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Service public unter Dauerbeschuss

Vor Jah­ren schon haben rechts­po­pu­li­sti­sche Kreise die SRG-Gebüh­ren als Wahl­kampf­thema ent­deckt. Dabei sind die Beträge, die pro Haus­halt oder Firma erho­ben wer­den, eigent­lich nicht der Rede wert. Wenn man bedenkt, für was wir in der Schweiz unser Geld auch noch ausgeben.

2018 setz­ten die Stimm­be­rech­tig­ten in der Schweiz ein deut­li­ches Zei­chen: Mit der wuch­ti­gen Ableh­nung der No-Bil­lag-Initia­tive haben sie sich klar und deut­lich für den in der Bun­des­ver­fas­sung ver­an­ker­ten Ser­vice Public aus­ge­spro­chen. Und für die SRG als Garan­tin einer unab­hän­gi­gen lan­des­wei­ten Ver­sor­gung mit Infor­ma­tio­nen über Wirt­schaft, Kul­tur, Gesell­schaft und Sport.

Es war ein Sieg mit bit­te­rem Bei­geschmack: Der SRG-Gene­ral­di­rek­tor stellte damals noch am Abstim­mungs­abend ein 100-Mil­lio­nen-Spar­par­ket in Aus­sicht sowie eine defen­sive Bewirt­schaf­tung der SRG-Online­ka­näle, um dem laut­star­ken Pro­test der pri­va­ten Medi­en­häu­ser gegen die «Gra­tis-Dienst­lei­stun­gen» des öffent­lich-recht­li­chen Ser­vice public den Wind aus den Segeln zu nehmen. 

Nichts­de­sto­trotz star­te­ten die Abstim­mungs­ver­lie­rer schon damals den näch­sten Angriff auf die SRG und den Ser­vice public. Der Tame­dia-Medi­en­kon­zern dop­pelte mit einer «Nach­be­fra­gung» in Bezug auf die Gebüh­ren nach und ver­kün­dete, eine Mehr­heit hätte sich für eine Sen­kung der jähr­li­chen Gebühr von damals noch 365 Fran­ken auf maxi­mal 200 pro Haus­halt ausgesprochen.

Obschon der Bun­des­rat im Rah­men der neuen Kon­zes­sion im Jahr 2021 die Gebüh­ren bereits um 30 Fran­ken redu­zierte, lan­cier­ten alt­be­kannte SVP-Expo­nen­ten von Hans-Ulrich Big­ler über Tho­mas Mat­ter bis Marco Chiesa eine wei­tere Anti-SRG-Initia­tive, die im August 2023 ein­ge­reicht wurde. Unter dem Motto «200 Fran­ken sind genug! (SRG-Initia­tive)» ver­langt diese fol­gende Ergän­zung des Arti­kels 93 in der Bundesverfassung:

«Zur Finan­zie­rung von Radio- und Fern­seh­pro­gram­men, die einen uner­läss­li­chen Dienst für die All­ge­mein­heit erbrin­gen, erhebt der Bund eine Abgabe von 200 Fran­ken pro Jahr aus­schliess­lich von pri­va­ten Haus­hal­ten. Juri­sti­sche Per­so­nen, Per­so­nen­ge­sell­schaf­ten und Ein­zel­un­ter­neh­men bezah­len keine Abgabe.»

Weil Unter­neh­men mit einem Mehr­wert­steu­er­um­satz über 500’000 CHF pro Jahr, die heute eben­falls Gebüh­ren bezah­len, künf­tig davon befreit wer­den sol­len, hätte die Neue­rung de facto eine Hal­bie­rung des SRG-Bud­gets zur Folge – des­halb spricht man auch von der «Hal­bie­rungs-Initia­tive.»

Die Höhe der Gebüh­ren für die Finan­zie­rung des Ser­vice public in der Bun­des­ver­fas­sung fest­zu­schrei­ben, ist ein Non­sens. Wie­viel Geld nötig ist, um einen funk­ti­ons­tüch­ti­gen Ver­sor­gung auf­recht zu erhal­ten, ver­än­dert sich im Lauf der Zeit. Des­halb hat die Gesetz­ge­bung das sinn­volle Instru­ment der Kon­zes­sion und dem dar­aus resul­tie­ren­den Lei­stungs­auf­trag geschaf­fen, die alle vier Jahre erneu­ert und ange­passt werden.

