Skip to content

Kriegsdienstverweigerung – Recht auf Asyl?

Kürz­lich publi­zierte die inter­na­tio­nale Pres­se­agen­tur Pres­senza die Geschichte von Mikita, einem jun­gen bela­rus­si­schen Deser­teur, den die Euro­päi­sche Union – selbst­er­nannte Ver­tei­di­ge­rin der «west­li­chen Werte» – nach Weiss­russ­land zurück­schicken will. Obschon ihm dort Fol­ter und Gefäng­nis, wenn nicht gar die Todes­strafe drohen.

Ange­fan­gen hat die Geschichte im Herbst 2021, als der damals 18jährige Mikita zum obli­ga­to­ri­schen Wehr­dienst in die bela­rus­si­sche Armee ein­ge­zo­gen wurde. Nur sechs Monate spä­ter wurde der Krieg in der Ukraine los­ge­tre­ten. Die jun­gen Sol­da­ten muss­ten damit rech­nen, schon bald als Kano­nen­fut­ter im Dien­ste Lukaschen­kos und Putins an die Front geschickt zu werden.

Ein Krieg, den Mikita nicht mit­tra­gen konnte und wollte. Wäh­rend einer Mili­tär­übung nahe der Grenze zu Litauen, gelang ihm im Mai 2022 die Flucht in die EU. In Litauen stellte der junge Mann umge­hend einen Asyl­an­trag. Die­ser wurde vor weni­gen Wochen in zwei­ter Instanz und damit defi­ni­tiv abge­lehnt. Die Begrün­dung: Bela­rus sei ein siche­res Land, eine Rück­kehr für den geflüch­te­ten Sol­da­ten problemlos.

Eine Ein­schät­zung, die in kras­sem Wider­spruch zu all den Zeu­gen­be­rich­ten über Repres­sio­nen, Fol­ter und Miss­hand­lun­gen von Men­schen wie Mikita durch das weiss­rus­si­sche Régime steht. Wenn es um Kri­tik an Lukaschen­kos Unrechts­staat geht, ken­nen west­li­che Politiker:innen in der Regel keine Zurück­hal­tung. Umso stos­sen­der ist es, dass nun aus­ge­rech­net jene Men­schen, die sich wei­gern, im Namen die­ses Staa­tes zu töten, zurück­ge­schickt statt geschützt wer­den sollen.

Mikita ist kein Ein­zel­fall. Ver­schie­dene Quel­len berich­ten, dass bela­rus­si­sche Geflüch­tete in Litauen heute als «Bedro­hung der natio­na­len Sicher­heit» gese­hen und des­halb immer öfter abge­scho­ben werden.

Olga Karach, die Lei­te­rin des Men­schen­rechts­zen­trums «Unser Haus», die sel­ber vor den Repres­sio­nen in ihrer bela­rus­si­schen Hei­mat nach Litauen geflüch­tet ist, schil­dert gegen­über der Zeit­schrift «Spinn­rad» die zuneh­mend auf­ge­heizte Stim­mung: «Einige wer­den sogar mit einem fünf­jäh­ri­gen Visum­ver­bot für die Euro­päi­sche Union zurück­ge­scho­ben, selbst Men­schen, die seit vie­len Jah­ren in Litauen leben, die Spra­che sehr gut beherr­schen und sehr gut inte­griert sind. Auch ich wurde zur Bedro­hung der natio­na­len Sicher­heit Litau­ens erklärt, weil wir in Litauen Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer aus Gewis­sens­grün­den schüt­zen. Natür­lich sind wir strikt dage­gen, sie nach Weiss­russ­land abzuschieben.»

Nicht nur Litauen tut sich schwer mit dem Schutz geflüch­te­ter Kriegsdienstverweigerer:innen. Auch im übri­gen Europa und in der Schweiz ist die Flucht vor staat­lich ver­ord­ne­tem Töten kein aus­rei­chen­der Asyl­grund. Im Gegen­teil, denn im welt­wei­ten mili­tä­ri­schen Den­ken und Han­deln gibt es ein all­ge­mein­gül­ti­ges Dogma: Befehl ist Befehl. Wer sich die­ser Maxime ver­wei­gert, ist hart zu bestra­fen. Dienst­ver­wei­ge­rung wird des­halb kaum als Asyl­grund aner­kannt, auch in der Schweiz nicht. Sie wird als Schwe­ster der Deser­tion behan­delt, die in der Mili­tär­lo­gik zum Zer­fall der Befehls­ma­schi­ne­rie führt.

Gerade aus die­sem Grund ist die Auf­nahme und Unter­stüt­zung von Men­schen, die sich dem Krieg ver­wei­gern, ein radi­ka­ler und sinn­vol­ler Akt der Friedenspolitik.

