
Vor gut zehn Jahren herrschte in unserer nächsten Nachbarschaft so etwas wie Aufbruchstimmung: Nachdem der deutsche Rüstungsgigant Rheinmetall 1999 die ehemalige Bührle-Kanonenfabrik in Oerlikon von deren Erb:innen gekauft und zur Schweizer Tochterfirma RheinmetallAir Defence AG umgebaut hatte, wurden Pläne für einen Wegzug aus dem Quartier bekannt. Die alten Strukturen würden nicht mehr zum heutigen Unternehmen passen, liess Rheinmetall 2013 verlauten. Man sei deshalb auf der Suche nach einem neuen Standort in der Region.
Um das freiwerdende 53’000 Quadratmeter grosse Industrieareal für die Zukunft fit zu machen, hatte Rheinmetall die Immobilienentwickler Mobimo und Hochtief Development Schweiz AG an Bord geholt. Das erklärte Ziel des Konsortiums war, das zentral gelegene Herzstück der ehemaligen Bührle-Waffenschmiede mit einem attraktiven Umnutzungsprojekt zu vergolden. «Nach dem Wegzug bietet sich auf dem Areal an ausgezeichneter Lage zwischen Bahnhof und Wohngebiet in Zürich-Oerlikon eine grosse Chance für eine attraktive, städtische Entwicklung basierend auf einer gemischten Nutzung mit Schwerpunkt im Wohnbereich. Damit stärkt Mobimo die Basis für attraktive neue Projekte weiter», schrieb der Immobilienkonzern in seinen Geschäftsbericht von 2012.
Die Vision einer Öffnung und Umnutzung des Areals mit Kleingewerbe, Wohnen, Dienstleistungs- und Restaurantbetrieben stiess auf grosse Resonanz, insbesondere auch in Oerlikon selber. Um eine solche Entwicklung zu ermöglichen, hätte das Industrieareal zu einer Zentrumszone mit Mischnutzung aufgezont werden müssen, mit der Folgewirkung einer Verdreifachung des Quadratmeterpreises für das riesige Grundstück. Schnell wurde deshalb die Forderung laut, die Stadt müsse das Areal, oder zumindest Teile davon, kaufen und gemeinnützigen Wohnbauträgern im Baurecht zur Verfügung stellen.

Die rot-grüne Stadtregierung stellte sich jedoch quer: Das ehemalige Bührle-Areal sollte auch nach dem Wegzug von Rheinmetall industrieller und gewerblicher Nutzung vorbehalten bleiben, argumentierte der Vorsteher des Baudepartements, SP-Stadtrat André Odermatt.
Damit wurden die Gewinnaussichten für Rheinmetall als Besitzerin des Grundstücks bei einem allfälligen Verkauf drastisch geschmälert. Zudem erwies sich die Suche nach einem neuen Produktionsstandort für die Rüstungsfabrik offenbar als schwierig. Dies nicht zuletzt, weil das Areal zwischen der Birch- und Binzmühlestrasse für die Rheinmetall-Tochter Air Defence AG aus einem speziellen Grund offenbar optimal gelegen ist: Wie ehemalige Untermieter anlässlich eines Informationsaustauschs erfahren hatten, profitiert die Air Defence AG für die Entwicklung ihrer militärischen Flugabwehrsysteme von ihrem Standort in der Anflugschneise zum Flughafen Zürich. Sie könnten so vom Dach ihres Hauptsitzes aus kostengünstig «Tests an lebendigen Zielen» durchführen (gemeint sind Flugzeugbewegungen rund um den Flughafen Zürich-Kloten!), so die damalige Auskunft. Deshalb sei es schwierig, für die Firma einen neuen, gleichwertigen Standort zu finden.
Weil das 5,3 Hektaren grosse Grundstück mit seinen zahlreichen, noch aus der Bührle-Zeit stammenden, Gebäuden für den Bedarf von Rheinmetall während Jahren viel zu gross war, vermietete der Konzern zahlreiche Produktions- und Büroräume, Ateliers und sogar ganze Hallen an Dritte. Eine willkommene Einnahmequelle für den Konzern, insbesondere während der Jahre, als die Nachfrage nach Rüstungsgütern im Keller war.
Doch damit ist nun Schluss. Das machTheater Zürich ist aktuell der einzige aktuell noch verbliebene Mieter von Rheinmetall – alle anderen sind in den letzten zwei Jahren ausgezogen. Der Grund: Rheinmetall machte Eigenbedarf geltend. Wie die gesamte Rüstungsindustrie, florieren und prosperieren auch die drei Schweizer Töchter des deutschen Rüstungsgiganten, weshalb nun in Zürich-Oerlikon massiv ausgebaut und aufgestockt wird.
Der aktuelle Verkaufsschlager aus Zürich heisst «Skyranger». Rheinmetall missbraucht – ganz in alter Bührle-Tradition – den Namen unseres Stadtteils als Label für ihren «OERLIKON SKYRANGER®». Anlässlich einer Promoveranstaltung im Herbst 2024, habe der «Skyranger 30», das jüngste Kind der «Skyranger-Familie» rundum Begeisterung ausgelöst, liess damals der Air Defence-CEO Oliver Dürr damals gegenüber der NZZ verlauten. Viele Nationen seien interessiert und wollten bestellen: Als erstes habe Österreich einen Serienauftrag erteilt, gefolgt von Deutschland und Dänemark.

