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Das grosse Schweigen

Was aktu­ell auf der Welt abgeht, ist schwer zu ertra­gen. Pro­test und Wider­stand täten drin­gend Not – doch was tun wir? Empö­rung, Unver­ständ­nis und Kri­tik im klei­nen Kreis, unter Freund:innen – wenn es hoch kommt. Aber immer öfter die Reak­tion: Lass uns dar­über schwei­gen – die Poli­tik, das Klima – alles ist so schlimm, ich will gar nicht mehr davon hören, geschweige denn, dar­über reden…

Rück­zug, nach dem Motto: Was küm­mert mich das Elend die­ser Welt, wo ich ja doch nichts daran ändern kann? Augen zu und Ohren, auf dass die ver­stö­ren­den Nach­rich­ten das eigene pri­vate Glück nicht stören.

In der Schweiz kön­nen wir uns das (noch) lei­sten. Zumin­dest glaubt das eine Mehr­heit, wie der Blick auf die Abstim­mungs­re­sul­tate des letz­ten Wochen­en­des ver­rät: Ein wuch­ti­ges Nein zur Umwelt-Initia­tive. Abge­lehnt die Solar­in­itia­tive im Kan­ton Bern, die För­de­rung von Elek­tro­mo­bi­li­tät in Schaff­hau­sen, Vor­stösse zur Ein­füh­rung eines Min­dest­lohns in den Kan­to­nen Solo­thurn und Baselland.

Die Liste liesse sich belie­big fort­set­zen. Der all­ge­meine Tenor lau­tet: Bloss keine Ver­än­de­run­gen, schon gar nicht sol­che, wel­che die eige­nen Pri­vi­le­gien und den Wohl­stand auf irgend­eine Art und Weise beein­träch­ti­gen könnten.

Dies in einer Zeit, wo Tota­li­ta­ris­mus, Men­schen­ver­ach­tung und Ras­sis­mus wie­der Urständ fei­ern. Welt­weit und vor allem auch in Europa, wäh­len immer mehr Men­schen Par­teien, die ein­fa­che Lösun­gen ver­spre­chen und den Glau­ben ver­mit­teln, der Füh­rer oder die Füh­re­rin werde es schon rich­ten. Auch hier­zu­lande fin­den sie immer mehr offene Unterstützer:innen und Bewun­de­rung. «Nie wie­der» – das war einmal…

Jüng­stes Bei­spiel dafür ist der scham­lose Soli­da­ri­täts-Gruss von Ex-Bun­des­rat Ueli Mau­rer an seine «Freun­din» Alice Wei­del («Hoi Alice!💌»), die AfD-Kanz­ler­kan­di­da­tin in Deutsch­land. Der Miss­brauch der Schwei­zer Fahne und des Titels eines (Ex)-Bundespräsidenten unse­res Lan­des für eine offi­ziös ver­packte Unter­stüt­zungs­bot­schaft an die rechts­extreme AfD hätte mei­nes Erach­tens min­de­stens einen Ver­weis von Sei­ten der offi­zi­el­len Schwei­zer Poli­tik erfor­dert. Doch nichts geschah.

Rech­tes und ras­si­sti­sches Gedan­ken­gut ist längst wie­der salon­fä­hig, auch in der Schweiz. So ver­lieh das Libe­rale Insti­tut in Zürich dem argen­ti­ni­schen Prä­si­den­ten Javier Milei, bekannt nicht nur für seine liber­täre Poli­tik des Kahl­schlags, son­dern auch für seine Hetzte gegen Frauen und alles, was er als «woke» bezeich­net, im Januar 2025 den «Röpke-Preis für Zivilgesellschaft».

In den CH-Media-Postil­len publi­zierte der Direk­tor des besag­ten Insti­tuts einen Arti­kel unter dem Titel «Javier Milei: Der Roger Fede­rer der Poli­tik». Eine kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit des­sen frag­wür­di­gen, men­schen­ver­ach­ten­den Metho­den, die die Ärm­sten in sei­nem Land wei­ter ins Elend trei­ben? Fehl­alarm. Auch von Roger Fede­rer keine Reaktion.

