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Israel — Schönfärberei als Geschäft

«Nationale Palästina-Kundgebung ist auf Eis gelegt», titelten die Berner TA-Medien Ende letzter Woche. Eigentlich hätte am 15. November in Bern erneut eine grosse Demonstration für Freiheit und Gerechtigkeit im Nahen Osten statt­finden sollen. Diesmal bewilligt und profes­sionell organi­siert von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International.

Seit dem «Waffenstillstand» in Gaza ist Israels fortdau­ernde Vertreibungs- und Genozidpolitik gegen die Palästinenser:innen weitgehend aus den Schlagzeilen unserer Medien verschwunden. Vor Ort ist die Lage jedoch immer noch äusserst prekär: Tagtäglich verüben Siedler im Westjordanland, unter­stützt oder toleriert von israe­li­schem Militär und Polizei, Attentate und Terroranschläge auf Palästinenser:innen. Im besetzten Ostjerusalem verjagen israe­lische Polizist:innen Palästinenser:innen aus ihren Häusern, und in Gaza behindert Israel nach wie vor dringend notwendige Hilfslieferungen. Aktuell verschärfen zudem heftige Regenfälle und Kälte die Situation der obdachlos gebombten Menschen.

Angesichts der Tatsache, dass sich bis heute nichts an der passiven Haltung der Schweizer Regierung gegenüber dem israe­li­schen Staat geändert hat, wäre die von Amnesty abgesagte Grossdemo ein wichtiges Zeichen gewesen.

«Mit ihrer Nicht-Reaktion auf Israels Verbrechen gegenüber den Palästinenser:innen verspottet die Schweiz ihr humani­täres Erbe – das dürfen wir nicht akzep­tieren!» hatte Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International, anlässlich einer Veranstaltung in Bern Anfang Juli verkündet. Sie trat damals, zusammen mit der UNO-Sonderberichterstatterin Francesco Albanese, an jener Veranstaltung auf, die nicht in der Aula der Universität Bern statt­finden dufte: Die Uni-Leitung hatte dem massiven Druck der Israel-Lobby nachge­geben, welche die UNO-Sonderberichterstatterin schrill des Antisemitismus bezich­tigte, und die Zusage für die Veranstaltung kurzfristig wieder zurückgezogen.

«Ich bin verdammt wütend. Wütend darüber, dass wir immer wieder das gleiche erzählen müssen, und nichts geschieht… Aber wir geben nicht auf!» rief die Amnesty-Generalsekretärin damals in den Saal, was die Anwesenden mit zustim­mendem, kräftigem Applaus quittierten.

Seither ist fast ein halbes Jahr vergangen und man fragt sich, was von den kämpfe­ri­schen Tönen übrig­ge­blieben ist. Nach der erfolg­reichen Demonstration vom 21. Juni in Bern, die der Schweizer Ableger von Amnesty International gemeinsam mit den Grünen und der SP organi­siert hatte, scheinen die damaligen Veranstalter vor weiteren Grosskundgebungen zurück­zu­schrecken. So hatten sie sich Anfang Oktober unisono damit begnügt, sich von der angekün­digten Demonstration zu distan­zieren, statt das Heft selber in die Hand zu nehmen und für eine bewil­ligte, fried­liche Demonstration zu sorgen.

Das Zurückschrecken von Amnesty spielt jenen Kreisen in die Hände, die nicht müde werden, jegliches Engagement für Palästina und gegen die Machenschaften des rechts­extremen Regimes in Israel als antise­mi­tisch zu verschreien. Die Demonstration vom 11. Oktober, welche gemäss Medienhype angeblich halb Bern in Schutt und Asche legte, war für rechts­po­pu­li­stische Kreise und die mit ihr verban­delte Israel-Lobby ein gefun­denes Fressen: Die aggressive Dramatisierung der Ereignisse rund um den aus dem Ruder gelau­fenen Polizeieinsatz in Bern hatte zum Ziel, die vielen Tausend fried­fer­tigen Demonstrant:innen in Sippenhaft mit ein paar Dutzend Randalierern zu nehmen.

Das Resultat: Amnesty, jene NGO, die sonst wie keine andere für freie Meinungsäusserung kämpft, hat kalte Füsse bekommen und die seit Wochen angekün­digte Palästina-Demonstration abgesagt. Das Klima sei derzeit aufge­heizt, begründete Beat Gerber, Mediensprecher von Amnesty International, den feigen Rückzieher. Es bestehe die Gefahr, dass bei einer Kundgebung die inhalt­liche Auseinandersetzung stark in den Hintergrund rücke.

