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Reicher Mann und Zimmermädchen

Die Vergewaltigungsgeschichte mit den Protagonisten Dominique Strauss-Kahn und dem Zimmermädchen Ophelia ist eine Parabel über den Zustand unserer Welt, wie sie treffender nicht erfunden werden könnte. Handelte es sich um ein Theaterstück, würde die Rollenverteilung – der sexsüchtige Chef des inter­na­tio­nalen Währungsfonds vergreift sich an der wehrlosen Frau aus einem armen afrika­ni­schen Land – als raffi­nierter Regieeinfall gelobt. 

Die Geschichte vom mächtigen erfolgs­ver­wöhnten Weissen, der sich an der unschul­digen schwarzen Migrantin vergriffen hat, beschäf­tigte uns Mitte Mai während Tagen. Verschwörungstheorien und Spekulationen hielten die Welt in Atem. – Was mich schon damals minde­stens so irritierte, wie der in zahlreichen Versionen kolpor­tierte sexuelle Übergriff, war die Tatsache, dass der Spitzenpolitiker und Präsidentschaftskandidat einer sozia­li­sti­schen Partei in einer Luxussuite logierte, die pro Nacht 3000 USD kostet.

Der Reichtum des DSK dürfte auch beim weiteren Verlauf der Geschichte eine entschei­dende Rolle gespielt haben. Trotz dringenden Tatverdachts erhielt der Angeklagte von Anfang an eine Sonderbehandlung. Weil er in der Lage war, monatlich 200’000 USD für die eigene Bewachung zu bezahlen, konnte er schon nach kurzer Zeit vom Gefängnis in eine Privatwohnung ziehen. Auch die Verpflichtung des Staranwalts Benjamin Branfman dürfte eine Stange Geld gekostet haben. Das aber gut investiert war: Einmal mehr wurde dieser seinem Ruf gerecht, auch in aussichtslos erschei­nenden Fällen eine Wende zu Gunsten seines Mandanten herbei­führen zu können.

Geschickt hat er es verstanden, das Opfer zu demon­tieren und aus dem anfäng­lichen Unschuldslamm eine Verbrecherin zu machen die lügt, in zwielich­tigen Kreisen verkehrt, sich unrecht­mässig eine Wohnung erschlichen hat und aus der Affäre mit DSK Profit schlagen wollte. – Die Frau sei unglaub­würdig, heisst es zum Beispiel, weil die Gründe für ihre Flucht, die sie im Asylverfahren den US-Behörden genannt hatte, erfunden waren. Eine Geschichte, wie wir sie auch aus Asylverfahren in der Schweiz kennen. Notlügen, zu der Flüchtlinge weltweit greifen. Greifen müssen, wollen sie im Westen Asyl erhalten.

Laut Staatsanwaltschaft, so heisst es heute in den Medien, sei die Glaubwürdigkeit der Frau lädiert, weil sie zu «verschie­denen weiteren Themen» unwahre Äusserungen gemacht habe. Und weil sie in einem Telefongespräch mit einem Häftling über die Vorteile einer Klage gegen DSK gesprochen hätte. Die New York Post wirft ihr vor, hohe Trinkgelder kassiert zu haben und mutmasst, dass dafür wohl nicht nur Handtücher ausge­wechselt worden seien.

Na und? Spielt es eine Rolle, dass das Zimmermädchen Ophelia nicht der von den Medien herbei­ge­schriebene Unschuldsengel ist? Sondern eine Frau aus Fleisch und Blut, die es geschafft hat, aus einem armen Dorf in Afrika auszu­brechen, um für sich und ihrer Tochter in den USA eine Existenz aufzubauen?

Tatsache ist, dass heute, sechs Wochen nach dem Geschehen, in den Zeitungen kein Wort mehr steht von den faden­schei­nigen Alibis und den Lügen des DSK, als er versuchte, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Die Biografie, das Verhalten des einstigen IWF-Chefs stellen seine Integrität und Glaubwürdigkeit aber minde­stens ebenso in Frage. Angesichts der real existie­renden Machtverhältnisse und der Ausgangslage, ist und bleibt die Frau das Opfer.

