Die Schande von Bern

Der korea­ni­sche Gastpianist hat­te uns für sein Konzert mit dem Berner Symphonieorchester in die Hauptstadt ein­ge­la­den. Ein will­kom­me­ner Anlass, sich end­lich wie­der ein­mal ins Nachtleben mei­ner alten Liebe Bern zu stürzen. 

Konzertbeginn um halb acht. Nach län­ge­rer Diskussion erhal­te ich an der Casino-Kasse sogar die ver­meint­lich hin­ter­leg­ten Tickets. Sie sind der Grund für den ers­ten Dämpfer, an die­sem Abend: Die Galerieplätze erlau­ben nur einen beschränk­ten Blick auf unse­ren Freund. Eigentlich war ich davon aus­ge­gan­gen, dass die Gäste des Solokünstlers in die Gunst von eini­ger­mas­sen guten Plätzen kom­men würden.

Schwamm drü­ber, einem geschenk­ten Gaul schaut man nicht ins Maul. Und so über­hö­re ich die tro­cke­ne Bemerkung mei­nes Begleiters, als er in der Pause meint, schon aus akus­ti­schen Gründen hät­ten wir bes­ser Geld in die Hand genom­men und uns einen Platz im Parkett geleistet.

Dort wären wir aber den erheb­li­chen Intonationsproblemen der Hornfraktion noch direk­ter aus­ge­setzt gewe­sen. Die Missklänge sind so deut­lich zu hören, dass ich die unver­meid­li­che Bemerkung mei­nes Begleiters – dies­mal mur­melt er etwas über das Berner Publikum, das halt die Qualität des Tonhalle Orchesters nicht ken­ne – beim bes­ten Willen nicht ein­fach als Zürcher Arroganz abtun kann. Obschon ich das, in gewohn­ter Berner Manier, all­zu ger­ne tun würde.

Erst im Nachhinein erfah­ren wir, dass die Konzertveranstalter mit Freibilletten der­art geiz­ten, dass sogar die Agentin des Solisten ihren Eintritt sel­ber hat berap­pen müs­sen. Unsere Plätze muss­te der Pianist aus dem eige­nen Sack bezah­len. Leider ver­gass er, die Tickets wie ver­ein­bart zu hin­ter­le­gen. Mit ande­ren Worten: Nicht ein­mal die Galerieplätze, die man uns schliess­lich zuge­wie­sen hat, wären ihm als Freibillette zugestanden…

Doch zurück zu besag­tem Abend: Sobald der letz­te Applaus ver­klun­gen ist, freu­en wir uns auf eine kuli­na­ri­sche Fortsetzung des Geniessens und steu­ern mit geziel­tem Schritt Richtung Falken. Ein Blick durchs Fenster lässt mein Herz höher schla­gen: Ein frei­er Tisch — und das, an einem Freitagabend! Kaum ste­hen wir im Türrahmen, kom­pli­men­tiert uns jedoch das Kopfschütteln des Kellners wie­der hin­aus: Es ist gera­de mal zwan­zig vor Zehn – aber zu Essen gibt’s hier nichts mehr.

Ich kann’s nicht fas­sen — frü­her war das anders. Oder erlie­ge ich nost­al­gi­scher Verklärung? Zum Glück gibt es noch ande­re Beizen in Bern. Nur ein paar Meter wei­ter das gemüt­li­che Metzgerstübli. Ein Zettel an der Tür lässt uns wis­sen: Kein Platz. Auch um die Ecke, im Ratskeller, herrscht reger Betrieb. Gefühlte zehn Minuten ste­hen wir im Eingang und schau­en dem Treiben zu. Man bedeu­tet uns zwar, dass die Küche noch arbei­te, doch die Kellnerin macht einen der­art erschla­ge­nen Eindruck, dass wir uns ihrer schliess­lich erbar­men und das Weite suchen.

Mein eins­ti­ges Lieblingsrestaurant Landhaus ist seit Ewigkeiten «wegen Renovation vor­über­ge­hend geschlos­sen», also heis­sen die nächs­ten Trümpfe Krone und Webern. Beide Lokale ver­kös­ti­gen an die­sem schick­sal­haf­ten Abend pri­va­te Gesellschaften, was mei­nen Begleiter dazu ver­an­lasst, über die Selbstgerechtigkeit der Berner zu schnö­den, denen Gäste von aus­wärts nur läs­tig sei­en. «Commerce» sage ich – aber auch dort ein Zettel. Langsam ver­geht mir der Appetit.

Ins Lorenzini wol­len wir nicht, Bindella haben wir in Zürich mehr als genug. Am Weg liegt noch der Goldene Schlüssel. Mittlerweile ist zehn Uhr vor­bei, wes­halb uns die ansons­ten sehr freund­li­chen Kellner im geräu­mi­gen Lokal vor lau­ter Aufräumen gar nicht beach­ten. — Was schliess­lich bleibt, ist der Halbelf-Uhr-Zug nach Zürich, Erschütterung über mein Bern, das mich so im Stich gelas­sen hat — und ohni Z’nacht ins Bett.

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