Ähn­lich das Ver­hal­ten der Medien und der hie­si­gen Politiker:innen in Bezug auf das Wüten von Donald Trump und sei­ner mil­li­ar­den­rei­chen Entou­rage. Auf die völ­ker­rechts­wid­rige, men­schen­ver­ach­tende Ankün­di­gung, die USA wür­den Gaza über­neh­men und in eine «Riviera des Nahen Ostens» ver­wan­deln, reagier­ten ein­zig einige ara­bi­sche Staa­ten mit einer schar­fen Pro­test­note. In der Schweiz: Das grosse Schweigen.

Weit­ge­hende Funk­stille auch letzte Woche, als Elon Musk und seine Boys der ame­ri­ka­ni­schen Ent­wick­lungs- und Not­hil­fe­or­ga­ni­sa­tion USAid kur­zer­hand den Stecker zogen. Schlim­mer noch: Nicht wenige applau­die­ren Trump für seine ras­si­sti­schen und ver­fas­sungs­wid­ri­gen Rund­um­schläge. Allen voran Rechtsaussen-Politiker:innen von Gior­gia Meloni über Vic­tor Orban bis zu Alice Wei­del und der SVP in der Schweiz.

Wer dage­gen hält, wird wüst beschimpft. Werte wie Gerech­tig­keit, Soli­da­ri­tät, Chan­cen­gleich­heit – ja sogar der Anstand sol­len auf dem Müll­hau­fen der Geschichte schleu­nigst ent­sorgt wer­den. Der 47. Prä­si­dent – nota­bene mit deut­schem Migra­ti­ons­hin­ter­grund – will nicht nur Ame­rika ein für alle Mal auf­räu­men, son­dern die ganze Welt. Ein gol­de­nes Zeit­al­ter ver­spricht er voll­mun­dig. Elon Musk, Jeff Bezos und Mark Zucker­berg klat­schen sich auf die Schenkel.

Ver­hält­nisse, sagen man­che, die an die Zeit des Faschis­mus Anfang der 19030er Jah­ren erin­nern. Histo­ri­sche Ver­glei­che sind immer schwie­rig. Aber Hand aufs Herz, eigent­lich ist die Situa­tion ver­dammt ähn­lich – wenn nicht sogar bedrohlicher:

Wie­der domi­nie­ren zuneh­mend tota­li­täre, popu­li­sti­sche Füh­rungs­fi­gu­ren das Gesche­hen – von Russ­land über China, Indien bis hin zu den USA. Da will auch Europa nicht hint­an­ste­hen: Rechts­extrem, c’est chic.

Regie­run­gen und Regimes rund um den Erd­ball spen­die­ren sich immer raf­fi­nier­tere, immer teu­rere Waf­fen­ar­se­nale. Auf Pump und Kosten ihrer Bür­ge­rin­nen und Bür­ger. Die Mit­tel- und Unter­schich­ten zah­len die Zeche. Für eine reine Müll­pro­duk­tion, die der Gesell­schaft kei­ner­lei Nut­zen bringt, son­dern Res­sour­cen in viel­fa­cher Mil­li­ar­den­höhe ent­zieht, die anderswo dann fehlen.

5 Pro­zent des BIP sol­len die NATO-Ver­bün­de­ten für Waf­fen aus­ge­ben, so die For­de­rung des Rat­ten­fän­gers im Oval Office, die sich dank vor­aus­ei­len­dem Gehor­sam wohl schon bald erfül­len dürfte.

Welt­weit geht die Auf­rü­stung mun­ter wei­ter. – In einer Zeit, wo wir mehr denn je alles dar­an­set­zen müss­ten, die wei­tere Erwär­mung des Kli­mas sofort zu stoppen.

Das alles wis­sen wir – und trotz­dem schweigt die grosse Mehr­heit. Aus Angst vor Ver­än­de­rung. Und weil sie Angst davor hat, sozial abzu­stei­gen. Des­halb beschränkt man sich lie­ber auf die Pflege des eige­nen Wohl­erge­hens («wei­ter so wie bis­her») und kon­zen­triert sich dar­auf, die klei­nen Pri­vi­le­gien zu sichern.

Das kann nicht gut gehen. Auch das wis­sen wir eigentlich… 

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