Krokodilstränen und Polemik

Karl Lüönd, lang­jäh­ri­ger Publi­zist und Ken­ner der Schwei­zer Medi­en­land­schaft nimmt kein Blatt vor den Mund. Im Beob­ach­ter-Inter­view nennt er deutsch und deut­lich Gründe für die besorg­nis­er­re­gen­den Ent­wick­lun­gen in der schwei­ze­ri­schen Medi­en­land­schaft. Das hin­dert ihn aber nicht, zäh­ne­knir­schend und schwer seuf­zend ein JA zum Medi­en­ge­setz zu emp­feh­len. Diese Volte ist schwer nach­voll­zieh­bar, wird aber im öffent­li­chen Dis­kurs – vor allem im links­grü­nen Lager – eif­rig nachgetanzt.

So beschreibt Lüönd etwa das lukra­tive Geschäfts­mo­dell von Gross­ver­la­gen wie Rin­gier oder der TX Group, wel­che die ren­ta­blen Unter­neh­mens­teile «kunst­voll aus der unwirt­schaft­li­chen publi­zi­sti­schen Land­schaft her­aus­ope­riert haben und jetzt der Öffent­lich­keit vor­jam­mern wür­den, «dass die Wer­be­vo­lu­mina im Print mas­siv zurück­ge­gan­gen sind. Wenn sie es nun noch schaf­fen, die ren­ta­blen Unter­neh­mens­teile in einem attrak­ti­ven Ver­bund an die Börse zu brin­gen, dann wer­den die Haupt­ak­tio­näre von Mul­ti­mil­lio­nä­ren zu Milliardären.»

Der Trick ist alt­be­kannt und hat sich längst bewährt: Die Gewinne wer­den pri­va­ti­siert, für den Rest soll die Öffent­lich­keit auf­kom­men – in die­sem Fall für den redak­tio­nel­len Teil des Medi­en­ge­schäfts, den Ver­sand und die Zeitungsverträger:innen, die einst selbst­ver­ständ­lich durch dicke Stel­len­an­zei­ger und Auto­in­se­rate quer­sub­ven­tio­niert wur­den. Dann kamen den Ver­le­gern die neo­li­be­ra­len Pre­di­ger zu Hilfe: Quer­sub­ven­tio­nie­rung darf nicht sein. Alles was ren­tiert, abspal­ten und die Gewinne sepa­rat ein­sacken. Für den Rest stimmt der Ver­le­ger­chor Jam­mer­ge­sänge an und klagt bet­telnd im Bun­des­haus um gross­zü­gige Almo­sen, weil mit Medien kein Geld mehr zu ver­die­nen sei.

Dazu gibt es aus mei­ner Sicht nur eine Ant­wort: Nix da! Aber genau dies soll jetzt mit dem Medi­en­pa­ket noch beför­dert wer­den. Es ist erschreckend, wie viele sich links, grün oder gar pro­gres­siv rüh­mende Zeitgenoss:innen kri­tik­los und pole­misch für ein Gesetz wer­ben, das die­ser neo­li­be­ra­len Pra­xis Tür und Tor öffnet.

Damit nicht genug, denn das Medi­en­pa­ket beför­dert wei­tere Fehl­ent­wick­lun­gen. So schreibt etwa Karl Johan­nes Rech­stei­ner, Kom­mu­ni­ka­ti­ons­chef der Katho­li­schen Kir­che im Kan­ton Bern, in einem Post auf Social Media:

«Die Medi­en­schaf­fen­den gehen schlicht ver­ges­sen vor lau­ter För­de­rung der pro­fi­ta­blen Gross­ver­lage – wie kön­nen Mil­lio­nen-Sub­ven­tio­nen geplant wer­den ange­sichts der Aus­beu­tung von Schrei­ben­den etwa durch mise­ra­ble Hono­rare und rück­sichts­lose Miss­ach­tung von Urhe­ber­rech­ten? Warum wer­den die Gel­der nicht an einen neuen GAV gebunden?»

Diese Frage ist mehr als berech­tigt. Der viel­stim­mige Lob­ge­sang auf die Lokal­me­dien und deren unver­zicht­bare Lei­stun­gen für die Demo­kra­tie tönt falsch in mei­nen Ohren. Aus eige­ner Erfah­rung weiss ich: Die lokale Bericht­erstat­tung fri­stet seit jeher ein Mau­er­blüm­chen­da­sein. Schon zu mei­nen Anfangs­zei­ten als Jour­na­li­stin in den 1980er Jah­ren war es gang und gäbe, dass nicht Journalist:innen, son­dern Lehr­per­so­nen und Pen­sio­nierte für ein Trink­geld über das lokale Gesche­hen berich­te­ten. Heute begnügt man sich bei der aus poli­ti­schem Kal­kül mit Kro­ko­dils­trä­nen so eif­rig ver­tei­dig­ten Lokal­presse allzu oft damit, bloss die Medi­en­mit­tei­lun­gen von Behör­den und Fir­men abzu­drucken. Hand aufs Herz: Es gibt sie, die gute und wert­volle Lokal­be­richt­erstat­tung – aber sie ist heute mehr die Aus­nahme als die Regel. Leider.

Das hat natür­lich (auch) finan­zi­elle Gründe. Mar­tin Rothen­büh­ler, Prä­si­dent von AVIVO Bern, beschreibt es in einem Post auf Face­book wie folgt:

«Und dann gibt’s noch die Seite der Behör­den. Jedes Amt, jede Kom­mis­sion, jeder Poli­ti­ker, jede Poli­ti­ke­rin, jeder Ver­band, ja sogar jede NGO kommt heute nicht mehr aus ohne einen, zwei, drei Medi­en­be­auf­tragte. Gute, erfah­rene – aber schlecht hono­rierte – Journalist:innen wech­seln die Seite. Allein die Bun­des­ver­wal­tung, die ich sehr gut kenne, weist Heer­scha­ren von Medi­en­be­auf­trag­ten auf, dar­un­ter exzel­lente Leute. (Was das kostet!)»

