Die Nachricht bestätigte eigentlich bloss, was wir alle längst wissen. Und doch löste sie in Politik und Medien ein breites, teilweise äusserst gehässiges Echo aus. Die Meldung, dass der deutsche Verfassungsschutz die AfD als «gesichert rechtsextreme Partei» einstuft, quittierte etwa die NZZ am Sonntag mit der boulvardesken Schlagzeile «Nancy’s Rache».
Aus Sympathie zur ihrer AfD-affinen Leserschaft?
Dies, weil die scheidende deutsche Innenministerin Nancy Faeser (SPD) das Resultat einer langjährigen Recherché im letzten Moment vor ihrem Abtreten öffentlich machte. Sie hätte das Gutachten besser in der Schublade ruhen lassen, so das Credo der NZZ. Mit der Veröffentlichung werde nun der neue Kanzler Merz gleich beim Start «über Wochen und Monate eine neue Debatte über ein Verbot der AfD am Hals haben.»
Armer Friedrich Merz.
Fakt ist, dass dieses Verbot schon längst hätte erfolgen müssen. Parteien, deren Programm auf einer rassistischen Weltanschauung basiert und den fundamentalen Umbau des bestehenden Staats- und Rechtssystems zugunsten einer völkischen Élite zum Ziel hat, gefährden die Demokratie nicht nur – sie zerstören sie.
Dabei bedienen sich die Totengräber der Demokratie ausgerechnet jenes Instrumentariums und der Werte, die sie – sobald an der Macht – schleunigst über Bord werfen. So geschehen Anfang der 1930er Jahre, als sich die Nationalsozialisten ermächtigten.
Es ist erschreckend, wie gegenwärtig in Deutschland das gleiche Muster abläuft wie damals, mit den gleichen Argumenten wie damals. Obschon man sich bemüht hatte, aus der Geschichte zu lernen und sich nach dem 2. Weltkrieg eine vermeintlich gegen Rechtsextremismus wasserdichte Verfassung gab. Das Nie-wieder-Grundgesetz.
Und jetzt, nach über 70 Jahren, heisst es: Achtung, 1933 reloaded…
Doch nicht nur in Deutschland sind die Rechtsnationalen auf dem Durchmarsch. Mit Schaudern müssen wir mitanschauen, wie in Italien, Frankreich, England, Schweden, Holland und den USA die gleiche Entwicklung im Gange ist: Die Zerstörung der Demokratie mit demokratischen Mitteln.
Es ist denn auch kein Zufall, dass die Weltwoche die Klassifizierung der AfD durch den Verfassungsschutz als «Anschlag auf die Demokratie» (!) scharf verurteilt. Ausgerechnet jenes Blatt, das – seit der Übernahme durch Roger Koeppel – nicht müde wird, gegen demokratische Mitspracherechte in unserem Land anzuschreiben und Volksentscheide niederschreit, die nicht in sein Weltbild passen.
Auch auf die Schweizer Demokratie ist der Angriff längst in vollem Gang. Mit ihrer provokativen, menschenverachtenden und offen rassistischen Politik bestimmt die schweizervölkische SVP nämlich weitgehend die politische Agenda in unserem Land: Sie ist nicht nur wählerstärkste Partei, sondern sitzt seit Jahren in der Regierung.
SVP-Politiker:innen geben sich gerne volksnah, wie es sich für Populisten gehört. Wenn es aber um die Sache geht, halten sie nicht viel vom Volkswillen, wie etwa die aktuelle Politik von SVP-Bundesrat Albert Rösti zeigt: Kaum im Amt, setzte er alle Hebel in Bewegung, um die 2016 mit grossem Volksmehr angenommene Atomausstiegsinitiative ausser Kraft zu setzen. Und auch die Absage der Schweizer Stimmbevölkerung an die Autobahnkredite hindert ihn nicht daran, nach Schlupflöchern zu suchen, um den Ausbau doch noch umzusetzen.
Während man sich in Deutschland scheut, die AfD zu verbieten, da immerhin über 20 Prozent der Wählenden ihre Stimme dieser «gesichert rechtsextremen Partei» gegeben haben, duckt man sich auch in der Schweiz immer und immer wieder vor der SVP.
Jüngstes Beispiel – Der Kommentar in der heutigen Sonntags Zeitung von Chefredaktor Arthur Rutishauser: «Es sind gleich zwei Zumutungen, die die grösste Schweizer Partei, die SVP, in dieser Woche hinnehmen musste. Da erklärte erst der Bundesrat mit einer hauchdünnen Mehrheit, bei der Abstimmung zu den umstrittenen Bilateralen 3 brauche es kein Ständemehr. Dann wird beschlossen, die 10-Millionen-Initiative der SVP im Rekordtempo durchs Parlament zu jagen.»
Das sei unklug, folgert Rutishauser, weil dies die SVP stärke. Rechte Populisten würden nämlich immer dann Zulauf erhalten, wenn sie von den etablierten Politeliten eingeschränkt würden. Das sehe man in Frankreich, wo ein umstrittenes Urteil die Präsidentschaft von Marine Le Pen verhindern soll oder in Deutschland, wo niemand weiss, wie der Siegeszug der AfD zur totalen Mehrheit gebremst werden kann und soll.
Bleibt die Frage, wie Demokratie noch zu retten ist – in Zeiten, da sich in immer mehr Ländern die wahlberechtigte Bevölkerung zu demokratiefeindlichen Parteien hinwendet und ihnen den Zugang zur Macht ermöglicht.
Eines steht fest: Ducken, schweigen und dulden bringen gar nichts. Angst vor Populist:innen ist ein schlechter Ratgeber, und die Samthandschuhe im Umgang mit noch so smarten Rassist:innen kann man getrost weglegen.
Leider ist es bereits zu spät, der AfD und der SVP Zügel anzulegen, geschweige denn mit Verboten hantieren zu wollen. Zu viele sind den Rattenfängern schon gefolgt, und zu gut sind diese organisiert. Der Marsch durch die Institutionen haben nicht die Linken und Grünen geschafft, sondern die Extrem-Rechten.
Ein Verbot der AfD wird in Deutschland nicht Tatsache werden. Es ist zu hoffen, dass es mindestens zu einem harten Durchgreifen gegen Rassist:innen und Hetzer:innen kommt, noch bevor sie die Justiz- und Kulturinstitutionen unterwandert und sich unter den Nagel gerissen haben. Die erodierte Mitte der Gesellschaft und die machtgeilen Sozialdemokraten tun gut daran, nicht bloss von Brandmauern zu schwurbeln, sondern keinen Zoll breit von demokratischen Werten abzurücken. Sie müssen überzeugen, dass Demokratie kein Konsumartikel ist.
Die Beschränkung auf ein paar wenige Instrumente der politischen Mitbestimmung reicht allerdings nicht. Damit Demokratie Bestand hat, muss sie in alle Lebensbereiche Eingang finden. Demokratie verstehen und leben heisst: Mitverantwortung tragen, teilhaben, sich engagieren und mitreden – in der Familie, im Unternehmen, in der Gemeinde, im Staat.
Demokratie kann und darf nicht beschränkt werden auf das Privileg, seine Stimme abgeben zu dürfen und hie und da einer Initiative die Unterschrift zu leihen. Damit kommt man nicht an gegen Rassisten und Faschisten, die – wie noch nie seit Jahrzehnten – Morgenluft wittern.