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Déjeuner mit bitterem Beigeschmack

Letzte Woche: Fête de la Musi­que in Lau­sanne. Am spä­ten Vor­mit­tag ist noch nicht viel los. In einer Ein­kaufs­pas­sage nutzt ein A‑Ca­pella-Quin­tett die tolle Aku­stik und beglückt eine Hand­voll Passant:innen mit sehn­suchts­vol­len Lie­dern und fet­zi­gen Klängen.

Wär­mende Son­nen­strah­len sor­gen für som­mer­li­che Stim­mung. Die Wol­ken haben sich ver­zo­gen, zumin­dest für ein paar Stun­den. Wir wol­len den Moment für ein Mit­tag­essen im Freien nut­zen. Und wer­den schon bald fündig.

Am unte­ren Ende einer – wie es sich für Lau­sanne gehört – steil abfal­len­den Sei­ten­gasse lockt ein Restau­rant mit ein­la­den­der Ter­rasse. Das Grappe d’Or – ein lau­schi­ger Ort und wie wir im Nach­hin­ein fest­stel­len: ein Restau­rant mit Spit­zen­kü­che, ver­dien­ten Gault­Mil­lau-Punk­ten und ver­nünf­ti­gen Preisen.

Die mei­sten Tische sind schon besetzt, aber wir haben Glück: Die freund­li­che Kell­ne­rin bie­tet uns einen Zwei­er­tisch im Halb­schat­ten – perfekt!

Schon beim Lesen des Menus läuft uns das Was­ser im Mund zusam­men. Zu Recht: Was wir kurze Zeit spä­ter ser­viert erhal­ten, schmeckt aus­ge­zeich­net. Dazu ein Glas Wein – was will man mehr?

Unsere Blicke schwei­fen ent­lang der Häu­ser­fas­sa­den. In einem Coif­feur­ge­schäft schnei­det eine Frau einem Kli­en­ten die Haare. Eine Schul­klasse von Knirps:innen, bunt gemischt, vorne und hin­ten behü­tet, zieht schnat­ternd vor­bei. Anson­sten ist die Gasse ruhig, fast menschenleer.

Das Beob­ach­ten des städ­ti­schen Lebens macht das Essen im Freien immer wie­der zu einem Erleb­nis. Unver­mit­telt zieht eine junge Frau unsere Auf­merk­sam­keit auf sich, weil sie ver­sucht, ihr Fahr­rad mit­ten in der stei­len Gasse zu par­kie­ren. Dabei kommt ihr ein hal­bes Dut­zend Hula-Hoop-Rei­fen lau­fend in die Quere.

Zuerst stülpt sie sie über das Lenk­rad – was das Velo fast zum Kip­pen bringt. Auf den Gepäck­trä­ger? Geht auch nicht. Schliess­lich lan­den die Hula-Hoops mit einem läs­si­gen Wurf auf dem Boden. Und nach eini­gem hin und her und vor und zurück steht das Fahr­rad an der gewünsch­ten Stelle, eini­ger­mas­sen sta­bil, trotz Kopfsteinpflaster.

Bald wird klar: Das war nur das Vor­spiel. Per Handy star­tet sie einen Sound­tep­pich – und vom Gepäck­trä­ger erklingt eine sanfte, leichte Musik. Die junge Frau ent­le­digt sich ihrer Jacke, greift nach einem der Rei­fen und beginnt mit ihrer Performance.

Wir stau­nen kurz und las­sen die Gabeln stecken. Schon greift die Stras­sen­künst­le­rin zum zwei­ten Rei­fen, ihre leicht­füs­sige Vor­stel­lung nimmt rich­tig Schwung auf… Aber nicht lange. Plötz­lich taucht ein Mann in teuer-läs­si­gem Look auf. Keine zwei Minu­ten nach Beginn der Per­for­mance geht er, von unse­rer Ter­rasse her­kom­mend, auf die junge Frau zu, spricht kurz mit ihr und kehrt wie­der um.

Was war das? Ein generv­ter Gast? – Das kann nicht sein, rundum erblicke ich nur zufrie­dene, ent­spannte Gesich­ter. Die Leute sind in ihre Gesprä­che ver­tieft, genies­sen das Essen – nie­man­den schei­nen die zur som­mer­li­chen Melo­die tan­zen­den Rei­fen zu stören.

Die Stras­sen­künst­le­rin geht zum Velo, stellt die Musik lei­ser und greift zum drit­ten Rei­fen um ihre Dar­bie­tung fort­zu­set­zen. – Und schon ist der Herr wie­der da. Mitt­ler­weile ist klar: Es han­delt sich um den Chef des Restau­rants. Wie ein Tür­ste­her plat­ziert er sich mit ver­schränk­ten Armen und leicht dro­hen­dem Wip­pen im Schat­ten der Terrasse.

Die junge Frau hat keine Wahl: Sie dreht noch eine, zwei Pirou­et­ten, stoppt die Musik und ver­neigt sich. Bevor sie zusam­men­packt, bedankt sie sich beim Publi­kum und stellt sich kurz vor: Sie komme aus Mexiko und toure für ein paar Monate durch Europa, das sie liebe… Dann packt sie hastig ihr Velo und will sich auf den Weg machen.

Wir win­ken die Künst­le­rin an unse­ren Tisch, um ihr wenig­stens ein paar Fran­ken Gage in ihren Hut zu legen. Sie bestä­tigt unse­ren Ver­dacht: Der Patron des Restau­rants hat ihr ver­bo­ten, weiterzumachen.

Wir kön­nen es nicht fas­sen – genauso wenig wie die drei Frauen, die am Tisch neben uns ihr Des­sert genies­sen und nun auch zum Porte­mon­naie grei­fen, um der Arti­stin etwas Gage zuzustecken.

«Das schafft doch Ambi­ance! Für genau sol­che Erleb­nisse fah­ren wir in die Ferien – und wenn es bei uns statt­fin­det, wird es ver­hin­dert», empö­ren sich unsere Tischnachbarinnen.

Wir stim­men zu und den­ken: Gault­Mil­lau-Punkte für den Küchen­chef und das Ser­vice­per­so­nal. Cor­ni­chon für den Patron.

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