Offline

Plötzlich bleibt der Cursor ste­hen, tut kei­nen Wank mehr. Nicht ganz über­ra­schend, schon vor einer hal­ben Stunde blink­te die Warnung auf: Mausladung schwach. Vor lau­ter Recherche- und Surffieber nicht dar­auf geach­tet. Doch nun ist end­gül­tig Schluss. Die Maus muss ans Ladegerät – und Frau Online-Junkie raus ins rich­ti­ge Leben.

Später Samstagnachmittag, das Tageslicht schwin­det bereits. Umso beschau­li­cher der Weihnachtsmarkt auf dem Max Bill-Platz in Oerlikon. Mit allem Drum und Dran: Kerzenziehen und Gschänklifischen für die Kleinen. Bratwürste, Zuckermandeln und Glühwein, aber auch Exotisches. Schutz und Rettung Zürich im Samichlausen-Kostüm schenkt Kürbissuppe aus. Und natür­lich unzäh­li­ge Stände mit Weihnachtsgeschenken und Guezli-Angeboten für einen guten Zweck. Alle Jahre wie­der – und doch gibt es immer etwas zu entdecken.

Die fröh­li­che Truppe vom Leo-Club, zum Beispiel. Das Angebot, in die Guezli-Büchse zu grei­fen und zu pro­bie­ren, kann gar nicht aus­ge­schla­gen wer­den. Und schon ergibt ein Wort das ande­re. Weshalb ich hier sei, will eine jun­ge Frau wis­sen und fügt an, dass sie den Markt in Oerlikon viel schö­ner fin­de als jenen auf dem Sechseläuten-Platz, wo man vor lau­ter Gedränge die Stände gar nicht mehr bewun­dern kön­ne, geschwei­ge denn, mit ein­an­der ins Gespräch kommen.

Ich wer­de auf­ge­klärt, dass der Leo-Club die jun­gen Lyons sei­en. Ein Service-Club, der Gutes tue. Der Erlös aus dem Weihnachtsguezli-Verkauf gehe dies­mal an die Stiftung Theodora. Eine tol­le Sache! Dagegen lässt sich nichts ein­wen­den, und schon habe ich ein Säcklein Guezli gekauft. Wir reden wei­ter und fin­den bald schon gemein­sa­me Interessen und gar gemein­sa­me Bekannte…

Ein paar Schritte wei­ter, stellt sich mir ein jun­ger Mann in den Weg. Ob er mir etwas zei­gen dür­fe, fragt er und legt, ohne eine Antwort abzu­war­ten, gleich los. Auf dem Sachet, das er mir ente­ge­gen­streckt, die Aufschrift «Sweet Temptation». Ein ganz beson­de­rer Tee, erklärt er: Mit hand­ver­le­se­ner Ananas, die sie sel­ber getrock­net und mit Schwarztee und Gewürzen ver­mischt hät­ten. Es gebe auch noch zwei wei­te­re Sorten: Den Klassiker mit Apfel und Zimt sowie ChocoCoco – sein Favorit.

Ein paar Minuten spä­ter weiss ich, dass Jonas – so heisst der jun­ge Mann – cos­ta­ri­ca­ni­sche Wurzeln hat, in Zürich Nord das Wirtschaftsgymnasium besucht und die Tee-Produktion und ‑Vermarktung ein Schulprojekt ist. Zusammen mit sie­ben MitschülerInnen betreibt er das Mini-Startup Disfrutee. Er sei für’s Marketing zustän­dig, sagt Jonas und stellt mir sei­ne Kollegen am Stand vor: Piraveen Premaseelan ist der Administrator, Tim Anthamatten CPO. Das Geschäft lau­fe zu gut, lachen sie. Nachdem am Freitag bereits ein Grossteil der für den Markt pro­du­zier­ten Teesachets ver­kauft war, muss­ten sie in der Nacht auf Samstag eine Sonderschicht fah­ren, um Nachschub zu produzieren.

Natürlich muss man sol­ches Engagement beloh­nen. Ich kau­fe von jeder Teesorte ein Sachet und las­se mir die Visitenkarte geben. – Kaum haben wir uns ver­ab­schie­det, steht der nächs­te jun­ge Mann vor mir. Auch er sei vom Gymer, sagt er. Allerdings nur Wahlfach Wirtschaft, wes­halb ihr Projekt weni­ger umfas­send sei, erklärt er und will mir einen «Grittibonz» ver­kau­fen. Sie wür­den damit eine Bäckerei unter­stüt­zen, sagt sei­ne Kollegin, und ja, auf dem Bauch tra­ge der Grittibonz ech­tes ess­ba­res Blattgold – des­halb sei er eben ein Bonz und kein Benz. Und des­halb auch der stol­ze Preis. Eine typi­sche Zürcher-Geschäftsidee – die nicht unbe­dingt mei­ne Unterstützung braucht.

Seine Kollegin am nächs­ten Stand erlöst mich: Auch sie vom Gymer, auch sie mit einer Geschäftsidee: Mit Bastschnur umwi­ckel­te Konservendosen wer­den zu Pflanzenkistchen für Kakteen. Originell: Kleine Ableger in aus­ge­höhl­ten Korkzapfen, mit einem Magneten bestückt, um den Kühlschrank zu schmü­cken. Auch hier beschrän­ke ich mich auf die net­te Unterhaltung…

Höchste Zeit für einen Glühwein! Rundum ist es mitt­ler­wei­le Nacht gewor­den. Am Stand des Ortsvereins Oerlikon noch schnell einen Blick in den his­to­ri­schen Kalender wer­fen – und schon ist man in ein wei­te­res Gespräch ver­wi­ckelt. Ich ver­su­che zu erklä­ren, dass wir Jahr für Jahr qua­si in einer Kalenderflut ertrin­ken, wes­halb ich nur en pas­sant einen Blick in das Oerliker-Werk wer­fen woll­te. Ein Wort ergibt das ande­re – und schon weni­ge Minuten spä­ter gesellt sich der his­to­ri­sche Kalender zum Tee und zu den Leo-Guezli.

Nun aber nichts wie nach­hau­se. Nach einer inten­si­ven Stunde Offline-Leben, reich beschenkt (und mit soge­nannt unnüt­zen Einkäufen) zurück in die war­me Stube, wo die Maus mitt­ler­wei­le wie­der auf­ge­la­den ist. 

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