Als ich ein Kind war, schauten wir voller Mitleid nach Amerika: Der rüde Umgang mit ArbeiterInnen und Angestellten – bekannt unter der Kurzformel «Hire and Fire» – diese Unkultur, dachten wir, wäre in der Schweiz, in Europa undenkbar.
Im Gegenteil: Wir glaubten damals, Fortschritt bedeute, dass sich die Arbeitswelt zum Besseren entwickeln würde; zu mehr Menschlichkeit, Mitbestimmung, Zusammenarbeit. Dass die Wertschätzung des Personals und Teamarbeit verknöcherte Hierarchien aufbrechen und so eine Optimierung nicht nur des Arbeitsklimas sondern auch der Produktionsprozesse ermöglichen würden.
Weit gefehlt! Die Globalisierung des Arbeitsmarkts und die unersättlichen Gier nach Wachstum und Gewinn haben die Entwicklung bei uns in die entgegengesetzte Richtung gelenkt. Wo immer man hinhört, klagen ArbeitnehmerInnen – auf allen Stufen – über zunehmenden Druck. Leise nur, denn wer gegen die Direktiven «von oben» aufmuckst, riskiert die Kündigung. Die «human» Resource Mensch ist zur Jongliermasse geworden.
Längst hat auch bei uns «Hire and Fire» Einzug gehalten. Schon erinnert man sich mit Wehmut an die einstigen Patrons, die sich für ihren Betrieb und die Angestellten verantwortlich fühlten und dafür besorgt waren, Arbeitsplätze zu erhalten.
Heutige Manager sind nur noch der Kostenreduktion und Gewinnoptimierung verpflichtet. Alles dreht sich um die Produktivitätssteigerung, der Horizont reicht noch bis zum nächsten Quartalsbericht, und die MitarbeiterInnen sind bloss noch ein Kostenfaktor. Was gerne und deutlich kommuniziert wird.
Ob in der Industrie, im Buchhandel, der Verwaltung oder beim IKRK – überall wird umstrukturiert, um Kosten zu sparen. Zu den neuen standardisierten Verfahren gehört, dass MitarbeiterInnen, die sich während Jahren in einem Betrieb, in Projekten engagiert haben, plötzlich neu bewerben müssen, inklusive Motivationsschreiben. Eine Demütigung ohnegleichen für die Betroffenen. Die Folgen sind Frustration, Demotivation. Wer es sich leisten kann geht. Oft sind es die Mutigen, Kreativen…
Eine schier unglaubliche Geschichte vernimmt man aus dem Tessin, wo die SRG aus Spargründen 18 MitarbeiterInnen entlassen hat. Laut Berichten der MEDIENWOCHE und der WOZ wurden die Betroffenen ad hoc per Telefon ins Chefbüro bestellt, wo man ihnen die fristlose Kündigung mitteilte, gleich den Zugangsbadge entzog und sie direkt auf die Strasse stellte. Um alles reibungslos über die Bühne zu bringen, hatte man sogar Sicherheitsbeamte angeheuert.
Solch menschenverachtende Methoden haben Konjunktur. Und werden weiter zunehmen – denn die Angst ist gross: Wer sich wehrt, riskiert seinerseits den Rausschmiss. Und wird es schwer haben, anderswo eine Anstellung zu finden.
Die aktuelle Wirtschaftspolitik befördert die weitere Verrohung der Sitten, indem wir unser «Tafelsilber» nach Katar und China verkaufen: Wer das Sagen hat, bestimmt letztlich auch die Unternehmenskultur.
Angesichts der aktuellen Entwicklungen könnte es durchaus sein, dass wir uns schon bald voller Nostalgie an die aus den USA importierten Variationen des «Hire and Fire» erinnern. Weil die neuen Besitzer von Bürgenstock, Sigg, Syngenta oder CS noch ganz andere Methoden einsetzen werden, um ihre Gewinne zu optimieren und aus der Schweiz abzuzügeln.