Kollateralschaden

Die ersten Opfer waren die spa­ni­schen Gur­ken­pro­du­zen­ten. Sie muss­ten wäh­rend der besten Ern­te­zeit ihre Ware ver­nich­ten, weil wäh­rend Tagen der Ver­dacht ver­brei­tet wurde, Gur­ken aus Spa­nien seien die Brut­stätte der Bak­te­rien, die seit Mitte Mai für Schlag­zei­len sorgen.

Auf die Gur­ken- folgte die Toma­ten- und Salat­war­nung – weil laut Zei­tungs­be­rich­ten viele der Erkrank­ten zu Pro­to­koll gege­ben hät­ten, sol­che Kost zu sich genom­men zu haben, bevor die Koli­ken ein­setz­ten. Bei den som­mer­li­chen Tem­pe­ra­tu­ren und dem Trend zu gesun­der Roh­kost eigent­lich nicht wei­ter ver­wun­der­lich. Ange­sichts des Bak­te­rien-Ver­dachts ver­ging aber vie­len der Appe­tit auf Grün­zeug. Was zur Folge hatte, dass nun Bau­ern in ganz Europa und in der Schweiz ihre Ernte nicht mehr ver­kau­fen kön­nen. Russ­land erliess gar ein Import-Ver­bot für Gemüse aus der EU – mög­li­cher­weise nicht nur aus Angst vor dem Krankheitserreger.

Für den Pole­mi­ker Beda Stad­ler hin­ge­gen war die Geschichte ein gefun­de­nes Fres­sen: ein­mal mehr erhielt er in den Medien eine Platt­form, um sein Gen­tech-Süpp­chen zu kochen und Bio­pro­dukte als gefähr­lich, ja sogar töd­lich zu ver­un­glimp­fen. – Sol­ches zu behaup­ten ist zwar absurd, zeigt aber trotz­dem Wir­kung. Genauso wie alle ande­ren Ver­däch­ti­gun­gen und Ver­mu­tun­gen, die in den letz­ten Tagen und Wochen geäus­sert wur­den – ganz zu schwei­gen von den soge­nannt heis­sen Spu­ren, die sich bis­her alle zer­schla­gen haben.

In wel­cher Zei­tung einer der soge­nann­ten Exper­ten «Bil­lig­im­porte» für die Ein­schlep­pung des gefürch­te­ten Bak­te­ri­ums ver­ant­wort­lich machte, weiss ich nicht mehr. «Bio­gas­an­la­gen», lau­tete eine andere Schlag­zeile. Und ver­schie­dene Medien – wohl alle auf die glei­che dif­fuse Quelle zurück­grei­fend, zitier­ten einen «Exper­ten der Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­tion WHO», der den Ursprung des EHEC-Erre­gers eher im Fleisch als im Gemüse ver­mu­tet. Zwar ist es rich­tig und wich­tig, dass alle Hin­weise auf die Her­kunft des zur Dis­kus­sion ste­hen­den Bak­te­ri­en­stam­mes geprüft wer­den und man ver­sucht, die Ursa­che des Pro­blems zu eru­ie­ren und es so aus der Welt zu schaf­fen. Nur: Warum in aller Welt muss dies in der Öffent­lich­keit geschehen?

Unter dem stän­di­gen Druck, Neues zu berich­ten und die Geschichte der Kon­kur­renz zu toppen,wurde die jour­na­li­sti­sche Sorg­falts­pflicht kurzum auf den Keh­richt­hau­fen der Geschichte ver­bannt. Vor­sicht und Zurück­hal­tung sind unnö­tige Brem­ser und scha­den dem Geschäft mit den News. – Pech, wenn man, wie jener Wirt aus Lübeck, in die erbar­mungs­los mah­len­den Müh­len gerät: Zwar hat sich mitt­ler­weile die ver­meint­li­che Spur des EHEC-Erre­gers in sei­nem Restau­rant zer­schla­gen, doch der Scha­den bleibt: Kaum ein Medium, das die Geschichte nicht publi­ziert hätte – inklu­sive Bild und Namen von Wirt und Restau­rant. Wor­auf der Umsatz ein­ge­bro­chen ist.

Wie wohl auch bei besag­tem Bio­be­trieb, der Soja­spros­sen pro­du­ziert und ver­treibt. Oder bes­ser gesagt: Pro­du­ziert und ver­trie­ben hat. Bis Exper­ten glaub­ten, dort nun end­lich den Herd des omi­nö­sen Bak­te­ri­en­stam­mes auf­ge­stö­bert zu haben. Am Sonn­tag­abend noch stellte der deut­sche Gesund­heits­mi­ni­ster im Fern­se­hen in Aus­sicht, dass der Ver­dacht dem­nächst bestä­tigt werde – am Mon­tag bereits folgte das Dementi.

Nun war­ten wir mit Span­nung dar­auf zu hören und zu lesen, wen es als näch­stes trifft. Wie die betrof­fe­nen Pro­du­zen­ten mit den Fol­gen ihrer kurz­zei­ti­gen Pro­mi­nenz und dem Aus­blei­ben der Kund­schaft fer­tig wer­den, ist eine andere Geschichte.

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