
«Trésors sauvés de GAZA» – der Titel einer Ausstellung im Institut du Monde Arabe in Paris weckt unsere Aufmerksamkeit. Beim Frühstück fragen wir uns: Kann man, soll man sich in einer Zeit, da der Name Gaza zu einem Synonym für Völkermord und Zerstörung geworden ist, der Betrachtung archäologischer Funde aus eben diesem Gaza widmen?
Wir kommen zum Schluss: Ja, man kann – muss dies tun. Vielleicht mehr denn je! Während die israelische Armee dieser Tage mit ihrer Vertreibungs- und Zerstörungspolitik in Gaza zum «Endkampf» bläst, machen wir uns also auf den Weg ins Museum.
Am Abend werden wir dann lesen müssen, dass die israelischen Truppen wohl just zur gleichen Zeit, als wir in Paris in die 5000jährige Geschichte des Gazastreifens eintauchten, in Gaza-Stadt die im 13. Jahrhundert von den Mamluken errichtete Aybaki-Moschee bombardiert und dem Erdboden gleichgemacht haben. Filmaufnahmen zeigen, wie das 800 Jahre alte, elegante Minarett in der Altstadt von Gaza in einem Feuerball zusammenstürzt und als Trümmerhaufen endet.
Die ewiggleiche Ausrede der Israelischen Demolition Forces (IDF), wonach die Hamas das historische, religiöse Bauwerk als Schutzschild oder Kommandoposten genutzt habe, glauben inzwischen nur noch die allertreusten Israelverteidiger im Westen und in Israel.

Die Ausstellung in Paris zeigt in einem grossen Raum zahlreiche archäologische Objekte aus dem einst als «Waddy Gaza» weitherum bekannten Knotenpunkt am östlichen Mittelmeer, wo sich die Handelsrouten zwischen Asien, Afrika und Europa kreuzten. Eindrückliche Fundstücke dokumentieren die wechselvolle, reiche Geschichte des Gazastreifens, darunter Schiffsanker, elegante Amphoren, eine wundervoll gearbeitete Aphrodite, kunstvolle Mosaike und mit Ornamenten verzierte Stehlen.

Da war und ist also seit 5000 Jahren viel mehr als die vom israelischen Narrativ behauptete blosse Wüste mit ein paar rückständigen, erwerbsarbeitsfernen Beduinen. Vielmehr war Gaza jahrhundertelang ein kulturelles und wirtschaftliches Zentrum – schon zu Zeiten der alten Aegypter, der Griechen – später mit christlicher und danach ottomanischer Dominanz…
Man nannte es «Perle am Mittelmeer», mit einem florierenden Hafen und Hinterland. Was für ein völlig anderer Blick wird uns in dieser Ausstellung auf einen Küstenstreifen vermittelt, der hierzulande seit Jahrzehnten einzig für Terror, Krieg und Leiden steht.

Spannend aber auch die Herkunft der Ausstellungsstücke: Die Fundorte erstrecken sich über den gesamten Gazastreifen. Viele davon hatte der palästinensische Bauunternehmer Jawdat Khoudary gesammelt – oder sammeln lassen. Andere wurden von internationalen Forschungsteams in den letzten Jahrzehnten ausgegraben. Sie alle zeugen vom reichen, erhaltens- und schützenswerten kulturellen Erbe Gazas.

Das Musée d’Art et d’Histoire (MAH) in Genf hatte bereits 2007 die erste grosse Ausstellung von Antiquitäten aus Gaza organisiert. Ein Teil der Exponate, die zu diesem Zweck nach Genf ausgeliehen wurden, sind nun auch in Paris zu sehen. Dabei sollten sie eigentlich längst zurück in ihrer Herkunftsregion sein, wo im Norden von Gaza, auf dem Areal des antiken Hafens, der Bau eines archäologischen Museums geplant war.

Nachdem die Hamas 2007 in Gaza an die Macht gekommen war, wurde dieses Projekt jedoch auf Eis gelegt. Einzig Jawdat Khouadry setzte das geplante Unterfangen auf privater Basis fort und richtete mit zahlreichen Stücken aus seiner Sammlung im Norden Gazas ein kleines, idyllisch anmutendes Museum ein. Dieses wurde jedoch durch die israelischen Demolierer bereits Ende 2023 vollkommen zerstört…

