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Kuschen und dealen

Am Mitt­woch­abend, 2. April also eine wei­tere Macht­de­mon­stra­tion des US-ame­ri­ka­ni­schen Prä­si­den­ten Donald Trump. Insze­niert im Rosen­gar­ten vor dem Weis­sen Haus, live über­tra­gen in alle Welt. Mit Span­nung erwar­tet, löste der seit Wochen gross­mun­dig ange­kün­digte Zoll­ham­mer schon im Vor­feld hek­ti­sches Trei­ben aus. Vor und hin­ter den Kulissen.

Der Tenor war und ist dabei immer der Glei­che: Trotz vor­der­grün­dig rhe­to­ri­scher Empö­rung über die ras­si­sti­schen und men­schen­ver­ach­ten­den Metho­den von Trump & Co, ver­su­chen die mei­sten, ihre Schäf­chen mög­lichst unge­scho­ren ins Trockene zu brin­gen, indem man sich mit dem laut­star­ken Mann im Weis­sen Haus und sei­ner Entou­rage arrangiert.

Das Power­play des Immo­bi­li­en­ty­coons auf dem Prä­si­den­ten­thron und sei­ner Tech-Mil­li­ar­däre zeigt Wir­kung. Inner­halb weni­ger Wochen haben sie es geschafft, nicht nur in den USA immense Schä­den anzu­rich­ten, ins­be­son­dere mit ihren Angrif­fen und Kahl­schlä­gen in Ver­wal­tung und Justiz; die Eli­mi­nie­rung von USAID trifft arme Men­schen weltweit.

Diese haben keine Wahl, sie kön­nen gegen das ame­ri­ka­ni­sche Power­play nichts aus­rich­ten. Ganz anders sieht es jedoch bei Insti­tu­tio­nen wie Uni­ver­si­tä­ten, Gross­un­ter­neh­men oder Anwalts­kanz­leien in den USA und welt­weit aus, die durch­aus über Mög­lich­kei­ten und Reser­ven ver­fü­gen, um sich der Trump­schen Poli­tik zu wider­set­zen. Dafür gibt es durch­aus Bei­spiele, wie etwa die inter­na­tio­nale Wirt­schafts­kanz­lei Per­kins Coie. Sie hat sich gewei­gert, den Trump­schen For­de­run­gen nach­zu­kom­men, «Viel­falt, Gerech­tig­keit und Inklu­sion» aus ihren Unter­neh­mens­richt­li­nien zu streichen.

Die Trump-Admi­ni­stra­tion hat umge­hend mit dem Ent­zug von Man­da­ten reagiert und Geschäfts­part­ner von Per­kins Coie unter Druck gesetzt – wor­auf die Anwalts­kanz­lei gegen die­ses Vor­ge­hen geklagt hat. In einer ersten Runde mit Erfolg.

Lei­der ste­hen aber längst nicht alle Anwält:innen so kon­se­quent und mutig für ihre Unab­hän­gig­keit und ihre Über­zeu­gun­gen ein, wie jene von Per­kins Coie. Eine Reihe gros­ser Anwalts­kanz­leien haben sich umge­hend Trumps For­de­run­gen gebeugt und die ange­droh­ten Mass­nah­men durch die Anpas­sung ihrer Geschäfts­be­din­gun­gen sowie durch Mil­lio­nen­zah­lun­gen abge­wen­det. Eine gefähr­li­che Ent­wick­lung, wie der deut­sche Justiz­pro­fes­sor Niko Här­ting in der Legal Tri­bune Online schreibt. Er for­dert unmissverständlich:

«Wenn eine Regie­rung Anwalts­kanz­leien ins Visier nimmt und drang­sa­liert, sind Anwäl­tin­nen und Anwälte in aller Welt zur Ver­tei­di­gung der freien Advo­ka­tur auf­ge­ru­fen. Lei­se­tre­te­rei, vor­aus­ei­len­der Gehor­sam oder gar die Hoff­nung auf Bera­tungs­man­date im Zusam­men­hang mit den neuen US-Bestim­mun­gen sind fehl am Platz.»

Das Glei­che gilt auch für Uni­ver­si­tä­ten, wo die «Frei­heit von For­schung und Wis­sen­schaft» auf dem Spiel steht, wie auch für alle gros­sen und klei­nen Unter­neh­men, die Trump durch ein Bom­bar­de­ment von Erlas­sen, Ver­bo­ten und Straf­zöl­len auf seine Linie zwin­gen will. In den USA und welt­weit, auch in der Schweiz.

Wie den Medien zu ent­neh­men war, haben auch hier­zu­lande bereits eine ganze Reihe von Unter­neh­men – zum Bei­spiel Roche und die UBS – dem ame­ri­ka­ni­schen Prä­si­den­ten Gehor­sam signa­li­sie­rend (oder auf bereits erfolg­ten Druck?) ihren Ver­hal­tens­ko­dex flugs geän­dert und die För­de­rung und Beach­tung von «Viel­falt, Gerech­tig­keit und Inklu­sion» in ihren Betrie­ben schlicht und ein­fach gestrichen.

Im Jah­res­be­richt der UBS waren die Begriffe «Diver­si­tät, Inklu­sion und Gleich­be­rech­ti­gung» im Jah­res­be­richt 2023 noch 21-mal ent­hal­ten gewe­sen, schreibt etwa die NZZ. Im aktu­el­len Bericht seien diese Wör­ter nun aber voll­stän­dig ver­schwun­den, und das UBS- Ziel, den Anteil von Frauen im Kader auf 30 Pro­zent zu erhö­hen, sei eben­falls gestri­chen worden.

Das Glei­che gilt für Stad­ler Rail – zumin­dest auf den ersten Blick. In deren Geschäfts­be­richt von 2023 steht auf Seite 35 unter dem Titel «Nach­hal­tig­keit»: «Viel­falt ist Teil der Unter­neh­mens­kul­tur von Stad­ler und sie wird geschätzt und als Berei­che­rung wahr­ge­nom­men. Ziel ist es, allen Mit­ar­bei­ten­den glei­che Chan­cen zu bie­ten, unab­hän­gig von Geschlecht, Alter, Natio­na­li­tät, sexu­el­ler Ori­en­tie­rung, Bil­dungs­stand oder Reli­gion. Stad­ler beschäf­tigt Men­schen mit über 75 Natio­na­li­tä­ten und bie­tet Tätig­kei­ten für Men­schen mit den unter­schied­lich­sten Bildungshintergründen und Lebens­läu­fen an.»

Im Geschäfts­be­richt 2024 fehlt die­ser Abschnitt. Dafür gibt es einen Link zum Nach­hal­tig­keits­be­richt, der von der Web­site sepa­rat her­un­ter­ge­la­den wer­den kann. Und siehe da: Hier gibt es das Kapi­tel «Diver­si­tät und Chan­cen­gleich­heit» nach wie vor, unge­kürzt und unzen­su­riert – inklu­sive der Ziel­set­zung, den Frau­en­an­teil in der Divi­sion Ser­vice im lau­fen­den Jahr um drei Pro­zent zu erhöhen…

Ob man sich mit die­sem Ver­steck­spiel der Trump­schen Anti-Diver­sity-Kon­trolle ent­zie­hen zu kön­nen glaubt? Im Ein­klang mit den Bestre­bun­gen von Stad­ler Rail, mit der Auf­wer­tung des Stand­orts USA als eigene Kon­zern­di­vi­sion sowie mit ange­kün­dig­ten Zusatz­in­ve­sti­tio­nen von über 70 Mil­lio­nen USD ins Werk von Salt Lake City dem Zoll­ham­mer zu entgehen…

An sich ein logi­scher Schach­zug. Weil es Sinn macht, dass Züge, die für die USA bestimmt sind, auch dort gefer­tigt wer­den. Unschön und gefähr­lich an der gan­zen Geschichte ist jedoch die Tat­sa­che, dass Wirtschafstführer:innen wie Politiker:innen sowohl in den USA wie auch welt­weit das Trump­sche Spiel mit­spie­len. Und darum bemüht sind, durch Kuschen, Krie­chen und mit Deals fürs eigene Unter­neh­men, für die eigene Uni, das eigene Land das Best­mög­li­che herauszuholen.

