Ruchama Marton: Eine Stimme aus Israel gegen Hass und Rache

20 Jahre ist es her, seit wir für unse­ren Doku­men­tar­film «1000 Frauen und ein Traum»* die mobile Poli­kli­nik der «Ärzt:innen für Men­schen­rechte Israel» bei einem Ein­satz im West­jor­dan­land und im Negev beglei­ten konn­ten. Wir por­trä­tier­ten damals die israe­li­sche Psych­ia­te­rin Ruch­ama Mar­ton, die sich seit ihrem Mili­tär­dienst in den 1950er Jah­ren bis heute gegen die israe­li­schen Herr­schafts­an­sprü­che und für ein gleich­be­rech­tig­tes Zusam­men­le­ben aller Men­schen zwi­schen Jor­dan und Mit­tel­meer enga­giert. Ange­sichts der man­gel­haf­ten Gesund­heits­ver­sor­gung in den besetz­ten Gebie­ten grün­dete sie 1988 die Orga­ni­sa­tion Phy­si­ci­ans for Human Rights Israel (PHR‑I).

Gemischte Teams von jüdi­schen und ara­bi­schen Gesund­heits­fach­leu­ten set­zen sich seit­her mit regel­mäs­si­gen Sprech­stun­den vor Ort dafür ein, dass kranke Men­schen unab­hän­gig von Reli­gion und Her­kunft medi­zi­ni­sche Hilfe erhal­ten. PHR‑I wur­den für ihr Enga­ge­ment wie­der­holt aus­ge­zeich­net, 2010 unter ande­rem mit dem alter­na­ti­ven Nobel­preis für ihren «unbeug­sa­men Ein­satz für das Recht auf Gesund­heit für alle Men­schen in Israel und Palästina».

Schon 2004, anläss­lich unse­rer Dreh­ar­bei­ten, übte Dr. Ruch­ama Mar­ton scharfe Kri­tik an der israe­li­schen Sepa­rie­rungs-Poli­tik, die durch den Mau­er­bau damals im wahr­sten Sinn des Wor­tes beto­niert wurde: «Gegen diese Tren­nung gibt es nur eines: Man muss die Grenze immer wie­der über­schrei­ten, man muss den Men­schen jen­seits der Grenze begeg­nen, auf per­sön­li­cher, pro­fes­sio­nel­ler und auf poli­ti­scher Ebene.»

An die­sem Credo hält die mitt­ler­weile 86-jäh­rige Ärz­tin immer noch fest. Sie gehört in Israel zu einer ver­schwin­dend klei­nen Min­der­heit, die sich wei­ter­hin für Gleich­be­rech­ti­gung und Men­schen­rechte in Israel und Palä­stina ein­setzt. Ihre Ana­lyse der aktu­el­len Situa­tion anläss­lich unse­res Tele­fon-Inter­views vom 7. Februar 2024 will sie als Auf­ruf an die Welt und spe­zi­ell an uns Men­schen in Europa und in den USA ver­stan­den wissen.

«Ja, ich will ein ande­res Israel. 
Mich des­we­gen
des Anti­se­mi­tis­mus
zu bezich­ti­gen, ist absurd.»


Original-Interview mit Ruchama Marton 
(übersetzt aus dem Englischen – English version HERE)

Vor 20 Jah­ren haben wir Sie mit der mobi­len PHR-Kli­nik ins West­jor­dan­land beglei­tet. Schon damals lit­ten die Men­schen dort enorm unter dem israe­li­schen Besat­zungs­re­gime. Wie erle­ben Sie die Situa­tion heute? 

Es ist so schlimm, wie es nur sein kann. Man kann die Situa­tion vor 20 Jah­ren nicht mit dem ver­glei­chen, was jetzt inner­halb der israe­li­schen Gesell­schaft sowie zwi­schen Israe­lis und Palästinenser:innen geschieht. In prak­tisch allen Berei­chen in Israel hat der rechte Flü­gel gewon­nen: Im öffent­li­chen Leben wie in der Regie­rung. Das gilt auch für das reli­giöse Den­ken, das sich auf einer fast pri­mi­ti­ven Stufe bewegt. Es ist von Hass und Ver­gel­tungs­stre­ben geprägt. Seit dem 7. Okto­ber 2023 ist der Wunsch nach Rache das vor­herr­schende Gefühl in der israe­lisch-zio­ni­sti­schen Öffent­lich­keit und Regierung.

Sind sich denn Bevöl­ke­rung und Regie­rung in die­ser Sache so einig? Letz­tes Jahr pro­te­stier­ten Tau­sende in Israel gegen die Rechts­aus­sen-Regie­rung und deren geplante Justiz­re­form. Was ist aus die­ser Bewe­gung geworden? 

Ich bin zu kei­ner die­ser Demon­stra­tio­nen gegen die Regie­rung gegan­gen, weil bei die­sen Pro­te­sten weder die Beset­zung noch die Apart­heids­po­li­tik oder die schreck­li­chen Dinge, die Israel den Men­schen im Gaza­strei­fen und in der West­bank antut, ein Thema waren. Ich habe die­ser Bewe­gung nicht getraut – und behielt lei­der recht: Nach dem 7. Okto­ber mel­de­ten sich viele Leute, die zuvor auf die Strasse gegan­gen sind, bei der Armee und woll­ten Palä­sti­nen­ser töten. Rache ist seit­her das Haupt­thema. Dies zeigt, wie tief die anti-palä­sti­nen­si­schen Gefühle in unse­rer Gesell­schaft ver­an­kert sind.

Trotz­dem zeigt eine Umfrage des Israel Demo­cracy Insti­tute, dass eine Mehr­heit der Bevöl­ke­rung inzwi­schen als wich­tig­stes Ziel des Krie­ges nicht die Ver­nich­tung der Palästinenser:innen, son­dern die Ret­tung der Gei­seln bezeichnet.

