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Pulitzerpreis für einen Dichter

Gestern Mor­gen poppte eine uner­war­tete Mel­dung auf mei­nem Face­book-Account auf: Der Pulit­zer Preis­trä­ger 2025 in der Sparte «Com­men­tary» heisst Mosab Abu Toha! Für ein­mal konnte der Poet aus Gaza, der vor ein­ein­halb Jah­ren mit sei­ner Fami­lie in die USA geflüch­tet ist, eine posi­tive Nach­richt tei­len. Er tat dies mit einem Link zu einem Arti­kel im Guar­dian, und dem Kom­men­tar: «Ich fühle mich geehrt, heute den Pulit­zer Preis zu erhal­ten. Ich widme die­sen Erfolg mei­ner Fami­lie, mei­nen Freun­den, Leh­rern und Stu­den­ten in Gaza. Ich bete für einen sofor­ti­gen, dau­er­haf­ten Waf­fen­still­stand und Gerechtigkeit.»

Mosab Abu Toha ist 32 Jahre alt, wurde in Gaza gebo­ren. Der Sohn eines Leh­rers begei­sterte sich schon früh für die eng­li­sche Spra­che und grün­dete als Stu­dent in sei­ner Hei­mat­stadt Beit Lahia die Edward Said Biblio­thek – die ein­zige eng­li­sche Biblio­thek in Gaza, eine wich­tig Kul­tur­in­sti­tu­tion. Für seine Lyrik wurde Mosab Abu Toha 2022 bereits mit dem Pal­e­stine Book Award und 2023 mit dem Ame­ri­can Book Award ausgezeichnet.

Im Okto­ber 2023 zer­stör­ten israe­li­sche Bom­ben das Haus, wo Mosab Abu Toha mit sei­ner Frau und den drei klei­nen Kin­dern lebte und wo seine Biblio­thek unter­ge­bracht war. Die Fami­lie fand Zuflucht in einer Not­un­ter­kunft, mit Tau­sen­den ande­ren Men­schen – krank und stän­dig in Angst vor den näch­sten Angriffen…

Im Gegen­satz zum Rest sei­ner Fami­lie und vie­ler sei­ner Freunde, Kol­le­gen und Stu­den­ten konnte Mosab Abu Toha der Gaza-Hölle ent­kom­men. Der ame­ri­ka­ni­sche Pass sei­nes vier­jäh­ri­gen Sohns, der in den USA gebo­ren wurde, als sein Vater an der Syra­cuse Uni­ver­sity sein Master­stu­dium absol­vierte, ermög­lichte der Fami­lie die Aus­reise, zuerst nach Ägyp­ten und bald dar­auf in die USA.

Die Flucht war trau­ma­tisch – genauso wie das Zurück­las­sen von Ange­hö­ri­gen und Freun­des­kreis. Das ist aus jedem Wort, jeder Zeile, die Mosab Abu Toha seit­her geschrie­ben hat, zu spü­ren. Er publi­zierte in der Folge nicht nur einen wei­te­ren Gedicht­band über das Leben in Gaza und seine Erin­ne­run­gen, son­dern schrieb auch ver­schie­dene Essays, die in der Zeit­schrift The New Yor­ker publi­ziert wur­den. Dafür erhielt der palä­sti­nen­si­sche Autor nun den Pulit­zer Preis*.

Ich habe Mosab Abu Toha auf ganz ande­ren Wegen ken­nen gelernt: Auf der Suche nach glaub­wür­di­gen und zuver­läs­si­gen Quel­len stiess ich unver­hofft auf seine Posts, die fast stünd­lich über den Krieg in Gaza berichten.

