Welten

Rio Dulce in Gua­te­mala. Hier endet die Bus­fahrt für uns Tou­ri­stIn­nen mit den schwe­ren Back­packer-Ruck­säcken. Dank­bar erben die beim letz­ten Halt in Mora­les neu Zuge­stie­ge­nen die frei gewor­de­nen Sitz­plätze: Eine Gruppe von 15 Leu­ten, mit leich­tem Gepäck. Junge Män­ner, Frauen und Kin­der. Für sie geht die Reise wei­ter, Rich­tung Norden. 
«Wir sind im Bus nach Santa Elena», sagt einer der Män­ner in sein Handy. «Drei aus El Sal­va­dor und zehn aus Hon­du­ras.» Migran­tIn­nen unter­wegs in die USA? Auf der Suche nach Arbeit und einem bes­se­ren Leben?

Für uns und andere liegt in Rio Dulce das gute Leben gleich um die Ecke: An der Bar bei Bruno’s trin­ken drei braun­ge­brannte ältere Seme­ster Bier und unter­hal­ten sich auf Deutsch. Sonst ist nicht viel los, am frü­hen Nachmittag.

Am Ufer des Rio Dulce, der hier mehr See als Fluss ist, lie­gen zahl­rei­che Hotels und Hostels. Der Natio­nal­park hie­sige gilt als Tou­ris­mus-Hot­spot – seit eini­gen Jah­ren pro­mo­tet der Staat den «Turismo Comu­ni­ta­rio», zusam­men mit zahl­rei­chen Klein­un­ter­neh­me­rIn­nen aus aller Welt: Wie vie­ler­orts, soll auch in die­ser Region der Tou­ris­mus hel­fen, die Lebens­be­din­gun­gen der Ein­hei­mi­schen zu ver­bes­sern. Gewor­ben wird mit den ursprüng­li­chen tro­pi­schen Natur­land­schaf­ten rund um den Lago de Izabal und am Rio Dulce.

Wei­ter fluss­ab­wärts an der Lagune locken wei­tere idyl­lisch gele­gene Resorts, die nur per Boot zu errei­chen sind. Dank wen­di­ger Glas­fa­ser­schiffe mit lei­stungs­star­ken Moto­ren sind die Rei­sen­den rasch am Ziel. In luf­ti­gen Bun­ga­lows genies­sen sie dort ihren Traum des Dolce far niente. Chil­lend tan­ken sie beim Blick in die Natur. Beob­ach­ten, wie die weis­sen Rei­her sanft in den Man­gro­ven am gegen­über lie­gen­den Ufer lan­den, wie sich Peli­kane fischend ins Was­ser stürzen.

Wenn sie hung­rig sind, bestel­len sie exo­ti­sche Früchte mit Joghurt und Müesli oder andere leckere Gerichte. Wenn sie dur­stig sind, holen sie sich ein Bier aus dem Kühl­schrank. Alles kein Pro­blem, die Ver­sor­gung der Tou­ri­stIn­nen per Motor­boot funk­tio­niert ein­wand­frei – genauso wie deren Betreu­ung durch eine inter­na­tio­nale Truppe von Tourismus-Hilfspersonal.

Obschon die man­gro­ven­be­wach­sene Fluss­ge­gend recht dicht besie­delt ist, kom­men die wenig­sten Ange­stell­ten und Vol­un­teers in den Resorts aus der unmit­tel­ba­ren Nachbarschaft.

Über­all am Ufer sehen wir ein­fach Holz­häu­ser, viele mit Satel­li­ten­schüs­seln. Kleine Gemü­se­gär­ten, Hüh­ner und Enten. Frauen waschen Wäsche im Fluss – Fischer sind mit ihren Boo­ten unter­wegs. Gekonnt ste­chen sie mit ihren Pad­deln ins Was­ser und glei­ten über die glatte Ober­flä­che. Man­che sogar noch in tra­di­tio­nel­len Ein­bäu­men aus Tro­pen­holz, wie man sie hier wohl schon seit Jahr­hun­der­ten ver­wen­det hat.

Zwei kleine Buben pad­deln in ihrem Mini-Ein­baum über den Fluss. Von hin­ten braust eine Tou­ri­sten­lan­cha heran und zieht eine Spur übers Was­ser. Das schmale Schiff­len schau­kelt in den Wel­len – die zwei Jungs win­ken fröh­lich – die Tou­ri­stIn­nen win­ken zurück. Im näch­sten Moment sind sie hin­ter der Fluss­bie­gung verschwunden.

