Wir sind mitten im Frühlingsputz, am Abend soll alles fertig sein und glänzen – da gibt der Staubsauger plötzlich den Geist auf. Damit wir trotzdem fertig werden, schlägt A. vor, die Nachbarin zu fragen, ob wir für den Rest des Tages den ihrigen brauchen dürften.
Ich gebe zu, mir wäre das nicht einmal in den Sinn gekommen. Ganz einfach, weil das in dem Haus, wo ich jetzt lebe, auch sonst niemandem in den Sinn käme. Obschon, davon bin ich überzeugt, jeder gerne aushelfen würde. So man ihn denn fragte.
A. versteht mein anfängliches Zögern nicht. «Nachbarn sind doch füreinander da,» sagt sie. Und erzählt, wie man sich dort, wo sie herkommt, gegenseitig aushilft, wie das ein Geben und ein Nehmen ist. «Ich freue mich, wenn jemand etwas braucht, und ich helfen kann,» fügt sie an. Aus Erfahrung weiss ich, dass das nicht nur stimmt, sondern von Herzen kommt. Dabei ist es ihr dort, wo sie herkommt, alles andere als gut ergangen. Andeutungsweise nur erzählt sie, wie ihre kurdische Familie im Iran verfolgt wurde und sich als Flüchtlinge auch im Irak nicht sicher fühlen konnte. Sie und ihre drei kleinen Kinder waren damals genauso bedroht wie ihr Mann, der im kurdischen Widerstand aktiv war. Gerettet wurden sie dank einer UNO-Hilfsaktion, die sie 1995 als Flüchtlinge nach Europa brachte.
Obschon nun in der Schweiz in Sicherheit, seien die ersten Monate in unserem Land die schlimmste Zeit ihres Lebens gewesen, erinnert sich A. Weil sie trotz allem ihre Heimat vermisste; ihre Eltern und Geschwister – die Grossfamilie, die sie im Irak zurücklassen musste. Und weil alles so fremd und anders war, sie nicht einmal die Sprache verstand.
Dies änderte sich bald. Im Asylzentrum, wo die junge Familie anfänglich untergebracht war, seien sie von freiwillige Helferinnen und Helfer aus der Region regelmässig besucht worden, erzählt A. Diese hätten ihnen geholfen, sich im schweizerischen Alltag zurecht zu finden und erste Einblicke in schweizerische Sitten und Gesetze vermittelt. Natürlich hat A. auch baldmöglichst Deutsch gelernt. Die Sprache, sagt sie, sei wichtig – man müsse dort wo man lebe, auch mit den Leuten reden können. Auch sonst hat sie sich in vielem angepasst, unser Alltag ist ihr zur Gewohnheit geworden.
Trotzdem, alles hat sie nicht übernommen. Zum Glück. Denn hätte sich A. nicht ihre Herzlichkeit und Wärme, und die Tradition der nachbarschaftlichen Hilfe bewahrt, wäre unser Frühlingsputz unvollendet geblieben. Der nachmittägliche Schwatz mit der Nachbarin, die uns ihren Staubsauger gerne ausgeliehen hat, hätte nie stattgefunden. Genauso wenig hätten wir unsere Erdbeeren mit ihr geteilt oder abgemacht, dass wir uns demnächst auf ein Glas Wein treffen wollen.
Mehr Menschen wie A. würden uns und unserem Land gut tun. Doch die Politik will es anders: Die Nachbarn, die im Neubau nebenan eingezogen sind, werden nie anklopfen und uns um etwas zu bitten. Als Kaderleute von internationalen Firmen können sie es sich leisten, ihre Terrasse für Tausende von Franken mit Büschen und Bäumen zu bestücken, um sich vor den Blicken des einheimischen Pöbels zu schützen. Und daran gedacht, unsere Sprache zu lernen – darauf würde ich wetten – haben sie noch nicht einmal im Traum.