In den letzten 14 Jahren hat sich Berlin mächtig verändert. Als die Architektin Regula Lüscher im März 2007 ihre Stelle als Senatsbaudirektorin antrat, waren die Flughäfen Tempelhof und Tegel noch in Betrieb. Im Zentrum der Stadt, wo man Mitte Juli 2021 das Humboldt Forum, eine fragwürdige Vintagekopie des einstigen Berliner Schlosses, eingeweiht hat, wurden gerade die letzten Gerippe des Palasts der Republik abgetragen.
Und hinter dem Hauptbahnhof, wo heute ein Panorama von architektonischem Einerlei aus Glas und Beton den Horizont beschränkt (die Investoren-getriebene «Europa-City»), lag eine wunderbare weite Brache. Als wir dort mit der frisch gewählten Senatsbaudirektorin die ersten Sequenzen unseres Films über Stadtplanung in Berlin drehten, konnte der Blick noch in die Weite schweifen und Regula Lüscher schwärmte von der Möglichkeit, angrenzend an den Bahnhof der deutschen Hauptstadt einen neuen Stadtteil zu entwickeln – ökologisch, zukunftsweisend, visionär.
«Wenn ich eine Aussage machen sollte, wohin sich Berlin entwickeln soll, als Ganzes, als Gesamtes, dann würde ich mal sagen, Berlin könnte sich in eine Stadt weiterentwickeln, deren Label Freiräume, Grünräume, Spielräume sind», sagte sie uns damals ins Mikrofon.
Leider ging die Entwicklung während ihrer 14jährigen Amtszeit dann genau in die entgegengesetzte Richtung: Brache um Brache wurde an Investoren verklickert und zugebaut. Ältere Bauten mussten rentableren Liegenschaften weichen, für welche die Bauparzellen bis zum letzten gesetzlich erlaubten Quadratzentimeter ausgenutzt wurden. Grünräume in Hinterhöfen und Quartieren opferte man allzu bereitwillig der «Verdichtung» – Bodenpreise und Mieten schossen in die Höhe, was die Bauwut nur noch weiter befeuerte.
Eine fatale Entwicklung, in Zeiten des Klimawandels. In Berlin, so scheint es, ist die Dringlichkeit einer ökologischen Wende noch nicht ins Bewusstsein von PolitikerInnen und PlanerInnen vorgedrungen. Wie anders ist zu erklären, dass das für das Stadtklima so wichtige Tempelhofer Feld nur dank einer Bürgerinitiative bisher vor einer teilweisen Überbauung verschont geblieben ist?
Was man in Berlin während der Amtszeit von Senatsbaudirektorin Lüscher nicht geschafft hat, ist in einer anderen europäischen Hauptstadt voll im Gang: In Paris hat man die Zeichen der Zeit erkannt und arbeitet daran, die Stadt für eine menschen- und klimafreundliche Zukunft fit zu machen.
Nachdem unter der Federführung der innovativen Bürgermeisterin Anne Hidalgo bereits weite Strecken der einstigen Stadtautobahn entlang dem Seine-Ufer in Fussgänger- und Grünzonen verwandelt wurden, soll die berühmteste Strasse von Paris – die Champs-Elysées – die heute von Lärm und Autos dominiert wird, bis 2030 in einen «aussergewöhnlichen Garten» verwandelt werden.
Dies hat nicht in erster Linie ästhetische Gründe, sondern entspricht vor allem einer dringenden Notwendigkeit, wie Philippe Chiambaretta, der mit der Umgestaltung der Champs-Elysées beauftragte Architekt, betont. Grund dafür ist die Erderwärmung, die er als «slow catastrophy» bezeichnet, und die uns zum Handeln zwingt.
«Die Frage, wie die Welt im 21. Jahrhundert zu bebauen, zu bewohnen und zu denken ist, drängt mehr denn je und macht ein neues Verständnis von Architektur erforderlich», schreibt er in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift «Lettre International».
Man komme nicht umhin, so Chiambaretta weiter, sich «von drei Jahrhunderte geltenden Gewissheiten der westlichen Moderne freizumachen.» Gefordert seien hierbei insbesondere auch ArchitektInnen und PlanerInnen, als zentrale AkteurInnen des urbanen Zusammenhangs. Bei ihnen müsse der Sinn für ein fortschrittliches und politisches Engagement geweckt werden «um der zynischen – und teilweise mutwilligen – Instrumentalisierung der Stadt durch den weltweiten Kapitalismus und die Ökonomie des Spektakels Einhalt zu gebieten.»
Eine überlebenswichtige Botschaft aus Paris, von globaler Bedeutung. Leider ist sie bisher weder in der Politik noch bei den Planenden richtig angekommen – weder in Berlin noch in anderen Städten, wo weiterhin auf kurzfristiges Renditedenken und in Beton zementiertes Wachstum gesetzt wird. Wie gefährlich und falsch das ist, zeigen die aktuellen Unwetterereignisse und ‑schäden…