Das küm­mert die israe­li­sche Regie­rung kei­nen Deut. Wir ken­nen das aus der Ver­gan­gen­heit. Vor 20 Jah­ren schon schrieb ich der dama­li­gen israe­li­schen Regie­rung im Zusam­men­hang mit einem Gefan­ge­nen­aus­tausch einen Brief, in dem ich vor­ge­schla­gen habe: Bitte lasst alle palä­sti­nen­si­schen Gefan­ge­nen in Israel frei. Lasst sie eine heisse Dusche neh­men, gebt ihnen neue Klei­der und ein Päck­chen mit Süs­sig­kei­ten und Kin­der­spiel­zeug mit auf den Weg. Setzt sie in die besten Busse, die wir haben und bringt sie auf respekt­volle Weise zurück in den Gaza­strei­fen und in die West­bank. Ohne For­de­rung nach Gegen­lei­stun­gen. – Ein sol­cher uner­war­te­ter Schach­zug wäre ein ‘Game Chan­ger’ und könnte die Bezie­hun­gen zwi­schen Israel und den Palästinenser:innen ent­schei­dend ver­än­dern, davon bin ich auch heute über­zeugt. Aber es wird nicht gesche­hen. Die aktu­elle israe­li­sche Regie­rung ist bereit, das Leben aller Gefan­ge­nen zu opfern und schert sich einen Dreck um deren Schicksal.

Ver­sa­gen der Menschenrechtsorganisationen 

Sie enga­gie­ren sich seit Jah­ren für das Ende der Besat­zung und ein gleich­be­rech­tig­tes Zusam­men­le­ben. Was bedeu­tet die aktu­elle Stim­mung im Land für ihren Lebensalltag?

Viele soge­nannte Freunde aus der Ver­gan­gen­heit… – wir reden nicht mehr mit­ein­an­der. Für sie bin ich eine Ver­rä­te­rin. In ihren Augen bin ich fast so schlimm wie die Palä­sti­nen­ser in Gaza. Das ist bit­ter und trau­rig. In Israel gibt es noch ein paar wenige Freunde und Freun­din­nen, die so den­ken wie ich. Wir sind aber keine Gruppe – ein paar Indi­vi­duen hier und dort. Wie zum Bei­spiel Nurit Peled-Elhanan**. Sie ist ein der ganz Weni­gen. Eine mutige Frau, die klar denkt und vor nie­man­dem Angst hat. 

Wie geht die von Ihnen gegrün­dete und wäh­rend lan­gen Jah­ren gelei­tete Orga­ni­sa­tion PHR‑I mit die­ser Situa­tion um? 

Sie arbei­ten sehr hart, aber – wenn Sie mich fra­gen – nicht in die rich­tige Rich­tung. Sie lei­sten wun­der­bare phil­an­thro­pi­sche Arbeit, küm­mern sich um Ver­wun­dete und Kranke. Sie ver­su­chen, das Beste zu tun, um gut zu sein. Aber auf der poli­ti­schen Ebene sind sie prak­tisch nicht mehr aktiv. Ich hätte gerne gese­hen, dass PHR‑I und auch die ande­ren Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen in Israel sich laut und deut­lich für den Pro­zess vor dem Inter­na­tio­na­len Straf­ge­richts­hof in Den Haag aus­ge­spro­chen hät­ten. Das ist aber nicht geschehen.

Was sind die Gründe? Hat man Angst vor Repres­sio­nen, oder wer­den ihre Stim­men ein­fach unterdrückt?

Das ist schwer zu sagen. Ich denke, Angst ist der Haupt­grund. Sie wol­len nicht von der soge­nann­ten Mitte der Gesell­schaft abge­schnit­ten wer­den. Ganz aus­ser­halb zu funk­tio­nie­ren, ist schwie­rig. Aber auch die Mitte ist heute extre­mi­sti­scher gewor­den. Die Rechte domi­niert die öffent­li­che Stimmung.

In den ersten 10 Jah­ren stellte sich PHR‑I kämp­fe­risch und laut­stark gegen alles, was in unse­ren Augen unge­recht war. Diese Stim­men wur­den zum Schwei­gen gebracht. Heute übt keine Orga­ni­sa­tion mehr öffent­lich Kri­tik. Viel­leicht den­ken deren Vertreter:innen im Stil­len dar­über nach – sie sind aber nicht dazu bereit, Dinge offen, mutig und klar zu for­mu­lie­ren. Genau das wäre aber die Auf­gabe der Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen. Weil das nicht geschieht, habe ich keine poli­ti­sche Hei­mat mehr. Ich sehe im Moment keine Mög­lich­kei­ten, den Geist des Wider­stands von damals in die Tat umzusetzen.

Ruf nach Boy­kott und Sanktionen

Trotz­dem: Je län­ger der Krieg dau­ert, desto mehr lei­det auch die Bevöl­ke­rung in Israel unter der Situa­tion. Führt das über kurz oder lang nicht zu einem Umdenken?

Nein, ich glaube nicht, dass es in naher Zukunft dazu kom­men wird. Es sei denn, wir bekom­men Hilfe von Grup­pen aus­ser­halb Isra­els, oder der Pro­zess in Den Haag geht wei­ter und die israe­li­sche Füh­rung kas­siert eine harte Strafe. Ohne eine sol­che Sank­tion sehe ich keine Per­spek­tive für eine andere Zukunft.

Ein mög­li­cher Aus­weg wäre eine wirt­schaft­li­che Strafe, wie in den Tagen, als die Welt sich mit einem Boy­kott gegen die Apart­heid in Süd­afrika stellte. Wenn das Glei­che im Fall von Israel mög­lich wäre, ja – dann, und nur dann wäre eine Ver­än­de­rung möglich.

