Im Juni 2011 ging die Meldung um die Welt, dass die Förderlizenzen für die Kohlevorkommen von Tavan Tolgoi in der Mongolei, an drei internationale Bieter vergeben worden seien: Mit 40 Prozent des Terrains fiel der grösste Brocken dem chinesischen Kohlegiganten Shenhua zu, 24 Prozent gingen an den US-amerikanischen Konzern Peabody Energy und die restlichen 36 Prozent an ein mongolisch-russisches Konsortium.
Tavan Tolgoi liegt im Süden der Mongolei, in der Wüste Gobi, nahe der chinesischen Grenze. Eine Gegend, die bis vor kurzem weitgehend unberührt blieb. Sie gehörte niemandem, ausser den wild lebenden Tieren. Und den Nomaden, die mit ihren Herden durch die schier endlosen Weiten zogen.
Damit ist es nun vorbei: Unter dem Boden von Tavan Tolgoi werden die grössten noch ungehobenen Kohleschätze der Welt vermutet. Rund 6,4 Milliarden Tonnen sollen hier lagern, mindestens ein Drittel davon hochwertige Steinkohle. Das bedeutet für die Investoren: beste Aussicht auf fette Gewinne – Klimawandel hin oder her.
Der Abbau und die Umwälzung der Landschaft sind bereits in vollem Gange. Nicht nur in Tavan Tolgoi. In der Mongolei, einem der rohstoffreichsten Länder der Welt, herrscht Goldgräberstimmung: Die steigenden Preise für Rohstoffe wie Kohle, Kupfer, Gold und Silber haben zur Folge, dass überall im Land Bergwerke aus dem Boden schiessen – mit verheerenden Folgen für das fragile Ökosystem. Und für die Nomaden, deren Weidegründe der wilden Jagd nach Geld und Profit unwiederbringlich zum Opfer fallen.
Dass in der Mongolei reiche Bodenschätze schlummerten, wusste man bereits zu Sowjetzeiten. Damals verzichtete man aber auf einen Abbau im grossem Stil. Zu abgelegen waren die Steppen, Berge und Wüsten im Süden von Sibirien, zu lang die Transportwege nach Russland.
So konnten die Nomaden ihre traditionelle Lebensweise und Kultur bis in die heutige Zeit hinüberretten. Die Schönheit der mongolischen Weiten blieb erhalten. Und war auch noch intakt, als ich das Land 1992, anlässlich der ersten demokratischen Wahlen, besuchte.
Damals, so kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, war die Mongolei wirtschaftlich am Boden: Jahrelang waren reichlich Mittel aus Moskau ins Vorzeige-Entwicklungsland des Ostblocks geflossen. Nun fehlte es plötzlich an allem. Naheliegend, dass bald die Frage im Zentrum stand, wie Staat und Gesellschaft künftig die notwendigen Mittel beschaffen könnten, um in einer zunehmend globalisierten Welt zu überleben. Und weiter zu kommen.
„Wir haben Glück, weil wir die Fehler der bereits entwickelten Länder sehen: Zuerst haben sie die Natur kaputt gemacht, und erst im Nachhinein an die Ökologie gedacht“, sagte damals Gasandasch, ein Vertreter der neu gegründeten Grünen Partei. „Wir Mongolen lieben die Natur über alles – wir wollen eine parallele Entwicklung.“
Eine verwegene Zukunftsvisionen hatte der Chefredaktor einer grossen Zeitschrift: “Die Sehnsucht nach Freiheit und Nomadentum verbindet alle Menschen weltweit. Nirgendwo gibt es diese Kultur noch so unversehrt, wie in der Mongolei. Die anderen Staaten müssten uns finanziell unterstützen, damit wir – wie in einem Museum – dieses Erbe erhalten können.”
Zwanzig Jahre nach diesem Interview fliessen endlich, wie erhofft, finanzielle Mittel in die Mongolei. Allerdings dienen sie einem ganz anderen Zweck und werden dem Nomadentum den endgültigen Todesstoss versetzen. – Denn was diese Investoren interessiert, ist einzig und allein: Kohle aus der Mongolei.