber sollte er zum Pflicht­stoff erklärt wer­den, ins­be­son­dere für die Israelversteher:innen hier­zu­lande, die sich hart­näckig wei­gern, den Unrechts­staat Israel in die Schran­ken zu wei­sen und wei­ter­hin des­sen krie­ge­ri­sches Mor­den schön­re­den wollen.

Ein wei­te­res bewe­gen­des Zeug­nis aus Masa­fer Yatta – geschrie­ben von einem Leh­rer, publi­ziert am 7. Novem­ber 2024 im unab­hän­gi­gen israe­lisch-palä­sti­nen­si­schen +972-Maga­zine, für das u.a. auch Yuval Abra­ham arbeitet:

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