Die Absage der Demonstration vom 15. November in Bern reiht sich ein in eine lange Liste gecan­celter Veranstaltungen und Proteste zum Thema Israel und Palästina, nicht nur in der Schweiz. So annul­lierte letzte Woche sogar das Collège de France in Paris ein zweitä­tiges Kolloquium zum Thema «Palästina und Europa: Die Last der Vergangenheit und aktuelle Entwicklungen». Die mit hochka­rä­tigen Wissenschaftler:innen besetzte Veranstaltung musste aufgrund massiven Drucks aus der Politik ins Netz verlegt werden.

Eine Befragung der Freien Universität Berlin hat aufge­zeigt, dass sich Akademiker:innen beim Thema Israel und Palästina oft selber zensieren, aus Sorge um ihre Karriere und Angst davor, von den Medien als «Israelhasser», «Hamasversteher» oder «Antisemit» abgestempelt zu werden. Eine Angst, die auch an unseren Universitäten das Klima vergiftet. Ein Beispiel dafür ist der interne Protestbrief gegen die Ausladung von Francesca Albanese durch die Berner Unileitung: Die Verfasser:innen haben es aus Angst vor Repressionen vorge­zogen, anonym zu bleiben.

Und nun traut sich also nicht einmal mehr die breit abgestützte Menschenrechtsorganisation Amnesty International, in der Schweiz eine Grosskundgebung für Gerechtigkeit in Palästina zu organi­sieren. Wie ist das möglich?

Sucht man nach Antworten auf diese Frage, führt die Spur unwei­gerlich zu den Strippenzieher:innen der gut organi­sierten Israel-Lobbyist:innen – mit dem ehema­ligen Journalisten und PR-Unternehmer Sacha Wigdorovits als Drehscheibe.

Auf seiner Plattform FokusIsrael hetzt er regel­mässig gegen alle und jeden, die auch nur die leiseste Kritik an Israel üben oder Empathie für die Opfer in Gaza zeigen. So bezeichnete er jüngst jene jüdischen Menschen in der Schweiz, die sich für ein Engagement der Schweiz für schwer­ver­letzte Kinder aus Gaza aussprechen, als «nützliche Idioten der Hamas».

Der bestens im PR- und Mediengeschäft vernetzte Inhaber der Agentur Contract Media startete seinen Pro-Israel-Feldzug vor über 15 Jahren – mit dem erklärten Ziel, die Schweizer Medien auf Israel-Kurs zu trimmen. Als Kommunikationsprofi hatte er einen Plan, den er anlässlich einer Veranstaltung der Handelskammer Schweiz-Israel im April 2011 erstmals publik machte und seither Schritt für Schritt umsetzt.

Die Präsentation liest sich als Rezeptbuch, nach welchem der umtriebige PR-Mann in Sachen Israel-Lobbying in den vergan­genen Jahren gewirkt hat. Zu Recht warnte der Infosperber damals vor der «Pro-Israel-Meinungsmache», orche­striert von Wigdorovits. «Die Verantwortlichen der Schweizer Medien sind gut beraten, sich die Präsentation «Die Schweizer Medien und Israel» genau anzusehen», schrieb Christian Müller damals auf Infosperber. Wie wir heute wissen, hat man seinen Rat in den Wind geschlagen…

In einem ersten Schritt lancierte Wigdorovits den Aufbau der «Audiatur Stiftung», als deren offizi­eller Gründer Josef Bollag figuriert, Inhaber einer wirtschafts­ju­ri­sti­schen Praxis in Zug und ehema­liger Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds SIG. Als Stiftungszweck von Audiatur wird die «Förderung der unabhän­gigen, freien Meinungsäusserung und des Meinungsaustausches zu innen- und aussen­po­li­ti­schen Themen in der Öffentlichkeit» genannt. «Die Audiatur-Stiftung versteht sich in der öffent­lichen Debatte um Israel und den Nahostkonflikt als konstruktive Stimme im Sinne des römischen Rechtsgrundsatzes ‘audiatur et altera pars’ – man höre auch die andere Seite», ist weitere auf deren Website nachzulesen. 

Wer aller­dings die Audiatur-Online-Plattform besucht, kommt sehr schnell zur Erkenntnis, dass es da keine «altera pars» gab und gibt: Audiatur-Online, deren erster Chefredaktor Wigdorovits war, tönt wie das Schweizer Shofarhorn der israe­li­schen Regierung, angerei­chert mit Verunglimpfungen all jener, die es hierzu­lande wagen, das Opferimage Israels zu hinterfragen.

Das geschieht auf öffentlich einseh­baren Kanälen. Was Wigdorovits darüber hinaus hinter den Kulissen treibt, lässt sich aufgrund seiner Powerpoint-Präsentation aus dem Jahr 2011 erahnen. Dazu gehört nicht zuletzt der von ihm angeordnete «Besuch bei wichtigen Chefredaktionen und Auslandredaktionen zur Aufklärung». Eine Strategie, die heute unüber­sehbar Früchte trägt: Jede von Chefetagen angeordnete Unterlassung von Kritik kann der selbst­er­nannte «Aufklärer» als Erfolg feiern. 

Meinungsbildung mit Scheuklappen

Am Dienstag publi­zierte die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats einen 15seitigen Bericht über «Verwaltungsinterne Verfahren bei der Verfügung von Einreiseverboten durch das Bundesamt für Polizei (fedpol)». Was auf den ersten Blick nach einer langwei­ligen, staub­trockenen Lektüre aussieht, enthält eine ganze Reihe brisanter Informationen.

Den Anstoss für die Untersuchung gaben zwei von der ehema­ligen Fedpol-Chefin Nicoletta della Valle eigen­mächtig verhängte Einreiseverbote gegen den öster­rei­chi­schen Rechtsextremisten Martin Sellner sowie den ameri­ka­nisch-palästi­nen­si­schen Journalisten Ali Abunimah. Die Ständeratskommission nahm die umstrit­tenen Entscheide zum Anlass, sowohl die konkreten Fälle unter die Lupe zu nehmen, wie auch grund­sätzlich die Abläufe beim EJPD in Bezug auf das Verhängen solch drasti­scher Einschränkungen von Persönlichkeitsrechten zu hinterfragen.

Die SDA lieferte noch am Tag der Publikation eine Zusammenfassung des Berichts. Den Fokus legte sie dabei auf die stände­rät­liche Rüge an die Adresse des EJPD und die Forderung nach einer klareren Regelung der Entscheidungsabläufe und ‑grund­lagen.

Kein Wort hingegen darüber, dass die für beide Einreiseverbote verant­wort­liche Fedpol-Chefin die Einschätzungen ihrer eigenen Leute in den Wind geschlagen hatte. Die zustän­digen Beamten beim Fedpol, wie auch beim Schweizer Nachrichtendienst NDB und beim Staatssekretariat für Migration SEM hatten überein­stimmend erklärt, dass die Voraussetzungen für ein Einreiseverbot weder bei Sellner noch bei Abunimah erfüllt seien.

Im Fall des Österreichers kassierte die Fedpol-Chefin den Entscheid gegen ein Einreiseverbot aufgrund einer schrift­lichen Intervention des kanto­nalen Zürcher Polizeikommandanten. Bei Ali Abunimah reichte ein nachmit­täg­licher Telefonanruf, um von der beken­nenden Israel-Lobbyistin della Valle ein Einreiseverbot gegen den palästi­nen­si­schen Journalisten zu erlangen. Umgehend wies sie daraufhin den Leiter des zustän­digen Bereichs mündlich an, ein solches zu verfügen. «Sie begründete ihre abwei­chende Einschätzung gegenüber dem Leiter des zustän­digen Bereichs sinngemäss damit, dass Letzterem die Gesamtsicht fehle», hält der stände­rät­liche Bericht weiter fest.

Eine Anmassung, die für den Betroffenen handfeste Folgen hatte: Abunimah, der Direktor und Mitgründer der Onlineplattform «The Electronic Intifada», war auf Einladung des Palästinenserkomitees Zürich in die Schweiz gereist. Bereits am Flughafen wurde er einem einstün­digen Verhör unter­zogen, konnte aber schliesslich einreisen. Am folgenden Tag wurde er dann in Zürich von Polizisten in Zivil auf offener Strasse festge­nommen und drei Tage lang in eine Zelle einge­sperrt, ohne Kontaktmöglichkeiten nach aussen.

