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Irrweg Wachstum – je mehr desto besser?

Sams­tag, 4. Mai, spä­te­rer Nach­mit­tag. Auf dem Kaser­nen­areal in Zürich Früh­lings­stim­mung und leben­di­ges Trei­ben, im Nach­klang des 1.Mai-Feiertags. Auf der Wiese ein rie­si­ger Kin­der­spiel­platz. An bun­ten Stän­den enga­gierte Men­schen, die Unter­schrif­ten sam­meln und für Gerech­tig­keit, Soli­da­ri­tät und Frie­den wer­ben – kurzum, für eine bes­sere Welt. Andere zau­bern köst­li­che Gerichte, ver­füh­re­ri­sche Düfte stei­gen in die Nase. Von einer Bühne Gitar­ren­klänge und die Stimme einer Sängerin.

Im Rah­men die­ses ent­spann­ten, posi­tiv gestimm­ten Set­tings, fand im Wal­che­turm-Lokal am Rand des Fest­are­als eine Dis­kus­sion statt über die Frage, wie die zer­stö­re­ri­sche Wachs­tums­spi­rale der glo­ba­len Wirt­schafts- und Kon­sum­ge­sell­schaft zu stop­pen sei.

Ein Thema, das viele umtreibt. Obschon man sich zuwei­len, ange­sichts des täg­lich prä­sen­ten Konsum‑, Zer­stö­rungs- und Wachs­tums­wahns zu Recht eine ganz andere Frage stellt. Näm­lich, ob die­ser Schnell­zug in die fal­sche Rich­tung über­haupt noch auf­zu­hal­ten sei, oder ob wir nicht viel­mehr gerade im Begriff sind, unsere Lebens­grund­la­gen mit dem Fuss auf dem Gas­pe­dal an die Wand zu fahren.

Anlass der Ver­an­stal­tung war die Vor­stel­lung des WIDER­SPRUCH-Hefts Nr. 82. Unter dem Titel «Post­wachs­tum – Leben über die Ver­hält­nisse?» lei­stet die­ses einen anre­gen­den und ermu­ti­gen­den Bei­trag zur Debatte rund um das Thema Begren­zung des Wachs­tums oder sogar Minus­wachs­tum – auf Öko­no­men-Neu­deutsch eti­ket­tiert als Degrowth.

Über hun­dert Men­schen hat­ten sich ein­ge­fun­den, um über das Thema zu debat­tie­ren, Ideen ein­zu­brin­gen und Denk­an­stösse heim zu nehmen.

Bei der Ana­lyse der Situa­tion herrscht unter den 14 Autor:innen, die zum Heft bei­getra­gen haben, weit­ge­hend Einig­keit. «Die wich­tig­sten Ursa­chen der jet­zi­gen Umwelt­krise lie­gen in den Inve­sti­tio­nen der auf fos­si­ler Ener­gie basier­ten Wirt­schaft der Ver­gan­gen­heit, und die Besit­zen­den wer­den nicht frei­wil­lig die jet­zi­gen oder zukünf­ti­gen Inve­sti­tio­nen abschrei­ben, wenn sie nicht dazu gezwun­gen wer­den, wonach es momen­tan über­haupt nicht aus­sieht», schreibt etwa Michael Graff, Pro­fes­sor für Volks­wirt­schafts­lehre an der ETH, unter dem Titel «Wachs­tums­kri­tik und Post­wachs­tums­ge­sell­schaft – eine kon­se­quent linke Sicht».

Gemein­sam mit der Autorin Chri­stine Dell­sper­ger, die in ihrem Arti­kel die soge­nannte Low-Tech-Bewe­gung als gelebte Alter­na­tive zum vor­herr­schen­den auf Pro­fit­ma­xi­mie­rung getrimm­ten Kapi­ta­lis­mus vor­stellt, lotete Graff anläss­lich der Podi­ums­dis­kus­sion mög­li­che Aus­wege aus der Wachs­tums­falle aus. 

Eigent­lich hät­ten wir die not­wen­di­gen Instru­mente, um schäd­li­ches Wachs­tum ein­zu­däm­men, sagte der ETH-Öko­nom. Als Bei­spiele nannte Graff Len­kungs­ab­ga­ben oder die CO2-Steuer. Damit diese aber tat­säch­lich grei­fen wür­den, müss­ten sie so hoch ange­setzt wer­den, dass dies einem Ver­bot gleich­käme. Das sei aber poli­tisch nicht gewollt und des­halb nicht durchsetzbar.

