Parallelwelten

Treff­punkt HB Zürich, 13 Uhr. Die Sonne scheint und es ist warm. Zu warm für die Jah­res­zeit. Aus den Häu­sern gelockt vom schö­nen Wet­ter und der Aus­sicht auf ein Schnäpp­chen im Aus­ver­kauf, wäl­zen sich Men­schen­mas­sen durch die Bahn­hofstrasse. Wir las­sen uns mit­t­rei­ben und ent­schwe­ben, in unser Gespräch ver­tieft, bald in andere Sphären. 

Fast ein Jahr lang hat­ten wir kaum Kon­takt, wie meist, wenn sie im Aus­land auf Mis­sion ist. Umso mehr gibt es jetzt zu erzäh­len und zu erfah­ren. Schon bald ent­füh­ren mich ihre Schil­de­run­gen von der Stadt, in der sie jetzt lebt, in eine völ­lig andere Welt.

Beni, im Nord­osten der Demo­kra­ti­schen Repu­blik Kongo an der Grenze zu Uganda gele­gen, dürfte etwa gleich gross sein wie Zürich. Damit enden aber bereits die Par­al­le­len. Kein elek­tri­scher Strom, keine städ­ti­sche Was­ser­ver­sor­gung, kaum geteerte Stras­sen. Die mei­sten Men­schen leben in ein­fa­chen, klei­nen Häu­sern mit Dächern aus Well­blech oder Stroh.

Der All­tag ist geprägt von Unsi­cher­heit und Angst. Seit Jah­ren schwelt hier ein Bür­ger­krieg, Men­schen wer­den aus ihren Dör­fern ver­trie­ben, regel­mäs­sig kommt es zu Gewalt­aus­brü­chen, Ver­ge­wal­ti­gun­gen, Mor­den… Des­halb sind in und um Beni UNO-Trup­pen und huma­ni­täre Orga­ni­sa­tio­nen mit einer statt­li­chen Anzahl von Per­so­nal im Ein­satz. Zu ihnen gehört auch meine viel­spra­chige und welt­erfah­rene Freundin.

Sie teilt Büro und Unter­kunft mit einem Kol­le­gen aus Indien und einem Grie­chen. In ihrer Frei­zeit trifft sie sich aber gerne mit Men­schen, die nicht nur Vor­bei­zie­hende sind, son­dern seit Jah­ren in der Region leben. Wie die Fran­zö­sin, die bereits für ver­schie­dene Hilfs­werke im Ein­satz war und Land und Leute bestens kennt. Oder der Inge­nieur, eben­falls aus Europa ein­ge­wan­dert und heute einer der weni­gen Bau­un­ter­neh­mer in Nord-Kivu.

Zu ihren lieb­sten Freun­den gehört auch eine Gruppe von Grie­chin­nen und Grie­chen, die in den 1960er Jah­ren vor der Mili­tär­dik­ta­tur geflüch­tet sind und sich im Kongo eine neue Exi­stenz auf­ge­baut haben. Einst hat­ten sie nebst einer ortho­do­xen Kir­che sogar eine eigene Schule. Diese Zei­ten sind längst vor­bei – doch einige von ihnen sind bis heute geblieben.

Auch bei der Arbeit trifft die Dele­gierte der huma­ni­tä­ren Orga­ni­sa­tion Men­schen aus aller Welt. Wäh­rend die mei­sten ihrer direk­ten Mit­ar­bei­te­rIn­nen aus dem Kongo stam­men, kann sie bei den Sol­da­ten der UN-Frie­dens­trup­pen unter ande­rem ihr Nepali und Spa­nisch auf­fri­schen. Auf­gabe der mili­tä­ri­schen und huma­ni­tä­ren Hel­fe­rin­nen und Hel­fer ist es, die Situa­tion für die Men­schen in die­sem vom Rest der Welt kaum wahr­ge­nom­me­nen Kon­flikt zu ver­bes­sern. Unter schwie­ri­gen Bedin­gun­gen, und allzu oft auch mit frag­wür­di­gen Metho­den. Die inter­na­tio­nale Nah­rungs­mit­tel­hilfe für die Ver­trie­be­nen, zum Bei­spiel, habe dazu geführt, sagt meine Freun­din, dass in einer der frucht­bar­sten Regio­nen der Welt kaum mehr Lebens­mit­tel ange­baut würden.

