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Die Schande von Bern

Am letzten Montag, 30. Juni 2025 hätte in der Aula der Universität Bern eine Veranstaltung von grossem Interesse statt­finden sollen: Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International und Francesca Albanese, UNO-Sonderberichterstatterin für die Menschenrechtslage in den besetzten palästi­nen­si­schen Gebieten, waren einge­laden, im Rahmen eines Podiumgesprächs über das Thema «Justice and accoun­ta­bility for Palestine» zu referieren und mit dem Publikum darüber zu diskutieren. 

Amnesty International hatte die Aula bereits vor Wochen gebucht. Die Zusage für die Veranstaltung wurde aller­dings von der Uni Bern erst im zweiten Anlauf erteilt, weil die beiden israel­kri­ti­schen Menschenrechts-Expertinnen offenbar der Universitätsleitung ein Dorn im Auge waren.

Insbesondere Sonderberichterstatterin Francesca Albanese, die für ihre deutlichen Worte bekannt ist, mit denen sie den Genozid an den Palästinenser:innen und die Verstösse Israels gegen das Völkerrecht denun­ziert, sieht sich regel­mässig mit von der Israel-Lobby gefor­derten Rede- und Veranstaltungsverboten konfrontiert.

So schliesslich auch in Bern: Am Freitagnachmittag, gerade mal drei Tage vor dem Veranstaltungstermin, zog die Unileitung ihre längst erteilte Zusage wieder zurück und verlangte ein neues Konzept für das Podiumsgespräch – innerhalb von 15 Minuten (!) – andern­falls stehe die Aula nicht zur Verfügung.

Ein absurder Erpressungsversuch, auf den die Veranstalter:innen zu Recht nicht einge­gangen sind. Umgehend verschickte die Universität Bern eine Medienmitteilung und verkündete, man habe die Bewilligung für die Nutzung der Aula von Amnesty International zurück­ge­zogen, weil «die Ausgewogenheit der Veranstaltung nicht gewähr­leistet würde.»

Ein peinliches Trauerspiel, mit dem israel­kri­tische Stimmen einmal mehr zum Schweigen gebracht werden sollten. Fast wäre es gelungen: Gegen das unhaltbare Vorgehen der Universitätsleitung gab es kaum vernehmbare Proteste, keine einzige Zeitung hat deren unwür­diges, diskri­mi­nie­rendes Hüst und Hott kritisch hinterfragt.

Doch die Veranstalter haben nicht aufge­geben: Innert kürzester Zeit schafften sie es, einen alter­na­tiven Veranstaltungsort zu organi­sieren. Der Standort wurde am Montag, nur wenige Stunden vor der Veranstaltung und nach vorgän­giger Anmeldung, mitge­teilt. Beim Eingang gab es eine Sicherheitskontrolle, Zutritt hatten nur angemeldete Personen. Verständlich, angesichts des medial und von der Israel-Lobby aufge­heizten Klimas der Verunsicherung…

Während Israel im Westjordanland und in Gaza ungebremst weiter­mordet und zerstört, werden hierzu­lande Menschen, die sich gegen diesen erklärten Genozid aussprechen und sich für einen sofor­tigen Waffenstillstand sowie für einen Boykott Israels auf allen Ebenen aussprechen, als (zumindest poten­zielle) Terrorist:innen abgestempelt.

Ein Hohn und eine Schande. Dies zeigte einmal mehr ausge­rechnet die von der Uni Bern aus der Aula ins Exil in der hinteren Länggasse vertriebene Veranstaltung. Auf die Frage, was es für ein Gefühl sei, trotz der Absage durch die Uni Bern nun hier zu sein, sagte Francesca Albanese schlicht und einfach: «Es entspricht einer Notwendigkeit. Solange unsere Regierungen schweigen, geschieht der Genozid auch in unserem Namen, mit unseren Steuergeldern… Gerade wir Menschen in Europa haben eine moralische und recht­liche Verpflichtung, diesen Völkermord zu stoppen.»

Amnesty-Generalsekretärin Agnès Callamard, kämpfe­risch – wie es sich für eine NGO gehört – schloss sich an: «Ich bin verdammt wütend. Wütend darüber, dass wir immer wieder das gleiche erzählen müssen, und nichts geschieht… Aber wir geben nicht auf!» Vierhundert Anwesende applau­dierten zustimmend.

Ihre Botschaft an die Schweizer Regierung war denn auch unmiss­ver­ständlich und klar: «Von der Schweiz erwarte ich, dass sie die Verbrechen, die Israel gegenüber den Palästinenser:innen begeht benennt und die Einhaltung des humani­tären Völkerrechts einfordert», so die Französin. Mit ihrer Nicht-Reaktion verspotte die Schweiz ihr humani­täres Erbe und spucke auf alles, was ihren guten Ruf ausmache. Dies dürfe nicht akzep­tiert werden, lautete ihre Aufforderung ans Publikum. Francesca Albanese doppelte nach: «Es ist wichtig, dass man Stellung bezieht und die Dinge beim Namen nennt.»

