Der Weg, den der Bauer beschrieben hat, stimmt ungefähr mit den Angaben auf der Karte überein. Immerhin führt er in die richtige Richtung und windet sich, soweit das Auge reicht, die Bergflanke hinauf. Markierungen gibt es hier keine, was nicht weiter erstaunt: Abseits der ausgetretenen Touristenpfade ist man in Nordspanien auf seine eigenen pfad-finderischen Fähigkeiten angewiesen.
Nach der ersten halben Stunde Schweiss treibenden Aufstiegs geht die betonierte Zufahrtsstrasse zu den abschüssigen Weiden in einen Fussweg über, der sich alsbald zu einem Pfad verengt. Das Gelände wird immer steiler, irgendwann verliert sich auch die letzte Ahnung einer Spur im hohen Gras.
Schon vor einiger Zeit haben sich die letzten Sonnenstrahlen verzogen, ein feiner Nieselregen setzt ein. Eben noch versprach der hoch in den Himmel ragende Gipfel verheissungsvolle Aussicht – nun drücken dicke Wolkenschwaden immer weiter hinunter. Der Boden ist glitschig, das Weiterkommen über Geröllfelder und Felsbänder wird immer schwieriger und gefährlicher.
Schliesslich siegt die Vernunft, wir kehren um. Die Tour hat auch so ihren Reiz: Unterhalb des Nebels präsentiert sich die Landschaft jetzt in wundervollem Licht, während man oben auf dem Berg die eigene Hand vor den Augen kaum sehen könnte. Schliesslich ist der Weg das Ziel, Lust und Freude sind nicht abhängig von der Eroberung irgendwelcher Gipfel. – Als am folgenden Tag ein wolkenloser Himmel den Blick auf die lockende Bergkette wieder freigibt, sieht allerdings alles wieder anders aus…
Wie in Irland, als sich uns der stolze Croaghaun auf Achill Island hartnäckig verweigerte. Damals hatten wir, nach zweistündigem Warten nur wenige hundert Meter unterhalb des Gipfels die Hoffnung aufgeben, dass sich der Nebel noch lichten würde. Als uns der Berg dann in der Abendämmerung höhnisch aus glasklarer Ferne grüsste, hatte ich mich längst von ihm und der Idee, je seinen Gipfel zu erstürmen, verabschiedet.
Ganz anders Angelo. Am nächsten Tag gab es keine Diskussion darüber, was zu tun sei. So klar wie der Himmel, war auch das Ziel – ein zweiter Aufstieg unumgänglich. Der doppelte Schweiss hat sich vielfach gelohnt: Nebst der Genugtuung, es doch noch geschafft zu haben war die Aussicht tatsächlich atemberaubend. Und der Genuss entsprechend.
Auch diesmal lässt der unbezwungene Berg Angelo keine Ruhe: Was man anpackt, will vollendet sein. Also brechen wir am nächsten Tag, unserem letzten in Asturien, auch hier zu einem zweiten Versuch auf. Diesmal nehmen wir den Aufstieg von der anderen Seite her in Angriff. Und kommen schon bald ins Schwitzen: Erst beim dritten Anlauf finden wir, dank freundlichen Dorfbewohnern, den richtigen Weg. Die erste Etappe ist noch steiler als am Vortag – dann aber eröffnet sich vor uns eine einmalige Bergwelt. Alpweiden, in gleissendes Sonnenlicht getaucht. Kühe, Schafe und Ziegen wohin das Auge blickt – ein Esel und ein Hund begleiten uns ein Stück weit auf Schritt und Tritt. Zwei Hirten erklären uns den Weg auf den Gipfel – und laden uns später in ihre Hütte ein.
Ohne Angelos Hartnäckigkeit, wäre uns dies alles entgangen. Genauso, wenn wir am Vortag die Nebelbesteigung riskiert und an unserem ursprünglichen Plan festgehalten hätten…