Die Stromkonzerne und ihre Lobby haben letzten Sonntag einen rauschenden Sieg eingefahren. Dies nicht zuletzt dank vehementer Unterstützung von Grünen- und SP-Politiker:innen sowie der grossen Umweltverbände, die angeführt von der Schweizer Energiestiftung SES, das neue Stromgesetz unterstützt haben.
Monatelang wurde gebetsmühlenhaft verkündet, dieses Gesetz sei zwingend, um den dringend notwendigen Ausstieg aus den fossilen Energien und der Atomkraft zu verankern sowie um energiepolitisch autarker, sauberer zu werden.
Mir hallt noch in den Ohren, wie SP-Nationalrätin und SES-Präsidentin Nadine Masshardt den mit dem Wohlwollen der Stromkonzerne ausgehandelten Kompromiss als einmaligen Erfolg angepriesen hat. Seite an Seite mit SVP-Bundesrat Rösti.
Wer trotzdem gewagt hat, Kritik zu üben, wurde abgekanzelt und in die Ecke von Ewiggestrigen, Neinsager:innen oder SVP gestellt. Wie oft habe ich in den Wochen vor der Abstimmung gehört, ohne Stromgesetz riskierten wir ein Revival von Atomkraftwerken. Die SES versprach in ihrer Werbekampagne noch und noch, dass nur ein Ja zum Stromgesetz den Ausstieg aus der lebensfeindlichen Atomenergie bringe.
Am Tag nach der Abstimmung wissen wir, dass das Gegenteil der Fall ist: Mit einer konzertierten Kampagne bringen Wirtschaftsverbände und AKW-Lobbyisten scham- und hemmungslos ihre Forderung nach neuen AKWs in die Schlagzeilen.
«Jetzt kippt Rösti das AKW-Verbot aus dem Gesetz» titelte der Blick. Ein Schlag ins Gesicht der linken und grünen Kompromisslautsprecher:innen. Allerdings hätten diese damit rechnen müssen. Bundesrat Rösti hatte nämlich schon beim Amtsantritt seinen Beamten eine Machbarkeitsstudie für neue AKWs in Auftrag gegeben.
Doch damit nicht genug: Die Zeitung Finanz und Wirtschaft publizierte ebenfalls am Montag nach dem Abstimmungs-Ja unter dem Titel «Stromgesetz genügt bei weitem nicht» einen Artikel des 85jährigen ehemaligen Direktors des Bundesamts für Energie und unermüdlichen Kernkraftpromotors Eduard Kiener. Er schreibt: «Das neue Stromgesetz ist ein richtiger Schritt, kann aber die sichere Stromversorgung nicht gewährleisten» und kommt zum Schluss: «Für die langfristige Versorgung sind neue Kernkraftwerke nötig.» (Mehrzahl!)
In die gleiche Kerbe haut auch der Wirtschaftsdachverband Economie Suisse. Der Tages Anzeiger bietet in seiner heutigen Ausgabe dessen Geschäftsleitungsmitglied Alexander Keberle eine ganzseitige Plattform. Darin übt dieser sich in Zahlenakrobatik betreffend künftigem Stromverbrauch und behauptet kühn, die Schweiz brauche «langfristig mindestens 40 bis 50 Terrawattstunden mehr.» Sein Fazit: «Das Verbot neuer Kernkraftwerke können wir uns nicht leisten.» (Auch hier Mehrzahl!)
Es ist zu hoffen, dass die Gutgläubigen und Kompromissfreudigen auf Seiten der «Linken» und «Grünen» angesichts dieser unverschämten Umdeutung ihrer vielgepriesenen Energiewende endlich erwachen. Es ist an der Zeit, Klartext zu reden – und entsprechend zu handeln.
Bislang haben sie in einer Art Panikreaktion erst einmal eine ziemlich hilflos wirkende Eilpetition lanciert, welche die AKW-Pandora leider nicht wieder in die Büchse zurückbringt. Das hilft nicht wirklich weiter – jetzt braucht es mutigere Schritte!
Fakt ist: Ohne Paradigmenwechsel finden wir nicht aus der gegenwärtigen Sackgasse heraus. Die Frage darf nicht sein: Wie produzieren wir immer mehr Strom – sie muss viel mehr lauten: Wieviel Strom ist nachhaltig produzierbar? Das heisst, ohne weitere massive Zerstörung unserer Umwelt und Lebensgrundlagen und ohne Atomkraft. Diese gehört ein für allemal ins politische Endlager und hat dort zu bleiben – nicht zuletzt, weil auch nach über 50 Jahren kein praktikabler Umgang mit Atommüll gefunden werden konnte.
Energiesparen darf nicht länger ein Tabu sein, nur weil damit weniger Geld verdient werden kann als mit dem Verschleiss von (zu) billigem Strom. Dass es auch anders geht, zeigt unter anderem ein Artikel auf Infosperber, der lapidar festhält: «Die günstigste Energie ist die, die nicht verbraucht wird» und anhand zahlreicher Beispiele aufzeigt, wieviel diesbezüglich machbar wäre.
Genau dies muss in der bevorstehenden Debatte rund um die Initiative «Jederzeit Strom für alle – Blackout stoppen» ins Zentrum gerückt werden. Ohne Wenn und Aber. Diejenigen, die sich blind für das neue Stromgesetz über den Tisch haben ziehen lassen, sollen ihre Lehren daraus ziehen oder künftig besser schweigen.
Zur Erinnerung: Wir leben in einer Demokratie. 2017 wurde das Bauverbot für neue AKWs mit grossem Mehr angenommen. Das gilt.