«Nationale Palästina-Kundgebung ist auf Eis gelegt», titelten die Berner TA-Medien Ende letzter Woche. Eigentlich hätte am 15. November in Bern erneut eine grosse Demonstration für Freiheit und Gerechtigkeit im Nahen Osten stattfinden sollen. Diesmal bewilligt und professionell organisiert von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International.
Seit dem «Waffenstillstand» in Gaza ist Israels fortdauernde Vertreibungs- und Genozidpolitik gegen die Palästinenser:innen weitgehend aus den Schlagzeilen unserer Medien verschwunden. Vor Ort ist die Lage jedoch immer noch äusserst prekär: Tagtäglich verüben Siedler im Westjordanland, unterstützt oder toleriert von israelischem Militär und Polizei, Attentate und Terroranschläge auf Palästinenser:innen. Im besetzten Ostjerusalem verjagen israelische Polizist:innen Palästinenser:innen aus ihren Häusern, und in Gaza behindert Israel nach wie vor dringend notwendige Hilfslieferungen. Aktuell verschärfen zudem heftige Regenfälle und Kälte die Situation der obdachlos gebombten Menschen.
Angesichts der Tatsache, dass sich bis heute nichts an der passiven Haltung der Schweizer Regierung gegenüber dem israelischen Staat geändert hat, wäre die von Amnesty abgesagte Grossdemo ein wichtiges Zeichen gewesen.
«Mit ihrer Nicht-Reaktion auf Israels Verbrechen gegenüber den Palästinenser:innen verspottet die Schweiz ihr humanitäres Erbe – das dürfen wir nicht akzeptieren!» hatte Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International, anlässlich einer Veranstaltung in Bern Anfang Juli verkündet. Sie trat damals, zusammen mit der UNO-Sonderberichterstatterin Francesco Albanese, an jener Veranstaltung auf, die nicht in der Aula der Universität Bern stattfinden dufte: Die Uni-Leitung hatte dem massiven Druck der Israel-Lobby nachgegeben, welche die UNO-Sonderberichterstatterin schrill des Antisemitismus bezichtigte, und die Zusage für die Veranstaltung kurzfristig wieder zurückgezogen.

«Ich bin verdammt wütend. Wütend darüber, dass wir immer wieder das gleiche erzählen müssen, und nichts geschieht… Aber wir geben nicht auf!» rief die Amnesty-Generalsekretärin damals in den Saal, was die Anwesenden mit zustimmendem, kräftigem Applaus quittierten.
Seither ist fast ein halbes Jahr vergangen und man fragt sich, was von den kämpferischen Tönen übriggeblieben ist. Nach der erfolgreichen Demonstration vom 21. Juni in Bern, die der Schweizer Ableger von Amnesty International gemeinsam mit den Grünen und der SP organisiert hatte, scheinen die damaligen Veranstalter vor weiteren Grosskundgebungen zurückzuschrecken. So hatten sie sich Anfang Oktober unisono damit begnügt, sich von der angekündigten Demonstration zu distanzieren, statt das Heft selber in die Hand zu nehmen und für eine bewilligte, friedliche Demonstration zu sorgen.
Das Zurückschrecken von Amnesty spielt jenen Kreisen in die Hände, die nicht müde werden, jegliches Engagement für Palästina und gegen die Machenschaften des rechtsextremen Regimes in Israel als antisemitisch zu verschreien. Die Demonstration vom 11. Oktober, welche gemäss Medienhype angeblich halb Bern in Schutt und Asche legte, war für rechtspopulistische Kreise und die mit ihr verbandelte Israel-Lobby ein gefundenes Fressen: Die aggressive Dramatisierung der Ereignisse rund um den aus dem Ruder gelaufenen Polizeieinsatz in Bern hatte zum Ziel, die vielen Tausend friedfertigen Demonstrant:innen in Sippenhaft mit ein paar Dutzend Randalierern zu nehmen.

