Mein neuer Pass wurde mir drei Tage nach Bestellung per Einschreiben zugeschickt. Ein super Service, man kann es nicht anders sagen! Dem Reisedokument beigelegt ein Flyer des EDA, mit Links zu den Reisehinweisen und zur Helpline des Departements. Nützlich und sinnvoll.
Ein No go hingegen das Foto auf der Vorderseite des Flyers. Aufgenommen hoch über einer Küstenlandschaft. Am oberen Bildrand prangt silbern ein Flugzeugflügel, tief unten eine langgezogene Lagune — und dazu der Slogan: Plane gut. Reise gut.
Ich traute meinen Augen kaum: Ist das nun eine amtliche Aufforderung zum Fliegen? Oder der versteckte Hinweis darauf, dass diese Küstenlandschaft – nicht zuletzt als Folge der Fliegerei — schon bald im Meer versinken dürfte?
Wie um alles in der Welt kommt das EDA dazu, eine solche Message, ein solches Bild zu verschicken, das Reisen mit Fliegen gleichsetzt ???
Die Wissenschaft lässt keine Zweifel offen: Fliegen schadet dem Klima. Obschon 90 Prozent (!) der Menschen weltweit noch nie ein Flugzeug bestiegen haben, beträgt der Anteil der Fliegerei an den Treibhausgasemissionen weltweit rund fünf Prozent. Schuld daran sind vor allem wir reichen Menschen, die sich das Fliegen leisten können.
In der Schweiz ist der Flugverkehr mit 27 Prozent der Treibhausgasemissionen gar Klimakiller Nummer 1. Doch wen kümmert’s? Fakt ist: Menschen, die in der Schweiz leben, fliegen im Schnitt doppelt so häufig wie jene in unseren Nachbarländern, und Wohlhabende sogar fünfmal häufiger…
Gerne klagen wir alle über den Klimawandel, und wie schlimm es ist, dass nicht entschlossen und wirkungsvoll gehandelt wird. Doch wenn es ums Fliegen geht, werden die meisten plötzlich ganz still. Oder finden wortreich Erklärungen und Ausreden. Ganz nach dem Motto: Augen und Ohren zu – Klima hin oder her. Wir lassen uns den Spass nicht verderben, und das Geschäft schon gar nicht!
Die Swiss hat 2023 16,5 Millionen Passagier:innen befördert und damit einen Rekordgewinn von 718 Millionen Franken eingeflogen. Damit nicht genug: Ab Sommerflugplan 2024 fliegt die Lufthansa-Tochter nicht nur zusätzliche Destinationen in Nordamerika, Asien und Osteuropa an – sie erhöht auch die Flughäufigkeit auf kürzeren Strecken, so etwa zwischen Zürich und Genf.
Dies ungeachtet aller Kritik an unsinnigen und klimaschädlichen Kurzstreckenflügen, die zehnmal soviel Treibhausgasemissionen pro Passagier:in verursachen wie Zugreisen. Trotzdem hält die Swiss an ihren Schweizer Inlandflügen fest – obschon zwischen den Flughäfen Zürich und Genf Züge im Halbstundentakt verkehren!
Eigentlich müsste hier das Bundesamt für Zivilluftfahrt eingreifen und derartigen Unfug verbieten. Schliesslich hat die Schweiz das Pariser Klimaabkommen 2015 ebenfalls unterschrieben — und ist bis heute alles andere als auf Kurs. Doch der Fliegerei werden — nicht nur hierzulande – keine Grenzen gesetzt, im Gegenteil: Sie bleibt weiterhin steuerbefreit und wird munter subventioniert. Erhöhte Abgaben auf Kerosin, ein Tabu.
Von Problembewusstsein keine Spur — die Bereitschaft zu handeln, lächerlich klein. Dies zeigt auch eine repräsentative Umfrage zum Reiseverhalten, die Comparis Anfang Mai publiziert hat. Demnach wollen fast die Hälfte aller Erwachsenen in der Schweiz dieses Jahr mindestens einmal in die Ferien fliegen.
Bei den 18- bis 35-Jährigen sagten sogar mehr als die Hälfte der Befragten, dass sie mit dem Flieger verreisen wollen, während bei den über 56-Jährigen 38 Prozent in Aussicht stellten, dieses Jahr nicht zu fliegen. Auch in meinem Bekannten- und Freundeskreis gibt es zahlreiche Menschen, die teils schon seit Jahren nicht mehr fliegen — aus Gründen des Klimaschutzes.
Doch die grosse Mehrheit kümmert sich keinen Deut um den Dreck, den ihre Flugreisen der Welt bescheren. Die Aviatik ist und bleibt ein Wachstumssektor — nicht nur in der Schweiz: Der Billigflieger Ryan Air hat seinen Gewinn im vergangenen Geschäftsjahr um 34 Prozent gesteigert. Weltweit steigen die Passagierzahlen wie auch die Zahl der im Einsatz stehenden Flieger und die angebotenen Flugreisen.
Der bereits riesige Flughafen von Dubai soll mit einem Budget von 32 Milliarden Franken um einen neuen Passagierterminal erweitert werden, um nach dessen Fertigstellung jährlich 260 Millionen Passagiere abfertigen zu können.
Wer wagt es vor diesen Hintergründen noch zu einer Reduktion des Flugverkehrs aufzurufen?
Angesichts der real existierenden Verhältnisse eine zum Scheitern verurteilte Einsicht und Forderung. Solange Ex-Bundesräte sorglos mit ihrem Privatflugzeug herumkurven, Magistrat:innen und Parlamentarier:innen mit dem Bundesratsjet nach Rom jetten oder zum Auskurieren ihrer Burnouts nach Asien fliegen, wird sich diesbezüglich kaum etwas ändern.
Da stellt man sich zurecht die Frage: Warum sollen wir nicht dürfen, was die machen? Schliesslich sind sie ja unsere Vorbilder, oder etwa nicht? — Und wenn das EDA mit dem neuen Pass gleich noch eine quasi-Aufforderung zu Flugreisen verschickt…
Trotzdem oder gerade deswegen heisst es: Entgegenhalten, am Boden bleiben. Wer nämlich erst einmal das Reisen zu Fuss, mit dem Velo oder ÖV entdeckt hat weiss: Damit lässt sich wunderbar die Welt entdecken!