Wenn sie in eini­gen Jah­ren wie­der kom­men, dürf­ten sie ver­geb­lich nach dem klei­nen Ein­baum Aus­schau hal­ten. Der­weil zwei junge Män­ner im Bus nach Santa Elena zusteigen.

Sehnsucht

Ende Juli. Som­mer­hitze, Trocken­heit im Mit­tel­land. In den Nach­rich­ten nur noch Hiobs­bot­schaf­ten. Wohin treibt Europa, die Welt? Die­ser Rechtsd­rall über­all. Ego­is­mus und Macht statt Soli­da­ri­tät, Ethik und Ver­nunft. Das Gefühl, gegen Wind­müh­len zu kämp­fen. Die Gewiss­heit, dass da gerade etwas her­an­wächst von dem man glaubte, es sei für immer vor­bei. Ohn­macht, Wut und Trauer.

Mit dem Mor­gen­zug in die Berge. Gleis­sen­des Licht, strah­len­des Wet­ter. Das letzte Stück mit dem Post­auto. Im Dorf­la­den von Sufers noch Pro­vi­ant ein­ge­kauft – freund­li­che Worte aus­ge­tauscht und gelacht, dann geht es los. Der Wald­weg glit­zert, über­all ist alles tau­nass. Es ist ange­nehm warm und feucht. Die Natur spriesst üppig, das Atmen tut gut.

Vom gegen­über­lie­gen­den Ufer des Sees aller­dings, dringt ohren­be­täu­ben­der Lärm. Steine wer­den gebro­chen, Repa­ra­tur­ar­bei­ten an der Pass­strasse. Dazwi­schen auf­heu­lende Motor­rä­der, Autos, Last­wa­gen. Der Weg biegt in ein Sei­ten­tal, folgt einem spru­deln­den Bach. Noch immer häm­mert und rat­tert es von unten. Fremde Geräu­sche domi­nie­ren im wil­den Bergwald.

Es geht steil hin­auf. Auch hier, Grä­ser und Blü­ten vol­ler Was­ser­per­len. Die Steine unter den Füs­sen sind mit­un­ter glit­schig. Das Gelände for­dert sei­nen Tri­but. Dem All­tag zu ent­kom­men, hat sei­nen Preis. Der anspruchs­volle Weg leert den Kopf und füllt das Herz.

Am spä­te­ren Nach­mit­tag Abstieg ins Avers-Tal. Über­nach­tung in Inner-Fer­rera. Ein klei­nes Dorf umge­ben von stei­len Fels­wän­den. Die Schule ist längst geschlos­sen, die Bevöl­ke­rungs­kurve zeigt steil nach unten. Ein Bota­ni­ker­paar sowie ein paar Feri­en­gä­ste im ein­zi­gen Hotel des Orts. Vor ein paar Jah­ren wurde es, mit Unter­stüt­zung der Gemeinde, wie­der in Betrieb genom­men. Das unga­ri­sche Wir­te­paar scheint gut inte­griert und orga­ni­siert für den 1. August ein Boccia-Tournier.

Nach einem reich­hal­ti­gen Früh­stück auf der alten Aver­ser­strasse zu Fuss wei­ter das Tal hin­auf. Grün­lich schim­mern­der Ande­er­gra­nit säumt ihren Rand – Stein um Stein wurde von Hand gehauen und gesetzt. Vier Mil­lio­nen habe die Restau­ra­tion und Siche­rung der alten schon Strasse geko­stet. Inve­sti­tio­nen in einen sanf­ten Tou­ris­mus. – Der roman­ti­sche Weg führt durch den Wald, der steil abfal­len­den Berg­flanke ent­lang – tief unten in der Schlucht der Rhein.

Dann öff­net sich das Tal. Wo der Fluss durch die Wie­sen mäan­dert, haben sich vor Jahr­hun­der­ten schon Men­schen nie­der­ge­las­sen. Ober­halb von Camp­sut recht ein Mann das gemähte Gras zusam­men. Ein Gruss – und die Frage nach der Ernte. Im Unter­land fehlt es wegen der Trocken­heit an Tier­fut­ter. Der Bauer kommt ein paar Schritte näher, lässt die Arbeit ruhen und lacht: «Die­ses Jahr haben wir gar nichts zu kla­gen – ein Som­mer, wie man ihn nur wün­schen kann. Alles ist perfekt!»