Wäh­rend wir über den Para­de­platz Rich­tung Bel­le­vue schlen­dern, erwähnt sie schliess­lich noch die mas­si­ven Bud­get­kür­zun­gen, die sie als Lei­te­rin des Büros in Beni in den näch­sten Mona­ten umset­zen muss. Die Spar­mass­nah­men, die von der Zen­trale gefor­dert wer­den, haben zur Folge, dass ganze Pro­jekte auf­ge­ge­ben wer­den müs­sen, bei ande­ren wird keine kon­ti­nu­ier­li­che Betreu­ung mehr mög­lich sein.

Abschiedsgeschenk

Ein neues Jahr, ein neuer Job. Beat Waber, bis Ende 2011 Lei­ter der Bun­des­haus­re­dak­tion der NZZ, ist neu Stabs­mit­ar­bei­ter im Bun­des­amt für Berufs­bil­dung und Tech­no­lo­gie. Ein wei­te­rer Kol­lege, der sei­nen Jour­na­li­sten­be­ruf an den Nagel hängt und damit die Seite wech­selt. Nicht ohne Neid meint ein Noch-Zei­tungs­re­dak­tor: «Dort wird er bestimmt ein Mehr­fa­ches sei­nes bis­he­ri­gen Salärs kassieren.» 

Auch wenn es viel­leicht nicht gerade das Mehr­fa­che ist, steht fest, dass ein Stabs­mit­ar­bei­ter in der Ver­wal­tung deut­lich mehr ver­dient, als ein NZZ-Redak­tor. In weni­gen Beru­fen klaf­fen Anfor­de­rungs­pro­fil und Ent­löh­nung der­mas­sen aus­ein­an­der, wie im Journalismus.

Doch dies ist nicht der ein­zige Grund, wes­halb sich immer mehr und gerade die guten Leute aus die­sem Métier ver­ab­schie­den. Die Nischen, in denen fun­dierte jour­na­li­sti­sche Arbeit gefragt, ja über­haupt noch mög­lich ist, wer­den immer enger. Das hat struk­tu­relle Gründe, aber nicht nur.

Just in jener Aus­gabe der NZZ, in der sein Abgang ange­kün­digt und seine bis­he­rige Arbeit ver­dankt wer­den, hat uns Beat Waber eine glas­klare Ana­lyse der aktu­el­len Medien-Misere gelie­fert – man kann davon aus­ge­hen, dass das kein Zufall ist.

In sei­nem Arti­kel «Die ‚vierte Gewalt’ und ihre Schwä­chen» zeigt er auf, wie sehr sich die Medien hier­zu­lande von Inter­es­sen­ver­tre­tern mani­pu­lie­ren las­sen und wes­halb «Spar­druck und das Kräfte-Ungleich­ge­wicht zwi­schen Pro­pa­ganda auf der einen und Fast-Food-Jour­na­lis­mus auf der ande­ren Seite» nicht alles erklä­ren: «Selbst­kri­tisch muss man zuge­ben, dass die Medien ihre Stel­lung auch sel­ber schwä­chen. (…) Es gibt viel ober­fläch­li­che Bes­ser­wis­se­rei, aber einen ekla­tan­ten Man­gel an qua­li­fi­zier­tem Hinterfragen.»

Mit sel­ten gele­se­ner Offen­heit the­ma­ti­siert der schei­dende Bun­des­haus­re­dak­tor das Ver­hält­nis zwi­schen Poli­ti­ke­rIn­nen und Medien und wirft Letz­te­ren vor, dass sie sich allzu leicht instru­men­ta­li­sie­ren las­sen: «Der Man­gel an Kon­ti­nui­tät und Tie­fen­schärfe in der Recher­ché und an geleb­ter Unab­hän­gig­keit liegt nicht nur an feh­len­den Res­sour­cen, son­dern hat auch mit Bequem­lich­keit zu tun.»