Der bis­he­rige Erfolg von Trumps unge­schmink­ter und gross­mau­li­ger Erpres­sungs­po­li­tik ent­larvt ein für alle Mal, wie fra­gil, ja marode das Ganze auf Eigen­in­ter­es­sen, Pro­fit­gier und Natio­na­lis­mus auf­ge­baute glo­bale System ist. Schlim­mer noch: Mit der Wahl von Trump zum US-Prä­si­den­ten haben welt­weit jene Kräfte Auf­trieb erhal­ten, die Men­schen­rechte, Bio­di­ver­si­tät oder Gerech­tig­keit als lästige Hin­der­nisse sehen und eli­mi­nie­ren wollen.

Diese macht­po­li­ti­sche Dampf­walze aus dem Oval Office muss drin­gend gestoppt wer­den. Das geht nur, wenn Trumpgegner:innen in den USA und welt­weit auf­ste­hen, sich zusam­men­tun und gemein­sam den For­de­run­gen von Trump und sei­nen Gesin­nungs­ge­nos­sen ent­ge­gen­tre­ten. Indem sie sich nicht von Straf­zöl­len und ande­ren Dro­hun­gen Angst machen und klein­krie­gen lassen.

Wir in der Schweiz sind keine Befehlsempfänger:innen von Ame­rika und es stünde uns gut an, das auch laut zu arti­ku­lie­ren. Auf die Gefahr hin, dass wir keine Tes­las mehr bekom­men. – Na und? Die brau­chen wir ja auch nicht wirklich. .. 

Kriegsverbrechen – ungestraft

Heute ist es einen Monat her, dass die israe­li­sche Regie­rung und ihre Armee die Lie­fe­rung von drin­gend benö­tig­ten Hilfs­gü­tern und Nah­rungs­mit­teln nach Gaza blockiert haben. Vor zwei Wochen hat Israel den Waf­fen­still­stand gebro­chen, und wie­der bom­bar­die­ren und mor­den die Soldat:innen der IDF, was das Zeug hält. Rück­sichts­los – und mit dem erklär­ten Ziel, die palä­sti­nen­si­sche Bevöl­ke­rung in Gaza ein für alle Mal zu eliminieren.

Der Geno­zid geschieht auf offe­ner Bühne vor den Augen der Welt, ohne Heim­lich­tue­rei durch die Besat­zungs­macht. Die Kriegs­ver­bre­chen in Gaza sind bestens doku­men­tiert – aber die Laut­spre­cher der Welt schwei­gen. Wie­der und wie­der kommt Israel unge­straft davon. Keine Sank­tio­nen weit und breit, geschweige denn eine Bestra­fung durch den Inter­na­tio­na­len Gerichtshof. 

Jüng­stes Bei­spiel, des­sen Ein­deu­tig­keit und Bru­ta­li­tät bei jeder ande­ren Ter­ror­gruppe zu Sank­tio­nen und Äch­tung geführt hätte, ist die Ermor­dung von 15 Sani­tä­tern und Zivil­schüt­zern, die am 23. März bei einem Ein­satz zur Ber­gung von Ver­letz­ten und Toten in Gaza von israe­li­schen Sol­da­ten ange­grif­fen und hin­ge­rich­tet wor­den sind.

Wäh­rend Tagen galt der Rot­halb­mond-Kon­voi aus fünf Ret­tungs­fahr­zeu­gen, einem Feu­er­wehr­wa­gen und einem klar mar­kier­ten UN-Fahr­zeug offi­zi­ell als ver­schol­len. Heute ist bekannt, dass es noch Kon­takte gab zwi­schen den Ein­satz­kräf­ten und der Ambu­lanz­zen­trale, die unver­mit­telt unter­bro­chen wur­den. Vor Ort war schnell klar, dass der Hilfs­kon­voi wohl unter israe­li­sches Feuer gera­ten war…

Die israe­li­sche Armee gab kei­nen Kom­men­tar, ver­hin­derte aber vor­erst die Suche nach den Ver­miss­ten. Als der Such­trupp, koor­di­niert von der UN-Orga­ni­sa­tion OCHA, schliess­lich bis zum Ort des Gesche­hens vor­drin­gen konnte, bot sich den Hel­fern ein Bild des Grau­ens. «Die Kran­ken­au­tos, das UN-Fahr­zeug und der Feu­er­wehr­wa­gen waren alle zu Schrott geschos­sen und teil­weise ein­ge­gra­ben. Nach stun­den­lan­gem Schau­feln haben wir eine Lei­che gefun­den – ein Zivil­dienst­mit­ar­bei­ter unter sei­nem Feu­er­wehr­auto», schil­dert der OCHA-Ein­satz­lei­ter Jona­than Whit­tall das Geschehen.

Das war nur der Anfang: Schliess­lich haben die Hel­fer ein Mas­sen­grab aus­ge­ho­ben, in dem die Lei­chen der Sani­tä­ter und Zivil­schüt­zer ver­scharrt wor­den waren. Unter­su­chun­gen haben erge­ben: Die Män­ner wur­den exe­ku­tiert, man­che von ihnen hat­ten Fuss­fes­seln und wur­den mög­lich­weise noch leben­dig begraben…

Whit­tall und sein Team haben die Such­ak­tion sowie die Ber­gung der getö­te­ten Ret­tungs­kräfte akri­bisch doku­men­tiert – mit Bild- und Film­ma­te­rial, das unter ande­rem auf der News-Seite der UNO publi­ziert wor­den ist. Mit einer schar­fen Ver­ur­tei­lung des Gesche­hens und der For­de­rung nach Stel­lung­nahme der israe­li­schen Regierung.

Diese reagierte mit ihrer bereits hun­dert­fach wie­der­hol­ten zyni­schen Aus­rede, man habe das Feuer auf den Kon­voi eröff­net (trotz der kla­ren Kenn­zeich­nung der UNO- und Rot­halb­mond-Fahr­zeuge), weil sich die­ser «ver­däch­tig» bewegt habe. Es über­ra­sche nicht, kol­por­tiert etwa die NZZ unkom­men­tiert den israe­li­schen Armee­spre­cher, «dass die Hamas erneut medi­zi­ni­sche Ein­rich­tun­gen und Aus­rü­stung für ihre Zwecke nutze.»

Wenn man sich vor Augen führt, unter welch hor­ren­den, schwie­ri­gen Umstän­den die Ret­tungs­kräfte in Gaza immer wie­der ihr eige­nes Leben ris­kie­ren, um den von Israel aus­ge­bomb­ten und immer von Neuem in die Flucht getrie­be­nen Men­schen zu hel­fen, sind sol­che Sätze purer men­schen­ver­ach­ten­der Hohn.

Israel schert sich kei­nen Deut um den Schutz von huma­ni­tä­ren Helfer:innen in Gaza. Damit ver­stösst es ein­deu­tig gegen das Völ­ker­recht, wonach huma­ni­tä­res und medi­zi­ni­sches Per­so­nal sowie medi­zi­ni­sche Ein­rich­tun­gen und Objekte, die für huma­ni­täre Ein­sätze genutzt wer­den, unter spe­zi­fi­schem Schutz ste­hen. Wer dies miss­ach­tet, begeht Kriegs­ver­bre­chen. Israel weiss das, und tut es trotz­dem. Ohne Konsequenzen.

UNRWA-Direk­tor Phil­ippe Laz­z­a­rini schrieb denn auch in sei­ner Reak­tion auf das Mas­sa­ker an den Ret­tungs­kräf­ten: «Das Töten von Ret­tungs­kräf­ten, Jour­na­li­sten oder huma­ni­tä­ren Hel­fern ist eine ekla­tante und schwer­wie­gende Miss­ach­tung des Völ­ker­rechts – in Gaza, sind diese Tötun­gen zur Rou­tine gewor­den.» Seit dem 7. Okto­ber 2023 seien 408 huma­ni­täre Helfer:innen bei ihren Ein­sät­zen in Gaza getö­tet wor­den, hält Laz­z­a­rini wei­ter fest und for­dert, dass Israel dafür end­lich zur Rechen­schaft gezo­gen werde.