Auch Karl Lüönd sieht in die­sem Punkt einen wesent­li­chen Schwach­punkt der aktu­el­len Medi­en­land­schaft und geizt dies­be­züg­lich nicht mit mar­ki­gen Worten:

«Ein Heer von Fas­sa­den­rei­ni­gern und Lei­chen­schmin­kern hat nicht nur in den Fir­men, son­dern auch in den Ämtern und öffent­li­chen Ein­rich­tun­gen, von der Kan­tons­po­li­zei bis zum Kunst­haus, die Herr­schaft über­nom­men. Jede Dienst­ab­tei­lung auf der Ver­wal­tung hat heute eine ganze Medienabteilung. (…)

Diese Kom­mu­ni­ka­ti­ons­leute schmin­ken die Lei­chen, die ihre Orga­ni­sa­tio­nen im Kel­ler haben, damit die Öffent­lich­keit meint, sie seien noch leben­dig. Sie bean­spru­chen die Deu­tungs­macht und kon­trol­lie­ren den Zugang zu den Wissensträgern.»

Diese Ent­wick­lung erschwert die jour­na­li­sti­sche Arbeit, auch hier schreibe ich aus eige­ner Erfah­rung: Wäh­rend man einst Politiker:innen, Expert:innen und Fach­per­so­nen in der Ver­wal­tung direkt befra­gen und zitie­ren konnte, führt heute kein Weg an der Medi­en­fach­stelle vor­bei. Diese glät­tet, selek­tiert und zen­su­riert in der Regel, was das Zeug hält.

Auch dazu noch ein­mal Karl Lüönd:

«Ich hatte ein paar Mal in mei­ner Kar­riere Zugang zum Top­ma­nage­ment von gros­sen Fir­men und habe deren Denk­weise mit­er­lebt. Die Medi­en­ab­tei­lun­gen sind für sie eine Art von Werk­schutz. Sie sol­len den Ent­schei­dungs­trä­gern die hart­näcki­gen Jour­na­li­stin­nen und Jour­na­li­sten vom Hals hal­ten und sie mit geschlif­fe­nen Sät­zen abspei­sen. Frü­her konnte ich als Jour­na­list in der Ver­wal­tung oder in einer Firma direkt die ver­ant­wort­li­che Fach­per­son anru­fen. Das ergab dann einen inter­es­san­ten Medi­en­be­richt aus erster Hand. Heute müs­sen die Jour­na­li­sten eine schrift­li­che Anfrage an eine Pres­se­stelle schicken. Was her­aus­kommt, ist oft offi­zi­el­les Blabla.»

Einen wei­te­ren Punkt, der in der gegen­wär­ti­gen Pole­mik eben­falls unter den Tisch gekehrt wird, ist die unsäg­li­che Ver­tei­lung von Mil­lio­nen an die Zei­tungs­ver­triebs­ge­sell­schaf­ten: Dass die Zeitungsverträger:innen, die bei jedem Wet­ter zu nacht­schla­fe­ner Zeit unter­wegs sind, nur einen Hun­ger­lohn erhal­ten, ist seit Jah­ren ein Skan­dal. Ganz abge­se­hen davon, dass diese Schande auch ohne neues Medi­en­ge­setz längst aus­ge­merzt wer­den müsste, ist die Papier­zei­tung auf dem Früh­stücks­tisch ein Aus­lauf­mo­dell. Auch ich gehöre der Gene­ra­tion an, die einst glaubte, ohne Zei­tungs­lek­türe sei der Mor­gen­kaf­fee unge­niess­bar. Weit gefehlt! Wir sind weder schlech­ter infor­miert, noch star­ten wir unglück­li­cher in den Tag, seit wir (aus poli­ti­schen Grün­den) unsere Abon­ne­ments der gedruck­ten Tages­zei­tun­gen gekün­digt haben. Wer sich in sei­nem Umfeld umhört stellt zudem fest: Es gibt kaum Men­schen unter 40 Jah­ren, die noch Tages­zei­tun­gen auf Papier lesen…sogar die Pendler:innen ver­wei­len sich lie­ber mit ihrem Smart­phone als mit 20-Minuten-Papier.

Und wem dies an Infos noch nicht reicht, hier noch ein Argu­ment gegen das Medi­en­pa­ket: Peter Sal­vis­berg, ehe­ma­lige Chef­re­dak­tor von Schwei­zer Radio Inter­na­tio­nal («swiss-info») und Geschäfts­lei­tungs­mit­glied der Kon­su­men­ten­info AG schreibt:

«Pro­fi­tie­ren würde.… die Post. Diese hat näm­lich bereits ange­kün­digt, dass sie per 1.1.22 und in den fol­gen­den drei Jah­ren pro Jahr pro Expl. Ihre Zustel­lungs­ge­büh­ren um 1,8 Rap­pen erhöht. Damit wer­den die 8–9 Rap­pen mehr, wel­che uns das Medi­en­ge­setz brin­gen wird, gerade wie­der weg­ge­fres­sen. Medienförderung=Postförderung…und nie­mand the­ma­ti­siert die­sen Zusam­men­hang. Das UVEK gibt’s via Bakom mit der rech­ten und nimmt’s via Post mit der lin­ken Hand.»

Und für den Rest machen Conin­xes, Rin­giers und Co. die hohle Hand. Unter­stützt von der WoZ, der Repu­blik, Infosper­ber und wie sie alle heissen.

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