«Ich bin erschrocken, als ich bei der Recher­ché zum WIDER­SPRUCH-Arti­kel fest­ge­stellt habe, wie nutz­los diese Instru­mente sind», gestand Graff. Sein Fazit – wie auch jenes der mei­sten Autor:innen des Hefts: Die Durch­set­zung eines wirk­sa­men, sozial gerech­ten Kli­ma­schut­zes ist im Rah­men des kapi­ta­li­sti­schen Systems nicht möglich.

Chri­stine Dell­sper­ger, Wirt­schafts­hi­sto­ri­ke­rin und lang­jäh­rige Attac-Akti­vi­stin aus Genf, wies zudem dar­auf hin, dass der immer wei­ter­wach­sende Gra­ben zwi­schen Arm und Reich die Dis­kus­sion um Degrowth zusätz­lich erschwert: «Das drin­gend not­wen­dige Schrump­fen der Wirt­schaft muss zwin­gend mit einer sozia­len Absi­che­rung für die Armen gekop­pelt sein.» Dies gilt sowohl inner­halb unse­rer eige­nen Gesell­schaf­ten wie auch inter­na­tio­nal. Zudem stellte Dell­sper­ger klar: «Degrowth ist letzt­lich nur ein Mit­tel zum Zweck. Ziel ist eine nach­hal­tige Post­wachs­tums­ge­sell­schaft, die glo­bal auf Gerech­tig­keit und Selbst­be­stim­mung beruht.»

Eine Ant­wort auf die bren­nende Frage, wie ange­sichts der real exi­stie­ren­den Macht­ver­hält­nisse, das Ziel einer sol­chen Post­wachs­tums­ge­sell­schaft erreicht wer­den kann, hat­ten erwar­tungs­ge­mäss weder die Podi­ums­teil­neh­men­den noch die Men­schen im Publikum.

Eine Besu­che­rin plä­dierte für die Demo­kra­ti­sie­rung der Wirt­schaft bis in die ein­zel­nen Betriebe und Unter­neh­men hin­ein. Ein Votant für ein bedin­gungs­lo­ses Grund­ein­kom­men und das Ende der Zins­wirt­schaft. Eine ältere Frau zwei­felte, ob die Grund­kon­sti­tu­tion des mensch­li­chen Gei­stes, die nach immer mehr giert, auf Ver­zicht umpro­gram­mier­bar ist.

Chri­stine Dell­sper­ger zeigte sich über­zeugt, dass ein glo­ba­ler Wan­del nicht mit einem gros­sen Ruck zu erzie­len ist, son­dern durch viel­fäl­tige lokale und regio­nale Initia­ti­ven, die den Beweis erbrin­gen kön­nen, dass es auch anders geht. Sie wies auf die unzäh­li­gen Grup­pie­run­gen hin, die welt­weit bereits heute neue Wege aus­pro­bier­ten. Als Bei­spiel erwähnte sie die Genos­sen­schaft Ate­lier Paysans, die gemein­sam mit Bäue­rin­nen und Bau­ern eigene Maschi­nen ent­wickeln um diese, und mit­tel­fri­stig auch grös­sere Teile der Bau­ern­schaft, aus den Abhän­gig­kei­ten der Agro­in­du­strie zu befreien. «Sol­che Bewe­gun­gen müs­sen mehr Publi­zi­tät erlan­gen, damit sich andere Men­schen inspi­rie­ren las­sen… Ich weiss kei­nen ande­ren Weg, wie wir sonst aus der gegen­wär­ti­gen Situa­tion her­aus kommen…»

Michael Graff äus­serte als Hoff­nung, dass sich die unzäh­li­gen Basis­be­we­gun­gen mit ihren viel­fäl­ti­gen Enga­ge­ments zusam­men­fin­den, um gemein­sam den Umsturz, das Ende des zer­stö­re­ri­schen Wachs­tums-Kapi­ta­lis­mus einzufordern.

Den gröss­ten Applaus ern­tete schliess­lich ein Auf­ruf aus dem Publi­kum zur Unter­stüt­zung von Akti­vi­stin­nen und Akti­vi­sten, die mit Aktio­nen wie Demos, Stras­sen­blocka­den oder Schutz­camps für bedrohte Wäl­der immer wie­der für Schlag­zei­len sor­gen und so Sand ins Wachs­tums­ge­triebe streuen.

Das Fazit nach ein­ein­halb Stun­den Dis­kus­sion: Pro­blem erkannt – ein­fa­che Gene­ral­lö­sun­gen aber in wei­ter Ferne. Fest steht hin­ge­gen: Das Ein­zige, was wei­ter­wach­sen muss, ist der Wider­stand gegen das res­sour­cen­fres­sende Wachstum.

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