Jene archäologischen Kostbarkeiten, die ursprünglich nur zu Ausstellungszwecken nach Genf gereist sind, befinden sich hingegen nach wie vor in der Schweiz in Sicherheit. Sie haben Asyl erhalten und werden in Genf treuhändisch aufbewahrt, bis zum Tag, da eine Rückkehr in ihre Ursprungsregion möglich sein wird.
Mehr noch: Im Frühjahr 2025 hat das MAH den palästinensischen Archäologen Fadel Alutol, der an zahlreichen Ausgrabungen in Gaza beteiligt war, in die Schweiz geholt und mit der Aufarbeitung der aus seiner Heimat stammenden Fundstücke betraut. In einem Interview mit der Tribune de Genève schildert Alutol, wie er während der Kriegsmonate in Gaza versucht hat, nicht nur seine Familie zu retten, sondern auch die archäologischen Fundstätten weiterhin zu dokumentieren – und wo möglich zu schützen.
Angesichts des aktuellen israelischen Wütens eine schmerzliche Sisyphusarbeit. Das israelische Regime hat sich noch nie dadurch ausgezeichnet, kulturelle und religiöse Stätten anderer zu verschonen – im Gegenteil: Alles deutet darauf hin, dass Israel zielgerichtet vorgeht, um mit der Zerstörung von Schulen, Bibliotheken, Universitäten und historischen Kulturstätten die tausende Jahre alte Geschichte Gazas und ganz Palästinas auszulöschen. Und durch die wahrheitswidrige Erzählung zu ersetzen, das Land gehöre «vom Fluss bis zum Meer» seit alters her einzig und allein dem jüdischen Volk.
Eine Behauptung, die in der Pariser Ausstellung auf Schritt und Tritt widerlegt wird. Eindrücklich diesbezüglich auch die zahlreichen Fotos aus den 1920er Jahren, die ein so anderes Bild von Gaza zeigen, als wir es heute kennen: Eine idyllisch anmutende orientalische Altstadt, auf einem Hügelzug gelegen, inmitten von Olivenbäumen…

Erst mit der Nabka und der israelischen Vertreibungspolitik entwickelte sich Gaza notgedrungen in den letzten Jahrzehnten zu einer der am dichtesten besiedelten Regionen der Welt. Wo zwangsläufig Hochhäuser aus dem Boden schossen. Verdichtung halt, um all die Menschen im von Israel seit Jahren abgeriegelten und kontrollierten Gefängnis Gaza unterzubringen.
Bis das israelische Terrorregime – unterstützt vom Westen – nach dem 7. Oktober 2023 zum Endkampf blies. Mit dem erklärten Ziel, ganz Gaza plattzumachen und die Menschen zu vertreiben. Auch dies wird in der Ausstellung dokumentiert – mit erschütternden Vorher-Nachher Bildern, die zeigen, wie Israel hemmungslos das kulturelle Erbe Gazas zerstört: Archäologische Ausgrabungsstätten, historische Kirchen und Moscheen werden entwürdigt und eine nach der anderen dem Erdboden gleichgemacht – eine bereits seit Monaten andauernde kristallene Nacht…

Weitergehende Infos: Das MAH engagiert sich über die Betreuung der im Genfer Zollfreilager eingelagerten und seit 2007 in der Schweiz blockierten archäologischen Funde hinaus für die Rettung palästinenischer Kulturgüter in Gaza. Dazu ein aktueller Artikel des Art Newspaper, der aufzeigt, wie skrupellos Israel die eigentlich durch internatioinales Recht verbotene Zerstörung von historischem Erbe vorantreibt:
Wie die israelische Armee mit ihren Bomben das Herz einer Stadt und deren jahrtausendealtes Kulturgut zerstört… Ein erschütternder Bericht der BBC:



Vielen Dank für den wertvollen Beitrag! Der Genozid ist umfassend, er zielt auch auf die Kulturgüter des palästinensischen Volkes. Ich hoffe, dass eine Auswahl dieser Kulturgüter auch in anderen Städten gezeigt werden kann.
Herzlichen Dank für die ausgezeichnete Dokumentation. Ilan Pappe hat darauf hingewiesen, das der “Gazastreifen” erst 1948 entstand, indem Gaza von seinem Hinterland abgeschnitten wurde und die daraus vertriebenen Palästinenser darin eingeschlossen wurden. Der eingesessene Bevölkerungsteil wurde so zur Minderheit und zusammen mit den Vertriebenen unter ägyptische Verwaltung gestellt. Israel besetzte 1956 im Zug des Suezkriegs vorübergehend den Gazastreifen und beging zahlreiche Kriegsverbrechen. Hier noch ein Hinweis auf eine Online zugängliche und herunterladbare virtuelle Ausstellung des Palestinian Museum in Bir Zeit: https://palmuseum.org/en/GazaRemainsTheStory