Was sich in der Hotelsuite genau abgespielt hat, ist nur insofern von Interesse, als das Verhalten des erfolgs­ver­wöhnten Franzosen nur geahndet wird, wenn man ihm eine Vergewaltigung nachweisen kann.

Pechvögel und das Glück

Wo light drauf steht, ist Lifestyle drin – und das bringt Glück: Ob Cola, Marlboro oder Mayonnaise – dank light wird alles bekömmlich und schick. Das jüngste Produkt in dieser Reihe ist eine „Ausschaffungshaft light“, die vom Zürcher Regierungsrat angeregt wurde. 

Ob diese für die Betroffenen leichter zu verdauen sein soll? Weil der glücklose Asylbewerber, die glücklose Asylbewerberin ihre noch verblei­bende Zeit in der Schweiz statt im Flughafengefängnis in einer Haftanstalt im Zürcher Oberland absitzen darf? Wo die anderen Gefangen ein- und ausgehen, weil ihre Vergehen nur leicht waren und sie sich im offenen Strafvollzug befinden. Die Häftlinge aber, die ausge­schafft werden sollen bleiben rund um die Uhr einge­sperrt – auch wenn sie überhaupt keine Vergehen begangen haben. Weil man Angst hat, dass sie sonst unter­tauchen und hier bleiben.

Es ist ungerecht, dass Menschen aufgrund zufäl­liger Ereignisse, etwa des Geburtsorts, gewisse Vorteile haben, die sie nicht selbst erarbeitet haben“, sagte der Jurist und Rechtsphilosoph Martino Mona kürzlich in einem Interview in der WOZ. Und meinte damit unter anderem die Ungleichbehandlung von Migrantinnen und Migranten in unserem Land. Menschen, die am falschen Ende der Welt geboren wurden riskieren, bei uns hinter Schloss und Riegel zu landen. Nur weil sie versuchten, der Not zu entkommen und hierzu­lande ihr Glück zu finden.

Kürzlich behauptete der britische Psychologe Richard Wiseman in einem Interview in der NZZ am Sonntag, dass „die Menschen ihr Glück und ihr Pech zu einem grossen Teil selber herstellen.“ Weil sich glück­liche Menschen im Leben optimi­sti­scher verhalten und so das Glück zur selbst­er­fül­lenden Prophezeihung werde. Jenen, die eher zum Pessimismus und damit zum Pech neigen, rät er zu einem Glückstagebuch: Wer täglich drei positive Ereignisse aufschreibe, könne innerhalb von drei Monaten von einem Pessimisten zum Optimisten – und damit zu einem glück­li­cheren Menschen werden.

Rezepte fürs indivi­duelle Glück haben Hochkonjunktur. Martin Seligman, ein weiterer Glücksforscher, dessen Name Programm ist, nennt fünf Elemente, die zum Wohlbefinden beitragen: „Positive Emotionen, Selbstverwirklichung, gute Beziehungen, Bedeutung und Leistungsorientierung.“ Glücklich schon, wer die Musse hat, sich über solches Gedanken zu machen. Dass dabei jeder seines Glückes eigener Schmied ist, erklärt sich von selbst. Wie dies zu bewerk­stel­ligen sei, wissen Forscher aus Zürich: Sie raten zu mehr Dankbarkeit, weil sich in vielen Studien gezeigt habe, dass «einige Charakterstärken, wie etwa Dankbarkeit, mehr mit der Lebenszufriedenheit korre­lieren als andere.»

Also ein Glückstagebuch für Menschen in Ausschaffungshaft, als Teil einer Ausschaffungshaft light? – Purer Zynismus angesichts der Notsituation von Migrantinnen und Migranten, die der Staatsgewalt ausge­liefert sind und gegen ihren Willen in ein Flugzeug verfrachtet und ausge­schafft werden. Auch die Forderung nach vermehrter Dankbarkeit ist hier fehl am Platz.

Glück ist für die Mehrheit der Menschen leider nicht bloss eine mentale Angelegenheit – und Migration für viele die einzige Zukunftsperspektive. Die Ausschaffungshaft zerstört diese Perspektive – da kann sie noch so lange zum Light-Produkt erklärt werden.

Den Zürcher Behörden ging es denn auch nie um eine Erleichterung für die inhaf­tierten Migrantinnen und Migranten. – Mit der Ausschaffungshaft light will man einzig die Vollzugskosten reduzieren, um den Staatshaushalt zu erleichtern.