Sie sind seit 2017 Mit­glied der inter­na­tio­na­len Kam­pa­gne «Boy­kott, Des­in­ve­sti­tio­nen und Sank­tio­nen» BDS, die genau dies zum Ziel hat. West­li­che Politiker:innen und Medien bezich­ti­gen BDS jedoch des Antisemitismus… 

«Anti­se­mi­tis­mus» ist ein Slo­gan, mit dem man gerne um sich schlägt, statt nach­zu­den­ken und hin­zu­se­hen, was wirk­lich geschieht. Ein Boy­kott ist der Weg, um Israel vor sich selbst zu ret­ten. Das hat mit Anti­se­mi­tis­mus nichts zu tun. Sonst wäre auch ich anti­se­mi­tisch. Ja, ich will ein ande­res Israel. Mich des­we­gen des Anti­se­mi­tis­mus zu bezich­ti­gen, ist absurd.

Der Westen unter­stützt die israe­li­sche Poli­tik und hält sich mit Kri­tik stark zurück – was hal­ten Sie davon und was sind ihre For­de­run­gen diesbezüglich?

Es braucht eine dra­sti­sche Umkehr in der Poli­tik des Westens. Als erstes soll­ten die USA und auch die Län­der Euro­pas auf­hö­ren, Mil­lio­nen von Dol­lars und Waf­fen nach Israel zu schicken. Sie sind der Treib­stoff, der diese Maschi­ne­rie des Has­ses und der Rache antreibt. Wenn die­ser Hahn zuge­dreht wird, funk­tio­niert die Maschine nicht mehr.

Kon­takt zu Palästinenser:innen

Pfle­gen Sie noch Kon­takte zu ihren Partner:innen und Freund:innen in den besetz­ten Gebie­ten? Was hören Sie von ihnen? Wie geht es ihnen?

Viele mei­ner Freun­din­nen und Freunde in Gaza gibt es nicht mehr. Sie und ihre Fami­lien wur­den durch die israe­li­schen Bom­ben­an­griffe im Gaza­strei­fen getö­tet. Mit den Leu­ten in der West­bank bin ich per Tele­fon in Kon­takt. Wäh­rend die IDF jüdi­schen Ärz­tin­nen und Ärz­ten seit 2007 ver­bie­ten, nach Gaza zu fah­ren, habe ich die West­bank min­de­stens ein­mal pro Woche besucht. Jetzt fehlt mir die Ener­gie dazu. Ich schäme mich für das, was meine Regie­rung und meine Armee den Men­schen dort antut. Was soll ich ihnen sagen? Die Situa­tion ist sehr schmerz­haft – und ich kann ihnen keine Unter­stüt­zung bieten.

Gleich­zei­tig hat kei­ner mei­ner palä­sti­nen­si­schen Freun­din­nen und Freunde, die noch am Leben sind, die Bezie­hung abge­bro­chen. Ich finde das unglaub­lich. Sie spre­chen immer noch mit mir und heis­sen mich will­kom­men, wenn ich sie besu­che. Sie sind in tief­ster Ver­zweif­lung und glau­ben nicht mehr daran, dass irgend­wel­che orga­ni­sier­ten Aktio­nen ihre Situa­tion ver­bes­sern können.

Was mich im Moment beson­ders beschäf­tigt, sind die Bestre­bun­gen zur Ver­nich­tung der UNRWA. Wenn man ver­sucht, die­ses Vor­ha­ben zu ana­ly­sie­ren und her­aus­zu­fin­den, wel­cher Gedanke dahin­ter­steckt, kommt man zu einem kla­ren Ergeb­nis: Das Ziel unse­res Pre­mier­mi­ni­sters und sei­ner Regie­rung ist, mit der UNRWA auch die Erin­ne­rung an die Nabka aus­zu­lö­schen und so den Palästinenser:innen ihre Exi­stenz­be­rech­ti­gung abzu­spre­chen. Sie sagen ja auch laut und deut­lich, dass sie die Palä­sti­nen­ser töten und den Gaza-Strei­fen aus­ra­die­ren wollen.

Für mich ist und bleibt unver­ständ­lich, wie ein Volk, des­sen Geschichte von Ver­trei­bung und Geno­zid geprägt ist, sich so ver­hal­ten kann…

Das ist sehr trau­rig, aber ein­fach zu ver­ste­hen: Sie sind gute Schü­ler von her­vor­ra­gen­den Leh­rern. Statt zu wider­spre­chen, kopie­ren sie. Sie ken­nen keine innere Scham, die sie davon abhal­ten würde, so zu den­ken und zu han­deln. Sie ahmen das Den­ken und Han­deln der Natio­nal­so­zia­li­sten in Deutsch­land nach. Ich zögere nicht, die Taten des schreck­li­chen Nazi­re­gimes mit dem zu ver­glei­chen, was die israe­li­sche Regie­rung und Öffent­lich­keit heute fühlt und tut.

Sie erzäh­len mir das jetzt hier am Tele­fon. Wenn Sie das in Israel aus­spre­chen wür­den, wäre das nicht gefähr­lich für Sie?

Ja, das ist es. Trotz­dem sage ich es. Ich spre­che zur Welt. Ich will, dass die Welt diese Worte hört und zu ver­ste­hen ver­sucht, wie gefähr­lich und häss­lich diese Art des Den­kens und des Han­delns ist.

Die Men­schen im Gaza­strei­fen ster­ben an Hun­ger, Trink­was­ser­man­gel und feh­len­der medi­zi­ni­scher Ver­sor­gung. Sie haben keine Häu­ser mehr. Wie lange kön­nen sie so wei­ter lei­den? Die Men­schen im Westen, vor allem in Europa und hof­fent­lich auch in den USA, müs­sen begrei­fen, was für eine Kata­stro­phe hier vor sich geht. Und sie stop­pen. Sofort! Indem der israe­li­schen Regie­rung der Hahn zuge­dreht wird, und man das israe­li­sche Ver­hal­ten mit Boy­kot­ten jeg­li­cher Art sanktioniert.

Auch wenn man mich des­halb des Ver­rats bezich­tigt: Es ist der ein­zige mora­li­sche Weg, der heute noch offen ist, um den Teu­fels­kreis der Gewalt zu brechen.