Hef­tig kri­ti­siert er die dar­aus resul­tie­rende Hal­tung vie­ler Jour­na­li­stIn­nen: «Die offene Gesell­schaft erfor­dert auch Offen­heit im jour­na­li­sti­schen Zugang, ein Den­ken in Optio­nen statt Ideo­lo­gien, Skep­sis gegen­über jedem abso­lu­ten Wahr­heits­an­spruch. Die Funk­tion des kri­ti­schen Beob­ach­ters ver­trägt keine Kum­pa­nei und schon gar keine Ver­mi­schung mit der Rolle des poli­ti­schen (oder auch wirt­schaft­li­chen) Akteurs.»

Beim Schrei­ben die­ser Zei­len muss Beat Waber auch – viel­leicht sogar ins­be­son­dere – an seine eige­nen Vor­ge­setz­ten gedacht haben. Bekannt­lich ver­such­ten sich sowohl NZZ-Chef­re­dak­tor Mar­kus Spill­mann wie Inland­chef René Zel­ler in den letz­ten Mona­ten als Steig­bü­gel­hal­ter von SVP-Expo­nen­ten. Zum Glück mit mehr Eifer als Erfolg.

Mar­kus Häf­li­ger, der neue NZZ-Redak­ti­ons­lei­ter im Bun­des­haus, hat sich mit ähn­li­chem par­tei­po­li­ti­schem Eifer in sei­nen bis­he­ri­gen Arti­keln für den Job emp­foh­len. Mit ihm dürfte die Inland­be­richt­erstat­tung der neuen Zür­cher Zei­tung wei­ter von der, vom Ex-NZZ-Redak­tor Beat Waber gefor­der­ten, jour­na­li­sti­schen Unab­hän­gig­keit in die Polit­pro­pa­ganda abdriften.

Stinklangweilig

Ein Wahl­vor­mit­tag, der Mut macht: Die über­wie­gende Mehr­heit der Par­la­men­ta­rie­rIn­nen hat sich an ihre im Vor­feld bekannt gege­be­nen Über­le­gun­gen und Stra­te­gien gehal­ten und durch ihr ein­deu­ti­ges Abstim­mungs­ver­hal­ten Ruhe und Klar­heit geschaf­fen. Für ein­mal statt Ränke- und Macht­spiel­chen poli­ti­sches Ver­hal­ten, wie ich es mir von mei­nen Volks­ver­tre­te­rIn­nen eigent­lich immer schon wünschte. Auf das ich aber kaum noch zu hof­fen wagte. 

Ein Desa­ster hin­ge­gen war die Bun­des­rats­wahl 2011 für die Medien. Zumin­dest für all jene, die nicht mehr unter­schei­den kön­nen zwi­schen Unter­hal­tung und Infor­ma­tion. Für sie ist der Span­nungs­ge­halt eines Fuss­ball­spiels oder eines Tat­ort­kri­mis das Mass aller Dinge. „Stink­lang­wei­lig“, lau­tete in die­ser Logik fol­ge­rich­tig das ver­nich­tende Fazit der Prä­si­den­tin der Bun­des­haus­jour­na­li­stIn­nen zur aktu­el­len Wahl.

Da nützte es auch nichts, dass die Mode­ra­to­rIn­nen des deutsch­schwei­zer Fern­se­hens durch pene­tran­tes Her­bei­re­den die ach so wohl­tu­end feh­lende Span­nung doch noch zu erzeu­gen ver­such­ten. Fast hät­ten sie einem leid tun kön­nen, wie sie ver­zwei­felt ver­such­ten, die Sen­de­zeit über die Run­den zu brin­gen. – Als ihnen trotz aller Bemü­hun­gen keine neuen Fra­gen poli­ti­schen Inhalts mehr ein­fie­len und sie die alten zur Genüge wie­der­holt hat­ten, wech­selte man in der Not vom Kri­mi­nal- ins Regen­bo­gen­genre und debat­tierte ein­ge­hend über ein so zen­tra­les Thema wie das Krawattentragen.

Nun rächte sich, dass sich die Bun­des­haus­jour­na­li­stIn­nen in den letz­ten Jah­ren zu sehr daran gewöhnt hat­ten, dass Bun­des­rats­wah­len als wilde Räu­ber­ge­schich­ten daher­ka­men, für wel­che die Akteure das Dreh­buch auch gleich sel­ber schrie­ben. Und sie – die Jour­na­li­stIn­nen – das Ganze nur abzu­bil­den brauchten.