Aufgrund der Milliarden-Aufträge wurde die Produktion in Oerlikon hochgefahren und neues Personal eingestellt. Dies, weil bereits ab Ende 2025 Skyranger-Flugabwehr-Türme im Wochenrhythums aus dem Werk in Zürich-Oerlikon ausgeliefert werden sollen. Bei einem Stückpreis von über einer halben Million Euro ein Riesengeschäft – das weiter ausgebaut wird.
Der grösste Waffenproduzent in der Schweiz, der auch Munition und Sprengstoff produziert, will seinen Personalbestand mitten in der Stadt von heute 1’200 noch einmal um mehrere hundert Leute aufstocken. Dafür buhlt er aktuell mit lockenden Angeboten um Fachkräfte und Lehrlinge, die anderswo dringend gebraucht und wertschöpfender als für die Waffenproduktion eingesetzt werden könnten.
Das Nachsehen hat die Quartierbevölkerung: Ein Areal von mehr als 5 Hektaren Umfang an bester Lage bleibt nun auch in Zukunft eine «verbotene Stadt» – abgeriegelt vom öffentlichen Raum durch Mauern und Zäune, mit Videoüberwachung und patrouillierendem Sicherheitspersonal. Der öffentliche und denkmalgeschützte Gustav-Ammann-Park, der Rheinmetall gehört, aber von Grünstadt Zürich betreut wird und für die Bevölkerung einst bis abends um 22 Uhr frei zugänglich war, wird neuerdings bereits um 18.30 zugesperrt.
Statt der noch bis bis vor kurzem in Aussicht gestellten Befreiung von der Waffenschmiede und der Öffnung des Werkgeländes für Alle, erlebt Oerlikon nun also die bedauerliche Rückeroberung durch die Rüstungsindustrie. Dies alles inmitten eines dicht bevölkerten Wohnquartiers, das weiterwachsen wird.
So hat sich der Immobilienriese Mobimo, nachdem das Grossprojekt einer Umnutzung des Gesamtperimeters gescheitert war, immerhin eine 11’000 Quadratmeter grosse Parzelle im südlichen Teil des Areals gesichert, das in einer viergeschossigen Wohnzone liegt. Der Immobilienkonzern hat den Boden für 70 Millionen CHF von Rheinmetall erworben und will dort nunnun 150 Miet- und Eigentumswohnungen bauen. In unmittelbarer Nachbarschaft und mit Aussicht auf die angrenzende Waffenfabrik.
Dies ungeachtet des erheblichen Risikos, das der Standort einer strategisch bedeutsamen Rüstungsproduktion für deren Umfeld bedeutet. In Zürich weiss heute kaum jemand mehr, dass Oerlikon wegen seiner Waffenproduktion für die Achsenmächte während des zweiten Weltkriegs von den Alliierten mehrfach bombardiert wurde. So rissen etwa in der Nacht vom 17. Mai 1943 Bomben unweit der Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon und in unmittelbarer Nähe eines Wohnhauses einen riesigen Krater in den Boden.

Aus jüngster Vergangenheit wissen wir, dass die Zerstörung feindlicher Militärinfrastruktur und ‑produktion nach wie vor ein vorrangiges Ziel in der Kriegsführung ist – wie uns jüngst die Angriffe im Israel/Iran-Krieg und bei den militärischen Kriegsoperationen in der Ukraine und in Russland gezeigt haben. Dabei kommt es immer zu sogenannten Kollateralschäden an Zivilist:innen, die in Kauf genommen werden… Wohnen rund um die Rheinmetall-Produktionshallen birgt also ein gewisses Risiko. Zum Beispiel, wenn Russland zu Präventivschlägen gegen NATO-Installationen (auch in der NATO-eingebundenen Schweiz) eskalieren sollte.
Gekürzte Version des Original-Artikels, publiziert in der Friedenszeitung Unsere Welt/3 2025:

