Terroralarm unter den Linden

Ver­stoh­len zupft sie ihren Kol­le­gen am Ärmel, dann blicken beide ver­stört in unsere Rich­tung. Erst im Nach­hin­ein drän­gen sich diese flüch­ti­gen Ein­drücke ins Bewusst­sein. Im Moment, als wir noch ein­mal an ihr vor­bei Rich­tung Muse­ums-Shop schlen­dern, geht mir ein­zig durch den Kopf, dass sie den gan­zen Tag hier ver­bracht haben muss. Im düste­ren Nie­mands­land zwi­schen gleis­sen­dem Spät­som­mer­licht und der inspi­rie­ren­den Kunst­welt des Gabriel Orozco. 

Als wir am Vor­mit­tag die Kas­sie­re­rin hin­ter dem Desk ansteu­er­ten, gab sie uns schon von Wei­tem zu ver­ste­hen, dass heute der Ein­tritt frei sei. Immer­hin, meine Rei­se­ta­sche und Ange­los Ruck­sack nimmt sie in die Gepäck­auf­be­wah­rung und hän­digt uns dafür ein rotes Nüm­mer­chen aus. Meine Hand­ta­sche darf ich behal­ten. «Wenn sie wol­len», sagt sie und lässt dabei gar den fei­nen Hauch eines Lächelns erahnen.

Sol­cher­mas­sen befreit von jeg­li­cher Last, schwe­ben wir durch die Aus­stel­lung. Schwel­gen in der glei­cher­mas­sen geist­rei­chen wie ästhe­ti­schen Zur­schau­stel­lung von Zivi­li­sa­ti­ons­müll und Strand­gut und las­sen uns Zeit, viel Zeit mit der Betrachtung.

Trotz­dem, irgend­wann haben wir auch das klein­ste Objekt aus Oroz­cos Müll­samm­lung ein­ge­hend bewun­dert und bestaunt. Draus­sen ruft noch viel Ber­lin, wir wol­len wei­ter. Doch die neu erwor­bene Leich­tig­keit gefällt. Also beschlies­sen wir, unse­rem Gepäck noch ein paar Stun­den Museum zu gönnen.

Das Timing passt per­fekt: Die Aus­stel­lung schliesst erst um 20 Uhr – kurz vor­her wer­den wir, auf dem Weg zum Flug­ha­fen, die Taschen abho­len. Ein guter Plan, zu dem wir uns in den fol­gen­den Stun­den mehr­fach beglück­wün­schen: Ohne Zahn­bür­ste, Nacht­hemd, Bett­lek­türe und Ersatz­schuhe schlen­dert sich’s wesent­lich leich­ter durch die Stadt.

Kurz nach 19 Uhr dann, betre­ten wir zum zwei­ten Mal an die­sem Tag das Gug­gen­heim-Aus­stel­lungs­lo­kal unter den Lin­den. Weil wir noch den Kata­log zur Aus­stel­lung kau­fen wol­len und um unser Gepäck abzuholen.

Doch bevor Angelo das rote Nüm­mer­chen aus sei­ner Hemd­ta­sche klau­ben kann, steht schon breit­bei­nig der Kol­lege von der Sicher­heit vor uns. Jener, den man Minu­ten zuvor am Ärmel gezupft hat. «Six and a half hours» bricht es aus ihm her­aus, wäh­rend er ver­sucht, uns tief in die Augen zu schauen. Und dann noch ein­mal: «Six and a half hours.…»

Als er fest­stellt, dass es bei uns auch auf Deutsch geht, kommt er rich­tig in Fahrt: Ein Was­ser­fall von Wor­ten wie ver­ant­wor­tungs­los, unmög­lich – Gefahr und Ter­ro­ris­mus pras­selt auf uns nie­der – und Sätze wie «Das kön­nen Sie nicht machen – das geht nicht, defi­ni­tiv nicht mehr, seit Nine/​Eleven» und «Nor­ma­ler­weise rufen wir in sol­chen Fäl­len nach zwei Stun­den die Polizei.»

Man befinde sich hier im Gebäude der Deut­schen Bank, wer­den wir auf­ge­klärt. Wo Sicher­heit das höch­ste Gut und gleich­zei­tig ein heik­les Thema. Schlimm, sehr schlimm sei sol­ches Ver­hal­ten – und dann noch ein­mal: Ver­ant­wort­lungs­los, Ter­ro­ris­mus – Gefahr.

Dann end­lich greift der Hüter über die Unver­sehrt­heit von Gug­gen­heim und Bank zu unse­ren Taschen und ent­lässt uns in die Nacht – nicht ohne ein letz­tes «Sechs­ein­halb Stun­den, das kön­nen Sie nicht machen. Das machen Sie nie wieder!»