Der Bun­des­rat hat die 200-Fran­ken-Initia­tive im Novem­ber 2023 denn auch abge­lehnt. Trotz­dem zeigt sie bereits Wir­kung: Geht es nach dem Vor­schlag von SVP-Bun­des­rat Albert Rösti, sol­len die Emp­fangs­ge­büh­ren bis 2029 von heute 335 CHF auf 300 CHF pro Haus­halt gesenkt wer­den und Unter­neh­men sol­len erst ab einem Umsatz von 1,2 Mil­lio­nen Fran­ken zah­lungs­pflich­tig sein. Nun läuft bis zum 1. Februar 2024 die Ver­nehm­las­sung zu die­sem Vor­ha­ben.

Wäh­rend die vom Bun­des­rat anvi­sierte Gebüh­ren­sen­kung weder für Pri­vat­haus­halte noch für Unter­neh­men ins Gewicht fällt, hätte sie für die SRG gra­vie­rende Fol­gen. Laut Natha­lie Wapp­ler, Direk­to­rin des Schwei­zer Radios und Fern­se­hens SRF droh­ten dadurch Ein­nah­me­aus­fälle in der Höhe von 240 Mil­lio­nen Fran­ken, was den Abbau von rund 900 Per­so­nal­stel­len zur Folge hätte.

Die Mei­nun­gen über den Lei­stungs­aus­weis und das Spar­po­ten­zial bei der SRG klaf­fen natur­ge­mäss weit aus­ein­an­der. Auch ich finde, dass eine gründ­li­che Reform und ein Neu-Über­den­ken des Ser­vice public drin­gend not­wen­dig wären. Das stän­dige Rin­gen um Bud­get­kür­zun­gen an die Adresse der SRG hilft dabei aber nicht wei­ter – im Gegenteil…

«Wir spre­chen immer über Geld, nicht dar­über, was wir von der SRG oder vom Ser­vice public eigent­lich wol­len», zitiert Infosper­ber Manuel Pup­pis, Pro­fes­sor für Medi­en­wis­sen­schaft an der Uni Frei­burg und Vize­prä­si­dent der Eid­ge­nös­si­schen Medi­en­kom­mis­sion. Er bezeich­net das aktu­elle Geran­gel um die Gebüh­ren eine «unsin­nige Dis­kus­sion übers rich­tige Preisschild.»

Debat­ten, die bei genauer Betrach­tung eigent­lich nur pein­lich sind. Aus­ge­rech­net jene Politiker:innen, die sich beim Ser­vice public als Rap­pen­spal­ter pro­fi­lie­ren, haben kein Pro­blem damit, Geld mit bei­den Hän­den zum Fen­ster raus­zu­wer­fen, wenn es um Sub­ven­tio­nen für die Land­wirt­schaft oder ums Mili­tär­bud­get geht.

Mit der 200-Fran­ken-Initia­tive ver­spre­chen die Initi­an­ten eine «Ent­la­stung» von jähr­lich 135 Fran­ken pro Schwei­zer Haus­halt*. Eine plumpe Rat­ten­fän­ge­rei. Ihr eigent­li­ches Ziel ist nach wie vor das Ende des öffent­lich-recht­li­chen Ser­vice public. Da dies von Volk und Stän­den wie­der bachab geschickt würde, ver­sucht man es nun mit einem Schuss ins Knie der SRG.

Die SRG ver­fügt aktu­ell über ein Gesamt­bud­get von 1,55 Mil­li­ar­den Fran­ken pro Jahr – der Anteil aus den Gebüh­ren beträgt dabei 1,25 Mil­li­ar­den. Damit lei­stet sie ein umfas­sen­des Ser­vice-Public-Ange­bot in allen vier Lan­des­spra­chen – ein wich­ti­ger Grund­pfei­ler für das Funk­tio­nie­ren des gesell­schaft­li­chen Zusam­men­le­bens in unse­rem Land.

Zum Ver­gleich: Das Schwei­zer Par­la­ment stimmte im Dezem­ber 2023 für eine Erhö­hung des Mili­tär­bud­gets bis 2030 von aktu­ell 5,5 Mil­li­ar­den Fran­ken pro Jahr auf 10,5 Mil­li­ar­den! Auf die Haus­halte in der Schweiz umge­rech­net ergibt das eine Stei­ge­rung der Kosten von heute 2’600 Fran­ken auf 5’000 Fran­ken pro Jahr.