Ein Wort ergibt das andere. Er hat sei­nen Betrieb an einen Jün­ge­ren ver­pach­tet und sei jetzt Hilfs­ar­bei­ter auf sei­nem eige­nen Land. Nun arbeite er ohne Sor­gen, aus Lust. Noch 12 Bau­ern­be­triebe gebe es im Tal. Im Übri­gen mangle es an Arbeits­plät­zen. Die Säge­rei wurde vor eini­gen Jah­ren still­ge­legt, obschon die Holz­wirt­schaft eigent­lich flo­rie­ren könnte. Kürz­lich habe jemand für einen Bau im Tal Arven­holz gesucht. Schliess­lich fand man das Gewünschte in Bivio, zu einem stol­zen Preis. Das Holz stammte aus Avers – und wurde schliess­lich reimportiert.

Dann kommt das Gespräch auf die Grenze: Schmug­gel war einst die Lebens­ader im Tal. «Mein Vater war der Schmugg­ler­kö­nig» erzählt der Mann mit einem schel­mi­schen Lachen. Wäh­rend des zwei­ten Welt­kriegs habe man im Aver­ser­tal mehr Reis gege­ges­sen, als je zuvor oder danach. Alle hät­ten mit­ge­macht, auch der Gemein­de­prä­si­dent. So konnte man sicher gehen, dass einem nie­mand verpfeift.

Wei­ter geht es, an der still­ge­leg­ten Säge­rei vor­bei, den Hang hin­auf und wie­der über die alte Aver­ser­strasse, nach Avers Cre­sta. Eine alte Wals­er­sied­lung – ein grös­se­res Hotel, ein Dorf­la­den – Bau­ern­höfe. Hin­ter der Kir­che öff­net sich das Tal. Streu­sied­lun­gen, eine weite Land­schaft. Kühe und Schafe auf den Wei­den. Bäume wer­den rar.

Ein­la­dende weite Sei­ten­tä­ler locken gen Süden. Es ist zu spät, und ein Gewit­ter zieht sich zusam­men. Das Hoch­tal bleibt ein Ver­spre­chen für ein näch­stes Mal!

Der Weg nach Juf zeigt in die andere Rich­tung. Don­ner­grol­len in der Ferne, ein paar Regen­trop­fen – bald klart es wie­der auf. Die laut Sta­ti­stik höchst­ge­le­gene ganz­jäh­rig bewohnte Sied­lung der Schweiz – mit­ten in einer kah­len, aber lieb­li­chen Land­schaft. Der Blick schweift über die umlie­gen­den Mat­ten, wo Kühe wei­den. Eine Kin­der­schar spielt auf der Strasse. Im Dorf­la­den gibt’s Glacé und Souvenirs.

Die Kin­der holen Stöcke im Stall – es ist Zeit, die Kühe von der Weide zu trei­ben. Glocken­ge­läut und fröh­li­che Auf­re­gung. Dann legt sich wie­der Stille übers Dorf.

Beschau­lich­keit, Ruhe. Wie es wohl wäre, hier zu blei­ben. Nicht bloss ein paar Momente oder eine Nacht. Lange, län­ger – für immer? Was für ein Lebens­ge­fühl hat man, hier oben? Hier, wo sich das Auge in der Weite ver­liert und gleich­zei­tig Klein­räu­mig­keit domi­niert? In die­sem Tal, wo jeder jede kennt?

Los- und zurück­las­sen, was einem in der Stadt umtreibt. Ein­fach ein­mal aus­pro­bie­ren, was diese Berge, die Natur mit einem machen. Teil­ha­ben, an die­ser klei­nen, zusam­men­ge­wür­fel­ten Gemein­schaft hier oben, über der Baumgrenze…

Gedan­ken­spiele. Träu­me­reien, Sehn­sucht. – Kurz vor Sechs fährt das letzte Post­auto des Tages. Durch den Regen kurvt es zurück. Drei­ein­halb Stun­den spä­ter, Ankunft in Zürich. 

SRG-Spitze auf dem Holzweg

Der SRG-Ver­wal­tungs­rat hat ent­schie­den. Das öffent­lich-recht­li­che Radio und Fern­se­hen (SRF) wird seine Infor­ma­ti­ons-Pro­duk­tion künf­tig am Leut­schen­bach in Zürich kon­zen­trie­ren, in einer zen­tral gesteu­er­ten News- und Infor­ma­ti­ons­fa­brik mit Aus­sen­stel­len in den Regionen.

Dies ist ein Schlag ins Gesicht all jener, die sich im Vor­feld der No-Bil­lag-Initia­tive für eine föde­rale SRG und einen Ser­vice Public, der die­sen Namen ver­dient, ein­ge­setzt haben.