Statt­des­sen wer­den Friedensaktivist:innen ver­folgt, ein­ge­sperrt und miss­han­delt – beson­ders schlimm ist es in krieg­füh­ren­den Län­dern wie Israel, Russ­land oder der Ukraine, wo Män­ner zum Kriegs­dienst gezwun­gen wer­den. Dies nota­bene, obschon die UNO seit 1987 Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rung aus Gewis­sens­grün­den als Men­schen­recht anerkennt.

Ein Men­schen­recht, das in Zei­ten von Auf­rü­stung und neu ange­heiz­tem Mili­ta­ris­mus quer in der Polit­land­schaft steht und bei uns für Kon­tro­ver­sen sorgt. Umso wich­ti­ger ist die Unter­stüt­zung jener muti­gen Men­schen, die sich der Kriegs­ma­schi­ne­rie offen entgegenstellen.

So wie Sofia Orr und Tal Mit­nick, die sich wei­ger­ten, ihren obli­ga­to­ri­schen Mili­tär­dienst in Israel anzu­tre­ten. Die 19jährige Sofia ver­brachte fast drei Monate im Mili­tär­ge­fäng­nis, bevor sie das Mili­tär­ge­richt zur «Dienst­ver­wei­ge­re­rin aus Gewis­sens­grün­den» erklärte – ein Sta­tus, den man ihrem Kol­le­gen Tal* bis­lang ver­wei­gerte. Er begrün­dete seine Ver­wei­ge­rung im Dezem­ber 2023 mit den Wor­ten: «Ich wei­gere mich zu glau­ben, dass mehr Gewalt Sicher­heit brin­gen wird. Ich wei­gere mich, an einem Krieg der Rache teilzunehmen.»

Noch sind es nur wenige, die den Mut haben, sich gegen die Ein­be­ru­fung zu stel­len – weil für viele wohl die Pflicht am Vater­land vor­geht. Andere sehen schlicht und ein­fach keine Mög­lich­keit, sich dem Befehl zu ent­zie­hen – der Druck von Fami­lie und Gesell­schaft mag eben­falls eine ent­schei­dende Rolle spielen.

Etan Nechin, ein ehe­ma­li­ger israe­li­scher Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer, der heute in New York lebt, schreibt aus eige­ner Erfah­rung: «Ver­wei­ge­rung ist nicht hero­isch, aber sie drückt eine andere Art von Ent­schlos­sen­heit aus: Die Ent­schlos­sen­heit, allein zu ste­hen, die Kom­ple­xi­tät des Dis­sen­ses zu bewäl­ti­gen und ange­sichts gesell­schaft­li­cher Span­nun­gen sei­nen Über­zeu­gun­gen treu zu blei­ben; zu erken­nen, dass Rebel­lion not­wen­dig ist, wenn Men­schen einem gewalt­tä­ti­gen und unhalt­ba­ren Sta­tus quo gegenüberstehen.»

Rebel­lion statt Fah­nen­eid auf mili­tä­ri­schen Gehor­sam: Damit wird dem Mili­ta­ris­mus und letzt­lich den Kriegs­trei­bern das Was­ser abge­gra­ben. Genauso wie mit einer Frie­dens­po­li­tik, die statt dem süs­sen Gift von Waf­fen­lie­fe­run­gen und end­lo­ser Ankur­be­lung der Kriegs­in­du­strie zu erlie­gen, Men­schen unter­stützt, die sich dem Krieg ver­wei­gern und ihnen Asyl bietet. 

Ernst Bar­lach, Dom Mag­de­burg: Denk­mal des Krieges

* Nach­trag: Nach 185 Tagen im Knast wurde der 18jährige Tal Mit­nick am 11. Juli 2024 aus dem Mili­tär­dienst ent­las­sen. Er war im Dezem­ber 2023 der erste Wehr­dienst­ver­wei­ge­rer seit Beginn des Gaza-Kriegs und hat die läng­ste Haft­zeit aller Dienst­ver­wei­ge­rer des letz­ten Jahr­zehnts ver­büsst. Sein Kom­men­tar: «Ich bin erleich­tert, dass ich nach so lan­ger Zeit frei­ge­las­sen wurde. Glück­li­cher­weise hatte ich die Mög­lich­keit, mich amKampf gegen den Krieg und die Besat­zung zu betei­li­gen. In unse­rer Gesell­schaft meh­ren sich die Stim­men, die erken­nen, dass nur Frie­den Sicher­heit garan­tie­ren kann… »

Wir benutzen Cookies um die Nutzerfreundlichkeit der Webseite zu verbessen. Durch Deinen Besuch stimmst Du dem zu.