Mikro­fon hin­hal­ten und Kamera drauf. Platt­for­men bie­ten für Poli­ti­ker­ver­laut­ba­run­gen, darin erschöpfte sich bereits im Vor­feld der Natio­nal­rats- und Stän­de­rats­wah­len ein Gross­teil der Medi­en­ar­beit. Nicht nur bei der SRG, die ihr gut dotier­tes Wahl­bud­get für eine Wer­be­sause auf dem Bun­des­platz und in eige­ner Sache ein­setzte, statt in Recherchen.

Für die Bun­des­rats­wah­len wurde das Ganze zusätz­lich gar­niert mit immer neuen Spe­ku­la­tio­nen und Sand­ka­sten­spiel­chen dar­über, wer even­tu­ell mit wem wel­che Päck­chen schnü­ren könnte. Bis zum Über­druss hat man mög­li­che und unmög­li­che Sze­na­rien her­bei­ge­schrie­ben und ‑gere­det. Nur recher­chiert hat (fast) kei­ner. Wie sonst ist zu erklä­ren, dass Herr Zup­pi­gers unrühm­li­che Ver­gan­gen­heit erst letzte Woche und nur von der Welt­wo­che auf­ge­grif­fen wurde?

Hef­tig wurde im Nach­hin­ein dar­über spe­ku­liert, warum gerade die Welt­wo­che diese Geschichte gebracht habe und wel­che stra­te­gi­schen Über­le­gun­gen zum plötz­li­chen Fall des Hin­wi­ler Möch­te­gern-Bun­des­rats geführt haben mögen.

Viel beun­ru­hi­gen­der finde ich jedoch die Frage, wes­halb nur die Welt­wo­che und kein ande­res Medium, kein ein­zi­ger ande­rer Jour­na­list im Umfeld der nomi­nier­ten Kan­di­da­tIn­nen recher­chiert und Ver­feh­lun­gen, wie sie Bruno Zup­pi­gers Bio­gra­fie zie­ren, an die Öffent­lich­keit gebracht hat. Nota­bene bereits vor den eid­ge­nös­si­schen Natio­nal- und Ständeratswahlen.

Die Schande von Bern

Der korea­ni­sche Gast­pia­nist hatte uns für sein Kon­zert mit dem Ber­ner Sym­pho­nie­or­che­ster in die Haupt­stadt ein­ge­la­den. Ein will­kom­me­ner Anlass, sich end­lich wie­der ein­mal ins Nacht­le­ben mei­ner alten Liebe Bern zu stürzen. 

Kon­zert­be­ginn um halb acht. Nach län­ge­rer Dis­kus­sion erhalte ich an der Casino-Kasse sogar die ver­meint­lich hin­ter­leg­ten Tickets. Sie sind der Grund für den ersten Dämp­fer, an die­sem Abend: Die Gale­rie­plätze erlau­ben nur einen beschränk­ten Blick auf unse­ren Freund. Eigent­lich war ich davon aus­ge­gan­gen, dass die Gäste des Solo­künst­lers in die Gunst von eini­ger­mas­sen guten Plät­zen kom­men würden.

Schwamm drü­ber, einem geschenk­ten Gaul schaut man nicht ins Maul. Und so über­höre ich die trockene Bemer­kung mei­nes Beglei­ters, als er in der Pause meint, schon aus aku­sti­schen Grün­den hät­ten wir bes­ser Geld in die Hand genom­men und uns einen Platz im Par­kett geleistet.

Dort wären wir aber den erheb­li­chen Into­na­ti­ons­pro­ble­men der Horn­frak­tion noch direk­ter aus­ge­setzt gewe­sen. Die Miss­klänge sind so deut­lich zu hören, dass ich die unver­meid­li­che Bemer­kung mei­nes Beglei­ters – dies­mal mur­melt er etwas über das Ber­ner Publi­kum, das halt die Qua­li­tät des Ton­halle Orche­sters nicht kenne – beim besten Wil­len nicht ein­fach als Zür­cher Arro­ganz abtun kann. Obschon ich das, in gewohn­ter Ber­ner Manier, allzu gerne tun würde.