Man warf ihm vor, er hätte gegen Schweizer Gesetze verstossen, obschon gegen den bekannten, anwalt­schaft­lichen Journalisten für die Sache der Palästinenser:innen nichts vorlag. Nach drei Tagen Haft wurde Abunimah schliesslich per Flugzeug nach Istanbul abgeschoben. «Mein Verbrechen?», schrieb er damals in einem Post auf X. «Ich bin Journalist und setze mich für Palästina und gegen Israels Völkermord und die Grausamkeiten der Siedlerkolonialisten sowie gegen dieje­nigen ein, die dies unter­stützen und begün­stigen. Ich kam auf Einladung von Schweizer Bürgern in die Schweiz, um über Gerechtigkeit für Palästina und über die Verantwortung für einen Völkermord zu sprechen, an dem auch die Schweiz mitschuldig ist.»

Der Verhaftung und anschlies­senden Abschiebung war eine Verleumdungskampagne gegen Ali Abunimah voraus­ge­gangen, angezettelt durch die NZZ. Unter dem Titel «Islamist plant Auftritt in Zürich» und tatkräftig unter­stützt vom Zürcher Sicherheitsdirektor und Israelversteher Mario Fehr, der Abunimah als islami­sti­schen Judenhasser, der zu Gewalt aufrufe, diffa­mierte. Die übliche Antisemitismuskeule eben, mit der die Israellobby hierzu­lande immer wieder erfolg­reich zuschlägt.

Scharf verur­teilt wurden das Einreiseverbot und die Festnahme Abunimahs hingegen von zahlreichen Politiker:innen, Jurist:innen, der UNO-Berichterstatterin zur Menschenrechtssituation in den palästi­nen­si­schen Gebieten Francesca Albanese sowie vom Völkerrechtler Didier Pfirter. «Für mich ist es schlei­erhaft, wie Abunimah die innere Sicherheit der Schweiz gefährdet haben soll», liess sich der ehemalige EDA-Diplomat in der Weltwoche zitieren. «Ein liberaler Rechtsstaat täte gut, sich an Voltaire zu erinnern, der sagte: ’Ich mag ihre Ansichten verdammen, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass sie diese frei aussprechen dürfen.»»

Nun hätte man eigentlich erwarten können, dass der Bericht der Ständeratskommission in den Medien erneut für Schlagzeilen sorgen würde. Weil, wie wir heute wissen, die damalige Fedpol-Chefin mit der Pro-Israellobby eng verbandelt war und immer noch ist.

Doch weit gefehlt! Der SDA-Bericht löste in den Medien nur ein geringes Echo aus. Die CH-Media-Blätter berich­teten unter dem Titel «Fall Sellner: Fedpol-Chefin überstimmte ihre Mitarbeiter» zwar über die stände­rät­lichen Untersuchungen und das Einreiseverbot für den öster­rei­chi­schen Rechtsextremisten. Über das Fehlverhalten der Schweizer Behörden gegenüber dem palästi­nen­si­schen Journalisten hingegen, verloren sie kein Wort.

Eine Spur mehr Information findet man beim Blick, der immerhin erwähnt, dass es nebst dem Einreiseverbot für Sellner noch einen zweiten Fall mit ähnlichem Ablauf gab, bei dem es sich «um einen propa­lä­sti­nen­si­schen Aktivisten» gehandelt habe. Sein Name? Ein Hinweis, dass es sich um den Direktor einer journa­li­stisch unbestrit­tenen Internetplattform handelte? Geschenkt, keine Information.

Einzig Guy Zurkinden im Le Courrier und Petar Marjanović auf der Swisscom-Newsplattform Bluewin berichten etwas umfas­sender und erwähnen in ihren Artikeln nicht nur beide Fälle, sondern nennen auch die Betroffenen bei ihren Namen.

Doch die Frage nach dem Zusammenhang zwischen dem skanda­lösen Einreiseverbot gegen Ali Abnumah und Nicoletta della Valles Nähe zur Pro-Israellobby – und wie wir heute wissen, mit engem Kontakt zu israe­li­schen Rüstungsinvestoren – ist kein Thema. Die NZZ zum Beispiel, die damals über den Journalisten herge­zogen ist, schweigt diesmal in partei­licher Zurückhaltung.