Die Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tion Euro-Med Human Rights Moni­tor bezeich­net die Tra­gö­die um die 15 hin­ge­rich­te­ten huma­ni­tä­ren Ret­ter als «bei­spiel­los in der jün­ge­ren Geschichte» und for­dert: «Die Ver­ei­nig­ten Staa­ten und andere Natio­nen, die Israel in irgend­ei­ner Weise bei der Bege­hung sei­ner unge­heu­er­li­chen Ver­bre­chen unter­stüt­zen, ein­schliess­lich der Hilfe und der ver­trag­li­chen Bezie­hun­gen im mili­tä­ri­schen, geheim­dienst­li­chen, poli­ti­schen, recht­li­chen, finan­zi­el­len, media­len und son­sti­gen Bereich, die zur Fort­dauer sol­cher Ver­bre­chen bei­tra­gen, müs­sen zur Rechen­schaft gezo­gen und straf­recht­lich ver­folgt werden.»

Doch was küm­mert das die Schwei­zer Öffent­lich­keit. Wäh­rend hier­zu­lande in den Medien anläss­lich des drit­ten Jah­res­tags der «Mas­sa­ker von But­scha» die rus­si­schen Kriegs­ver­bre­chen wie­der ein­mal für Schlag­zei­len sorg­ten, hütet man sich nach wie vor davor, Isra­els ver­gleich­bare Mas­sa­ker als sol­che zu benen­nen und dage­gen zu protestieren.

Die starke poli­ti­sche Israel-Lobby in der Schweiz ver­steht es bis heute, nicht nur unse­ren Aus­sen­mi­ni­ster und das gesamte poli­ti­sche Bern von einer kla­ren Stel­lung­nahme gegen Kriegs­ver­bre­chen und Völ­ker­mord in Israel abzu­hal­ten – mit tat­kräf­ti­ger Unter­stüt­zung durch die Medien schafft sie es auch, gerecht­fer­tigte Kri­tik und die For­de­rung nach Sank­tio­nen gegen den Unrecht­staat Israel weit­ge­hend im Keim zu ersticken.

Gentrifizierung macht Vorstadt kaputt

Der junge Coif­feur wohnt noch in der elter­li­chen Woh­nung in der Agglo­me­ra­tion. Mit fünf erwach­se­nen Per­so­nen werde es lang­sam eng, erzählt er sei­nem Kun­den. Gerne möchte er aus­zie­hen, eine eigene Bleibe fin­den – und ja, viel­leicht dem­nächst eine Fami­lie gründen…

Am lieb­sten hätte er natür­lich eine Woh­nung nicht zu weit von sei­nem Arbeits­platz. Die­ser befin­det sich in Zürich-Oer­li­kon, einem Stadt­teil, wo einst Arbeiter:innen und Ange­stellte gün­sti­gen Wohn­raum gefun­den haben, wie in Vor­städ­ten üblich. Auf­grund der gros­sen Nach­frage, ist hier in den letz­ten 20 Jah­ren denn auch sehr viel neuer Wohn­raum geschaf­fen wor­den – und der Bau­boom scheint nicht auf­zu­hö­ren. Trotz­dem dürfte es für einen ein­fa­chen jun­gen Berufs­mann schwie­rig, ja schier unmög­lich sein, hier eine für ihn und seine künf­tige Fami­lie bezahl­bare Unter­kunft zu finden.

Als gelern­ter Coif­feur hat er laut dem GAV des schwei­ze­ri­schen Coif­feur­ge­wer­bes bei einem 100-Pro­zent­job ab dem 3. Berufs­jahr Anspruch auf einen Basis­lohn von 51’360 Fran­ken pro Jahr. Nach all­ge­mei­nen Grund­sät­zen sollte die Miete nicht mehr als ein Drit­tel der monat­li­chen Aus­la­gen aus­ma­chen. Damit lie­gen maxi­mal 1’400 Fran­ken pro Monat fürs Woh­nen drin. Ein Blick auf das Ange­bot an Miet­woh­nun­gen in Zürich-Oer­li­kon zeigt: Die Anzahl der freien 3- bis 4‑Zimmerwohnungen ist beschei­den, die Preise dafür umso gesalzener.

