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Demokratie oder Demokratur?

Am Tag nach der wuch­ti­gen Ableh­nung der Bio­di­ver­si­täts-Initia­tive schwanke ich zwi­schen Unver­ständ­nis, Rat­lo­sig­keit und Wut.

Ich ver­stehe nicht, wes­halb eine aus­ge­wo­gen und zurück­hal­tend for­mu­lierte Initia­tive, die nichts ande­res zum Ziel hatte, als die Lebens­grund­la­gen in unse­rem Land lang­fri­stig zu schüt­zen und zu sichern, so hef­tig bekämpft und schliess­lich bachab geschickt wurde.

An vor­der­ster Front kämpfte aus­ge­rech­net ein Gross­teil jener Bevöl­ke­rungs­gruppe dage­gen, die für sich in Anspruch nimmt, einen beson­de­ren Bezug zur Natur in unse­rem Land zu haben. Land­wirte und Bäue­rin­nen. So auch im Ent­le­buch und Emmental.

Schon auf dem Dorf­platz im luzer­ni­schen Wig­gen, wo wir aus dem Post­auto aus­stei­gen, sind die die ersten Nein-Pla­kate pro­mi­nent plat­ziert: Die Bio­di­ver­si­täts-Initia­tive gefährde unsere Strom­ver­sor­gung… Ganz klein rechts oben in der Ecke steht: «Mit künst­li­cher Intel­li­genz hergestellt».

Der son­nige Herbst­tag stimmt ver­söhn­lich – wir sagen dem ärger­li­chen Pla­kat tschüss und tau­chen ein in die herbst­li­che Land­schaft. Der Weg führt durch einen lau­schi­gen Wald steil hin­auf, bald öff­net sich der Blick. Auf den noch saf­ti­gen Mat­ten wei­den Kühe, Glocken­ge­läut – heile Schwei­zer Vor­al­pen­welt wie aus dem Schulbuch.

Am Rande der Vieh­wei­den nicht zu über­se­hen auf weis­sen, ecki­gen Pfo­sten Pro­pa­gan­da­sprü­che der Land­wirt­schafts­lobby. Kurze Sätze, die erklä­ren, dass blu­men­rei­che Wie­sen nicht unbe­dingt opti­ma­les Tier­fut­ter her­ge­ben und dass Bäue­rin­nen und Bau­ern mit der Tier­wirt­schaft ein Ein­kom­men erwirt­schaf­ten müs­sen. Wer mehr wis­sen will, kann sich per QR-Code auf der ent­spre­chen­den Web­site des Schwei­zer Bau­ern­ver­bands weiterbilden.

Beleh­run­gen für doofe, grün ange­hauchte Städ­te­rin­nen, wie sie zum Welt­bild von Bau­ern­prä­si­dent Mar­kus Rit­ter und sei­ner Lands­knechte pas­sen. Damit nicht genug. Jeder zweite Bau­ern­hof mit Gera­nien auf den Fen­ster­bän­ken ist mit einem gros­sen roten NEIN-Pla­kat ver­un­stal­tet. Sogar die Hunde bel­len unver­kenn­bar NEIN.

Nur an den Bio-Bau­ern­hö­fen ist keine Pro­pa­ganda zu fin­den. Keine roten NEIN-Tafeln, aber auch keine JA-zur Bio­di­ver­si­tät-Bie­nen­po­ster. Zufall oder Angst vor dem Feu­er­teu­fel im Dorf?

Vor einem mit bun­ter Blu­men­pracht geschmück­ten Bau­ern­haus kom­men wir mit der freund­li­chen Bäue­rin ins Gespräch. Sie gräbt gerade ein Beet um – umge­ben von einem Para­dies der Bio­di­ver­si­tät. Beim Wei­ter­ge­hen stelle ich erleich­tert fest, dass auch an ihrem Haus kein rotes Trans­pa­rent hängt…

Ob und wie sie am letz­ten Sonn­tag gestimmt hat, weiss ich aller­dings nicht. Fakt ist, dass der Anteil an Nein-Stim­men in ihrer Gemeinde im Emmen­tal über 90 Pro­zent lag. Ein fast nord­ko­rea­nisch anmu­ten­des Resul­tat, das zu einem gros­sen Teil der Pro­pa­ganda des Schwei­zer Bau­ern­ver­bands geschul­det ist.

Auch am Tag nach dem ver­hee­ren­den Abstim­mungs­re­sul­tat bläst Bau­ern­ver­bands­prä­si­dent und Chef­ideo­loge Mar­kus Rit­ter erneut ins glei­che Horn. Unwi­der­spro­chen behaup­tet er im Tages­ge­spräch auf SRF 1, seine Bau­ern seien beschei­den und wür­den nichts (!) for­dern und for­derte im glei­chen Atem­zug die Umwelt­ver­bände zu «gemäs­sig­te­rem Ver­hal­ten» auf.

Rit­ter weiss geschickt jede Platt­form zu nut­zen. Sein selbst­ge­fäl­li­ges Gerede von den sich auf­op­fern­den, hart arbei­ten­den und so stark gefor­der­ten Bau­ern scheint immer noch zu ver­fan­gen. Das Zün­deln gegen Städter:innen oder die Wis­sen­schaft ver­brei­tet sich nicht nur in den sozia­len Medien, wo «grüne Gut­men­schen» und «linke Welt­ver­bes­se­rer» mit mar­ki­gen Wor­ten abge­straft werden.

Der Ver­dacht besteht, dass eine Mehr­zahl der Nein-Stim­men­den vom letz­ten Wochen­ende den Text der Initia­tive gar nie gele­sen haben. Ver­un­si­chert und ver­führt durch die fak­ten­wid­rige Angst- Kam­pa­gne leg­ten sie ihr Veto ein gegen eine Sache, die sie bei nüch­ter­ner Betrach­tung wohl unter­stützt hät­ten. Allen voran die Land­wir­tin­nen und Land­wirte, die alles Inter­esse haben müss­ten, an einem wir­kungs­vol­len Schutz der Biodiversität.

Beson­ders stos­send dabei ist die Tat­sa­che, dass aus den von uns allen steu­er­fi­nan­zier­ten Sub­ven­tio­nen für die Land­wirt­schaft letzt­lich und indi­rekt auch diese Kam­pa­gne der Bau­ern­ver­bände gegen die Bio­di­ver­si­täts­in­itia­tive finan­ziert wurde – auf dass wir wei­ter­hin die Fehl­ent­wick­lun­gen in der Land­wirt­schaft mit Sub­ven­tio­nen unterstützen.

Wohl­ge­merkt: Der Erhalt und die Stär­kung einer öko­lo­gi­schen Land­wirt­schaft, die uns einen mög­lichst hohen Grad an Selbst­ver­sor­gung mit regio­na­len, sai­so­na­len, nach­hal­tig pro­du­zier­ten Lebens­mit­teln erlaubt, ist zu för­dern. Dafür braucht es aber drin­gend eine Über­ar­bei­tung der Sub­ven­ti­ons­pra­xis: Von den 2,8 Mil­li­ar­den Fran­ken Direkt­zah­lun­gen, die Bäue­rin­nen und Bau­ern jähr­lich mit viel büro­kra­ti­schem Auf­wand erhal­ten, fliesst aktu­ell zuviel Geld in Fehl­an­reize und Pro­duk­ti­ons­len­kun­gen, die der Bio­di­ver­si­tät und einer nach­hal­ti­gen Land­wirt­schaft schaden.

2 Antworten auf „Demokratie oder Demokratur?“

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