Viel­leicht wer­den die heu­ti­gen Ver­rä­ter der­einst zu Hel­den und Hel­din­nen – aber erst in einer ande­ren Zukunft, von der ich nicht glaube, dass ich sie noch erle­ben werde.

©Gabriela Neu­haus, 2024

* «1000 Frauen und ein Traum», Off­road Reports GmbH (2005)

** Die Frie­dens­ak­ti­vi­stin und Erzie­hungs­wis­sen­schaft­le­rin Nurit Peled-Elhanan enga­giert sich seit Jah­ren gegen die israe­li­sche Unter­drückungs­po­li­tik. Im Novem­ber 2023 wurde sie wegen eines Zitats im Grup­pen-Chat des Hoch­schul­kol­le­gi­ums von der Hebräi­schen Uni­ver­si­tät in Jeru­sa­lem entlassen.

*** IDF – Israeli Defence Forces


© Off­road Reports GmbH

Ruch­ama Mar­ton, 2004 mit der mobi­len PHR-Kli­nik in der Westbank. 

Paris macht’s vor

Die Inter­na­tio­nale Ener­gie­agen­tur IEA for­dert drin­gend Mass­nah­men gegen die wach­sende Ver­brei­tung der Sport Uti­lity Vehic­les, abge­kürzt SUV. Auf deutsch nennt man sie etwas pro­fa­ner Gelän­de­wa­gen. Man braucht sie zum Bei­spiel, um Kin­der von der Schule abzu­ho­len und ins Eis­hockey-Trai­ning zu fah­ren. Oft als Zweit­wa­gen für Gut­be­tuchte in Vor­or­ten. Lon­don nennt sie Chel­sea Trac­tors und in Zürich heis­sen sie Züriberg-Panzer.

Trotz aller Nach­hal­tig­keits­dis­kus­sio­nen im Auto­mo­bil­sek­tor ist mitt­ler­weile jeder zweite in Europa ver­kaufte Neu­wa­gen ein SUV. Auch in der Schweiz lei­sten sich Käu­fe­rin­nen und Käu­fer immer öfter ein Sta­tus­sym­bol mit Vier­rad­an­trieb. Lie­ber ein biss­chen zu gross als zu klein. Man weiss ja nie. Wenn es knallt, kann etwas mehr Knautsch­zone nicht schaden.

Der ZAHW-For­scher für nach­hal­tige Ener­gie­sy­steme Jochen Mar­kard stellt im Zusam­men­hang mit die­ser SUV-Mode ein «poli­ti­sches Ver­sa­gen» fest. Bedau­er­li­cher­weise sei die­ser Trend nicht zu brem­sen, wie er in einer kürz­lich ver­öf­fent­lich­ten Stu­die ausführt.

Wirk­lich nicht? – Allen Wider­stän­den und Pro­te­sten zum Trotz, macht die Bür­ger­mei­ste­rin von Paris einen ersten Schritt um die SUVs aus der Agglo fern­zu­hal­ten: Künf­tig müs­sen dort aus­wär­tige Gelän­de­wa­gen fürs Par­kie­ren den drei­fa­chen Preis bezah­len. Statt 6 kostet ein Park­platz neu 18 Euro die Stunde. Für sechs Stun­den Par­ken im Zen­trum zahlt man dem­nach statt wie bis­her 75 Euro deren 225.—.

Die schwe­ren Karos­sen ver­ur­sa­chen mehr Umwelt­ver­schmut­zung und bean­spru­chen zuviel Platz – dies die Begrün­dung für die höhe­ren Kosten. Das ist nichts ande­res als Preis­be­rech­nung nach dem Ver­ur­sa­cher­prin­zip, in einer Stadt, wo 60 Pro­zent der Bewohner:innen gar kein Auto haben. Das wird betuchte Unver­bes­ser­li­che nicht davon abhal­ten in der Stadt zu par­ken. Aber ein Gut­teil der SUV-Fans aus der Agglo­me­ra­tion wird sich wohl über­le­gen, ob sich die ner­vende Suche nach weni­gen, sack­teu­ren Park­plät­zen lohnt.

Die Debatte rund um die neuen Pari­ser Park­ge­büh­ren hat in den Medien ein gros­ses Echo gefun­den: Wie immer, wenn Autofahrer:innen ihre Frei­heit bedroht sehen, gin­gen die Emo­tio­nen hoch. Dabei ist es mehr als recht, dass die Wohn­be­völ­ke­rung der Stadt sich gegen die Inva­sion von Gelän­de­fahr­zeu­gen aus dem Umland stemmt. Und weil SUVs nicht ein­fach per Gesetz vom Stadt­ge­biet ver­bannt wer­den kön­nen, steu­ert man eben übers Portemonnaie.

Dies ist ein wei­te­rer cle­ve­rer Schritt der Pari­ser Stadt­re­gie­rung auf dem Weg zur Rück­erobe­rung des Stras­sen­raums als Lebens­raum. Seit über zehn Jah­ren enga­giert sich Bür­ger­mei­ste­rin Anne Hidalgo mit Erfolg für ihre Vision: Ent­lang der Seine wur­den mitt­ler­weile kilo­me­ter­lange Schnell­stras­sen­ab­schnitte auf­ge­ho­ben und zu attrak­ti­ven Fla­nier­mei­len umge­stal­tet. Das schafft Platz für neue Ent­wick­lun­gen, Begeg­nun­gen und andere For­men der Mobi­li­tät. Bereits 2019 konn­ten wir uns, anläss­lich unse­res letz­ten Besuchs in Paris 2019, sel­ber davon über­zeu­gen, dass die Bevöl­ke­rung die neue Frei­heit zu Fuss und per Velo geniesst. Ein Rück­bau zu Auto­bahn­schneise ist kein Thema mehr.

