Ausschreitungen, brennende Autos, Plünderungen und Strassenblockaden – erschreckende Bilder. Die Wahlen in Honduras zeigen einmal mehr, in welch desolatem Zustand sich dieses Land befindet. Bis heute ist das Wahlresultat unklar: Nachdem die ersten Auszählungen auf einen Sieg des Herausforderers Salvador Nasralla hindeuteten, kam es plötzlich zu Verzögerungen, gefolgt von einer wundersamen Umkehr der Mehrheitsverhältnisse. Die Vermutung liegt nahe, dass der bisherige Präsident Juan Orlando Hernández – kurz Joh – und seine Entourage getrickst haben.
Als der noch amtierende Präsident zehn Tage nach den Wahlen den Ausnahmezustand mit nächtlicher Ausgangssperre über das ganze Land verhängte, verweigerte die Polizei ihre Unterstützung. Sie seien Teil des Volkes und würden nicht gegen Kundgebungen ihrer Mitbürgerinnen und –bürger vorgehen, verkündete ein Polizeisprecher. Die Politiker müssten ihren Streit untereinander ausmachen. Damit erntete er viel Zustimmung und Begeisterungsstürme der Bevölkerung.
Die Menschen schwanken zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Das Land war schon zuvor am Abgrund, man wird den Eindruck nicht los, dass es immer schlimmer wird. «Mir gefällt Nasralla auch nicht», schreibt eine Freundin aus Puerto Cortés via Whatsapp. «Aber Joh wollen wir nicht. Er missachtet die Gesetze.» Und weiter: «Es wurde manipuliert, ich habe es mit eigenen Augen gesehen.»
Menschenrechtsverletzungen gehören zur Tagesordnung, Drohungen, Repressionen – bis hin zur Ermordung von UmweltaktivistInnen, RegimekritikerInnen, JournalistInnen. In den vergangenen Tagen wurden immer wieder Rufe nach internationaler Unterstützung gegen Unrecht, Gewalt und Korruption in Honduras laut. Diese verhallen meist ungehört. Ausländische JournalistInnen wurden von den Schauplätzen verbannt und ausgewiesen. Kommt dazu, dass das Schicksal der HonduranerInnen die Mächtigen dieser Welt kaum interessiert. Die USA unterstützen den aktuellen Präsidenten. Mitten in den grössten Unruhen haben sie ihm letzte Woche gar das Hilfsbudget aufgestockt. Für Trump ist Joh ein wertvoller Vasall im Kampf gegen die Drogenkartelle, vor allem aber für den Grenzschutz.
Erinnerungen werden wach, an eine Reportagereise im Frühjahr 2013, vor den letzten Wahlen. Auch damals lagen Spannungen in der Luft; Korruption, Misswirtschaft und Angst dominierten die Stimmung. «Es un poco complicado», war die gängige Antwort auf Fragen der Journalistin. Umso eindrücklicher die Kraft und Hoffnung, die Jugendliche in noch so schwierigen Situationen ausstrahlten.
«Ich will Ärztin werden», sagte etwa die 14jährige Saidy. Auf die Frage weshalb, antwortete sie: «Damit in Honduras nie mehr ein Kind…» – dann versagte ihr die Stimme. Tränen und unterdrücktes Schluchzen. Ihr Kollege Kelvin nahm den Faden auf. Sein Berufswunsch: Architekt – er wolle würdige Unterkünfte für Kinder und Alte bauen. Ein schier unerreichbarer Traum für einen wie ihn, das wusste Kelvin sehr genau. Gerade deshalb wollte er daran festhalten.
Später fasste sich auch Saidy wieder und ergänzte ihre Antwort: «Ich will Ärztin werden, damit in diesem Land nie mehr ein Kind und auch kein Erwachsener sterben muss, weil er arm ist.» Die Jugendlichen der Garifuna-Volksgruppe im Norden von Honduras wissen nur zu gut, was arm sein bedeutet. Sie alle stammen aus prekären Verhältnissen. Saidy lebte mit ihrer Mutter und vier Geschwistern in einer Hütte, hatte nicht einmal ein eigenes Bett. Die Schule im Dorf war eine Ruine, der Unterricht fand unter Palmen und auf der Veranda einer verfallenden Villa statt.
Vier Jahre sind vergangen, seit diesem Treffen. Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen, haben einige der Jugendlichen mittlerweile den Schulabschluss geschafft. Auch Saidy, als eine der besten ihres Jahrgangs. Sie freute sich darauf, an der Universität von San Pedro Sula demnächst ihr Medizinstudium in Angriff zu nehmen.
Dafür musste sie Formulare ausfüllen und eine Prüfung absolvieren. Nach langem Warten kam endlich die erlösende Mitteilung, sie sei zugelassen. Wenig später folgte die Präzisierung: Aufgrund ihres Prüfungsresultats habe man ihr einen Ausbildungsplatz in der Abteilung für KrankenpflegerInnen zugewiesen.
Keine Überraschung für meine Freundin in Puerto Cortés: Die Sozialarbeiterin, die selber aus armen Verhältnissen stammt und sich mit viel Élan und Ausdauer das Jus-Studium erkämpft hatte, sagt: «In Honduras sind auch die Universitäten korrupt.» Als Alternative stünde Saidy noch die private Universidad Católica offen. Doch die ist teuer, sehr teuer. Zudem sei die Ausbildung schlecht.
Wie weiter? Vielleicht gibt es die Möglichkeit, in Kuba zu studieren. Noch hat Saidy ihren Traum nicht begraben. Die Situation in Honduras habe sich wieder etwas beruhigt, darüber sei man froh, schreibt sie. Die beiden Präsidentschaftskandidaten scheinen sich darauf geeinigt zu haben, sämtliche Stimmen noch einmal auszuzählen. Was danach geschieht, ist offen. Längst haben die meisten Menschen in Honduras die Hoffnung auf eine Verbesserung der Verhältnisse nach den Wahlen aufgegeben. Sie sind schon froh, wenn es zu keinen weiteren Gewalt-Eskalationen kommt.