* Anzahl Haus­halte Schweiz 2021: 2,1 Mio.

Der Ast, auf dem wir sitzen

Gross­auf­marsch der Bau­ern­schaft in Deutsch­land: Mit lan­des­wei­ten Pro­test­ak­tio­nen kämp­fen die Land­wirte und Bäue­rin­nen dafür, dass die Agrar­wirt­schaft wei­ter­hin ver­bil­lig­ten Agrar­die­sel erhält und keine Kraft­fahr­zeug­steuer bezah­len muss.

Die Bau­ern gehen dabei nicht zim­per­lich vor. Mit Ver­kehrs­blocka­den sor­gen sie dafür, dass in man­chen Städ­ten nicht ein­mal mehr Lini­en­busse durch­kom­men. Slo­gans und Kampf­re­den zei­gen: Die auf­ge­heizte Stim­mung droht unge­müt­lich zu werden.

Hier­zu­lande geht es zur­zeit (noch) weni­ger laut zu und her. Am 3. Januar hat der Schwei­zer Bau­ern­ver­band auf den Frie­nis­berg im ber­ni­schen See­land ein­ge­la­den. Im Kuh­stall des Vor­zeige-Bau­ern­hofs der Fami­lie Mau­rer prä­sen­tier­ten Ver­bands­prä­si­dent Mar­kus Rit­ter und seine Crew ihre Vor­schau auf den Bau­ern-Polit­ka­len­der 2024.

Her­vor­ge­ho­ben wur­den zwei Schwer­punkt­the­men: Unter dem Motto «Besorg­ter Aus­blick auf das Jahr 2024» klag­ten die Verbandsredner:innen über wach­sende büro­kra­ti­sche Hür­den sowie dro­hende Ein­kom­mens­ein­bus­sen für die Bau­ers­leute. Fol­ge­rich­tig for­dern sie mehr Sub­ven­tio­nen und bes­sere Preise für ihre land­wirt­schaft­li­chen Produkte.

Eine nach­hal­tige Land­wirt­schaft, die unser Land mit regio­na­len, sai­so­na­len Pro­duk­ten ver­sorgt ist wich­tig und hat ihren Preis. Das ist unbe­strit­ten. Die Dau­er­an­ge­bote von impor­tier­ten gün­sti­gen Erd­bee­ren im Win­ter­halb­jahr und Bil­ligst­preise für Gemüse und Obst aus Süd­eu­ropa und Über­see sind in die­sem Zusam­men­hang ebenso ärger­lich wie schädlich.

Genauso falsch ist aber, wenn die Über­pro­duk­tion von Fleisch oder Wein in der Schwei­zer Land­wirt­schaft durch Sub­ven­tio­nen abge­fe­dert und damit belohnt wird. Das ist nur ein Bei­spiel von vie­len für die fehl­ge­lei­tete Poli­tik des mäch­ti­gen Schwei­zer Bauernverbands.

Wie absurd des­sen Hal­tung in Bezug auf die für die Land­wirt­schaft lebens­wich­ti­gen Res­sour­cen wie Arten­viel­falt oder Boden­schutz sind, zeigt das zweite Schwer­punkt­thema, das Bau­ern­prä­si­dent Rit­ter letzte Woche auf dem Frie­nis­berg lan­ciert hat:

Noch bevor das Abstim­mungs­da­tum für die Bio­di­ver­si­täts­in­itia­tive fest­steht, peitscht er seine Leute auf die Nein-Parole ein und stellt in Aus­sicht: «Wir wer­den in einer brei­ten Nein-Alli­anz den Lead über­neh­men.» Mit an Bord seien Ver­bün­dete aus Gewerbe und Wirt­schaft, die Elek­tri­zi­täts­wirt­schaft sowie der Baumeisterverband.

Damit rüstet Rit­ter erneut zum Fron­tal­an­griff gegen ein Anlie­gen, das Bäue­rin­nen und Bau­ern eigent­lich beson­ders am Her­zen lie­gen müsste. Genau wie das vom Bau­ern­ver­band pro­pa­gierte Nein gegen die Pesti­zid- und die Trink­was­ser­initia­tive vor zwei Jahren.

