Skip to content

Kein anderes Land…

©No Other Land

Sonn­tag, 10. Novem­ber 2024: Noch vor Tages­an­bruch hat die israe­li­sche Armee bei einem Angriff min­de­stens 25 Palästinenser:innen getö­tet, dar­un­ter 13 Kin­der – wei­tere 30 Per­so­nen wur­den ver­letzt… Am Vor­tag waren es min­de­stens 40 Tote, als Israel erneut eine Schule bom­bar­dierte, die als Flücht­lings­la­ger diente…

Israel setzt nicht nur sei­nen Geno­zid-Krieg unge­rührt und unge­hin­dert fort. In den letz­ten Wochen sind auch im Liba­non Tau­sende Men­schen ver­trie­ben und ver­letzt wor­den – unschul­dige Men­schen wur­den bestia­lisch umge­bracht und vom Mili­tär-Kom­mando zynisch als Kol­la­te­ral­scha­den abge­bucht. Die israe­li­sche Armee hat ganze Dör­fer und Quar­tiere im Nach­bar­land zerstört.

Der Staat Israel mor­det, ver­wü­stet, zer­bombt, wie es ihm gefällt – und die Welt schaut wei­ter­hin zu. Tref­fen­der wäre zu sagen, sie schaut weg. Wie sie es seit Jah­ren tut, in Bezug auf Isra­els men­schen­ver­ach­tende, töd­li­che Poli­tik, die nichts ande­res zum Ziel hat, als die nicht-jüdi­sche Bevöl­ke­rung aus dem Land «from the river to the sea» («vom Fluss bis zum Meer») zu vertreiben.

«Seit 1947 sind wir Augenzeug:innen einer kon­ti­nu­ier­li­chen eth­ni­schen Säu­be­rung», schreibt die palä­sti­nen­si­sche Autorin und Men­schen­rechts­ak­ti­vi­stin Fahia Abdul Hadi. Dazu gehöre auch die Zer­stö­rung der palä­sti­nen­si­schen Kul­tur – von Doku­men­ten über Bücher bis zu Kul­tur­denk­mä­lern, Schu­len, Universitäten…

Fahia hält dem mit ihren beschei­de­nen Mit­teln ent­ge­gen. In Ramal­lah hat sie das Insti­tut Al Rowat for Stu­dies & Rese­arch gegrün­det – al Rowat heisst «die Geschich­ten­er­zäh­ler» auf arabisch.

Ange­sichts der jahr­zehn­te­lan­gen Zer­stö­rung und den anhal­ten­den Ver­trei­bun­gen, sei es nicht nur drin­gend not­wen­dig, die ver­blie­be­nen schrift­li­chen Quel­len sorg­fäl­tig zu schüt­zen, so Fahia – viel­mehr müss­ten auch neue histo­ri­sche Quel­len erschlos­sen wer­den. Zeug­nisse, nicht aus dem Blick­win­kel der Kriegs­her­ren son­dern der Gepei­nig­ten. Aktu­ell fokus­siert sie sich in ihrer Arbeit auf Palästinenser:innen, die aus Gaza ver­trie­ben wur­den und heute in Ägyp­ten leben.

Ziel des Insti­tuts ist es, die palä­sti­nen­si­sche Geschichte und Kul­tur mit­hilfe von Oral-History-Inter­views zu sichern. «Es ist an der Zeit», schreibt Fahia in einem Arti­kel, den sie anläss­lich des dies­jäh­ri­gen inter­na­tio­na­len «Tags der Archive» publi­ziert hat, «dass wir unsere Ver­gan­gen­heit und unsere Gegen­wart sel­ber doku­men­tie­ren und sie unse­rem kol­lek­ti­ven natio­na­len Gedächt­nis erhalten.»

«Sprich, oh Vogel» heisst der poe­ti­sche Titel einer Wan­der­aus­stel­lung, die mit ein­drück­li­chen Bil­dern und Wor­ten von palä­sti­nen­si­schen Fami­lien erzählt, die durch die Israe­li­sche Unfrie­dens- und Besat­zungs­po­li­tik aus ihren Dör­fern, von ihrem Land ver­trie­ben wor­den sind.

©Al Rowat for Stu­dies & Research

Der Doku­men­tar­film «No Other Land», der aktu­ell in unse­ren Kinos läuft, geht noch einen Schritt wei­ter: Er doku­men­tiert die ver­bre­che­ri­sche Zer­mür­bungs- und Ver­trei­bungs­po­li­tik Isra­els der letz­ten 30 Jahre gegen die ein­hei­mi­sche palä­sti­nen­si­sche Bevöl­ke­rung in den besetz­ten Gebieten.

Mit Sze­nen, die blan­kes Ent­set­zen über Will­kür und Arro­ganz der israe­li­schen Trup­pen her­vor­ru­fen und nach­denk­lich stim­men­den Gesprä­chen zwi­schen den israelisch/​palästinensischen Haupt­per­so­nen. Die Autor:innen Basil Adra, Rachel Szor, Hamdan Bala und Yval Abra­ham fokus­sie­ren in ihrem Film auf die Ver­trei­bung und Zer­stö­rung der palä­sti­nen­si­schen Dör­fer in Masa­fer Yatta süd­lich von Hebron.

Der Film zeigt Basil Adra, seine Eltern und Geschwi­ster, die in Masa­fer Yatta leben und sich seit er sich erin­nern kann, gegen die Ver­trei­bungs­po­li­tik gewehrt haben. Wie schon seine Eltern vor 20 Jah­ren, tut er dies mit der Kamera in der Hand.