Erst im Nach­hin­ein erfah­ren wir, dass die Kon­zert­ver­an­stal­ter mit Frei­bil­let­ten der­art geiz­ten, dass sogar die Agen­tin des Soli­sten ihren Ein­tritt sel­ber hat berap­pen müs­sen. Unsere Plätze musste der Pia­nist aus dem eige­nen Sack bezah­len. Lei­der ver­gass er, die Tickets wie ver­ein­bart zu hin­ter­le­gen. Mit ande­ren Wor­ten: Nicht ein­mal die Gale­rie­plätze, die man uns schliess­lich zuge­wie­sen hat, wären ihm als Frei­bil­lette zugestanden…

Doch zurück zu besag­tem Abend: Sobald der letzte Applaus ver­klun­gen ist, freuen wir uns auf eine kuli­na­ri­sche Fort­set­zung des Genies­sens und steu­ern mit geziel­tem Schritt Rich­tung Fal­ken. Ein Blick durchs Fen­ster lässt mein Herz höher schla­gen: Ein freier Tisch – und das, an einem Frei­tag­abend! Kaum ste­hen wir im Tür­rah­men, kom­pli­men­tiert uns jedoch das Kopf­schüt­teln des Kell­ners wie­der hin­aus: Es ist gerade mal zwan­zig vor Zehn – aber zu Essen gibt’s hier nichts mehr.

Ich kann’s nicht fas­sen – frü­her war das anders. Oder erliege ich nost­al­gi­scher Ver­klä­rung? Zum Glück gibt es noch andere Bei­zen in Bern. Nur ein paar Meter wei­ter das gemüt­li­che Metz­ger­st­übli. Ein Zet­tel an der Tür lässt uns wis­sen: Kein Platz. Auch um die Ecke, im Rats­kel­ler, herrscht reger Betrieb. Gefühlte zehn Minu­ten ste­hen wir im Ein­gang und schauen dem Trei­ben zu. Man bedeu­tet uns zwar, dass die Küche noch arbeite, doch die Kell­ne­rin macht einen der­art erschla­ge­nen Ein­druck, dass wir uns ihrer schliess­lich erbar­men und das Weite suchen.

Mein ein­sti­ges Lieb­lings­re­stau­rant Land­haus ist seit Ewig­kei­ten «wegen Reno­va­tion vor­über­ge­hend geschlos­sen», also heis­sen die näch­sten Trümpfe Krone und Webern. Beide Lokale ver­kö­sti­gen an die­sem schick­sal­haf­ten Abend pri­vate Gesell­schaf­ten, was mei­nen Beglei­ter dazu ver­an­lasst, über die Selbst­ge­rech­tig­keit der Ber­ner zu schnö­den, denen Gäste von aus­wärts nur lästig seien. «Com­merce» sage ich – aber auch dort ein Zet­tel. Lang­sam ver­geht mir der Appetit.

Ins Lorenz­ini wol­len wir nicht, Bin­della haben wir in Zürich mehr als genug. Am Weg liegt noch der Gol­dene Schlüs­sel. Mitt­ler­weile ist zehn Uhr vor­bei, wes­halb uns die anson­sten sehr freund­li­chen Kell­ner im geräu­mi­gen Lokal vor lau­ter Auf­räu­men gar nicht beach­ten. – Was schliess­lich bleibt, ist der Halb­elf-Uhr-Zug nach Zürich, Erschüt­te­rung über mein Bern, das mich so im Stich gelas­sen hat – und ohni Z’nacht ins Bett.

Die Giergesellschaft

Die­ses Jahr dürfte Weih­nach­ten für die Kin­der gut betuch­ter Fami­lien in der Schweiz beson­ders üppig aus­fal­len: Nebst Ver­mö­gens­wer­ten von unbe­kann­tem Aus­mass, sol­len für den lie­ben Nach­wuchs vor allem Vil­len und Feri­en­häu­ser gleich rei­hen­weise unter dem Christ­baum liegen. 

Seit Wochen bekla­gen sich Ämter, sowie Advo­ka­tur- und Nota­ri­ats­bü­ros in ein­schlä­gi­gen Regio­nen mit hoher Mil­lio­närs-Dichte dar­über, dass sie dem Ansturm von ver­schrei­bungs­wil­li­gen Kli­en­ten kaum gewach­sen sind.