Gerade mal eine ein­zige Woh­nung – an der lär­mi­gen Wehn­ta­ler­strasse, Bau­jahr 1954 – wird zu einem Preis unter 2000 Fran­ken ange­bo­ten. Die mei­sten Miet­zinse bewe­gen sich zwi­schen 2’500 und 3000 Fran­ken im Monat – bei Neu­bau­woh­nun­gen sind sie sogar deut­lich höher und bewe­gen sich zwi­schen 3’000 und über 4’000 Franken.

Für den Coif­feur und seine künf­tige Ehe­frau heisst das: Der Lohn reicht nicht, um ein Dach über dem Kopf zu fin­den. Sie müss­ten beide je 100 Pro­zent arbei­ten – und auch dann könn­ten sie sich höch­stens eine beson­ders «gün­stige» Klein­woh­nung leisten…

Ein Augen­schein im Quar­tier macht deut­lich, dass der anhal­tende Bau­boom im Nor­den von Zürich, ange­heizt durch die poli­tisch gewollte Ver­dich­tung, zwar neuen Wohn­raum schafft, aber gleich­zei­tig die Ver­drän­gung der ange­stamm­ten «ein­fa­chen» Bevöl­ke­rung zur Folge hat. Gen­tri­fi­zie­rung gibt’s längst nicht mehr bloss im hip­pen See­feld­stadt­kreis, son­dern auch in Oer­li­kon und Schwamendingen.

Dies, weil gleich rei­hen­weise ältere Wohn­häu­ser mit ver­gleichs­weise gün­sti­gen Woh­nun­gen zum Abbruch frei­ge­ge­ben wer­den, um dar­auf neue, «ver­dich­tete» Ren­di­te­ob­jekte zu erstel­len, die gleich­zei­tig die kli­ma­tisch wert­vol­len Grün­areale in Zürichs Nor­den vernichten.

So wer­den zum Bei­spiel an der Ber­nina­strasse 8 und 10 zwei gut erhal­tene Mehr­fa­mi­li­en­häu­ser mit rund einem Dut­zend Miet­woh­nun­gen und dem tra­di­tio­nel­len Grün- und Gar­ten­raum zer­stört. An deren Stelle plant die Bau­herr­schaft «ein Mehr­fa­mi­li­en­haus mit 20 moder­nen, gross­zü­gi­gen Eigen­tums­woh­nun­gen», wie der Pro­jekt­web­seite zu ent­neh­men ist.

Gleich um die Ecke, an der Schup­pisstrasse 8, ist das näch­ste Pro­jekt aus­ge­steckt. Auch hier gehen die pro­fit­gei­len Inve­sto­ren nach dem glei­chen Schema vor: Ein gut erhal­te­nes Mehr­fa­mi­li­en­haus mit gross­zü­gi­gen Gär­ten, die einst für den Gemü­se­an­bau der Mieter:innen ange­legt wur­den, muss einem luxu­riös aus­ge­stat­te­ten, mäch­ti­gen Bau­klotz wei­chen. Die Visua­li­sie­run­gen las­sen kei­nen Zwei­fel auf­kom­men: Auch hier wird kein Wohn­raum für mitt­lere bis beschei­dene Ein­kom­men geschaffen!

Nur zwei Blocks wei­ter, an der Vik­to­ria­strasse 13 und 15, ste­chen zwei wei­tere Mehr­fa­mi­li­en­häu­ser ins Auge. Beide sorg­fäl­tig reno­viert, das eine mit hell­blauer, das andere mit hell­grü­ner Fas­sade. Auch hier ver­kün­den Bau­pro­file den bal­di­gen Abriss: Die bei­den Miets­häu­ser mit Bau­jahr 1940 «müs­sen» einem Neu­bau mit ins­ge­samt 35 Woh­nun­gen wei­chen: Der Eigen­tü­mer begrün­dete sei­nen Ent­scheid in einem Schrei­ben an die Mieter:innen mit der wenig ori­gi­nel­len Aus­rede, damit der «Woh­nungs­knapp­heit in der Stadt Zürich entgegenzuwirken».