Kollateralschaden

Die ersten Opfer waren die spani­schen Gurkenproduzenten. Sie mussten während der besten Erntezeit ihre Ware vernichten, weil während Tagen der Verdacht verbreitet wurde, Gurken aus Spanien seien die Brutstätte der Bakterien, die seit Mitte Mai für Schlagzeilen sorgen.

Auf die Gurken- folgte die Tomaten- und Salatwarnung – weil laut Zeitungsberichten viele der Erkrankten zu Protokoll gegeben hätten, solche Kost zu sich genommen zu haben, bevor die Koliken einsetzten. Bei den sommer­lichen Temperaturen und dem Trend zu gesunder Rohkost eigentlich nicht weiter verwun­derlich. Angesichts des Bakterien-Verdachts verging aber vielen der Appetit auf Grünzeug. Was zur Folge hatte, dass nun Bauern in ganz Europa und in der Schweiz ihre Ernte nicht mehr verkaufen können. Russland erliess gar ein Import-Verbot für Gemüse aus der EU – mögli­cher­weise nicht nur aus Angst vor dem Krankheitserreger.

Für den Polemiker Beda Stadler hingegen war die Geschichte ein gefun­denes Fressen: einmal mehr erhielt er in den Medien eine Plattform, um sein Gentech-Süppchen zu kochen und Bioprodukte als gefährlich, ja sogar tödlich zu verun­glimpfen. – Solches zu behaupten ist zwar absurd, zeigt aber trotzdem Wirkung. Genauso wie alle anderen Verdächtigungen und Vermutungen, die in den letzten Tagen und Wochen geäussert wurden – ganz zu schweigen von den sogenannt heissen Spuren, die sich bisher alle zerschlagen haben.

In welcher Zeitung einer der sogenannten Experten «Billigimporte» für die Einschleppung des gefürch­teten Bakteriums verant­wortlich machte, weiss ich nicht mehr. «Biogasanlagen», lautete eine andere Schlagzeile. Und verschiedene Medien – wohl alle auf die gleiche diffuse Quelle zurück­greifend, zitierten einen «Experten der Weltgesundheitsorganisation WHO», der den Ursprung des EHEC-Erregers eher im Fleisch als im Gemüse vermutet. Zwar ist es richtig und wichtig, dass alle Hinweise auf die Herkunft des zur Diskussion stehenden Bakterienstammes geprüft werden und man versucht, die Ursache des Problems zu eruieren und es so aus der Welt zu schaffen. Nur: Warum in aller Welt muss dies in der Öffentlichkeit geschehen?

Unter dem ständigen Druck, Neues zu berichten und die Geschichte der Konkurrenz zu toppen,wurde die journa­li­stische Sorgfaltspflicht kurzum auf den Kehrichthaufen der Geschichte verbannt. Vorsicht und Zurückhaltung sind unnötige Bremser und schaden dem Geschäft mit den News. – Pech, wenn man, wie jener Wirt aus Lübeck, in die erbar­mungslos mahlenden Mühlen gerät: Zwar hat sich mittler­weile die vermeint­liche Spur des EHEC-Erregers in seinem Restaurant zerschlagen, doch der Schaden bleibt: Kaum ein Medium, das die Geschichte nicht publi­ziert hätte – inklusive Bild und Namen von Wirt und Restaurant. Worauf der Umsatz einge­brochen ist.

Wie wohl auch bei besagtem Biobetrieb, der Sojasprossen produ­ziert und vertreibt. Oder besser gesagt: Produziert und vertrieben hat. Bis Experten glaubten, dort nun endlich den Herd des ominösen Bakterienstammes aufge­stöbert zu haben. Am Sonntagabend noch stellte der deutsche Gesundheitsminister im Fernsehen in Aussicht, dass der Verdacht demnächst bestätigt werde – am Montag bereits folgte das Dementi.

Nun warten wir mit Spannung darauf zu hören und zu lesen, wen es als nächstes trifft. Wie die betrof­fenen Produzenten mit den Folgen ihrer kurzzei­tigen Prominenz und dem Ausbleiben der Kundschaft fertig werden, ist eine andere Geschichte.

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