Der Grund für die plötz­li­che Schen­k­lust der Rei­chen: Momen­tan wer­den Unter­schrif­ten für die Ein­füh­rung einer natio­na­len Erb­schafts- und Schen­kungs­steuer gesam­melt. Bei Annahme der Initia­tive erhebt der Bund der­einst auf allen Nach­läs­sen ab 2 Mil­lio­nen Fran­ken eine Erb­schafts­steuer von 20 Pro­zent. Weil die Steuer bei Schen­kun­gen rück­wir­kend ab dem 1. Januar 2012 fäl­lig würde, wol­len nun viele ihr Ver­mö­gen bis Ende Jahr an die Jung­mann­schaft über­schrei­ben, um so die Steuer zu umgehen.

Haben sie schon Mil­lio­nen und Mil­lio­nen und Mil­lio­nen, klaun sie noch zehn Pfen­nig am Klo­sett“, zitiert die WOZ Georg Kreis­ler selig, und rech­net vor, dass laut Schwei­zer Ver­mö­gens­sta­ti­stik die Mul­ti­mil­lio­nä­rIn­nen in der Schweiz, die zwei und mehr Mil­lio­nen Fran­ken besit­zen, ihr Ver­mö­gen allein von 2003 bis 2008 um 40 Pro­zent auf ins­ge­samt 575 Mil­li­ar­den Fran­ken ver­mehrt haben.

Ein Gross­teil die­ser Ver­mö­gens­werte stammt bereits aus steu­er­freien Erb­schaf­ten und dar­aus resul­tie­ren­den Kapi­tal­ge­win­nen. – Wer hat, dem wird gege­ben – nir­gends bestä­tigt sich das alte Sprich­wort so ein­deu­tig, wie wenn es ums Erben geht.

Viele die haben, fin­den das auch gut so. Sie schrei­ben von Abzocke­rei oder Neid­kul­tur, wenn es um die Erb­schafts­steuer geht. Völ­lig absurd ist die Behaup­tung von NZZ-Gast­ko­lum­nist René Scheu, man habe es hier mit einer bri­san­ten fis­kal­po­li­ti­schen Kon­stel­la­tion zu tun: „Eine Mehr­heit der von der Initia­tive nicht tan­gier­ten Steu­er­zah­ler bestimmt über eine Min­der­heit von Steu­er­zah­lern, indem sie diese gross­zü­gig zur Kasse bit­tet.“ Scheu sei­ner­seits akzep­tiert den Staat bloss als Beschüt­zer von Eigen­tum, nicht aber als Garant für sozia­len Aus­gleich und mehr Gerechtigkeit.

Eine Ent­wick­lung zurück zum Feu­dal­staat, die in den letz­ten Jah­ren ver­stärkt zu beob­ach­ten ist: Noch und noch wer­den Gesetze, Abkom­men und Ver­ein­ba­run­gen zugun­sten der Rei­chen und Reich­sten revi­diert – dazu gehört unter ande­rem auch die Abschaf­fung der Erb­schafts­steu­ern in den mei­sten Kan­to­nen. Eine Wie­der­ein­füh­rung auf natio­na­ler Ebene, mit der unter ande­rem die AHV gestützt wer­den könnte, hat nichts mit Neid zu tun, son­dern ist ein drin­gen­des Gebot der Stunde.

Es gibt übri­gens auch „tan­gierte Steu­er­zah­ler“, die das so sehen. So wie sich jüngst in den USA Mil­lio­näre dafür ein­set­zen, dass ihres­glei­chen mar­kant höhere Steu­ern bezah­len, um den Staat zu ret­ten, gibt es auch in der Schweiz rei­che Men­schen mit Herz und Ver­stand. So erhielt ein Finanz­be­ra­ter auf die Frage, was sein Kli­ent erb­tech­nisch auf Ende Jahr zu tun gedenke, die glas­klare Ant­wort: „Es gibt keine Steuer, die sozial so gerecht­fer­tigt ist, wie die Erb­schafts­steuer – des­halb werde ich nichts unter­neh­men, um sie zu umgehen.“

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