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Behauptungen und Unwahrheiten

Im Abstim­mungs­kampf um die Auto­bahn­mil­li­ar­den zie­hen die Aus­bau­be­für­wor­ter alle Regi­ster. Die Palette reicht von fal­schen Behaup­tun­gen über unhalt­bare Ver­glei­che bis zur Miss­ach­tung wis­sen­schaft­li­cher Fakten.

Tat­kräf­tig unter­stützt ein­mal mehr von den Leit-Medien in unse­rem Land. Nicht nur die Arena-Sen­dung von SRF zeigte beäng­sti­gend Schlag­seite Rich­tung Auto­bahn­aus­bau – auch die Sonn­tags­presse bläst ins glei­che Horn. Dabei wäre es jour­na­li­sti­sche Pflicht, die Behaup­tun­gen und Schein­ar­gu­mente der Befür­wor­t­erschaft auf ihren Wahr­heits­ge­halt zu untersuchen:

So behaup­ten Bun­des­rat Rösti und Co unver­dros­sen, die Auto­bahn­ka­pa­zi­tä­ten ent­sprä­chen dem Bedarf einer 6‑Mil­lio­nen-Schweiz – in den letz­ten 30 Jah­ren habe man es ver­passt, die Infra­struk­tur der wach­sen­den Bevöl­ke­rung anzu­pas­sen. Ein Blick in die Zah­len des Bun­des­amts für Sta­ti­stik macht deut­lich: Falsch. Stimmt nicht!

In den letz­ten 30 Jah­ren wurde näm­lich kräf­tig am Schwei­zer Natio­nal­stras­sen­netz wei­ter­ge­baut: Heute haben wir in der Schweiz ins­ge­samt 1549 Kilo­me­ter Auto­bahn. Das sind über 350 Kilo­me­ter mehr als noch 1995 – im Klar­text: Eine Zunahme von fast 30 Pro­zent (ent­spricht der Strecke St. Gal­len-Genf). Hinzu kom­men all die Spur­er­wei­te­run­gen vom Grau­holz bis zur drit­ten Röhre am Bar­egg und am Gubrist sowie der Neu- und Aus­bau von Autobahnanschlüssen.

Ein wei­te­rer Punkt, den die Pro­mo­to­ren des 5‑Milliardenkredits absicht­lich unter­schla­gen: Die sechs Aus­bau­pro­jekte, über die wir am 24. Novem­ber abstim­men, sind nur ein Teil einer viel umfas­sen­de­ren, teils bereits lau­fen­den Kapa­zi­täts­er­wei­te­rung. So wird ab Früh­jahr 2025 im Kan­ton Solo­thurn die A1 auf einer Strecke von 22 Kilo­me­tern – zwi­schen Lut­er­bach und Här­kin­gen – von heute vier auf sechs Spu­ren aus­ge­baut. Die Vor­ar­bei­ten sind bereits im Gang. Bud­ge­tierte Bau­ko­sten: 1,06 Mil­li­ar­den Franken.

Auf der Web­site des ASTRA fin­den sich wei­tere Aus­bau­pro­jekte, die sepa­rat auf­ge­gleist wer­den. So etwa die umstrit­tene Erwei­te­rung der A1 zwi­schen der Ver­zwei­gung Birr­feld und Aarau Ost auf sechs Spu­ren – Länge 14 Kilo­me­ter, Kosten rund 770 Mil­lio­nen Franken.

Mit ande­ren Wor­ten: An unse­ren Natio­nal­stras­sen wird auch nach abge­lehn­ter Auto­bahn­vor­lage mun­ter wei­ter­ge­baut. Aller­dings ist zu beden­ken, dass damit die jähr­li­chen Unter­halts­ko­sten wei­ter stei­gen. Je mehr Stras­sen­flä­che wir haben, desto teu­rer wird es, diese instand zu hal­ten. Dies gilt ganz beson­ders für die Tun­nel, deren Betrieb und Unter­halt beträcht­li­che Kosten (und Stau wäh­rend der Reno­vie­rung) verursacht.

Fakt ist: Kapa­zi­täts­er­wei­te­run­gen füh­ren erfah­rungs­ge­mäss zu mehr Ver­kehr, bis es wie­der irgendwo von neuem staut. «Freie Fahrt für freie Bür­ger» à dis­cretion endet so zwangs­läu­fig im Stau – ins­be­son­dere wäh­rend den Spit­zen­zei­ten, wenn alle zur glei­chen Zeit pen­deln und freizeitverkehren.

