Die Horror-Meldungen aus dem Nahen Osten reissen nicht ab. Die israelische Armee hat Anfang Woche in Gaza erneut zugeschlagen und mit einem Bombenangriff auf die «humanitäre Zone» von Chan Junis mindestens 40 Menschen getötet.
In der Nacht zuvor flog die israelische Armee einen Luftangriff in Zentralsyrien. Dieser galt dem Vernehmen nach einem Zentrum zur Herstellung chemischer Waffen. Die anfänglich genannte Zahl von 7 Todesopfern wurde bald auf 18 (darunter auch zahlreiche Zivilist:innen) sowie über 40 Verletzte korrigiert.
Das sind nur zwei Schlagzeilen – täglich kommen neue hinzu. Stark betroffen sind nebst Gaza, dem Zentrum des Grauens, seit Monaten auch das Westjordanland und der Südlibanon – Israel schreckt aber auch nicht davor zurück, in anderen Ländern – wie oben erwähnt in Syrien oder im Iran – zuzuschlagen.
Angesichts der anhaltenden Kriegshandlungen versuchen mittlerweile sogar treue Verbündete wie die USA oder Deutschland, Israel zur Mässigung anzuhalten. Ministerpräsident Netanjahu und seine Befehlshaber schlagen jedoch jegliche Kritik in den Wind und morden unbeirrt weiter. Weder die eigene Bevölkerung, die seit Monaten gegen die menschenverachtende Politik ihrer Regierung mit landesweiten Demonstrationen und Streiks protestiert, noch Klagen am internationalen Gerichtshof oder diplomatische Bemühungen zeigen Wirkung.
Die Zahl der Todesopfer ist allein in Gaza mittlerweile auf über 41’000 gestiegen – hinzu kommt eine Vielzahl von Verletzten, Traumatisierten, Obdachlosen… Den Menschen bleibt nichts anderes, als der Versuch, in den Trümmern zu überleben. Dabei werden sie von der israelischen Armee quer durch den Gazastreifen getrieben. Sicher sind sie allerdings nirgends, wie wiederholte israelische Angriffe auf Schulen, Spitäler und «humanitäre Zonen» zeigen. Hinzu kommt die systematische Behinderung der Nothilfe an die Kriegsopfer durch Israel.
Solange westliche Politiker:innen – allen voran in den USA – auf Israels Kriegsverbrechen nur mit harmlosen Ermahnungen reagieren, diesen aber keine Sanktionen folgen lassen und sogar weiterhin Waffen liefern, wird die rechtsextreme Regierung in Jerusalem ihren zerstörerischen Kurs fortsetzen. Der notabene das ganze Land und seine Bevölkerung – auch die jüdische – in den Abgrund treibt.
Es ist unfassbar, mit welcher Beharrlichkeit Kritik zum Schweigen gebracht wird, die den beabsichtigten Völkermord durch die israelische Regierung und deren völkerrechtswidrigen Kriegshandlungen benennt. Die Antisemitismuskeule ist das bevorzugte Instrument. Auch in der Schweiz.
Als Ende letzter Woche bekannt wurde, dass Israel dem UNRWA-Chef Philippe Lazzarini nicht nur die Einreise nach Gaza, sondern auch ein Visum für Israel verweigert, rührte sich in der Schweiz niemand. Vergeblich die Hoffnung, dass das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA dem Schweizer UN-Chefbeamten den Rücken gestärkt hätte. Etwa, indem – als diplomatisch schmerzfreie Massnahme – wenigstens die israelische Botschafterin Ifat Reshef in dieser Sache einbestellt worden wäre.
Doch nichts geschah.
Stattdessen erhielt Frau Reshef im jüdischen Wochenmagazin Tacheles eine breite Plattform, wo sie Israels Politik und Sicht der Dinge unwidersprochen ausbreiten durfte. Wie nicht anders zu erwarten, betätigte sich die Botschafterin als Lautsprecherin der israelischen Regierung. Sie beklagte einzig und allein die jüdischen Opfer und Geiseln – die Toten, Verletzten und Vertriebenen auf palästinensischer Seite waren ihr kein Wort wert – auch nicht dem Stichwortgeber Chefredaktor Yves Kugelmann.
Wer die israelische Kriegspolitik kritisiere, so dozierte Reshef, sei antiisraelischer Propaganda auf den Leim gegangen. Jungen Menschen fehle es oft an der notwendigen Bildung – sie meinten es zwar gut, seien aber naiv. Und schliesslich unterstellte sie dem UNO-Sicherheitsrat, dass seine Veröffentlichungen «praktisch nie» der Realität entsprechen würden und forderte die Schweizer Behörden auf, diesbezüglich und bei der Eliminierung der UNRWA ihren Einfluss geltend zu machen.
Eine Aufforderung, die nicht neu ist – und von der Israellobby hierzulande längst an wichtiger politischer Stelle platziert wurde: Zum Auftakt der Herbstsession hatte der Nationalrat diese Woche über drei Vorlagen in Bezug auf die finanzielle Schweizer Unterstützung der UNRWA zu befinden. Initiiert allesamt unter dem Kommando von Mitgliedern der Parlamentariergruppe Schweiz-Israel, deren Zweckbestimmung lautet: «Die Gruppe vertritt israelische Positionen in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur. Beziehungspflege mit der Knesset, ihren Mitgliedern und mit der israelischen Botschaft.»
Als Antwort auf die Motion von SVP-Nationalrat David Zuberbühler, dem UN-Hilfswerk für die Palästinenser:innen ab sofort kein Geld mehr zukommen zu lassen, gab Aussenminister Cassis (auch er ein ehemaliges Mitglied der Parlamentariergruppe Schweiz-Israel!) vor dem Parlament zu bedenken: «Die UNRWA ist ein Problem, aber ein totaler Rückzug in einer humanitären Krise ist nicht vereinbar mit der humanitären Tradition der Schweiz.»
Die grosse Kammer hat den Antrag trotzdem mit 99 zu 88 Stimmen angenommen, bei 7 Enthaltungen. – Auch die von der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats eingebrachte Forderung, Nothilfegelder für Gaza künftig nicht mehr an die UNRWA, sondern an andere Organisationen zu überweisen, fand im Rat eine Mehrheit. Dies, obschon bekannt ist und unter anderem auch das IKRK darauf hingewiesen hat, dass ohne die Mitarbeitenden und das Netzwerk der UNRWA Hilfeleistungen in Gaza kaum mehr möglich wären.
Nichtsdestotrotz verabschiedete der Nationalrat einen weiteren Vorstoss, der verlangt, dass der Bundesrat Alternativen zur UNRWA prüfen solle. – Obschon es – siehe oben – diese gar nicht gibt. Damit hat die Netanjahu-hörige Israel-Lobby einen durchschlagenden Erfolg erzielt.
Es ist ein schlimmes Trauerspiel, das die offizielle Schweiz in Bezug auf den Nahen Osten darbietet. Statt sich für die Schwächsten und Kriegsopfer zu engagieren, leistet die Mehrheit des Schweizer Parlaments und der Regierung der israelischen Regierung und ihrer rechtsextremen Klientel Beihilfe zu Untaten, die völkerrechtlich abgeurteilt gehören.
Infosperber vom 12. September 2024: Kommentar von Pia Holenstein zur Israel-Lobby und ihren Machenschaften in der Schweiz – sehr lesenswert:
Merci, Gabi. “Fadegrad”. Du bringst es wieder einmal auf den Punkt.