Das Thema für meinen 50. Blog war schon gesetzt: Ein Wahlkommentar sollte es werden. Einer der besonderen Art. Noch bevor die ersten Hochrechnungen und handfesten Zahlen dem Hoffen ein jähes Ende bereiten, wollte ich über ein bahnbrechendes Resultat schreiben:
Erstmals in der über 150jährigen Geschichte der Schweiz, musste das bürgerliche Lager eine schwere Niederlage einstecken. Im neuen Parlament verfügen Grüne und Sozialdemokraten fortan über eine solide Mehrtheit. Damit hatte niemand gerechnet.
Einzig die grossen Verluste der FDP entsprechen den Voraussagen der Wahlprognostiker. Der massive Einbruch der SVP hingegen, die gerade noch auf einen Stimmenanteil von 9 Prozent kommt, traf alle politischen Diagnostiker und Kaffeesatzleser völlig unvorbereitet. Dass auch CVP und Grünliberale nur mässig abschneiden zeigt, dass eine überwältigende Mehrheit der WählerInnen den kapitalistischen Losungen nicht mehr traut, und sich für die Schweiz eine gerechtere und zukunftsorientierte Politik wünscht.
Weiter hätte ich ausführen können, dass auch die SP ihre Denkzettel erhalten hat. So etwa im Kanton Bern, wo Ricardo Lumengo die Wiederwahl in den Nationalrat schaffte. Dies, nachdem er wegen angeblichen Wahlbetrugs, von dem er schliesslich freigesprochen wurde, von seinen Genossinnen und Genossen fallen gelassen worden ist. Angesichts der neuen Mehrheitsverhältnisse steht nun sogar seine Wahl in den Bundesrat zur Diskussion – er gilt als profilierter Anwärter für das Departement „Kulturelle Kommunikation“, welches anstelle des bisherigen VBS für die Schweizerische Sicherheitspolitik zuständig sein wird.
So und ähnlich hätte ich geschrieben und mich meinen Fantasien darüber hingegeben, wie es herauskommen könnte, wenn es einmal anders herauskäme…
Die Meldung, die meine ursprüngliche Themenwahl umgestossen hat, war ebenso überraschend, wie der Wahlsieg der sozialen Kräfte in der Schweiz. Im Gegensatz zu meiner bloss hingebloggten Träumerei ist sie aber real: Der bolivianische Präsident Evo Morales hat bekannt gegeben, dass die geplante Schnellstrasse durch den Amazonas nicht gebaut wird.
Dies, nachdem der Protest der direkt betroffenen Menschen, die ihren Lebensraum durch das Strassenbauprojekt akut bedroht sahen, lange auf taube Ohren gestossen ist. Noch im Juni sagte Morales: „Wir werden diese Strasse bauen – ob es den Leuten dort passt oder nicht.“ Solche Infrastrukturbauten brauche es für die Entwicklung des Landes – dies die Argumentation des Präsidenten.
Die von Brasilien finanzierte Schnellstrasse hätte mitten durch einen Nationalpark geführt. Die dort lebenden Indios befürchteten zu Recht, dass dieses Bauwerk nicht nur eine Schneise durch ihr Gebiet schlagen würde, sondern auch neue Siedler und damit die Zerstörung weiterer Waldgebiete des Amazonas und ihrer Kultur nach sich zöge.
Um sich gegen das Projekt zur Wehr zu setzen, brachen sie zu einem mehrwöchigen Marsch Richtung Hauptstadt auf. Die Regierung ging zunächst mit brutaler Härte gegen die Demonstrierenden vor, was zur Folge hatte, dass sich in ganz Bolivien Menschen mit den Anliegen der Protestierenden solidarisierten.
Als der Protestzug letzten Mittwoch in La Paz eintraf, wurde er von Tausenden freudig begrüsst. Am Freitag dann, noch vor einem Treffen mit 2000 VertreterInnen der direkt Betroffenen, lenkte Evo Morales ein, trug den sozialen und ökologischen Forderungen der Bevölkerung Rechnung und gab den Verzicht auf die Schnellstrasse durch das Amazonasgebiet bekannt. – Ein Präsident, der auf sein Volk hört – kein Traum, sondern für einmal wirkliche und wahrhaftige Realität.