Ein Zufall? Oder hat der sattsam bekannte Einfluss von Pro-Israel-Lobbyisten dafür gesorgt, dass die Amtsanmassung von della Valle gegenüber dem palästi­nen­si­schen Journalisten rasch unter den Tisch gekehrt wird?

Under Swiss cover am Klimagipfel

Den Auftakt machte Bill Gates. Der Tech-Milliardär der ersten Stunde, der sich wie kein anderer als Retter der Menschheit insze­niert, liess Ende Oktober verlauten, es brauche in der globalen Klimapolitik einen Kurswechsel: Statt den Fokus weiterhin auf die Reduktion der Klimaerhitzung zu legen, müsse das Wohlergehen der Menschen ins Zentrum gerückt werden.

Als ob das eine nicht eng mit dem anderen verknüpft wäre… Der Streit um eine zielfüh­rende Klimapolitik dreht sich seit Jahren genau um dieses Thema. Die Fakten sind klar: Je höher die Temperaturen steigen, desto drasti­scher die Folgen für Mensch und Umwelt. Das sind längst nicht mehr bloss düstere Zukunftsszenarien: Hitze, Dürre, Hochwasser und Bergstürze zerstören zunehmend die Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen, weltweit.

Die Milliardeninvestitionen, die in die «Dekarbonisierung» der Wirtschaft und in sogenannte Zukunftstechnologien fliessen, sind bloss ein Tropfen auf den immer heisser werdenden Stein, angesichts der weiterhin steigenden CO2-Emissionen: Seit dem ersten grossen Umweltgipfel von Rio anno 1992 haben die weltweiten Treibhausgasemissionen um 70 Prozent zugenommen.

2024 erreichten sie mit über 37 Milliarden Tonnen einen neuen Rekordwert – und steigen weiter. Dass die Begrenzung der Klimaerwärmung auf 1,5 Grad, auf die sich die Länder 2015 im Pariser Abkommen vertraglich verpflichtet haben, mittler­weile nicht mehr zu erreichen ist, kümmert die Mächtigen dieser Welt keinen Deut.

Die USA – bis heute weltweit grösste Verursacher von CO2-Emissionen – sind sogar aus dem Pariser Abkommen ausge­stiegen. Präsident Trump pusht mit seiner «Drill Baby Drill»-Politik zudem die fossilen Industrien und verhilft ihnen weltweit zu einem neuen Boom. Die Klimawandel-Verharmloser und ‑Leugner freuen sich.

In Zeiten von Powerplay und Kriegswirtschaft hat Klimaschutz keine Chance. Trotzdem jetten dieser Tage wieder 50’000 Politiker:innen, Beamte, Lobbyist:innen und Medienschaffende aus aller Welt zum alljährlich statt­fin­denden Klimagipfel, um über aktuelle und künftige Massnahmen gegen die Klimaerhitzung und deren Folgen zu beraten. Diesmal in die brasi­lia­nische Grossstadt Belém.

Eine Farce, angesichts der aktuellen Rahmenbedingungen. Auch in Brasilien wird dieser Tage ein wirksamer Klimaschutz von der Wachstumsgier der Wirtschaftsmächtigen in den Hintergrund gedrängt. Bereits in den letzten Jahren wurden die Klimagipfel von den Lobbyisten der Oel- und Gasindustrie regel­recht geentert. Das alljähr­liche Klassentreffen der Klimaschützer:innen entwickelt sich immer stärker zum Marktplatz und Schaulaufen von multi­na­tio­nalen Konzernen, die sich der Welt zwei Wochen lang im grünen Mäntelchen präsentiert.

Selbstverständlich ist auch die Schweiz mit von der Partie, offiziell vertreten durch eine 16köpfige Delegation. Angeführt wird sie von Felix Wertli, unserem «Umweltbotschafter» und Leiter der Abteilung Internationales beim BAFU. Nebst weiteren Spitzenbeamt:innen, sind in der Schweizer Delegation Alliance Sud (der Dachverband der Schweizer Entwicklungsorganisationen) und der WWF dabei. Beides Organisationen, die sich seit Jahren für wirksame Massnahmen und eine global gerechte Klimapolitik engagieren. Sie figurieren auf der Teilnehmerliste als «Vertreter der Zivilgesellschaft». Unter dem gleichen Label reisen zudem ein Vertreter des Schweizer Gewerbeverbands (SGV) mit, sowie Petra Laux, ihres Zeichens Nachhaltigkeits-Beauftragte des chine­si­schen Agro-Chemiekonzerns Syngenta mit Sitz in Basel.