Wie in ande­ren Städ­ten, gab es wäh­rend Corona auch in Paris zahl­rei­che Pop-Up Velo­wege – mitt­ler­weile wur­den diese in über 50 Kilo­me­ter neue dau­er­hafte Rad­spu­ren umge­wan­delt. Bis 2026 sol­len zudem 70’000 Park­plätze neuen Grün­flä­chen und Velo­we­gen Platz machen. Im Som­mer 2021 setzte Anne Hidalgo zudem ein wei­te­res Wahl­ver­spre­chen um: Prak­tisch in der gan­zen Stadt gilt ein Tem­po­li­mit von 30 km/​h.

Hand in Hand mit die­sen Mass­nah­men braucht es natür­lich auch einen Aus­bau des öffent­li­chen Ver­kehrs. Ziel ist, dass durch die bes­sere Ver­net­zung der Innen­stadt mit der Ban­lieue der­einst Autos gar nicht mehr in die Stadt fah­ren müssen.

Schaut man sich die Ent­wick­lun­gen in Paris an, stellt sich unver­mit­telt die Frage: Warum geht das nicht auch bei uns? Längst ist die fran­zö­si­sche Metro­pole nicht mehr das ein­zige Vor­bild, von dem sich die Schwei­zer Politiker:innen und Planer:innen inspi­rie­ren las­sen soll­ten. Ver­kehrs­be­freite Quar­tiere und Fluss­ufer erobern in Europa Stadt um Stadt. Und Stadtbewohner:innen besit­zen immer öfter gar kein Auto mehr. Weil sie’s nicht brauchen.

In ihrem anschau­li­chen Arti­kel «So viel Platz» vom 26. Januar 2024 zeigt die taz auf, wel­ches Poten­zial etwa in Ham­burg frei­ge­legt wird, wenn der Trend zu weni­ger Indi­vi­du­al­ver­kehr wei­ter­hin anhält. Sie kommt auf die stolze Zahl von 2’746’237 Qua­drat­me­tern öffent­li­chem Frei­raum. Ihr Fazit: «Es wird viel neuen Platz geben in den Städ­ten, wenn die Autos etwas von dem Raum abge­ben, den sie bean­spru­chen, wenn sie ste­hen, fah­ren oder tanken.»

Propaganda-Pädagogik

Bil­dung ver­bes­sert die Welt. Ein weit­ver­brei­te­tes Credo. Die UN-Agenda 2030 für nach­hal­tige Ent­wick­lung for­dert denn auch für alle Kin­der, Jugend­li­chen und Erwach­se­nen – ins­be­son­dere für die Ärm­sten und am mei­sten Benach­tei­lig­ten – Zugang zu einer hoch­wer­ti­gen Grund- und Berufsausbildung. 

Das dekla­rierte Ziel: Bil­dung soll einen Bei­trag zu einer «siche­ren, nach­hal­ti­gen und inter­de­pen­den­ten Welt lei­sten.» Schöne Worte – und die schu­li­sche Realität?

Im nahen Osten – genauer, «from the river to the sea» – ist Bedenk­li­ches fest­zu­stel­len. Im Zusam­men­hang mit der For­de­rung, dem Palä­sti­nen­ser-Hilfs­werk UNRWA den Geld­hahn abzu­dre­hen, wird immer wie­der der Vor­wurf laut, die­ses finan­ziere mit west­li­cher Unter­stüt­zung Schul­ma­te­rial, das die Ver­nich­tung Isra­els propagiere.

Israel-nahe Orga­ni­sa­tio­nen wer­den, mit tat­kräf­ti­ger Unter­stüt­zung des west­li­chen Medi­en­chors nicht müde, palä­sti­nen­si­sche Schu­len in den besetz­ten Gebie­ten der Hetze gegen Israel zu bezich­ti­gen. Sie schaff­ten es sogar, eine von der EU in Auf­trag gege­bene Stu­die des Leib­nitz-Insti­tuts für Bil­dungs­me­dien zu skan­da­li­sie­ren, weil die Ana­lyse von palä­sti­nen­si­schen Lehr­mit­teln ein dif­fe­ren­zier­tes Bild ergab – von inak­zep­ta­blem Lehr­ma­te­rial bis zu Schul­bü­chern, die voll und ganz den UNESCO-Emp­feh­lun­gen entsprechen.

Was hin­ge­gen an israe­li­schen Schu­len gelehrt wird, scheint im ver­ei­nig­ten, von Holo­caust-Ver­ant­wort­lich­keit gezeich­ne­ten Europa und den USA kein Thema zu sein. Die Rol­len von Gut und Böse sind von vorn­her­ein ver­ge­ben. Dabei bringt ein Blick in israe­li­sches Schul­ma­te­rial Ver­gleich­ba­res zutage, wie auf der ande­ren (palä­sti­nen­si­schen) Seite: Ansätze, die aus Men­schen­rechts­per­spek­tive tadel­los sind, aber auch die gesamte Palette von offen­sicht­li­cher Hetze bis zur sub­ti­len Ver­mitt­lung dis­kri­mi­nie­ren­der Ste­reo­ty­pen und Vorurteile.

So sug­ge­rie­ren israe­li­sche Schul­bü­cher jüdi­schen Kin­dern etwa, sie seien etwas Bes­se­res als ihre palä­sti­nen­si­schen Kamerad:innen. Und dass das Land «from the river to the sea» allein den Israe­li­ten zustehe. – Palästinenser:innen wer­den als «schmut­zige Mas­sen auf­ge­putsch­ter Men­schen» bezeich­net und dar­ge­stellt. Sie seien «pri­mi­tiv, unter­wür­fig, abar­tig, kri­mi­nell und böse» und «ein Pro­blem, das gelöst wer­den muss».

Dies nur einige wenige Bei­spiele, die Nurit Peled-Elhanan in ihrem Buch «Palä­stina in israe­li­schen Schul­bü­chern» auf­führt. Die israe­li­sche Erzie­hungs­wis­sen­schaf­te­rin, die in ihrem Land zur Per­sona non grata erklärt wurde, kri­ti­sierte in ihrer Publi­ka­tion bereits vor zehn Jah­ren, dass junge Israe­lis durch die ideo­lo­gi­sche Indok­tri­nie­rung an den Schu­len zu Feind­se­lig­keit und Ver­ach­tung gegen­über Palä­sti­nen­se­rin­nen und Palä­sti­nen­sern erzo­gen würden.