Die Bio­di­ver­si­täts-Initia­tive – 2019 als Dop­pel­in­itia­tive zusam­men mit der Land­schafts­schutz-Initia­tive lan­ciert – ist nichts ande­res als ein Appell an die Ver­nunft. «Die Land­wirt­schaft ist auf eine intakte Bio­di­ver­si­tät ange­wie­sen. Sie ist die Grund­lage für eine zukunfts­fä­hige Lebens­mit­tel­pro­duk­tion und damit für eine siche­rer Ver­sor­gung der Schweiz mit Nah­rungs­mit­teln», sagt etwa Kilian Bau­mann, Prä­si­dent der Klein­bau­ern-Ver­ei­ni­gung und Nationalrat.

Doch sol­che Argu­mente sind dem Schwei­zer Bau­ern­ver­band egal. Damit man sich nicht län­ger mit Bau­manns Posi­tion aus­ein­an­der­set­zen muss, wurde der Bio­bauer nach den letz­ten Wah­len kur­zer­hand aus der Kon­fe­renz der bäu­er­li­chen Par­la­men­ta­rier ausgeschlossen.

Die Bau­ern­lobby hat unter Rit­ters Füh­rung im Par­la­ment bereits dafür gesorgt, dass der vom Bun­des­rat vor­ge­schla­gene indi­rekte Gegen­vor­schlag zur Bio­di­ver­si­täts-Initia­tive end­gül­tig ver­senkt wurde. Weil ihr die­ser sogar in der vom Par­la­ment weich­ge­wa­sche­nen Vari­ante zu weit ging und dazu geführt hätte, dass Mass­nah­men schon bald umge­setzt wor­den wären.

Die Ver­bands­bau­ern dürf­ten für die Nein-Kam­pa­gne gegen die Bio­di­ver­si­täts-Initia­tive erneut Mil­lio­nen Schwei­zer Fran­ken in den Ring wer­den. Unter­stützt von jenen Wirt­schafts­krei­sen, die immer noch daran glau­ben, dass mit Geld alles erkauft wer­den kann. Bio­di­ver­si­tät hin oder her.

Noch ist nicht aller Tage Abend – wir haben es in der Hand, dass diese Initia­tive nicht bachab geschickt wird…

Geraubtes Land – gestohlenes Leben

Was eigent­lich meint der Begriff «Ver­trei­bung» genau?

Sind Men­schen, die vor Zer­stö­rung und Krieg flie­hen, Ver­trie­bene? Jene, die sich als Folge von Armut zur Migra­tion ent­schlies­sen? Ist eine Ver­trei­bung end­gül­tig? Kön­nen Ver­trie­bene, wenn sich die Rah­men­be­din­gun­gen ver­än­dern, auch wie­der zurück?

Fra­gen, auf­ge­taucht bei der Lek­türe der aktu­el­len Kriegs­po­li­tik Isra­els, die zum Ziel hat, die ein­hei­mi­sche Bevöl­ke­rung aus Palä­stina zu ver­trei­ben… Eine Ant­wort finde ich auf Wiki­pe­dia, dem Brock­haus des 21. Jahrhunderts:

«Der Begriff der Ver­trei­bung ist weder juri­stisch noch histo­risch klar und unmiss­ver­ständ­lich definiert.»

(…)

«Ver­trei­bung ist eine mit Gewalt oder deren Andro­hung erzwun­gene Migra­tion zumeist reli­giö­ser oder eth­ni­scher Min­der­hei­ten, die genö­tigt wer­den, ihre ange­stammte Her­kunfts­re­gion zu ver­las­sen. Dar­un­ter fal­len erzwun­gene, dau­er­hafte Flucht, Aus­wei­sung und erzwun­gene Umsied­lung aus einem Staat.»

Zur Illu­stra­tion führt Wiki­pe­dia zahl­rei­che Bei­spiele auf, von der Antike bis zur Neu­zeit. Das Thema zieht sich wie ein roter Faden durch die Welt­ge­schichte. Beim Run­ter­scrol­len, schon fast am Ende der Seite: «Chagos-Archi­pel. Zwangs­um­sied­lung der gesam­ten ein­hei­mi­schen Bevöl­ke­rung, der Chago­s­sia­ner, im Jahr 1971.» 

Dazu der Hin­weis, dass die Ver­trei­bung der Ein­hei­mi­schen erfolgte, weil Gross­bri­tan­nien die Haupt­in­sel Diego Gar­cia an die US-Armee ver­pach­tet habe.

