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Marktgespräch

Sams­tag­mor­gen, Märit­mor­gen. Vor dem Coop ver­tei­len zwei Män­ner Abstim­mungs­ma­te­rial. Der eine mit Hut und Schnauz. Unter der brau­nen Jacke ein zer­schlis­se­ner hell­blauer Roll­kra­gen­pull­over, freund­li­ches Lachen. Der andere wohl­ge­nährt, Leder­jacke und eben­falls gut­ge­launt, aufgestellt.

Zwei Gewerk­schaf­ter, im End­spurt um die AHV-Initia­ti­ven, denke ich. Und schon streckt mir der Schnauz­bär­tige einen Flyer ent­ge­gen. Um auch bei mir noch ein­mal für ein JA zur 13. AHV-Rente zu werben.

«Danke», meine Ant­wort. «Ich habe bereits abge­stimmt – und bin zuver­sicht­lich: Das kommt schon gut!» – Er scheint nicht ganz so über­zeugt und meint: «Ja, das wol­len wir doch hof­fen – es könnte aber knapp wer­den. Wegen der Finan­zie­rung… Aber da gibt es ja ver­schie­dene Mög­lich­kei­ten, nicht nur die Lohn­pro­zente.… man könnte auch die Natio­nal­bank­ge­winne nutzen…»

Ich spinne den Faden wei­ter: «Warum nicht eine Ver­mö­gens­steuer? – Geld gibt es auf alle Fälle genug, in der rei­chen Schweiz.»

Ein Wort ergibt das andere. Und schon sind wir beim Bun­des­haus­halt. Laut Ver­laut­ba­rung unse­rer amtie­ren­den Bundesrät:innen soll sich die Schweiz weder eine 13. AHV-Rente noch son­stige wei­tere Bil­dungs- oder Sozi­al­aus­ga­ben lei­sten kön­nen, zusätz­li­che Mil­li­ar­den­aus­ga­ben für die Auf­stockung der Armee aber schon…

Keine gute Idee, auch da schei­nen wir uns einig zu sein. Und mer­ken an, dass es momen­tan chan­cen­los sei, für Spar­mass­nah­men bei der Armee zu plädieren.

Ja, seit dem Krieg in der Ukraine habe die Stim­mung gedreht, stellt mein Gesprächs­part­ner fest. Frie­den sei zu einem Unwort gewor­den. Und fährt – fast trot­zig – fort: «Ich for­dere trotz­dem Frie­den. Das ist wich­tig, gerade jetzt. Es kann nicht sein, dass immer noch mehr Men­schen ster­ben und die Grä­ben immer tie­fer wer­den, der Hass immer grösser.»

Um den Krieg in der Ukraine zu been­den, bräuchte es zwei Dinge, fährt er fort: Das Land müsste sich zur Neu­tra­li­tät ver­pflich­ten, und im Osten der Ukraine, wo viele Men­schen rus­si­scher Mut­ter­spra­che seien, müsste Rus­sisch als Amts­spra­che zuge­las­sen wer­den. So wie wir in der Schweiz ja auch vier ver­schie­dene Lan­des­spra­chen hätten.

Mit einer sol­chen Poli­tik, so sein Fazit, hätte Putin wohl nicht ange­grif­fen. Obschon der Herr im Kreml alles andere als ver­trau­ens­wür­dig sei… Unter einem sol­chen Régime, auch da sind wir uns einig, möch­ten wir kei­nes­falls leben.

Die­sen letz­ten Satz hat der Kol­lege mit Leder­jacke auf­ge­schnappt, der sich bis­lang aus unse­rem Gespräch raus­ge­hal­ten und fleis­sig wei­ter Flyer ver­teilt hat. «Des­halb brau­chen wir eine starke Armee, damit wir uns ver­tei­di­gen kön­nen, wenn einer wie Putin angreift!», ruft er in die Runde.

Noch bevor ich fra­gen kann, wie genau er sich das Resul­tat einer solch mili­tä­ri­schen Ver­tei­di­gung vor­stelle, wirft sein Genosse schnell ein: «Natür­lich bin ich für eine starke Armee. Zur Ver­tei­di­gung. Unsere Armee greift ja nicht an, sie ver­tei­digt nur.» Und ver­tei­di­gen, das stehe fest, müsse sein.

Das habe man ja nun wie­der gese­hen mit Gaza. Oder Berg Kara­bach: Die armen Arme­nier seien ein­fach ver­trie­ben wor­den. Aber nie­mand sei für sie ein­ge­stan­den, nie­mand inter­es­siere sich für deren Schick­sal. Dabei müsste man auch gegen die Tür­kei und Aser­bai­dschan kla­gen, wegen Völ­ker­mords. «Ist das Leben der Chri­sten dort etwa weni­ger wert als jenes der Mus­lime in Gaza?», fragt der Schnauz­bär­tige. Wor­auf ich, schon fast ver­zwei­felt: «Jedes Leben ist gleich viel wert!»

Spä­te­stens jetzt wird es mir unheim­lich. Das Gespräch hatte gut ange­fan­gen und droht zu ent­glei­sen. Ich ver­su­che noch ein­mal anzu­knüp­fen: «Waf­fen­ge­walt kann nie die Ant­wort sein», sage ich. Gewalt erzeuge nur Gegen­ge­walt, Zer­stö­rung, Leid…

«Krieg ist nicht schön», räumt der Sil­ber­rücken mit der Leder­jacke ein. «Auch mir tun die jun­gen Sol­da­ten leid, die ins Gras beis­sen müs­sen.» Trotz­dem: Ver­tei­di­gung müsse sein. Wir ver­ab­schie­den uns, einig mit den bei­den Her­ren, was das wünsch­bare Ergeb­nis der AHV-Abstim­mung sein soll. Aber ansonsten?

Auf dem Heim­weg fra­gen wir uns, wie das nun war, mit dem Weg zum Frie­den. Und ob die bei­den gmö­gi­gen älte­ren Her­ren nun wirk­lich Gewerk­schaf­ter seien – oder eher der SVP nahe­ste­hende Dem­nächst­rent­ner. Wer weiss? Gewisse Fra­gen kom­men einem oft zu spät in den Sinn.

Dass die Bei­den das eine wie das andere in Per­so­nal­union sein könn­ten, erscheint uns so exo­tisch, wie einen Eis­bä­ren auf den Male­di­ven zu tref­fen. Immer­hin haben wir uns trotz der teil­weise unter­schied­li­chen Stand­punkte zivi­li­siert unter­hal­ten und dis­ku­tiert. Und das ist, in Zei­ten wie die­sen, ja schon mal fast etwas Aus­ser­or­dent­li­ches. Oder?

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