Damit nicht genug: Jüdi­sche Fami­lien in Israel kön­nen wäh­len, ob sie ihre Kin­der in eine staat­li­che Schule, eine reli­giöse oder eine ortho­doxe schicken wol­len. Für die palä­sti­nen­si­schen Kin­der gibt es eigene Schu­len, deren Lehr­mit­tel vom israe­li­schen Staat zen­su­riert werden.

Die Tat­sa­che, dass jüdi­sche Kin­der sepa­rate Schu­len besu­chen, hat zudem zur Folge, dass sie kaum Begeg­nungs­mög­lich­kei­ten mit der ara­bi­schen Welt haben, wo sie posi­tive Erfah­run­gen des Zusam­men­le­bens machen könn­ten. Sie haben keine palä­sti­nen­si­schen Spielkamerad:innen, wie auch palä­sti­nen­si­sche Kin­der unter sich blei­ben. Also basiert das «Wis­sen» der Kin­der «über die Ande­ren» aus­schliess­lich auf den Zerr­bil­dern, die sie aus ihren Schul­bü­chern ken­nen. Das ist men­schen­feind­li­che Pro­pa­ganda-Päd­ago­gik. Die an israe­li­schen Schu­len ver­mit­tel­ten Nar­ra­tive sind sind somit kei­nen Deut bes­ser als die Ver­feh­lun­gen, die der Hamas vor­ge­wor­fen werden.

Wie wich­tig Schul­bü­cher zur Frie­dens­stif­tung «in den Köp­fen der Män­ner und Frauen» sind, erkann­ten schon die Gründer:innen der UNESCO. Nach den Erfah­run­gen des 2. Welt­kriegs erklär­ten sie die Ent­wick­lung von Schul­bü­chern zum zen­tra­len Schwer­punkt, «als päd­ago­gi­sches Werk­zeug zur För­de­rung des Frie­dens durch gegen­sei­ti­ges Ver­ständ­nis, ins­be­son­dere zwi­schen ehe­ma­li­gen Gegnern».

Die dama­li­gen Richt­li­nien gel­ten bis heute: Qua­li­ta­tiv hoch­wer­tige Schul­bü­cher dür­fen keine schäd­li­chen Ste­reo­ty­pen und Vor­ur­teile ent­hal­ten. Eine Anfor­de­rung, die israe­li­sche Schul­bü­cher wie die­je­ni­gen der Hamas glei­cher­mas­sen unge­nü­gend erfül­len. Schlim­mer noch: Das gesamte Schul­sy­stem per­p­etu­iert und ver­tieft die Grä­ben in der Gesell­schaft und den Krieg.

Wenn Schule und Bil­dung zu einer bes­se­ren Welt und zum Frie­den bei­tra­gen sol­len, braucht es in Israel einen dra­sti­schen System­wech­sel hin zu einem inte­gra­ti­ven Schulsystem.

Die For­de­rung der UNESCO lau­tet dies­be­züg­lich: Alle Kin­der soll­ten soweit mög­lich zusam­men ler­nen, unge­ach­tet der Unter­schiede in Bezug auf eth­ni­scher Zuge­hö­rig­keit, Geschlecht, Kul­tur, wirt­schaft­li­che Situa­tion, schu­li­sche Lei­stun­gen oder Gesund­heits­zu­stand. Für Israel heisst dies zwin­gend: Keine sepa­rier­ten Schu­len mehr, die Begeg­nun­gen und das Zusam­men­le­ben von jüdi­schen und ara­bi­schen Kin­dern auf allen Ebe­nen fördern!

Das ist keine Uto­pie. Initia­ti­ven und Bei­spiele, dass gegen­sei­ti­ges Ver­ständ­nis und Zusam­men­le­ben geht, gibt es auch in Israel. So haben etwa der palä­sti­nen­si­sche Erzie­hungs­wis­sen­schaft­ler Sami Adwan und der israe­li­sche Psy­cho­ana­ly­ti­ker Dan Bar-On bereits vor 20 Jah­ren gemein­sam ein Schul­buch ent­wickelt, das die bei­den Sicht­wei­sen auf die Geschichte und die gesell­schaft­li­chen Pro­zesse im Nahen Osten zu ver­mit­teln ver­sucht. Lei­der wird es von bei­den Sei­ten bis heute kaum eingesetzt.

Ob zio­ni­sti­sche Extre­mi­sten in Israel oder palä­sti­nen­si­scher Extre­mis­mus in Gaza – sie glei­chen sich aufs Haar und wol­len nur eins: Ihre Welt­sicht durch­set­zen. Solange das so bleibt, gibt es keine Chance auf eine Bes­se­rung der Situa­tion, geschweige denn auf Frieden.

Nurit Peled-Enhanan prä­sen­tiert ihre Recher­chen und spricht zur aktu­el­len Situa­tion – ein­drück­li­ches Web­i­nar (auf eng­lisch) vom 8. Januar 2024

Klima UND Landschaft schützen!

Das Ver­dikt der Gemein­de­ver­samm­lung liess an Deut­lich­keit nichts zu wün­schen übrig: Die Stimm­be­rech­tig­ten der Gemeinde Sur­ses im Grau­bün­den waren am 29. Januar 2024 beson­ders zahl­reich erschie­nen, um über ein hoch­al­pi­nes Solar­pro­jekt im Val Nan­dro ober­halb von Savo­gnin zu befinden.

Die Ener­gie­ab­tei­lung ewz der Indu­stri­el­len Betriebe der Stadt Zürich wollte 66,5 Hektaren Natur­land­schaft mit einer Pho­to­vol­ta­ik­an­lage für die Pro­duk­tion von «sau­be­rem Strom» zubauen – auf einer Flä­che, die 95 Fuss­ball­fel­dern entspricht.