Es sind keine schö­nen Geschich­ten. Ein Hor­ror folgt auf den andern. Mosab ist gut ver­netzt in Gaza, und erhält lau­fend Nach­rich­ten, Bil­der und Videos vom Gesche­hen vor Ort. Uner­müd­lich reicht er wei­ter, was man ihm mit­teilt und rap­por­tiert über Bom­ben, die Häu­ser zer­stö­ren, Zelte zer­fet­zen, schla­fende Fami­lien töten, Kin­der in Kran­ken­häu­sern oder Ret­ter in Aktion massakrieren…

Mosab Abu Toha berich­tete auch über das Ver­schwin­den der Ambu­lan­zen und die inzwi­schen nicht mehr zu leug­nende Ermor­dung von 15 Sani­tä­tern, Tage bevor die ersten Medien und spä­ter die UNO über die­ses Kriegs­ver­bre­chen infor­mier­ten. Alles, was er damals rap­por­tiert hat, wurde spä­ter durch die Unter­su­chun­gen der OCHA und das Auf­tau­chen eines Videos erhärtet.

Es sind immer wie­der auch sehr per­sön­li­che Geschich­ten, die er über Face­book wei­ter­reicht: Freunde, Stu­di­en­kol­le­gen, ums Leben gebracht von israe­li­schen Bom­ben und Gra­na­ten. Mosab Abu Toha erzählt von sei­nen Bekann­ten, postet Fotos aus Stu­di­en­zei­ten zusam­men mit dem letz­ten Bild der Getö­te­ten… Sein Schmerz mischt sich mit Wut und dem ver­zwei­fel­ten Auf­schrei, die­sem Mor­den ein Ende zu set­zen. Tag für Tag.

Der Poet stellt sich mit all sei­ner Kraft in den Dienst der Men­schen vor Ort. Er gibt ihnen eine Stimme und ein Gesicht, nennt ihre Namen. Es ist ein Hil­fe­ruf an die Welt, die teil­nahms­los ihrem All­tag nach­geht. Die Bil­der des Schreckens sind für die mei­sten nicht aus­zu­hal­ten, man will sie nicht sehen, man will nichts mehr hören von die­sem Grauen. Abschal­ten, ver­drän­gen, mensch­li­ches Mit­ge­fühl und Anteil­nahme zum Selbst­schutz abblocken. Mosab schreibt und postet dage­gen an.

Seine Akti­vi­tä­ten in den Sozia­len Medien sind aller­dings nicht über­all gern gese­hen. Zwar hat er als Visi­ting Scho­lar an der Syra­cuse Uni­ver­sity in den USA Zuflucht gefun­den. Doch er fühlt sich auf­grund mas­si­ver Bedro­hun­gen nicht sicher und hat im letz­ten Monat eine Reihe von Ver­an­stal­tun­gen abge­sagt. Eine kluge Vor­sichts­mass­nahme, ange­sichts der Trump­schen Poli­tik gegen palä­sti­nen­si­sche Men­schen in den USA und der Akti­vi­tä­ten von israe­lisch-rech­ten Extremisten.

Auch in den Sozia­len Medien gibt es Druck­ver­su­che, um den unbe­que­men Mosab zum Schwei­gen zu brin­gen. Auf Face­book fehl­ten vor ein paar Tagen plötz­lich die sonst so regel­mäs­sig erschei­nen­den Nach­rich­ten aus Gaza. Die Suche nach sei­nem Account mit über 67’000 Fol­lo­wern endete mit der Mes­sage: «Diese Seite ist momen­tan nicht ver­fügbar». Auch seine Posts, die ich in mei­nem Feed geteilt hatte, waren ein­fach ver­schwun­den – wie von Geisterhand.

Doch Mosab Abu Toha ist nicht so schnell klein­zu­krie­gen: Er ver­brei­tet seine Mes­sa­ges auch über andere Kanäle wie X, Insta­gram – und wusste sich beim Meta-Kon­zern, der Face­book betreibt, zu weh­ren. Plötz­lich waren er und seine Posts auch auf Face­book wie­der da. Um dann – kurz nach­dem er sei­nen Post über den Pulit­zer Preis abge­setzt hatte – wie­derum: «Diese Seite ist momen­tan nicht ver­fügbar»..

Wer hat ein Inter­esse, Zeu­gen wie Mosab von der Bild­flä­che ver­schwin­den zu las­sen? Mos­sad kon­tra Mosab? Ein Unter­fan­gen, das in Zei­ten von Inter­net und Social Media zum Glück schwie­ri­ger gewor­den ist. Nach ein paar Stun­den war Mosab Abu Toha wie­der online – Andy Stone, der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­chef von Meta postete klein­laut, das Ganze sei «ein Miss­ver­ständ­nis» gewesen.

