Bittersüsse Enttäuschung

Pfingst­sonn­tag, Bahn­hof Oer­li­kon. Wir haben noch eine Vier­tel­stunde Zeit, bis der Zug fährt. Genau rich­tig, um ein klei­nes Über­ra­schungs­ge­schenk zu besor­gen. Etwas Süs­ses aus der Bäcke­rei ist immer willkommen!

Ziel­si­cher durch­que­ren wir die neue Bahn­hofs-Unter­füh­rung. Die zahl­rei­chen Able­ger von ver­schie­de­nen Food-Ket­ten, die sich hier ein­ge­mie­tet haben, inter­es­sie­ren uns nicht. Was sie ver­kau­fen, gibt es über­all. Sol­che Mas­sen­pro­dukte eig­nen sich nicht als Mit­bring­sel, sie sind nichts Besonderes.

Des­halb hal­ten wir uns ans lokale Gewerbe: Kaum zwei Monate sind es, seit wir in der Filiale der Bäcke­rei Früh, gleich gegen­über dem Bahn­hof Oer­li­kon, das letzte Geschenk ein­ge­kauft haben. Damals waren es hand­ver­le­sene Pra­li­nés, alle mit Alko­hol­fül­lung. Unse­ren Wün­schen fol­gend, fischte die Ver­käu­fe­rin sorg­fäl­tig Stück um Stück aus der Aus­lage: Truf­fes au Cham­pa­gne, mit Rum, Cognac, Bai­leys… Und schliess­lich oben­drauf noch zwei Praliné-Herzen.

Damit nicht genug: In einer Kon­di­to­rei, die etwas auf sich hält, zählt nicht nur der Inhalt, son­dern auch die Ver­packung! Das brauchte aller­dings etwas Zeit. Zwei‑, drei­mal setzte die enga­gierte Ver­käu­fe­rin an, bis sie mit der Schleife zufrie­den war. Ent­schul­di­gend erklärte sie uns, wäh­rend ihre Hände mit dem far­bi­gen Band kämpf­ten, dass sie neu sei und es ihr noch an Übung fehle. Sie werde aber das Ein­packen von Geschen­ken sicher noch in den Griff bekommen.

Wir hat­ten Zeit, genos­sen die Begeg­nung und die kleine Plau­de­rei. Schliess­lich ver­lies­sen wir das Geschäft mit einem Uni­kat in Hän­den: Keine vor­ge­fer­tigte, seri­en­mäs­sig ein­ge­packte Pra­li­nen­packung, son­dern ein spe­zi­ell zusam­men­ge­stell­tes, klei­nes, ein­ma­li­ges Geschenk aus dem Quar­tier, in dem wir wohnen.

Genau das schwebt uns auch am Pfingst­sonn­tag vor. Unsere leise Befürch­tung, dass die Bäcke­rei geschlos­sen sein könnte, ist rasch zer­streut: Schon von Wei­tem sehen wir, dass sich im Laden etwas bewegt. Also steu­ern wir freu­dig auf den Ein­gang zu. Um plötz­lich abrupt ste­hen zu bleiben.

Etwas stimmt nicht. Ungläu­big, ver­wirrt schauen wir durchs Schau­fen­ster. Die alte Laden­theke ist ver­schwun­den – statt Brot, Pra­li­nés und Patis­se­rie reiht sich Donut an Donut. Nichts als Donuts, in allen Regen­bo­gen­far­ben. Wir rei­ben uns die Augen. Was ist geschehen?

Ein zwei­ter Blick dann schafft Klar­heit: In gros­sen Let­tern prangt neu­er­dings an der Laden­tür «Dun­kin’ Donuts». Schockiert ste­hen wir vor dem Ein­gang – ein paar Sekun­den bloss. Dann nichts wie weg, auf den näch­sten Zug Rich­tung Hauptbahnhof.

Erst unter­wegs wird uns der herbe Ver­lust rich­tig bewusst: Nie mehr Früh-Gip­feli vom Bahn­hof – die besten weit und breit. Kein Abste­cher mehr nach dem Märit-Ein­kauf, um noch Ver­mic­el­les nach­hause zu brin­gen. Ver­mic­el­les, wie es sie nur bei Früh gibt…

Dafür eine wei­tere Food-Kette. Neben dem Star­bucks, dem Bur­ger-King und wie sie alle heis­sen nun auch noch Donuts. Es ist zu ver­mu­ten, dass die Bäcke­rei sich den Miet­zins an bester Lage nicht mehr lei­sten konnte. Mög­li­cher­weise ist er gar in die Höhe geschnellt, nach der Eröff­nung der neuen Bahnhofsunterführung.

Das Resul­tat: Schöne neue Ein­heits­brei-Welt – wohin das Auge blickt… Mit­bring­sel mit Lokal­ko­lo­rit? Das war einmal.

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