Schon Anfang der 1980er Jahre hatte Israel dekla­riert, dass es die Ara­ber aus ihren histo­ri­schen Dör­fern in der Region Masa­fer Yatta ver­trei­ben wolle – und zu die­sem Zweck das Land zum Schiess­übungs­platz für die israe­li­sche Armee erklärt.

Seit­her haben die Men­schen in Masa­fer Yatta uner­müd­lich und zäh um ihre Rechte gerun­gen. Gegen einen über­mäch­ti­gen Geg­ner, der keine Mit­tel scheut, um sein letzt­li­ches Ziel zu errei­chen – die end­gül­tige Ver­trei­bung der Men­schen von ihrem Land, aus ihren Häu­sern. Seit 2022 zusätz­lich «legi­ti­miert» durch ein Urteil des israe­li­schen Gerichtshofs.

Das hat die Situa­tion jetzt noch ver­schlim­mert. Zur wei­te­ren Eska­la­tion tra­gen die Sied­ler bei, deren Sied­lun­gen seit Jahr­zehn­ten in palä­sti­nen­si­sches Gebiet wuchern, wobei sie mit Gewalt gegen die palä­sti­nen­si­schen Dorfbewohner:innen vor­ge­hen – unter dem Schutz­schirm des israe­li­schen Militärs.

Immer wie­der wer­den die Filmemacher:innen geru­fen, weil israe­li­sche Soldat:innen in einem der Dör­fer ein­mar­schiert sind, wo sie die Men­schen aus ihren Häu­sern trei­ben. Das Pro­ze­dere ist immer das Glei­che: Die Frauen und Kin­der wer­den aus den Häu­sern gezerrt, danach kom­men Bull­do­zer zum Zug, die unter den Augen der Bewohner:innen deren Daheim platt walzen.

«Wenn wir das alles doku­men­tie­ren und der Welt zei­gen, was hier geschieht, wird es irgend­ein­mal auf­hö­ren», sagt Adra im Film. So fil­men sie mit ihren Kame­ras und Han­dys den unglei­chen Kampf zwi­schen israe­li­schen Soldat:innen und Dorfbewohner:innen, die ihr Land nicht auf­ge­ben wollen.

Das ist mutig und gefähr­lich. Nicht sel­ten kommt es zu pre­kä­ren Situa­tio­nen, wenn die schwer bewaff­ne­ten Soldat:innen erbar­mungs­los durch­grei­fen und auch vor töd­li­chen Schüs­sen nicht zurückschrecken.

Erschüt­ternd die Szene, in der die Mut­ter zuse­hen muss, wie ihr Sohn von israe­li­schen Soldat:innen nie­der­ge­schos­sen wird, weil er sich dage­gen wehrt, dass diese der Fami­lie ihren Strom-Gene­ra­tor weg­neh­men und kaputt schla­gen. Wir sehen, wie der junge Mann als voll­stän­dig gelähm­ter Krüp­pel vor­erst über­lebt, wie die Mut­ter für sein Leben und seine Würde kämpft – chan­cen­los. Schliess­lich stirbt er an den Fol­gen der Schussverletzung.

Die fil­mi­sche Doku­men­ta­tion israe­li­scher Unta­ten nimmt kein Ende. Wir trauen unse­ren Augen nicht, wie die israe­li­sche Sol­da­teska eine palä­sti­nen­si­sche Bewäs­se­rungs­an­lage bös­ar­tig und per­vers demo­lie­ren: Sie frä­sen Was­ser­lei­tun­gen ent­zwei und fül­len einen Brun­nen mit Kubik­me­tern von Beton.

Trotz­dem kämp­fen die Men­schen wei­ter – ste­hen immer wie­der auf, rich­ten sich in Höh­len ein, ver­su­chen bei Nacht und Nebel, ihre Häu­ser neu auf­zu­bauen. «Wir haben kein ande­res Land – wir kön­nen nir­gendwo hin», sagt eine Frau auf die Frage eines Repor­ters, warum sie sich dies antue.

«No other Land» wurde zurecht an der Ber­li­nale mit dem Doku­men­tar­film­preis aus­ge­zeich­net und hat auch in Ber­lin und Nyon den Publi­kums­preis erhal­ten. Es darf aber nicht dabei­blei­ben, dass uns der Film bewegt, Betrof­fen­heit aus­löst und das war’s dann schon.

«No other Land» ist ein Appell an uns alle, nicht län­ger weg­zu­schauen. Vor allem aber sollte er zum Pflicht­stoff erklärt wer­den, ins­be­son­dere für die Israelversteher:innen hier­zu­lande, , die sich hart­näckig wei­gern, den Unrecht­staat Israel in die Schran­ken zu wei­sen und wei­ter­hin des­sen krie­ge­ri­sches Mor­den schön­re­den wollen.

Ein wei­te­res bewe­gen­des Zeug­nis aus Masa­fer Yatta – geschrie­ben von einem Leh­rer, publi­ziert am 7. Novem­ber 2024 im unab­hän­gi­gen israe­lisch-palä­sti­nen­si­schen +972-Maga­zine, für das u.a. auch Yuval Abra­ham arbeitet:

click and read

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wir benutzen Cookies um die Nutzerfreundlichkeit der Webseite zu verbessen. Durch Deinen Besuch stimmst Du dem zu.