Nicht, dass ich der Mei­nung bin, gute Radio-Infor­ma­tion könne nur in Bern gemacht wer­den. Es geht auch nicht darum, ob Jour­na­li­stIn­nen künf­tig pen­deln müs­sen – das tun viele schon heute. Aber die beschlos­sene Kon­zen­tra­tion der Infor­ma­ti­ons­re­dak­tio­nen am Leut­schen­bach steht in dia­me­tra­lem Wider­spruch zum Auf­trag der SRG. Aber auch zu dem, was die SRG in der Ver­gan­gen­heit ver­kör­pert und was sie im Vor­feld der Abstim­mung ver­spro­chen hat.

Als Vor­wand dien­ten Spar­übun­gen. Man wolle bei der Infra­struk­tur kür­zer tre­ten, statt bei den Löh­nen, liess Radio-Chef­re­dak­to­rin Lis Bor­ner ver­lau­ten. Aller­dings muss­ten die Initi­an­ten des Umzugs­pro­jekts die erwar­te­ten Ein­spa­run­gen in der Folge rela­ti­vie­ren. Zudem hat man bis heute kei­nen Nach­mie­ter für die teu­ren Räum­lich­kei­ten an der Gia­co­mett­i­strasse gefun­den. Die Gene­ral­di­rek­tion der SRG möchte bekannt­lich in die Räum­lich­kei­ten des Radio­stu­dios Bern zie­hen, des­sen Mit­ar­bei­te­rIn­nen nach Zürich ver­jagt werden.

Auch wenn es in Fran­ken und Rap­pen schwie­rig bezif­fer­bar ist: Ein rie­si­ger Ver­lust ist bereits gesche­hen. Das Ver­hält­nis zwi­schen den Vor­ge­setz­ten, die den Umzug vor­an­trie­ben und den Mit­ar­bei­te­rIn­nen an der Basis ist nach­hal­tig beschä­digt. Nicht nur im Radio Stu­dio Bern. Das ist keine gute Vor­aus­set­zung für künf­tige Qualitätsarbeit.

Fakt ist: SRG-Direk­tor Mar­chand und die Kader­leute um Ruedi Mat­ter und Lis Bor­ner haben sich mit dik­ta­to­ri­schen Allü­ren über alle und alles hin­weg­ge­setzt. Dro­hun­gen statt Dis­kus­sio­nen – Power­play statt Argu­mente. Maul­körbe wur­den ver­passt – wer nicht parierte, musste mit Sank­tio­nen rechnen.

Für die Chefs ist das Game auf­ge­gan­gen: Nun hat sich auch der neun­köp­fige Ver­wal­tungs­rat taub und unsen­si­bel gezeigt, gegen­über allen berech­tig­ten Ein­wän­den und Inter­ven­tio­nen. Das Ende der bis­he­ri­gen SRG-Infor­ma­ti­ons­struk­tur am Stand­ort Bern ist beschlos­sene Sache. Doch damit nicht genug:

Ein ähn­li­ches Trau­er­spiel zeich­net sich in der West­schweiz ab, wo TV und Radio an einem neuen Stand­ort in Lau­sanne kon­zen­triert wer­den sol­len. Pro­zesse, wie wir sie in den letz­ten Jah­ren bei den pri­va­ten Medi­en­an­bie­tern noch und noch erlebt und immer wie­der kri­ti­siert haben. Der Unter­schied: Wenn ich mit dem Geschäfts­ge­ba­ren von Tame­dia oder der NZZ nicht ein­ver­stan­den bin, kann ich mein Zei­tungs­abon­ne­ment kün­di­gen. Bei der SRG geht das nicht.

Umso wüten­der macht das selbst­herr­li­che Geba­ren der SRG-Füh­rung: Mut­wil­lig zer­stört sie, wofür die SRG in der Ver­gan­gen­heit stand – und wofür der Ser­vice Public eigent­lich ste­hen müsste.

Eine breite Ver­an­ke­rung der SRG in der Gesell­schaft und Qua­li­täts­ar­beit aus allen Tei­len des Lan­des sind unver­zicht­bar für das Funk­tio­nie­ren unse­rer Demo­kra­tie – so lau­tete die Selbst­dar­stel­lung, so lau­tete das Credo für den Erhalt eines star­ken Ser­vice Public.

Das ist mit dem Ent­scheid der SRG-Füh­rung mehr als in Frage gestellt. Bei einer näch­sten Abstim­mung dürf­ten die Gebüh­ren für den SRG-Kon­zern nicht län­ger geschont wer­den. Zu Recht. Denn eine SRG nach dem Gusto von Mat­ter, Bor­ner und Co brau­chen und wol­len wir nicht.

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