Das Inter­net­por­tal Mobi­mag nennt dazu ein frap­pan­tes aktu­el­les Bei­spiel: Auf der Nord­um­fah­rung Zürich, wo die Auto­bahn zwi­schen Zürich-Affol­tern und der Ver­zwei­gung Zürich Nord in beide Rich­tun­gen von zwei auf drei Spu­ren erwei­tert wurde, hat der Ver­kehr mas­siv zuge­nom­men. Die Gemein­de­stras­sen wur­den dadurch nur teil­weise ent­la­stet – auf ein­gen nahm der Ver­kehr sogar deut­lich zu. «Von einer gross­flä­chi­gen Ent­la­stung durch den Aus­bau der Auto­bahn kann keine Rede sein», ist Fakt und belegbar.

Schliess­lich wer­den, um die Aus­bau­pläne zu recht­fer­ti­gen, durch Stau ver­ur­sachte volks­wirt­schaft­li­che Ver­lu­ste in Mil­li­ar­den­höhe her­bei­ge­rech­net. Aller­dings basiert die angeb­li­che Zahl der soge­nann­ten Stau­stun­den wie auch der dadurch «ver­lo­re­nen Zeit» auf ziem­lich wacke­li­gen Annah­men und Hoch­rech­nun­gen. Wenn soge­nannte Öko­no­men das Ganze dann noch in ver­lo­rene Schwei­zer Fran­ken umrech­nen, lan­det man end­gül­tig im Märchenland.

So lau­tet die Defi­ni­tion von Stau auf der Auto­bahn beim ASTRA: «Wenn auf Hoch­lei­stungs­stras­sen oder Haupt­stras­sen aus­ser­orts die stark redu­zierte Fahr­zeug­ge­schwin­dig­keit wäh­rend min­de­stens einer Minute unter 10 km/​h liegt und es häu­fig zum Still­stand kommt.»

Wie genau das vague umschrie­bene Phä­no­men Stau gemes­sen und zu Stau­stun­den zusam­men­ge­rech­net wird, ist ziem­lich aben­teu­er­lich.

Tat­sa­che jedoch ist, dass die tat­säch­li­che Zunahme von Staus in den letz­ten Jah­ren längst nicht so dra­ma­tisch war, wie die Aus­bau­be­für­wor­ter behaupten.

Wer genau hin­schaut, fin­det beim ASTRA Zah­len, die sogar bele­gen, dass zum Bei­spiel am Grau­holz der Ver­kehr von 2018 bis 2023 ABGENOMMEN hat!

«Es ist davon aus­zu­ge­hen», ist auf der Web­seite des Bun­des­amts für Sta­ti­stik nach­zu­le­sen, «dass ein Teil der zusätz­lich gemes­se­nen Stau­stun­den auf eine ver­bes­serte Erfas­sung des Ver­kehrs­ge­sche­hens zurück­zu­füh­ren ist.» Dies, weil das ASTRA wäh­rend Mona­ten nicht in der Lage war, zuver­läs­sig funk­tio­nie­rende Mess­ge­räte zu instal­lie­ren und zu betrei­ben (siehe Jah­res­be­richt ASTRA 2018).

«Täglich werden die auf Stunden aggregierten Verkehrswerte 
von den Zählstellen zur zentralen Verkehrsdatenbank VMON 
des ASTRA übertragen. Dort werden die Daten plausibilisiert 
und daraus abgeleitete Kennzahlen publiziert. 
(www.verkehrsdaten.ch).»   Quelle: Rosenthal und Partner AG

All diese Fak­ten fin­den in den Main­stream-Medien kaum Beach­tung. Statt­des­sen erhält Bun­des­rat Rösti in der NZZ vom Mon­tag, 4. Novem­ber eine wei­tere ganz­sei­tige Platt­form für seine Auto­bahn­wer­bung. Bei der Lek­türe fragt sich die infor­mierte Lese­rin: Kann Rösti eigent­lich nicht rechnen?

Und der BLICK versucht’s noch ein­mal mit Emo­tio­nen: Er beglei­tet eine LKW-Chauf­feu­rin auf ihrer (ärger­li­cher­weise weit­ge­hend) staufreien Fahrt von Altis­ho­fen nach Vevey, wo sie ihre Ware pünkt­lich ablie­fert. – Das glei­che «Pro­blem» hatte vor einer Woche bereits das Repor­ta­ge­team der Rund­schau, das eben­falls einen Chauf­feur beglei­tete, ohne einem Stau zu begegnen…

Also wer­den die Stau­erleb­nisse bloss geschil­dert. Sie sei schon bis zu zwei Stun­den im Stau gestan­den, erzählt die Chauf­feu­rin dem Blick. Wie oft das vor­kommt, wird in der Zei­tung aller­dings nicht erwähnt. Zudem nutzt die kluge Frau ihre Zeit unter­wegs «um Musik zu hören, mit Freun­den zu tele­fo­nie­ren oder Spra­chen zu lernen.»

Ver­lo­rene Zeit? 

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