Chagos-Archi­pel? Noch nie gehört! Meine Neu­gier ist geweckt.

500 Jahre nach den por­tu­gie­si­schen See­fah­rern ent­decke auch ich – Google Maps sei’s gedankt – die Chagos-Inseln, mit­ten im Indi­schen Ozean. Ein tro­pi­sches Para­dies mit atem­be­rau­bend weis­sen Strän­den, üppig grü­nen Kokos­pal­men, exo­ti­schen Vögeln, magi­schen Koral­len­riffs, mit Mee­res­schild­krö­ten und bun­ten Fischen…

In kras­sem Kon­trast dazu die Luft­auf­nahme einer vom Meer umspül­ten Flug­pi­ste. Im Hin­ter­grund erkenn­bar rund ein Dut­zend Kampf­bom­ber, Gelän­de­fahr­zeuge, ein Tank­la­ger, Militärbaracken.

Von hier führt mich meine Inter­net-Reise rasant in die höl­li­schen Abgründe des zer­stö­re­ri­schen glo­ba­len Power­plays unse­rer Zeit. Des­sen Wur­zeln rei­chen weit in die Ver­gan­gen­heit zurück, pro­du­zie­ren aber bis heute ihre gif­ti­gen, töd­li­chen Früchte.

Ange­fan­gen hat alles Ende des 18. Jahr­hun­derts, als euro­päi­sche Plan­ta­gen­be­trei­ber einige der Inseln besie­del­ten. Dar­un­ter das Eiland Diego Gar­cia, mit einer Flä­che von rund 27 km2 die grösste Insel des Archi­pels. Als Arbeits­kräfte impor­tie­ren die Kolo­ni­al­her­ren Skla­ven vom afri­ka­ni­schen Fest­land. Spä­ter sie­del­ten sich auch Inder auf den damals von den Fran­zo­sen bean­spruch­ten Inseln an, die sie von ihrer Kolo­nie Mau­ri­tius aus verwalteten.

Nach der Nie­der­lage Napo­le­ons 1815 musste Frank­reich grosse Teile sei­ner Kolo­nien an die Sie­ger­mächte abge­ben. Mau­ri­tius und die Chagos-Inseln wur­den dem Bri­tish Empire zuge­schla­gen. Inbe­grif­fen die ein­hei­mi­sche Bevöl­ke­rung, die fortan der bri­ti­schen Krone unterstand.

Die Îlnois oder Chago­s­sia­ner, wie sie sich sel­ber nann­ten, spra­chen kreo­lisch und leb­ten ein beschei­de­nes, ruhi­ges Leben in ihrem abge­le­ge­nen Insel­pa­ra­dies, das wäh­rend Jahr­zehn­ten für die bri­ti­sche Kolo­ni­al­macht weder von wirt­schaft­li­cher Bedeu­tung noch sonst von Inter­esse war.

Dies änderte sich Mitte der 1960er Jahre grund­le­gend: Kurz bevor Mau­ri­tius die Unab­hän­gig­keit erlangte, ent­schied Gross­bri­tan­nien den Chagos-Archi­pel als letzte Kolo­nie im Indi­schen Oze­aln zu behal­ten. Aus­schlag­ge­bend durfte die Chance gewe­sen sein, die Haupt­in­sel für Jahr­zehnte an die USA für den Auf­bau und Betrieb einer Mili­tär­ba­sis zu verpachten.

Das Nach­se­hen hat­ten die Inselbewohner:innen. Für sie gab es plötz­lich auf den Chagos-Inseln kei­nen Platz mehr, sie wur­den expor­tiert. 1972 wur­den die letz­ten der damals rund 2000 Îlnois per Schiff über tau­sende von Kilo­me­tern in die Fremde vertrieben.

Die Berichte über die ent­wur­zel­ten Men­schen, die im Inter­net zu fin­den sind, gehen ans Herz. Viele haben die Ver­trei­bung nicht ver­kraf­tet, haben sich das Leben genom­men oder sind in den Alko­hol geflüch­tet. Andere kämp­fen bis heute für die Rück­kehr in ihre ver­lo­rene Hei­mat und die Rück­gabe ihres Territoriums.