Ausgerechnet Syngenta, die Firma, die regel­mässig mit Umweltskandalen für Schlagzeilen sorgt und Pestizide, die hierzu­lande verboten sind, in die Länder des Südens expor­tiert, reist im Schweizer Konvoi nach Belém! – Als Vertreterin der Schweizer Zivilgesellschaft – das heisst, von dir und mir…

Ein Skandal. Wie es zu dieser Wahl kam, sucht man vergebens auf den Webseiten des Bundes. Und die Medien? Berichten bloss, wie schwer sich die Delegierten bis tief in die Nacht mit Wortklaubereien tun, um eine Abschlusserklärung hinzu­be­kommen. Gut klingende Vorsätze zum Klimaschutz, verwässert und wirkungsarm.

Welche Interessen die Syngenta-Vertreterin in Belém vertritt, ist hingegen offen­sichtlich: Unter dem Motto «Pflanzenschutz ist auch Klimaschutz» wollen Petra Laux und ihre Arbeitgeber nicht nur ihr Image aufpo­lieren, vielmehr geht es darum, die eigenen (klima­schäd­lichen) Produkte zu promoten und Geschäfte abzuschliessen, wie Florian Blumer auf der Website von Public Eye aufzeigt: Syngenta propa­giert im Namen von Klima- und Umweltschutz eine eigene Variante von «regene­rative Landwirtschaft», basierend auf seinen chemisch herge­stellten Herbiziden, Pestiziden und Düngemitteln…

Als Delegations-Mitglied und Vertreterin der Schweizer Zivilgesellschaft wirbt die gleiche Syngenta-Petra Laux auf ihrer Linkedin-Seite unver­hohlen für eine Panel-Veranstaltung in Belém. Titel «Landwirtschaft für die Zukunft – Steigerung der landwirt­schaft­lichen Produktivität bei gleich­zei­tigem Schutz des Planeten». Gesponsert von ihrem chine­si­schen Arbeitgeber.

Wessen Interessen der Vertreter des Schweizerischen Gewerbeverbands in Belém vertritt, wurde bislang nicht kommu­ni­ziert. Die Vermutung, dass auch für ihn nicht der Klimaschutz im Vordergrund steht, liegt jedoch nahe. Vielmehr dürfte er auf einer ähnlichen Linie politi­sieren wie SVP-Bundesrat Albert Rösti – seines Amtes wegen der «oberste Klimaschützer der Schweiz». Dieser fliegt für die zweite Konferenzwoche nach Belém, wo er am Treffen der Umweltminister teilnehmen wird.

Zur Einstimmung hat er letztes Wochenende in der NZZ am Sonntag wieder einmal die alte Leier von der «Stromlücke» zum Besten gegeben, die es – Klima hin oder her – zu verhindern gelte. Kurzfristig mit dem Bau von teuren, umwelt­schä­di­genden Gaskraftwerken – langfristig, so Rösti, führe kein Weg an neuen AKWs vorbei. Als Grund führt er den wachsenden Energiehunger der Wirtschaft an, und den (von ihm mitver­ur­sachten) schlep­penden Ausbau bei den erneu­er­baren Energien.

Von Klimaschutz und der Option, den Energiekonsum mit griffigen Massnahmen zu bremsen, kein Wort. Stattdessen stellt er die aktuellen Klimaszenarien, die für die Schweiz eine Erwärmung von 5 Grad progno­sti­zieren, infrage und will sich diesbe­züglich auf Pflästerlipolitik beschränken. Dazu passt, dass unser «Umweltminister» partout keinen Zusammenhang erkennen will, zwischen dem Bergsturz und Gletscherabbruch von Blatten und der Klimaerhitzung.

Um sich diesbe­züglich eines Besseren belehren zu lassen, müsste Rösti nicht nach Brasilien reisen, an der ETH könnte er so einiges über den Klimawandel lernen… Trotzdem sind wir natürlich gespannt darauf zu hören, was er aus Belém berichten wird – und ob Chingenta die Welt davon überzeugen konnte, dass Glyphosat + Co unseren Planeten und sein Klima retten werden.


Der 2017 an die Chemchina verkaufte einstige Basler Konzern Syngenta ist ein grosser Player im Agrochemiebusiness:


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