Der Hin­ter­grund: Im Sep­tem­ber 2022 bewil­ligte das eid­ge­nös­si­sche Par­la­ment für die För­de­rung hoch­al­pi­nes Solar­pro­jekte Sub­ven­tio­nen in Mil­li­ar­den­höhe (unter dem Titel «Solar­ex­press»): Für Anla­gen, die bis zum 31. Dezem­ber 2025 ans Netz gehen, wer­den bis zu 60 Pro­zent der Inve­sti­ti­ons­ko­sten vom Bund über­nom­men und mit Steu­er­gel­dern bezahlt!

Wäh­rend sich für Pri­vate die Inve­sti­tio­nen in Solar­pa­nels auf bestehen­den Gebäu­den oft nicht rech­nen, eröff­net der in Bun­des­bern geschickt ein­ge­fä­delte «Solar­ex­press» den Gros­sen im Strom­busi­ness wie ewz, BKW oder Axpo ein veri­ta­bles Eldo­rado. Kein Wun­der, grei­fen sie gie­rig zu. In den letz­ten Mona­ten sind Dut­zende von hoch­al­pi­nen Solar­pro­jek­ten auf­ge­gleist wor­den, nach dem Motto: Gross­flä­chig ist beau­tiful und ren­tiert bei soviel Sub­ven­tio­nen. Nun müs­sen sie nur noch der Flä­chen hab­haft wer­den. Die gehö­ren ihnen im hoch­al­pi­nen Raum aber nicht flä­chen­deckend. Zudem lässt sich der unge­zü­gelte Ener­gie­hun­ger dort nur auf Kosten von Land­schaft und Natur stillen.

Zum Glück scheint es nun aber doch nicht so ein­fach zu gehen, wie sich das die Solar­ba­rone aus dem Unter­land vor­ge­stellt haben: Im Wal­lis stellte sich eine Mehr­heit der Bevöl­ke­rung gegen die über­stürzte Ertei­lung von Bewil­li­gun­gen, im Kan­ton Bern erteilte die Gemeinde Saa­nen dem 67 Fuss­ball­fel­der gros­sen Pro­jekt Solsarine bereits im Dezem­ber 2023 eine Absage. 

Und nun also auch Sur­ses, die Stand­ort­ge­meinde des Mar­morera-Stau­sees: Genau 70 Jahre ist es her, dass das alte Dorf Mar­morera der Strom­pro­duk­tion geop­fert wurde. Damals hatte der Unter­händ­ler der Indu­stri­el­len Betriebe Zürich ein leich­tes Spiel: Er han­delte mit den weni­gen Haus- und Land­be­sit­zern indi­vi­du­elle Kauf­ver­träge aus und ver­pflich­tete sie zum Stillschweigen.

So kam es, wie es kom­men musste: Nach­dem die stimm­be­rech­tig­ten Män­ner von Mar­morera mit 24 Ja- zu 2 Nein­stim­men der Kon­zes­sion für die Aus­nüt­zung der Was­ser­kräfte durch die Stadt Zürich zuge­stimmt hat­ten, wurde 1954 das gesamte Dorf zer­stört und geflutet. 

Eine bit­tere Erfah­rung, aus der man in der Region mög­li­cher­weise seine Leh­ren gezo­gen hat. Dies­mal lehn­ten die Stimm­be­rech­tig­ten das Ange­bot aus dem Unter­land mit 378 zu 177 Stim­men ent­schie­den ab. Dies, obschon der Gemeinde jähr­lich Ein­nah­men in der Höhe von CHF 450’000 bis 600’000 Fran­ken aus dem Solar­strom­deal winkten.

Nun muss die im Novem­ber 2023 instal­lierte Test­an­lage für das Solar­pro­jekt wie­der demon­tiert wer­den. Genauso wie jene auf dem Horn­berg im Ber­ner Ober­land, wo der Gold­grä­ber­stim­mung der Strom­kon­zerne eben­falls der Rie­gel gescho­ben wurde. Die Mes­sage ist klar: Die Bevöl­ke­rung in den bei­den Tou­ris­mus­ge­bie­ten will keine Land­schafts­ver­schan­de­lung durch Solarpanels.

Das ist kon­se­quent und rich­tig. Nun braucht es aber zwin­gend näch­ste Schritte: Die Ableh­nung von pro­ble­ma­ti­schen Solar- und Wind­ener­gie­an­la­gen allein genügt nicht. Wol­len wir sowohl das Klima wie die Land­schaft ernst­haft schüt­zen, braucht es drin­gend ein Umden­ken. Das brach­lie­gende Solar-Poten­tial an geeig­ne­ten bestehen­den und neuen Gebäu­den muss in der Schweiz end­lich an die Steck­dose gebracht werden.

Zudem ist es an der Zeit, statt ein­zig über zusätz­li­che Ener­gie­quel­len zu debat­tie­ren, ernst­haft Reduk­ti­ons- und Spar­mass­nah­men bei der Nut­zung ins Auge zu fas­sen. Bis­lang sind The­men wie «Ver­zicht» oder «Begren­zung» tabu. Dies, obschon ange­sichts der momen­tan herr­schen­den Ener­gie­ver­schwen­dung Ein­spa­run­gen in beacht­li­chem Stil mög­lich wären – ohne dass dies für die Wirt­schaft oder die Bevöl­ke­rung in der Schweiz schmerz­hafte Ein­schrän­kun­gen zur Folge hätte.

Schluss mit dem Krieg – aber nicht mit der Nothilfe!

Seit Wochen errei­chen uns uner­träg­li­che Bil­der und Mel­dun­gen aus Gaza. Tag für Tag wer­den dort Men­schen von israe­li­schen Gra­na­ten und Pro­jek­ti­len getö­tet oder ver­letzt. Über 25’000 Men­schen wur­den bereits getö­tet, zwei Mil­lio­nen – 85 Pro­zent der Bevöl­ke­rung des Gaza­strei­fens – aus ihren Woh­nun­gen und Häu­sern ver­trie­ben. Kin­der, Frauen und alte Men­schen, alle Hamas­kämp­fer oder Schutz­schil­der, wie die israe­li­schen Pro­pa­ganda der Welt weis­ma­chen will.