Und Mosab ver­brei­tet wie­der «Brea­king News» – über einen neu­er­li­chen israe­li­schen Rake­ten­an­griff auf einen Eva­kua­ti­ons­ort in einer Schule im Bureij-Lager im Süden Gazas – min­de­stens neun Men­schen wur­den getö­tet, 50 ver­wun­det – Film­auf­nah­men bele­gen das Gemetzel.

Hun­dert­fach die Kom­men­tare aus aller Welt: Wann, wann end­lich hört die­ses Mor­den auf?

Nach Aus­sa­gen der israe­li­schen Regie­rung erst, wenn die Rest­be­völ­ke­rung des Gaza­strei­fens getö­tet oder depor­tiert ist – oder, mit deut­schen Wor­ten: wenn Israel die «End­lö­sung» ver­kün­den kann. From the River to the Sea ein palä­sti­nen­ser­freies Palä­stina, Isra­els gelob­tes und ver­brann­tes Land.

Dage­gen kämp­fen Mosab Abu Toha und seine Freund:innen wei­ter an – mit Wor­ten, Bil­dern und Fil­men gegen die israe­li­sche Besat­zungs­ar­mada und deren Kom­pli­zen im Westen – und gegen das betre­tene Weg­schauen der Welt.


* Der Pulit­zer-Preis ist ein US-ame­ri­ka­ni­scher Medi­en­preis für her­aus­ra­gende jour­na­li­sti­sche, lite­ra­ri­sche und musi­ka­li­sche Bei­träge. Seit sei­ner Stif­tung 1917 durch Joseph Pulit­zer gilt das Renom­mee des Prei­ses als ähn­lich hoch wie etwa das des Oscars in der Film­in­du­strie oder das der Nobelpreise.

Mit dem Preis in der Kate­go­rie “Kom­men­tar” wurde der palä­sti­nen­si­sche Dich­ter Mosab Abu Toha aus dem Gaza­strei­fen aus­ge­zeich­net. Die Jury lobte seine “tief­grün­dige Bericht­erstat­tung mit der Inti­mi­tät von Memoi­ren”. Die palä­sti­nen­si­schen Foto­gra­fen der Nach­rich­ten­agen­tur AFP waren Fina­li­sten in der Kate­go­rie Nach­rich­ten­fo­to­gra­fie. Sie wur­den dafür gelobt, dass sie “die bestän­dige Mensch­lich­keit der Men­schen in Gaza inmit­ten weit ver­brei­te­ter Zer­stö­rung und Ver­lu­ste” ein­fan­gen würden.

Quelle: tages​schau​.de


FB-Post vom 4. Mai 2025 von Mosab Abu Toha:

Ich hasse es, etwas zu posten, das zeigt, wie meine Leute lei­den. Aber sie lei­den. Und ich weiss es – aber das allein wir ihr Lei­den nicht beenden.

Ich hasse mich selbst, wenn ich diese Dinge poste.

Wenn ich ein Video von mei­nen Freun­den und Nach­barn poste, die in Stücke zer­fetzt sind, als ob sie dadurch wie­der zum Leben erweckt, oder zumin­dest auf eine weni­ger schreck­li­che Weise ster­ben würden.

Ich weiss nicht, aber manch­mal hasse ich mich selbst, und ich hasse die­je­ni­gen, die Fotos und Videos machen.

Und ich hasse die­je­ni­gen, die aus der Ferne zuse­hen und nichts tun. Und ich ver­achte die­je­ni­gen, die Israel und seine Hand­lun­gen ver­tei­di­gen. Und ich ver­ab­scheue die­je­ni­gen, die Israel Waf­fen schicken und es in der UNO unter­stüt­zen. Und ich bete dafür, dass sie zur Rechen­schaft gezo­gen und ihrer gerech­ten Strafe zuge­führt wer­den. Alle von ihnen.

Denn es heisst nie wie­der – für niemanden!




Und das grosse Schweigen:

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