Zentralamerika. Der Grenzübergang von Corinto: Am Schalter Nr. 1 gibt es den Exit-Stempel für die Ausreise aus Guatemala – Schalter Nr. 4 ist zuständig für die Einreise nach Honduras. Darüber spannt sich ein riesiges, schattenspendendes Dach. Von hier aus lässt sich, Tag für Tag, ein Stück Welttheater beobachten.
Es ist Freitagmittag. Von Honduras herkommend bewegt sich eine nicht endend wollende Schlange schwerer Lastwagen mit der Aufschrift «Tropigas – Gas Propano» Richtung Guatemala. Sie versorgen die Region jenseits der Grenze mit dem begehrten Brennstoff. Die immensen Energietransporte sind für die Region überlebenswichtig – ohne Gas, Benzin und Diesel geht auch hier gar nichts.
Vier Männern warten und unterhalten sich angeregt. Der eine hat sein T‑Shirt hochgeschoben, darunter quillt ein dicker wabbeliger Bauch hervor und lässt sich von der Sonne kitzeln. Vor den WCs steht ein Getränke- und Snackstand. Der Verkäufer ist gleichzeitig WC-Wart – wenn einer nicht das nötige Kleingeld für das drängende Geschäft mitbringt, drückt er auch mal ein Auge zu. Zwei Polizisten in Uniform drücken gelangweilt auf ihren Handys herum. Ein Linienbus hält quietschend und spuckt eine Handvoll Passagiere aus. Kurzer Stau vor den Ein- und Ausreiseschaltern – doch die Abfertigung geht rasch voran – schon sitzen sie wieder auf ihren Plätzen und fahren weiter, Richtung Guatemala.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Terminals fährt – von Guatemala herkommend – ein weisser Kleinbus vor. Eine Frau mit einem Stapel Dokumente in der Hand und einem Badge um den Hals steigt aus. Ihr folgen sieben Jugendliche im Gänsemarsch, und eine zweite Frau in beigem Gilet, und ebenfalls mit einem Badge, der sie als Offizielle ausweist. Die jungen Männer – Chicos, zwischen 14 und 20 Jahre alt – haben Tagesrucksäcke geschultert. In der Hand tragen sie Plastiksäcke – einer davon ist durchsichtig: Zu erkennen sind ein paar Kleidungsstücke, Turnschuhe und eine Rolle WC-Papier.
In Empfang genommen werden sie von zwei jungen Männern, die ebenfalls mit beigen Gilets und Badges einer Hilfsorganisation ausgerüstet sind. Alltag an der Grenze: Die Jugendlichen waren unterwegs in die USA und werden nun zurück nach Hause verfrachtet. Weil man sie im reichen Norden nicht will. Eine Geschichte, die sich seit Jahrzehnten wiederholt. In den europäischen Medien wieder präsenter als auch schon, wegen der sogenannten Caravanas aus Zentralamerika – Menschen, die sich gemeinsam auf den Weg machen, um der Armut, Perspektivenlosigkeit und zuweilen oft auch der Gewalt im eigenen Land zu entfliehen. Meist kommen sie nicht bis an ihr Ziel, im Gegensatz zu den touristischen Menschenströmen, für die die Grenzen als Hindernis nicht der Rede wert sind – weil sie ihnen in der Regel offen stehen.
Aus der Ferne macht die kleine Gruppe Jugendlicher unter dem grossen Dach einen entspannten Eindruck: Sie lachen, knuffen und sind guter Dinge. Sie pendeln von einem Schalter zum nächsten, immer angeführt von den VertreterInnen der Behörden. Diese haben sie wohl bereits die letzten Tage begleitet – der Umgang ist locker, fast schon vertraut, wie eine Sportgruppe.
Mittlerweile sind vier weitere, diesmal grosse Reisebusse am Grenzterminal eingetroffen. Sie sind mit «Pullmann de Chiappas» und «Turismo» angeschrieben. Doch bald wird klar: Ihre Auch diese jungen Männer und Frauen sind keine TouristInnen auf Vergnügungsfahrt. Im Gegenteil: Kaum einer der minderjährigen Fahrgäste dürfte die Rückfahrt gen Süden freiwillig angetreten haben…
Hinter der Frontscheibe der vollbesetzten Busse leuchtet ein Schild mit der Aufschrift «al Servicio de INM». INM steht für das mexikanische Instituto Nacional de Migracion. Die Buschauffeure tragen weisse Hemden, auf dem Kragen leuchten grün-weiss-rot die Farben der mexikanischen Flagge.
Aus jedem der Busse steigen zwei schwarz uniformierte Polizisten. Auf dem Rücken ihrer Uniform leuchtet in weissen Lettern die Abkürzung PNC – Policia Nacional Civil de Guatemala. Für sie ist hier Ende der Dienstfahrt. Kaum sind sie draussen, schliessen sich die Bustüren erneut. Niemand sonst darf hinaus.
Ein Geldwechsler wird geholt und in den nächststehenden Bus hineingelassen. Durch die Frontscheibe erkennt man, wie ein Jugendlicher ein paar Münzen aus der Hosentasche kramt, weitere drängen sich von hinten heran. Mehr ist auf die Distanz nicht zu erkennen. Vermutlich sind es nur kleinste Beträge, die hier von Pesos oder Quetzales in honduranische Lampiras umgewechselt werden.
Diese Passagiere müssen für die Migrationsformalitäten im Bus bleiben. Vermutlich aus Angst, dass sie Reissaus nehmen und sich gleich wieder auf den Weg gen Norden machen könnten. So wie die drei jungen Männer auf der anderen Seite des Zollgebäudes, die mit ihren Tagesrucksäcken zu Fuss Richtung Guatemala unterwegs sind. Und weiter Richtung USA?
Alltägliche Szenen unter dem Dach der Grenzstation zwischen Honduras und Guatemala. Ein ewiges Katz-und-Mausspiel: Menschen versuchen ihr Glück im Norden, werden aufgegriffen, zurückspediert. Im honduranischen San Pedro Sula unterhält die UN-Migrationsorganisation IOM ein Auffanglager für jugendliche MigrantInnen. Ziel ist es, diese wieder mit ihren Familien zusammenzuführen, zu «reintegrieren».
Die Busse starten ihre Motoren, die Auspuffrohre stossen schwarze Abgaswolken aus, die letzte Etappe der Rückfahrt beginnt. Was die RückkehrerInnen daheim wohl erwartet? Wann werden sie den nächsten Versuch wagen und wieder die Grenze Richtung Norden passieren?
(Dass es bei Migration nicht bloss um ein Katz- und-Maus-Spiel geht, sondern oft um Leben und Tod, beschreibt ein aktueller Bericht des GUARDIAN aus Mexico – https://www.theguardian.com/world/2019/feb/16/tijuana-migrant-child-murders-mexico-us-asylum)