Israels Verstösse gegen das Völkerrecht sind belegt – so hat etwa der Internationale Gerichtshof die Unrechtmässigkeit der israe­li­schen Besetzung von Gaza und dem Westjordanland längst festge­stellt, Israel wurde zudem wiederholt ermahnt, das Völkerrecht nicht zu verletzen – vergeblich.

«Das Völkerrecht setzt klare Standards – trotzdem können unsere Regierungen so tun, als gäbe es sie nicht. Der Level der Gesetzesverstösse ist unerhört – dass unsere Gesellschaft das duldet zeigt, wie gebrochen wir sind», gab Francesca Albanese zu bedenken. Und forderte, dass wir unseren Widerstand verstärken. Dabei stehe nicht nur das Überleben der Palästinenserinnen und Palästinenser auf dem Spiel, sondern unser eigenes System von Recht und Ordnung.

Es sei ein Erfolg, dass am 21. Juni in Bern rund 20’000 Menschen für Menschenrechte und Gaza auf die Strasse gegangen sind – «aber wo waren die anderen?» fragte Albanese in den Saal. Wie vor bald hundert Jahren, als die Mehrheit der Menschen in Deutschland oder in der Schweiz nichts von der Judenverfolgung wissen wollten, versuche man auch heute, den Genozid zu ignorieren…

Auf die Frage, was man denn gegen das Schweigen und Wegschauen tun könne, hatten die beiden Menschenrechtsexpertinnen eine klare Antwort: Jede und jeder von uns habe die Verpflichtung, Stellung zu beziehen, laut zu werden, hinzu­stehen für Menschenrechte, Menschenwürde.

Genau das wollte die Universität Bern mit ihrem peinlichen Auftrittsverbot für Albanese und Callamard verhindern. Fast wäre es ihr gelungen, auch allfällige Protestaktionen von Seiten der Studierenden und Professor:innen, die mit dem Diktat von Rektorin Virginia Reich und ihrem Stab nicht einver­standen waren, im Keim zu ersticken.

Schliesslich wurde dann an der Veranstaltung in der Länggasse aber doch noch ein Statement von Angehörigen der Uni Bern verlesen, welche das Vorgehen der Universitätsleitung scharf kriti­sierten. Vorgetragen wurde es aller­dings von Bernhard C. Schär, seines Zeichens Alumni der Universität Bern und heute Geschichtsprofessor in Lausanne. Weil niemand der Uni Bern es wagte, namentlich zum Protest zu stehen.

Die Worte waren unmiss­ver­ständlich und klar, sie klagten eine «Mauer des Schweigens» an, die gebrochen werden müsse, und dass Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit an der Universität ein kostbares Gut sei. An die Anwesenden im Saal erging der Aufruf, der Universitätsleitung zu schreiben, um gegen deren demokra­tie­ver­ach­tendes Auftrittsverbot für Francesca Albanese zu prote­stieren. Natürlich habe ich das getan – und auch meinen Namen unter mein Protestschreiben gesetzt.

Als Historikerin kenne ich zahlreiche wissen­schaftlich belegte Beispiele aus der Vergangenheit, die zeigen, wie und wann freiheit­liche Gesellschaften in autoritäre Systeme kippten. Die Einschränkung von Meinungs- und Redefreiheit an Universitäten steht dabei immer am Anfang…

Nachtrag: Das üble Trauerspiel geht weiter. Am Montag, 30 Juni hat die Uni-Leitung mit einer nochma­ligen, aufge­bauten Medienmitteilung nachge­doppelt, in welcher sie Links zu X‑Posts, die von Francesca Albanese in der Vergangenheit verschickt worden sind, aus dem Zusammenhang gerissen verlinkt. Kein Wort, wie es sich für eine Universität gehören würde, über die Inhalte ihrer wissen­schaftlich erarbei­teten Berichte…

Einer Uni unwürdig und peinlich den auch die Mail, welche Uni-Kommunikationschef Christian Degen copy-paste allen engagierten Mitbürger:innen zukommen liess, welche mit einem Schreiben an die Uni-Leitung ihren Protest gegen deren Vorgehen mitge­teilt haben:

Mehr noch: Als einziges deutsch­schweizer Medium hat die Republik mit den beiden Menschenrechtsexpertinnen ein aufschluss­reiches Interview publi­ziert, welches auf die INHALTE ihrer Positionen eingeht, statt auf billiges Bashing. Alle anderen –und allen voran die NZZ – haben noch einmal nachgelegt und versucht, auch die Veranstaltung vom Freitag, 4. Juli mit Francesca Albanese in derZentralwäscherei in Zürich durch weitere Diskreditierungen zu canceln. Eine Veranstaltung notabene, an welcher die UNO-Sonderberichterstattung ihren jüngsten Bericht über die Zusammenhänge zwischen israe­li­scher Wirtschaftstätigkeit und der Apartheidspolitik gegenüber Palästinenser:innen zur Debatte stellt.

Eine Antwort auf „Die Schande von Bern“

  1. Vielen Dank für Ihren sehr guten Beitrag, ich hätte sonst nichts von diesem Skandal erfahren. Immerhin konnte der Anlass am neuen Ort statt­finden, in Zürich offenbar auch. Eine Schande für die Uni Bern.

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