Wissenschaft und Wahrheit

Ent­wick­lungs­hilfe för­dert die Migra­tion» – «Grüne Gen­tech­no­lo­gie birgt keine Risi­ken»«Bio-Pro­dukte sind nicht gesün­der». So ein­fa­che und klare Ant­wor­ten erhält, wer die Wis­sen­schaft befragt.

Die Migra­ti­ons-Stu­die der Denk­fa­brik «for­aus» lie­fert zwar eine dif­fe­ren­zierte Ana­lyse zur Frage, ob und wie Migra­tion durch staat­li­che Mass­nah­men beein­flusst werde. Doch in die Medien schaffte es (in den aller­mei­sten Fäl­len) bloss die oben genannte Ver­kür­zung. Dar­aus wur­den pep­pige Schlag­zei­len kre­iert, die mar­kige State­ments von Poli­ti­ke­rIn­nen provozierten.

Dies wie­derum war ganz im Sinne der ehr­gei­zi­gen Jung­for­scher von »for­aus»: Um ihrem Paper die erwünschte Auf­merk­sam­keit zu ver­schaf­fen, stell­ten sie dem Gan­zen eine knackige Zusam­men­fas­sung voran, die dem Inhalt der Stu­die zwar nicht gerecht wird, aber bri­sante Inter­pre­ta­tio­nen ermöglicht.

Wie­viele der­je­ni­gen, die über die Stu­die schrie­ben und sich dazu äus­ser­ten, diese über­haupt gele­sen haben, ist offen. Es dürfte eine Min­der­heit gewe­sen sein. Bei der sda zumin­dest, begnügte man sich offen­bar mit der Lek­türe der Zusammenfassung.

Auch bei der Bericht­erstat­tung über die Resul­tate des Natio­na­len For­schungs­pro­gramms «Chan­cen und Risi­ken der Frei­set­zung gen­tech­nisch ver­än­der­ter Pflan­zen» über­nah­men die Medien prak­tisch uni­sono das von den Lei­tern des Pro­gramms kom­mu­ni­zierte simple und gen­tech-freund­li­che Fazit. Kein Wort davon, obschon all­ge­mein bekannt, dass bereits die Ver­gabe der For­schungs­auf­träge höchst umstrit­ten war und mit der Wahl der Pro­jekte die Aus­rich­tung und damit das nun ein­ge­tre­tene Resul­tat vor­ge­spurt wurden.

Ein­zig Mar­cel Hänggi erlaubt sei­nen Lese­rIn­nen in der WOZ einen dif­fe­ren­zier­ten Blick hin­ter die Kulis­sen und zeigt auf, dass die Ergeb­nisse des NFP 59 viel weni­ger ein­deu­tig sind, als dies ver­mit­telt wurde. Je nach­dem, wie man die viel­schich­ti­gen Pro­jekte und ihre Ergeb­nisse gewich­tet, kön­nen aus den nun vor­lie­gen­den Resul­ta­ten unter­schied­li­che Schlüsse gezo­gen werden.

So wies z.B. der Gen­tech-Befür­wor­ter und NFP-For­schungs­lei­ter Dirk Dobb­be­laere laut WOZ dar­auf hin, dass das Pro­blem des Mut­ter­korn­be­falls beim Wei­zen seit Hun­der­ten von Jah­ren bekannt sei und des­halb nicht der Gen­tech­no­lo­gie ange­la­stet wer­den könne. Sein Kol­lege, der die spe­zi­fi­schen Unter­su­chun­gen im Pro­jekt durch­ge­führt hatte, hielt dem ent­ge­gen, dass diese Krank­heit bei gen­tech­nisch ver­än­der­ten Wei­zen­sor­ten wesent­lich häu­fi­ger auf­ge­tre­ten sei, und des­halb als gentech­spe­zi­fi­sches Risiko bewer­tet wer­den müsse.

Nicht nur (zu) sim­pel, son­dern vor allem ten­den­ziös sind auch Behaup­tun­gen wie «Bio wirkt vor allem im Kopf» oder «Der Bio-Bonus ist ein Mär­chen«, wie sie in der NZZ am Sonn­tag oder bei 20Minuten zu lesen waren. Zum einen, weil die zitierte Stu­die ein­zig auf den Aspekt der Aus­wir­kung von Bio-Nah­rung auf die mensch­li­che Gesund­heit fokus­siert hatte und alle andern Vor- und Nach­teile der Bio­land­wirt­schaft aus­sen vor liess. Vor allem aber, weil auch hier mit ver­meint­lich wis­sen­schaft­li­chen Fak­ten poli­tisch Stim­mung gemacht wird.

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