Die Online-Zei­tung Tsüri hat detail­liert über die­sen Fall berich­tet. Das Bei­spiel zeigt exem­pla­risch, wie intak­ter und erschwing­li­cher Wohn- und Lebens­raum in der Stadt aus Pro­fit­gier ver­nich­tet wird.

Dies, obschon die Lie­gen­schaf­ten stets gut unter­hal­ten wur­den und sich in ent­spre­chend gutem Zustand prä­sen­tie­ren. Noch 2009 wur­den die Häu­ser auf­ge­stockt sowie die Auto­ga­rage zu Wohn­raum umge­baut, so dass hier aktu­ell 18 Miet­par­teien ein Daheim fin­den. Aller­dings nur noch auf Zeit: Allen Mieter:innen wurde auf Ende Sep­tem­ber 2025 gekün­digt – auf der Schlich­tungs­stelle konn­ten sie wenig­stens eine Erstreckung um 6 Monate erkämp­fen. Das wars.

Nur ein paar Schritte wei­ter, an der Apfel­baum­strasse 2, ist man bereits einen Schritt wei­ter: Hier inve­stiert die Immo­bi­li­en­ma­cher AG auf einem Grund­stück, das wie alle ande­ren in die­sem Quar­tier, über einen gros­sen Gar­ten­raum ver­fügte, in einen Ren­di­teneu­bau mit neun Eigen­tums­woh­nun­gen. Tief­ga­rage mit sie­ben Abstell­plät­zen inklu­sive. Auch hier wer­den zah­lungs­kräf­tige Gut­ver­diende ange­spro­chen: Die klein­ste Woh­nung – 2,5 Zim­mer, 60 Qua­drat­me­ter im Erd­ge­schoss – kostet 1,2 Mil­lio­nen Fran­ken. Die Attika-Woh­nung – mit beschei­de­nen 95,6 Qua­drat­me­tern die grösste und teu­er­ste Wohn­ein­heit – kostet gut dop­pelt soviel.

«Die Woh­nun­gen an der Apfel­baum­strasse ver­fü­gen über einen hohen Aus­bau­stan­dard. Unser Ziel ist es, Räume zu schaf­fen, in wel­chen die Bewoh­ner einen ent­spann­ten Lebens­stil pfle­gen kön­nen», heisst es auf der Web­site des Pro­jekts, das unter dem Motto «Novem – Ein Zuhause zum Wur­zeln schla­gen» ange­prie­sen wird.

Einen solch «ent­spann­ten Lebens­stil» kann sich der junge Coif­feur lei­der nicht lei­sten. Andere, mit dicken Porte­mon­naies, die vor kur­zem noch die Nase über die Wohn­ge­gend Oerlikon/​Schwamendingen gerümpft haben, über­neh­men jetzt die tra­di­tio­nel­len Arbei­ter- und Mit­tel­stands­quar­tiere. Anders kann man sich nicht erklä­ren, dass pro­fit­ge­trie­bene Inve­sto­ren noch und noch gün­sti­gen, intak­ten Wohn­raum ver­nich­ten, um an des­sen Stelle Luxus-Ren­di­te­ob­jekte hin­zu­klot­zen. Alles mit dem Segen einer rot-grü­nen Stadt­re­gie­rung, die all diese Pro­jekte locker durch­winkt. Trotz unver­ant­wort­li­cher Ver­nich­tung von grauer Ener­gie in guter Bau­sub­stanz und Zer­stö­rung von Grün­raum – was in Zei­ten von Kli­ma­wan­del und Res­sour­cen­knapp­heit eigent­lich ver­bo­ten gehört.

Fest steht, dass die­ser irre Bau­boom die Woh­nungs­not in Zürich und Umge­bung nicht lin­dert, son­dern viel­mehr wei­ter befeu­ert. Dies ent­ge­gen aller Behaup­tun­gen von Inve­sto­ren, Bau­herr­schaf­ten und Poli­ti­kern, die dem jun­gen Coif­feur wohl raten wür­den, halt in den Jura zu zie­hen, wo es noch Wohn­raum gibt, den er sich lei­sten kann. Zum Polie­ren ihrer ange­sag­ten Glat­zen brau­chen sie ja keine Friseure.

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