Es ist noch nicht allzu lange her, da protestierten Menschen in ganz Europa lautstark, kreativ und voller Optimismus gegen die Aufrüstung in Ost und West. Insbesondere in Deutschland, gingen Millionen von Menschen auf die Strasse, um gegen den Nato-Doppelbeschluss zu demonstrieren. Ihr Leitspruch damals: «Schwerter zu Pflugscharen» – das Ziel: Nie wieder Krieg.
«Die Aufbruchsstimmung war grossartig – wir dachten damals wirklich, wir könnten etwas bewegen», erinnert sich die Theologin und Pazifistin Margot Kässmann in einem Spiegelinterview. Im Gegensatz zu vielen ihrer damaligen Mitdemonstrant:innen, ist sie auch heute noch eine engagierte Friedensaktivistin.
Was die Friedensbewegung der 1980er Jahre ausmachte: Auf ihren grossen Kundgebungen richteten sich die Menschen sowohl gegen die Aufrüstung im Osten wie auch gegen jene im Westen. Sowohl die Sowjetunion mit ihren Verbündeten wie die USA als westliche Hegemonialmacht standen in der Kritik.
Ganz im Gegensatz zu hier und heute, wo das Benennen des offen kolonialistischen US-amerikanischen Powerplays einem Tabu gleichkommt. Wer es wagt, die Nato und die USA als selbsternannte Ordnungsmacht infrage zu stellen, wird als Verräter und «Putinversteherin» abgestempelt.
Auch der erneute Einzug von Donald Trump ins Weisse Haus hat daran nichts geändert. Obschon sich manche hinter vorgehaltener Hand zu Recht fragen, ob unsere «Freiheit und Demokratie» aktuell tatsächlich nur durch Putin bedroht wird…
Doch zurück zu den Schwertern, die zu Pflugscharen umgeschmiedet werden sollten: Das Zitat stammt aus dem Alten Testament (Jesaja) und verkündet den Willen Gottes, der die Völker nach Jahrhunderten der Kriegerei zurechtweisen wird (auch die Israeliten!):
«Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen schmieden und ihre Speere zu Winzermessern. Keine Nation wird gegen eine andere das Schwert erheben, und das Kriegshandwerk werden sie nicht mehr lernen.»
Eine schöne göttliche Vision, die klar und deutlich festhält: Frieden kann es nur geben, wenn die Waffen verschwinden. Oder, um einen weiteren Leitspruch der einstigen Friedensbewegung zu zitieren: «Frieden schaffen ohne Waffen».
Doch das ist genau das Gegenteil von dem, was heute weltweit von Kriegstreibern aller Art, die sich auf eben diesen Gott berufen, praktiziert wird. Trump in den USA fordert von allen Nato-Mitgliedstaaten, dass sie 5 Prozent ihres BIP für Rüstung ausgeben sollen. In ganz Europa, inklusive der Schweiz werden bereits Milliarden in die Aufrüstung gepumpt.
In Deutschland, wo die Wirtschaft hinkt und es für Infrastrukturen und soziale Belange überall an Geld fehlt, schaffte man dafür eiligst ein «Sondervermögen»… Ein schuldenbasiertes «Un-Vermögen» aus Schall und Rauch, das den Menschen im Land keinen Wohlstand bringt.
Mit einer Ausnahme: Die Rüstungskonzerne sind die hemmungslosen Profiteure des Kriegsgeschäfts. Sie haben in den letzten drei Jahren ihre Produktion, den Umsatz und vor allem die Gewinne vervielfacht – und sie hegen die schändliche Hoffnung, dass es so weitergehen möge. Nur kaputtgeschossene Panzer sind für sie gute Panzer. Also: No peace, more business, more cash.
Dies immer auf Kosten sinnvoller und ziviler Investitionen. Wie zum Beispiel in Troisdorf, einer deutschen Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen. Die Stadt wollte auf einem 50 Hektar grossen Areal, das einst der Dynamit Nobel GmbH gehörte, neue Wohn- und Gewerbebauten erstellen.
Zu diesem Zweck wollte sie von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch machen und, nach Ablauf des Pachtvertrags mit den Rüstungskonzernen Diehl Defence und Rheinmetall, das Gelände übernehmen, um es für eine zivile Nutzung zu entwickeln. Schwerter zu Pflugscharen, eben.
Soweit kommt es aber nicht: Nach Interventionen aus Berlin und der Landeshauptstadt Düsseldorf, musste Troisdorf der Rüstungsindustrie den Vortritt lassen: Diehl Defence hat sich das Grundstück gesichert und will dort seine Explosivstoffproduktion für Artilleriemunition, Mörsergranaten und Flugabwehrraketen weiter ausbauen.
Krasser noch in Görlitz an der deutsch-polnischen Grenze: Dort produzierte man über 175 Jahre lang Waggons für den Personentransport. Die Waggonbau Görlitz, 1849 als Kutschenbauwerkstatt gegründet, entwickelte sich zu einem Pionierunternehmen des Eisenbahnbaus, das bereits 1935 die ersten Doppelstockwagen entworfen und gebaut hat.
Nach der Machtergreifung durch die Nazis widersetzte sich die damalige deutsche Wagenbau-Vereinigung erfolgreich der Forderung, fortan keine Personenwagen mehr zu bauen und die Produktion voll und ganz auf die Fertigung von Rüstungsgütern und Transportwagen umzulenken.
Zu DDR-Zeiten mutierte das Unternehmen zum Volkseigenen Betrieb Waggonbau Görlitz. 1988 zählte das Unternehmen fast 4000 Angestellte. Nach der Wende fusionierte das Werk 1995 mit der Muttergesellschaft Deutsche Waggonbau AG (DWA), die 1998 an den kanadischen Konzern Bombardier verkauft wurde.
2021 wurde dann Bombardier Transportation vom französischen Alstom-Konzern übernommen. Nach Protesten verzichtete der neue Besitzer auf die geplante Streichung eines Grossteils der 700 noch verbliebenen Arbeitsplätze. Die Freude über den Verhandlungserfolg der Gewerkschaften war allerdings nicht von langer Dauer: Im Spätsommer 2024 kündigte Alstom an, dass das Werk zum Verkauf stehe…
Lange musste man nicht auf einen Käufer warten. Die boomende Rüstungsindustrie braucht Platz und Arbeiter:innen für ihre weitere Expansion. Anfang Februar 2025 war der Deal perfekt: Künftig wird der deutsch-französische Rüstungskonzern KNDS in Görlitz Panzer bauen.
Bis zu 400 Arbeitsplätze sollen so «gerettet» werden – ein Grossteil der Mitarbeitenden, heisst es, würde umgeschult. Statt «Pflugscharen» sollen sie künftig «Schwerter» schmieden. In diesem Fall heisst das: Anstelle von Eisenbahnwaggons muss die Belegschaft künftig Panzer produzieren.
Die sächsische Linke hat den deutschen Sündenfall in Görlitz scharf kritisiert. Ihr Landesvorsitzender Stefan Hartmann fand angesichts der feierlichen Unterzeichnung des Vertrags, zu der Noch-Bundeskanzler Scholz extra in die Lausitz gereist ist, deutliche Worte:
«Es ist eine Sauerei, dass sich Scholz dafür feiern lässt, dass Doppelstockzüge von Leopard-Panzern verdrängt werden. Dabei opfern die Regierenden den so wichtigen Eisenbahnbau im Namen der Kriegstüchtigkeit.»
Und der Prophet Jesaja wird dem Lieben Gott berichten müssen, dass (nicht nur) Deutschland das Pflugscharen-Gleichnis nicht begriffen hat.
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