Sie spre­chen immer noch kreo­lisch, leben in Port Louis auf Mau­ri­tius und im UK, wo sie sich zusam­men­ge­schlos­sen und ihren Kampf bis vor die UNO getra­gen haben.

Mau­ri­tius unter­stützt ihr Begeh­ren und beschul­digt Gross­bri­tan­nien der «unvoll­stän­di­gen Ent­ko­lo­nia­li­sie­rung». Mit eini­gem Erfolg: 2019 ver­ab­schie­dete die UN-Voll­ver­samm­lung mit gros­ser Mehr­heit eine Reso­lu­tion, wel­che von Gross­bri­tan­nien die Über­gabe der Kon­trolle über die Inseln an Mau­ri­tius verlangt.

Das küm­mert die geschrumpfte Kolo­ni­al­macht einen Deut. Eine Rück­kehr der ein­hei­mi­schen Bevöl­ke­rung, so die bri­ti­sche Regie­rung, würde erst mög­lich, wenn die USA die Insel nicht mehr mili­tä­risch nut­zen woll­ten. Der Pacht­ver­trag wurde 2016 um wei­tere 20 Jahre bis 2036. Zudem berich­ten Arti­kel, dass seit 2010 auf Diego Gar­cia mas­siv aus­ge­baut und auf­ge­rü­stet werde…

Über 50 Jahre nach der Ver­trei­bung der Chagossianer:innen wird die Wahr­schein­lich­keit immer klei­ner, dass Über­le­bende die­ser Tra­gö­die je wie­der in ihrer Hei­mat leben kön­nen. Gross­macht­po­li­tik geht vor. Die USA (und ihre Ver­bün­de­ten) brau­chen diese kriegs­stra­te­gisch ideal gele­gene Insel. Punkt. Schluss.

Was meine Ent­deckungs­reise dar­über hin­aus noch zutage geför­dert hat:

2010 ist der Chagos-Archi­pel Teil zum gröss­ten Mee­res­schutz­ge­biet der Welt erklärt wor­den. Zum Schutz der rei­chen Bio­di­ver­si­tät des dor­ti­gen Unter­was­ser­öko­sy­stem wurde die Fische­rei unter­sagt. Aber die Koral­len ster­ben trotz­dem, weil die Mee­res­tem­pe­ra­tur steigt.

Auf Diego Gar­cia wurde in den letz­ten Jah­ren die Flug­zeug­lan­de­bahn immer öfter über­flu­tet. Mög­li­cher­weise wird der gesamte Archi­pel schon bald als Folge der Kli­ma­er­hit­zung vom Meer verschluckt.

Vor­läu­fig betrei­ben die USA aber nach wie vor ihre Mili­tär­ba­sis. Tau­sende von Men­schen, ein­ge­flo­gen aus den ärm­sten Län­dern der Welt, arbei­ten hier im Dien­ste der Inter­es­sen der USA. Das United King­dom kas­siert noch min­de­stens bis 2036 Pacht­zin­sen für das von ihm wei­ter­hin besetzte Archipel.

Im Okto­ber 2021 stran­dete ein in See­not gera­te­nes Fischer­boot auf Diego Gar­cia mit Men­schen auf der Flucht von Sri Lanka nach Kanada. Seit­her sit­zen die Tami­lin­nen und Tami­len auf der klei­nen Insel fest. Ihre an Gross­bri­tan­nien gestell­ten Anträge auf Asyl wur­den in einer ersten Runde pau­schal abge­lehnt. Dank juri­sti­scher Inter­ven­tio­nen von Menschenrechtsanwält:innen muss die Regie­rung nun aber noch ein­mal über die Bücher. 

Das ewige Rad der Ver­trei­bung steht nie still. Das von der Welt­öf­fent­lich­keit kaum wahr­ge­nom­mene Schick­sal der Chagossianer:innen steht exem­pla­risch für die sich ewig wie­der­ho­lende Tra­gö­die durch Ver­trei­bung: In vor­christ­li­cher Zeit etwa die Jüdin­nen und Jude, ver­trie­ben nach Baby­lon und Ägyp­ten. In den letz­ten 500 Jah­ren in vie­len Gegen­den welt­weit Ureinwohner:innen, ver­trie­ben und ver­drängt durch Kolonialmächte.

Und das Rad dreht wei­ter. Aktu­ell trifft es die Armenier:innen von Berg­ka­ra­bach und die Bevöl­ke­rung von Gaza…

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