Das Resultat: Amnesty, jene NGO, die sonst wie keine andere für freie Meinungsäusserung kämpft, hat kalte Füsse bekommen und die seit Wochen angekündigte Palästina-Demonstration abgesagt. Das Klima sei derzeit aufgeheizt, begründete Beat Gerber, Mediensprecher von Amnesty International, den feigen Rückzieher. Es bestehe die Gefahr, dass bei einer Kundgebung die inhaltliche Auseinandersetzung stark in den Hintergrund rücke.
Die Absage der Demonstration vom 15. November in Bern reiht sich ein in eine lange Liste gecancelter Veranstaltungen und Proteste zum Thema Israel und Palästina, nicht nur in der Schweiz. So annullierte letzte Woche sogar das Collège de France in Paris ein zweitätiges Kolloquium zum Thema «Palästina und Europa: Die Last der Vergangenheit und aktuelle Entwicklungen». Die mit hochkarätigen Wissenschaftler:innen besetzte Veranstaltung musste aufgrund massiven Drucks aus der Politik ins Netz verlegt werden.
Eine Befragung der Freien Universität Berlin hat aufgezeigt, dass sich Akademiker:innen beim Thema Israel und Palästina oft selber zensieren, aus Sorge um ihre Karriere und Angst davor, von den Medien als «Israelhasser», «Hamasversteher» oder «Antisemit» abgestempelt zu werden. Eine Angst, die auch an unseren Universitäten das Klima vergiftet. Ein Beispiel dafür ist der interne Protestbrief gegen die Ausladung von Francesca Albanese durch die Berner Unileitung: Die Verfasser:innen haben es aus Angst vor Repressionen vorgezogen, anonym zu bleiben.
Und nun traut sich also nicht einmal mehr die breit abgestützte Menschenrechtsorganisation Amnesty International, in der Schweiz eine Grosskundgebung für Gerechtigkeit in Palästina zu organisieren. Wie ist das möglich?
Sucht man nach Antworten auf diese Frage, führt die Spur unweigerlich zu den Strippenzieher:innen der gut organisierten Israel-Lobbyist:innen – mit dem ehemaligen Journalisten und PR-Unternehmer Sacha Wigdorovits als Drehscheibe.

Auf seiner Plattform FokusIsrael hetzt er regelmässig gegen alle und jeden, die auch nur die leiseste Kritik an Israel üben oder Empathie für die Opfer in Gaza zeigen. So bezeichnete er jüngst jene jüdischen Menschen in der Schweiz, die sich für ein Engagement der Schweiz für schwerverletzte Kinder aus Gaza aussprechen, als «nützliche Idioten der Hamas».

Der bestens im PR- und Mediengeschäft vernetzte Inhaber der Agentur Contract Media startete seinen Pro-Israel-Feldzug vor über 15 Jahren – mit dem erklärten Ziel, die Schweizer Medien auf Israel-Kurs zu trimmen. Als Kommunikationsprofi hatte er einen Plan, den er anlässlich einer Veranstaltung der Handelskammer Schweiz-Israel im April 2011 erstmals publik machte und seither Schritt für Schritt umsetzt.
Die Präsentation liest sich als Rezeptbuch, nach welchem der umtriebige PR-Mann in Sachen Israel-Lobbying in den vergangenen Jahren gewirkt hat. Zu Recht warnte der Infosperber damals vor der «Pro-Israel-Meinungsmache», orchestriert von Wigdorovits. «Die Verantwortlichen der Schweizer Medien sind gut beraten, sich die Präsentation «Die Schweizer Medien und Israel» genau anzusehen», schrieb Christian Müller damals auf Infosperber. Wie wir heute wissen, hat man seinen Rat in den Wind geschlagen…
In einem ersten Schritt lancierte Wigdorovits den Aufbau der «Audiatur Stiftung», als deren offizieller Gründer Josef Bollag figuriert, Inhaber einer wirtschaftsjuristischen Praxis in Zug und ehemaliger Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds SIG. Als Stiftungszweck von Audiatur wird die «Förderung der unabhängigen, freien Meinungsäusserung und des Meinungsaustausches zu innen- und aussenpolitischen Themen in der Öffentlichkeit» genannt. «Die Audiatur-Stiftung versteht sich in der öffentlichen Debatte um Israel und den Nahostkonflikt als konstruktive Stimme im Sinne des römischen Rechtsgrundsatzes ‘audiatur et altera pars’ – man höre auch die andere Seite», ist weitere auf deren Website nachzulesen.
Wer allerdings die Audiatur-Online-Plattform besucht, kommt sehr schnell zur Erkenntnis, dass es da keine «altera pars» gab und gibt: Audiatur-Online, deren erster Chefredaktor Wigdorovits war, tönt wie das Schweizer Shofarhorn der israelischen Regierung, angereichert mit Verunglimpfungen all jener, die es hierzulande wagen, das Opferimage Israels zu hinterfragen.
Das geschieht auf öffentlich einsehbaren Kanälen. Was Wigdorovits darüber hinaus hinter den Kulissen treibt, lässt sich aufgrund seiner Powerpoint-Präsentation aus dem Jahr 2011 erahnen. Dazu gehört nicht zuletzt der von ihm angeordnete «Besuch bei wichtigen Chefredaktionen und Auslandredaktionen zur Aufklärung». Eine Strategie, die heute unübersehbar Früchte trägt: Jede von Chefetagen angeordnete Unterlassung von Kritik kann der selbsternannte «Aufklärer» als Erfolg feiern.