Und es hört nicht auf. Der Inter­na­tio­nale Gerichts­hof hat letzte Woche deut­lich gemacht, dass Israel sich ans Völ­ker­recht zu hal­ten hat und künf­tig Hand­lun­gen ver­mei­den muss, die gegen die UN-Kon­ven­tion gegen Völ­ker­mord verstossen.

Nun folgt der näch­ste Schlag: Grosse inter­na­tio­nale Geld­ge­ber stel­len ihre Zah­lun­gen an das UN-Hilfs­werk für Palä­sti­nen­si­sche Flücht­linge UNRWA ein und gefähr­den so die über­le­bens­wich­tige Ver­sor­gung der im Gaza­strei­fen ein­ge­kes­sel­ten Menschen. 

Dies, weil die Kriegs­par­tei Israel zwölf Mit­ar­bei­tende des UNRWA bezich­tigt, am Ter­ror­akt vom 7. Okto­ber 2023 betei­ligt gewe­sen zu sein. Eine schwere Anschul­di­gung, auf wel­che die Lei­tung des Hilfs­werks umge­hend reagiert hat: Sie hat die Beschul­dig­ten frist­los ent­las­sen und gegen sie eine Unter­su­chung bei der höch­sten UN-Instanz in Auf­trag gegeben.

Wich­tige west­li­che Geber-Staa­ten und Medien war­ten das Ergeb­nis der Unter­su­chung jedoch erst gar nicht ab. Sie dre­hen dem UNWRA bereits jetzt den Geld­hahn zu – ein Ent­scheid, der in einem kli­ma­ti­sier­ten Büro weit weg des Elends im Nahen Osten, schnell gefällt ist.

Für die Men­schen im Ghetto von Gaza hin­ge­gen geht es um Leben und Tod. Die Ein­stel­lung der Unter­stüt­zung für das UNRWA beschleu­nigt den Geno­zid an der palä­sti­nen­si­schen Bevöl­ke­rung. Die men­schen­ge­machte huma­ni­täre Kata­stro­phe nimmt ihren Lauf.

Auch die Schweiz, die mit Phil­ippe Laz­z­a­rini den Prä­si­den­ten des UNRWA stellt und das Hilfs­werk seit Jah­ren unter­stützt, spielt unter der «Feder­füh­rung» von Aus­sen­mi­ni­ster Igna­zio Cas­sis eine unrühm­li­che Rolle. 

Jüng­ster Höhe­punkt ist der letzte Woche bekannt gewor­dene Raus­schmiss von DEZA-Vize­di­rek­to­rin Andrea Stu­der, die im Gegen­satz zu ihrem poli­ti­schen Vor­ge­setz­ten, für einen sorg­fäl­ti­gen Umgang mit Vor­wür­fen gegen palä­sti­nen­si­sche und israe­li­sche NGOs ein­ge­stan­den ist.

Wie beim UNRWA ging es auch dort um Zah­lungs­ein­stel­lun­gen an NGO’s, weil diese sich laut Medi­en­be­rich­ten (!) nicht genü­gend vom Hamas-Ter­ror­akt distan­ziert hät­ten. Mitt­ler­weile hat die DEZA ihre dies­be­züg­li­chen Unter­su­chun­gen abge­schlos­sen und fest­ge­stellt, dass die ursprüng­lich ange­schwärz­ten Orga­ni­sa­tio­nen keine Vor­ga­ben ver­letzt hätten.

In Bezug auf das UNRWA hat die Schweiz ihre dies­jäh­rige Zah­lung in der Höhe von 20 Mil­lio­nen Fran­ken vor­läu­fig sistiert: Sie will wei­tere Infor­ma­tio­nen betref­fend die von Israel vor­ge­brachte Ver­mu­tung der Mit­tä­ter­schaft beim Hamas-Ter­ror abwar­ten, wie die Medi­en­stelle des EDA ver­lau­ten lässt. 

Der­weil geht das Ster­ben in Gaza wei­ter. Und der UNRWA droht der Kol­laps. «Die Welt muss sich schä­men», sagte dazu die 93jährige Holo­caust-Über­le­bende Eva Erben. Sie hat am 7. Okto­ber den Über­fall der Hamas-Ter­ro­ri­sten in ihrem Haus in Asch­kelon haut­nah mit­er­lebt und ist für kurze Zeit in ihre alte Hei­mat nach Prag geflohen.

Nun ist sie wie­der zurück in Israel und in gros­ser Sorge ange­sichts des andau­ern­den Kriegs und der aktu­el­len Ent­wick­lun­gen. Im Tages­ge­spräch von Radio SRF am 19. Januar hat sie Klar­text gespro­chen und für ihr Land vehe­ment Neu­wah­len gefor­dert: «Israel kri­ti­sie­ren ist kein Anti­se­mi­tis­mus, diese Regie­rung rich­tet Israel zugrunde», klagt sie an. 

«Wo ist jemand mit Ver­stand? – Da ist nur Gewalt…», stellt Eva Erben fest. Und for­dert für die Palä­sti­nen­se­rin­nen und Palä­sti­nen­ser einen Staat, wo auch sie ein gutes Leben haben und spü­ren, dass das Leben lebens­wert ist.

Worte, die ans Herz gehen. Aus­ge­spro­chen von einer Frau, deren Leben von den Nazis zer­stört und bedroht wor­den ist. Die als 11jährige nach The­re­si­en­stadt, spä­ter nach Aus­schwitz depor­tiert wurde und nach dem Krieg mit ihrem Mann nach Israel aus­ge­wan­dert ist. Um dort ein Leben in Frie­den aufzubauen… 

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